Max Weber und seine Wissenschaftslehre


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

21 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


1. Einleitung

Max Weber (1864-1920) ist, neben Durkheim, ein Klassiker der deutschen Soziologie. Von Hause aus war er Nationalökonom und Jurist mit einer stark historischen Orientierung. Bei seinen Untersuchungen verfolgte Weber ein selbst nach den anspruchsvollen wissenschaftlichen Standards seiner Tage außerordentlich breites und tiefes komparatives Programm und man kann seine Herangehensweise durchaus als einzigartig bezeichnen: Er lehnte die Fixierung auf einzelne Faktoren ab – wie wirtschaftliche, politische oder religiöse Kräfte – und wollte mehrdimensionale Analysen liefern, die das kausale Gewicht sowohl von "Ideen" wie von "Interessen" berücksichtigten.

Die Dimensionen seines Werks wurden erst nach seinem Tode sichtbar, als in einer Reihe von Sammelbänden seine Aufsätze zur Wissenschaftslehre, zur Religionssoziologie, zu Soziologie und Sozialpolitik, zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie das große zweibändige Lehrwerk „Wirtschaft und Gesellschaft“ erschienen.

Aus seinem Gesamtwerk ist vor allem seine Wissenschaftslehre umstritten, nicht zuletzt auf Grund seiner Forderung nach einer werturteilsfreien Wissenschaft, die die internationale Wissenschaft auch noch lange nach seinem Tode im Jahre 1920 beschäftigte. Dabei reichen die Einschätzungen diesbezüglich von einem "zerklüfteten 'Steinbruch' bis hin zu einem einheitlichen 'System'"1. Die fortdauernde Aktualität liegt wohl darin begründet, dass diese bestimmte Kontroverse "keinesfalls auf die Kontroversen einer Spezialdisziplin um ein eindeutig lokalisierbares Phänomen zu reduzieren"2 ist. Vor allem Webers Rede "Wissenschaft als Beruf" kann als ein "ausschlaggebende[r] Bezugspunkt [...] für die bis heute anhaltende Diskussion"3 betrachtet werden.

Diese Arbeit wird versuchen, zunächst die Kernaussagen und zentralen Punkte von Webers oben genannter Rede herauszuarbeiten. Dabei stütze ich mich hauptsächlich auf die Edition von Webers Rede, wie sie in der Gesamtausgabe4 vorgenommen wurde. Zusätzlich werde ich mich auf die Arbeit von Johannes Winckelmann5 beziehen, der bereits im Jahre 1922 "Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre" als erste Auflage herausbrachte, die mir jedoch in der 6. Auflage aus dem Jahre 1985 vorliegt. Die Rezeption von Webers Werk erlebte vor allem in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts eine neue Blüte, die sich in den damals entbrannten Positivismusstreit einordnen lässt, der nicht zuletzt auch von Webers Postulat von Werturteilsfreiheit mit verursacht worden war.6

Im weiteren Verlauf dann soll Webers Wissenschaftslehre im Lichte der heute vorherrschenden Wissenschftsrealität betrachtet werden. Dabei muss vor allem die Frage bedacht werden, inwieweit Webers Vorstellung als Utopie gedacht wurde.

2. "Wissenschaft als Beruf"

Weber eröffnet seine Rede, indem er zunächst die "äußeren Bedingungen des Gelehrtenberufes"7 darlegt und erörtert, in welcher Lage sich ein Hochschulabsolvent befindet, der sich für eine wissenschaftliche Karriere entscheidet. Als Vergleichspunkt dient Weber dabei das amerikanische Hochschulsystem, "wo in dieser Hinsicht der schärfste Gegensatz gegen uns besteht"8. Dabei liege der Hauptunterschied zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Wissenschaftsbetrieb in der Laufbahn der jungen Wissenschaftler: Im Gegensatz zu einem deutschen Nachwuchswissenschaftler, dem lediglich ein Kolleggeld zustünde, das zudem noch von der Hörerzahl seiner Veranstaltung abhinge, werde der "assistant" besoldet. Allerdings, so räumt Weber ein, sei die Arbeitsplatzsicherheit in Deutschland wesentlich höher als in den Vereinigten Staaten. Dem gegenüber stünde ein höheres Arbeitspensum der amerikanischen Nachwuchswissenschaftler: Während der junge Wissenschaftler in Deutschland lediglich Nebenvorlesungen hält und sich somit schon frühzeitig aus seine wissenschaftliche Arbeit konzentrieren kann, hielte in Amerika ein gerade eben habilitierter Wissenschaftler bereits große Vorlesungen.9 Allerdings stellt Weber auch eine Tendenz der Annährung zwischen amerikanischem und deutschem Hochschulsystem fest. Er vergleicht die modernen Institute einer Universität mit "staatskapitalistischen Unternehmungen", in denen der Arbeiter (in diesem Falle: der Assistent) ebenso wie im kapitalistischen Staat von den Produktionsmitteln getrennt ist, wobei für das Gebiet der Wissenschaft dem Institutsdirektor die Rolle des Fabrikdirektors übertragen werde. All dies mutet wie eine Anspielung auf Marx' "Kapital" an.10

