Ethnologische Terminologie und Modelle der politischen Strukturen in prähistorischen Gesellschaften


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltverzeichnis

1. Die Einleitung – Politik als gesellschaftliches Phänomen

2. Formen der Gesellschaft
2.1 Horde
2.2 Stamm
2.3 Häuptlingstum
2.4 Staat

3. Wirtschaft und die gesellschaftliche Organisation

4. Dependenztheorie

5. Gedanken zu archäologischen Hinterlassenschaften und den Gesellschaftsformen

6. Tabellen

Literatur

1. Die Einleitung – Politik als gesellschaftliches Phänomen

Jegliches Handeln, das die Herstellung, Veränderung oder bewusste Wahrung von allgemeinen Verbindlichkeiten, Normen, Regeln und Gesetzen beabsichtigt oder bewirkt, ist als politisch zu begreifen.[1] Dabei spielt das Verständnis von Macht eine primäre Rolle.

Max Weber definiert Macht als jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen gegen Widerstreben durchsetzen, gleichwohl worauf diese Chance beruht.[2]

Abstrakte Größen wie Macht, Herrschaft und Staat können nur in symbolisierter Form kommuniziert werden. Symbole haben zudem die Eigenschaft, das sie zwar von Menschen geschaffen werden, sie jedoch Illusion erwecken, als seien sie gegebene - „natürliche“ – Größen. Politiker nutzen diese Formen um zu überzeugen und imaginäre Einheiten zu schaffen. Der Einsatz von Symbolen repräsentiert somit nicht nur Politik, sonder Politik wird erst durch sie geschaffen.[3]

Auf der analytischen Ebene ist Politik erstens die sichtbaren Handlungen, zweitens die Normen, Institutionen und Verfassungen, die dem Handel bewusst sind und drittens die Wertidee, die hinter den Normen und Regeln steht. Man kann das von der Absicht der Akteure (Intention oder Rezeption), der Auslegung Dritter oder durch die Wirkung beurteilen.[4]

Ein Lineageälteste, ein Dorfchef, ein Häuptling oder ein Staatsoberhaupt nimmt eine Position ein, die als politisch zu bezeichnen ist. Eine Trennung zwischen rechtlichen, religiösen, verwandtschaftlichen oder ökonomischen Aspekten ist in nichtstaatlichen Gesellschaften oft weder möglich noch sinnvoll[5].

Eine nächste Ebene der politischen Handlungen bilden die ontologischen Grundlagen, die auch als Basis für die Weltanschauungen oder Ideologien dienen können. Jede Gesellschaft verfügt über die Annahmen über ihr Gemeinwesen, etwa über die Gleichheit und die Ungleichheit, über eine spezifische Form von der Gerechtigkeit und von der Hierarchie.[6]

Die politischen Handlungen können dabei in komplizierten Zusammenhängen oder subtilen Kontexten erkannt und ganzheitlich unter der Einbeziehung des Weltbildes zusammengefügt werden.[7]

2. Formen der Gesellschaft

Die Menschen kann man seit ihrer Entstehung als soziale Wesen betrachten, wobei das ursprünglich instinktive Sozialverhalten der Primaten im Laufe der Zeit in zunehmendem Maße mit kulturell spezifischen Verhaltensregeln ergänzt und von diesen überprägt wurde. Diese Dichotomie menschlichen Verhaltens ist die Grundlage für die Differenzierung der Sozialstrukturen von sozialer Organisation.[8]

„Die Sozialstruktur ist die gedachte soziale Ordnung innerhalb einer Gesellschaft, quasi die Ideologie des Zusammenlebens. Als soziale Organisation versteht man die sozialen Beziehungen, wie sie aus dem tatsächlich beobachtbaren Verhalten erschlossen werden können“[9].