Obwohl Weber die Vorteile eines solchen Systems erkennt - es sind vor allem bürokratische, technische Vorteile - , erkennt er doch, dass damit den Universitäten der "Geist" verloren gehe; der "Ordinarius alten Stils" zeigt offensichtlich bedeutende Unterschiede zu einem "Chef eines solchen großen kapitalistischen Unternehmens".11 Damit ginge jedoch das humboldtsche Ideal des Hochschullehrers als Forscher und Lehrer in einer Person, also die Einheit von Forschung und Lehre, verloren. Die Karriere eines jungen Wissenschaftlers werde in Folge dessen sehr viel stärker als vorher vom Zufall bestimmt, denn "[o]b es einem solchen Privatdozenten [...] jemals gelingt, in die Stelle eines vollen Ordinarius und gar eines Institutsvorstandes einzurücken, ist eine Angelegenheit, die einfach Hazard ist"12. Dennoch sei die Zahl der "richtigen Besetzungen" in Deutschland noch recht hoch: So hätten nur dort, wo Politik direkt in Form von "Parlamenten, Monarchen oder revolutionären Gewalthabern" eingreife, "bequeme Mittelmäßigkeit oder Streber allein die Chancen für sich"13.

Nun hat natürlich nicht jedermann von Hause aus die Befähigung zu einen guten Hochschullehrer, die nach dem Postulat der Einheit von Forschung und Lehre beinhaltet, sowohl ein guter Lehrer als auch ein guter Gelehrter zu sein. Nach Weber spiele auch hierbei der Zufall eine entscheidende Rolle. So hinge der akademische Ruf eines Wissenschaftlers stark von seinen Hörerzahlen abhängig. Diese wiederum seien oft nur das Resultat seines Temperamentes oder Tonfalls, nicht aber von einer echten fachlichen Kompetenz. In diesem Zusammenhang macht der den Studenten den folgenden Vorwurf: "Die Frage aber, ob er ein guter oder schlechter Lehrer ist, wird beantwortet durch die Frequenz, mit der ihn die Herren Studenten beehren." Die Bedeutung solcher Äußerlichkeiten sei aber das "akademische Todesurteil" für eines Wissenschaftler und sei "[...] er der allererste Gelehrte der Welt [...]". Weber verurteilt also die Tendenz zu Massenkollegien und fordert satt dessen: "Die Demokratie da, wo sie hingehört. Wissenschaftliche Schulung aber [...] ist eine geistesaristokratische Angelegenheit."14

Auch stellt Weber die notwendige Leidensfähigkeit eines jungen Akademikers heraus. So stellt er jedem, der ihn bittet, bei ihm habilitieren zu dürfen, nachfolgende Frage: "Glauben Sie, daß Sie es aushalten, daß Jahr um Jahr Mittelmäßigkeit nach Mittelmäßigkeit über Sie hinaussteigt, ohne innerlich zu verbittern und zu verderben?"15

[...]


1 Wagner, Gerhard; Zipprian, Hein: Max Webers Wissenschaftslehre. Interpretation und Kritik. S. 9

2 Käsler, Dirk (Hg): Hauptwerke der Soziologie. S. 460

3 Ebd. S. 461

4 Weber, Max: Wissenschaft als Beruf 1917/ 1919. Politik als Beruf 1919. (= Max Weber Gesamtausgabe, Abteilung I, Bd. 17). Im Folgenden MWG I, 17.

5 Winckelmann, Johannes (Hg): Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre von Max Weber.

6 Vgl. dazu: Sukale, Michael: Max Weber - Leidenschaft und Disziplin: Leben, Werk, Zeitgenossen. S. 28-32

7 MWG I, 17. S. 80

8 Ebd. S. 71

9 Ebd., S. 71ff

10 Ebd., S. 74, FN 5

11 MWG I, 17. S. 75

12 Ebd.

13 Ebd., S. 77; Die Formulierung "revolutionäre Gewalthaber" referiert auf die damals aktuelle politische Situation. Darauf lässt das als älteste Quelle erhaltende Manuskript des Frühjahrs 1919 schließen, das Weber stark überarbeitet und erweitert hat. Die in Frage stehende Formulierung wurde nachträglich eingefügt. (Vgl.: MWG I, 17. S. 62-65)

14 Ebd., S. 79

15 Ebd., S. 80

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Max Weber und seine Wissenschaftslehre
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Note
1,5
Autor
Jahr
2008
Seiten
21
Katalognummer
V147534
ISBN (eBook)
9783640595518
ISBN (Buch)
9783640595853
Dateigröße
504 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Max Weber, Wissenschaftstheorie
Arbeit zitieren
MA Sylvia Meyer (Autor:in), 2008, Max Weber und seine Wissenschaftslehre, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147534

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