In der Archäologie ist es schwierig eines von dem anderen zu trennen, da man es nur mit den materiellen Hinterlassenschaften zu tun hat. Bei der Beschäftigung mit dem Einzelfall hat man es mit der sozialen Organisation zu tun; mit dem Versuch, aus mehreren Befunden einen sozialen Gesamtkontext zu erschließen – mit der Sozialstruktur.[10] Eine konkrete soziale Fragestellung in der Archäologie liegt bei der politischen Organisation der Gesellschaft, an der die Besitzverhältnisse, die soziale Schichtung (und deren Entstehung – „Elitenbildung“) und die Rechtsnormen angeknüpft werden können.[11] Ein wichtiges Thema bildet dabei der Übergang vom verwandtschaftlich organisierten Gemeinwesen zu einer territorial begründeten Gesellschaft.[12]

Die evolutionistisch orientierten Anthropologen und auch Sozialtheoretiker unterscheiden im Wesentlichen zwei Haupttypen von Gesellschaften: societas – die primitive, durch die Verwandtschaft integrierte Gesellschaften - und civitas – Zivilisation und Staat.[13]

Im Band-tribe-chiefdom-state-System liegt die Vorstellung von einer politischen Entwicklung zu einem immer umfassenderem, komplexerem und differenziertem, hierarchisch geordnetem Regierungssystem zu Grunde.[14]

Bei der Klassifizierung verschiedener Kulturen als Horde (band), Stamm (tribe), Häuptlingstum (chiefdom) und Staat hat man es mit einer Typologie zu tun, die sich auf die Art der Ausgestaltung der politischen Struktur von Gesellschaften bezieht.[15]

„Horde“ und „archaischer Staat“ sind im Rahmen dieser Typologie als Extreme eines Kontinuums von Gesellschaften zu verstehen. Politik beherrscht schon das Leben der Horde, doch gibt es hier keine dem politischen Aspekt eigens zugeteilten Entscheidungsinstanzen. „Stamm“ und „Häuptlingstum“ sind zwischen den beiden Extremen angesiedelt. Sie markieren die unterschiedlichen Größen der Ausprägung des politischen Sektors.[16] Was allerdings Staate von Horden, Stämmen und Häuptlingstümer unterscheidet, ist, dass sie nicht auf verwandtschaftlichen Beziehungen, sonder auf sozial-politischen Strukturen basieren.[17]

2.1 Horde

Horden („bands“), die als egalitäre Kleingruppen zu bezeichnen sind, haben tendenziell informelle Führerrollen und alle Mitglieder nehmen am Meinungsbildungsprozess teil. Der Status ist durch Geschlecht und Alter oder persönliche Fertigkeiten bestimmt und die Ressourcen sind für alle Mitglieder zugänglich.[18] Diese Gesellschaft umfasst wirtschaftlich gesehen Jäger und Sammler, deren ökonomische Aktivitäten auf der Familienebene verlaufen. Gesellschaftliche Differenzierung erfolgt auf verwandtschaftlicher Basis. Da wo die Grenze der Verwandtschaft endet, ist auch das Ende der Gesellschaft.[19]

Horde wird als egalitär beschrieben. Die Gruppen sind so klein, dass politische Entscheidungen durch Konsens getroffen werden können.[20] Egalitäre Gesellschaft[21] ist eine Gesellschaft, in der es so viele hoch bewertete Positionen in jeder Alters- und Geschlechtskategorie gibt wie Personen, die fähig und willens sind diese einzunehmen. In zweiter Bedeutung bezeichnet „egalitär“ eine Gesellschaft, in der alle Gruppenmitglieder den gleichen Zugang zu den zentralen Ressourcen haben und niemand durchgängig Macht über anderen ausüben kann. Die Machtdifferentiale ändern sich je nach Tätigkeit, Persönlichkeit der Beteiligten und Umständen, es bestehen keine Über- und Unterordnungsverhältnisse.[22]

Zu bedenken ist: Da wo jeder was zu sagen hat, hat es eben keiner.

Eine geringere Bevölkerungsdichte ist notwendig zur Entfaltung dieser Lebensform, wo keiner Zentralgewalt gibt und „Recht und Ordnung“ aus der Art der Beziehungen resultieren. Alle Ressourcen sind „Gemeineigentum“. Eine Person, die versucht, ein Monopol über diese Ressourcen zu verschaffen, wird entweder ausgelacht oder ausgestoßen.[23] Da weder die Arbeitsgegenstände, noch die Arbeitsmittel von einzelnen kontrolliert werden können, entfällt damit die Grundlage der politischen Macht[24]. „[…] Archaeologists usually operate on the assumption that most Paleolithic societies were organized into bands.“[25]

2.2 Stamm

Ein Stamm zeichnet sich gegenüber der Horde durch eine hohe Bevölkerungsdichte und Zahl aus. Die größere Bevölkerungszahl erfordert im Vergleich zur Horde neue Formen der sozialen Integration. Als wichtigste dabei kann man die Herausbildung von einer Deszendenzgruppen-Ideologie bezeichnen, mit Lineages und Clans, die wiederum Segmente bilden, die nur durch verwandtschaftliche Ideologie, nicht aber durch zentrale politische Autorität zusammengehalten werden.[26]

Deszendenz definiert soziozentrische Statuskategorien. Sie meint zunächst einmal die Beziehung zu einem Ahnen, während Verwandtschaft im engen Sinne die Beziehung zu einem Individuum bedeutet. Verwandtschaft gehört zur kulturellen Struktur einer Gesellschaft, ebenso wie damit zusammenhängende Vorschriften und Interaktionsnormen. Damit ist die Verwandtschaft eine kulturelle Ressource, auf die man zurückgreifen und gelten machen kann, wenn ökonomische und politische Interessen das einfordern.[27] Die Verwandtschaft spielt nicht nur in den Beziehungen zwischen Lokalgruppen eine Rolle, sondern integriert auch die Mitglieder von Lokalgruppen vertikal in Machtsymmetrien.[28]

Zu einer Deszendenzkategorie gehören all jene, die ihre Abstammung von einem gemeinsamen Ahnen herleiten, und zwar unabhängig davon, ob sie zusammenleben oder nicht, und ob sie in irgendwelchen Aktivitäten kooperieren oder nicht. Die Familie ist die kleinste Gruppe, mehrere Familien bilden eine Lokalgruppe (z.B. Dorf).

[...]


[1] Vgl. Heidemann 2003, 160.

[2] Vgl. Naßmacher 202, 10.

[3] Vgl. Heidemann 2003, 169.

[4] Vgl. Heidemann 2003, 161.

[5] Vgl. Heidemann 2003, 161.

[6] Vgl. Heidemann 2003, 161.

[7] Vgl. Heidemann 2003, 162.

[8] Vgl. Trachsel 2008, 239.

[9] Trachsel 2008, 239.

[10] Vgl. Trachsel 2008, 239.

[11] Vgl. Trachsel 2008, 240.

[12] Vgl. Heidemann 2003, 162.

[13] Vgl. Bargatzky 1985, 83.

[14] Vgl. Bargatzky 1993, 269.

[15] Vgl. Bargatzky 1985, 87 u. siehe Tab. 1.

[16] Vgl. Bargatzky 1985, 87.

[17] Vgl. Bargatzky 1985, 88.

[18] Vgl. Heidemann 2003, 163.

[19] Vgl. Bargatzky 1985, 89.

[20] Vgl. Kohl 1993, 53.

[21] nach M. Fried

[22] Vgl. Hirschberg 1999, 88.

[23] Vgl. Bargatzky 1985, 91.

[24] Vgl. Kohl 1993, 54.

[25] Renfrew/Bahn, 2006, 180.

[26] Vgl. Bargatzky 1985, 92.

[27] Vgl. Helbling 2003, 149.

[28] Vgl. Helbling 2003, 151.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Ethnologische Terminologie und Modelle der politischen Strukturen in prähistorischen Gesellschaften
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (UFG)
Veranstaltung
Frühe Zentralisierungs- und Urbanisierungsprozesse nördlich der Alpen. Genese und Entwicklung frühkeltischer Fürstensitze und spätkeltischer Oppida vom 7. bis 1. Jh. v. Chr. in Mittel- und Westeuropa
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
22
Katalognummer
V147441
ISBN (eBook)
9783640581429
ISBN (Buch)
9783640582105
Dateigröße
619 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ethnologie, prächistorisch, politische Strukturen, Gesellschaft
Arbeit zitieren
Ilja Saev (Autor:in), 2009, Ethnologische Terminologie und Modelle der politischen Strukturen in prähistorischen Gesellschaften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147441

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