Die Shoa und die moralische Verantwortung

Einzel- oder Kollektivversagen?


Essay, 2010

9 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Konfrontation mit dem „moralische[m] und politische[m] Absturz“

2. Judenverfolgung und -vernichtung im Nationalsozialismus

3. Individuelle Schuld oder Kollektivversagen?

4. Literaturverzeichnis

1. Konfrontation mit dem „moralische[m1 und politische[m1 Absturz“

Die Verfolgung und Ermordung der Juden während des Nationalsozialismus nimmt nicht nur in der deutschen, sondern auch in der internationalen Geschichtsschreibung eine Sonderstellung ein. Hierbei wird dokumentiert, wie ein Staatsapparat die industrielle Vernichtung eines Volkes aufgrund seiner religiösen Orientierung plante und realisierte. Gleichzeitig veranschaulichten die Taten der Nationalsozialisten, zu welch schrecklichen Verbrechen der Mensch im Stande ist.

Ich möchte mit diesem Essay nachweisen, dass man in Verbindung mit der Shoa nicht von Kollektivschuld sprechen kann, sondern von einem individuellen, aber massenhaften moralischem Versagen. In moralischer Hinsicht hat sich ein Großteil der deutschen Bevölkerung durch seine Passivität schuldig gemacht. Wir müssen deswegen von einer kollektiven Verantwortungslosigkeit, statt von einer Kollektivschuld sprechen. Nachdem ich die vier Phasen[1] der Judenverfolgung und -vernichtung kurz skizziert habe (2.), werde ich begründet darlegen, warum man dem Großteil der deutschen Bevölkerung ein moralisches Versagen im Bezug auf den Holocaust vorwerfen kann (3.) und Helmut Schmidt in diesem Zusammenhang berechtigterweise von einem moralische[m] und politische[m] Absturz“ (Schmidt 102008: 78) spricht.

2. Judenverfolgung und -Vernichtung im Nationalsozialismus

Erste Ansätze der Judenverfolgung gehen auf die Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Jahre 1933 zurück, die Handlungsfähigkeit der jüdischen Bevölkerung wurde zunehmend eingeschränkt. Man forderte die deutsche Bevölkerung auf, jüdische Geschäfte zu boykottieren und entließ einen großen Teil der jüdischen Arbeitnehmer aus ihren Berufen. So wurde beispielsweise am 7. April 1933 das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ erlassen, das auch vorsah, jüdische Beamte aus ihrem Beruf zu entlassen. Im selben Monat wurde auch das „Gesetz gegen die Überfüllung der deutschen Schulen und Hochschulen“ erlassen, das den Anteil der „Nicht-Arier“ auf 5 % pro Einrichtung beschränkte (vgl. Benz 1997: 373f.). Schon in diesem Zeitraum wurden die Grundlagen für die spätere Vernichtung der Juden in Europa geschaffen. Mit der Berufung von Hitler zum Reichskanzler begann bereits der Bau von Konzentrationslagern, da die Masseninhaftierung von politischen Gegnern zur Überlastung der staatlichen Haftanstalten führte. Das KZ Dachau wurde bereits im März 1933 eröffnet (vgl. Williamson 2003: 104).

Durch die Nürnberger Rassengesetze, die am 15. September 1935 verkündet wurden, sprach man per Gesetz der jüdischen Bevölkerung jegliche Bürgerrechte ab und verbot den Deutschen die Beziehung oder Hochzeit mit Juden. Eine genaue Definition des Begriffs „Jude“ folgte am 14. November 1935: Die „Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ bezeichnete gemäß § 5 als Juden, „wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt [...]. Als Jude gilt auch der von zwei volljüdischen Großeltern abstammende staatsangehörige Mischling, a. der beim Erlass des Gesetzes der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat oder danach in sie aufgenommen wird, b. der beim Erlass des Gesetzes mit einem Juden verheiratet war oder sich danach mit einem solchen verheiratet, c. der aus einer Ehe mit einem Juden im Sinne des Absatzes 1 stammt [...], d. der aus dem außerehelichen Verkehr mit einem Juden im Sinne des Abs. 1 stammt und nach dem 31. Juli 1936 außerehelich geboren wird.“ Durch Ausgangssperren und Zuweisungen von bestimmten Einkaufseinrichtungen wurde die jüdische Bevölkerung darüber hinaus systematisch ausgegrenzt (vgl. Pohl 2003: 12).

Einen Höhepunkt der Judenverfolgung vor Beginn des Zweiten Weltkrieges stellten die Ausschreitungen in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 dar. Diese dritte Phase symbolisiert den Übergang zu einer Radikalisierung der nationalsozialistischen Judenpolitik. Der Vorwand für die Reichspogromnacht war das Attentat des 17-jährigen Juden Herschel Grünspan auf den deutschen Diplomaten Ernst von Rath am 7. November 1938 in Paris. Unter der Führung von Propagandaminister Goebbels gingen SA und SS zwei Tage später gegen Geschäfte von Juden und Synagogen in Deutschland vor. Im gesamten Raum des Reiches wurden jüdische Läden zerstört und Synagogen in Brand gesetzt. Gleichzeitig wurden mehr als 30.000 Menschen in der Reichskristallnacht festgenommen und in Konzentrationslager deportiert. Unzählige wurden ermordet. Die Nacht kennzeichnete den Beginn der organisierten Deportation der jüdischen Bevölkerung in Europa.

Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 und dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen gründete man Einsatzgruppen, die nach dem Einmarsch die Festnahme und Ermordung von Juden und politischen Gegnern vornahmen. Während des Polenfeldzugs wurden auf diese Weise mehrere tausend jüdische Bürger, aber auch Personen der polnischen Führungselite ermordet. Um den Einsatztruppen ihre Tätigkeiten zu erleichtern, mussten Juden sich seit November 1939 durch gelbe Armbinden (später durch den an der Kleidung angenähten Judenstern) als solche zu erkennen geben (vgl. Benz 1995: 8).

Durch die Gründung von Ghettos in größeren Städten wurden die Juden räumlich konzentriert. Nachdem man sich von der Idee der Umsiedlung aller Juden auf die afrikanische Insel Madagaskar distanzierte, versuchte man die jüdische Bevölkerung von den restlichen Bewohnern zu trennen und gleichzeitig für einen möglichen Abtransport in die Konzentrationslager zu sammeln. Man begann im Frühjahr 1940 mit der Errichtung von Ghettos in Städten wie Warschau oder Lodz. Die schlechte Versorgung mit medizinischen Gütern und Nahrungsmitteln führte dabei in einigen Ghettos zu einem drastischen Anstieg der Sterberate. Das Ghetto von Warschau verzeichnete so 100.000 Tote. Aus diesem Grund entschied man sich im Herbst 1941, die Juden aus den besetzten Gebieten gleich in die Konzentrationslager zu deportieren (vgl. Pohl 2003: 65ff.).

[...]


[1] Ich meine damit die Boykott- (1933-1935), die Ausgrenzungs- (1935-1938), die Deportations- (1938­1941) und die Vernichtungsphase (1941-1945).

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Details

Titel
Die Shoa und die moralische Verantwortung
Untertitel
Einzel- oder Kollektivversagen?
Autor
Jahr
2010
Seiten
9
Katalognummer
V147165
ISBN (eBook)
9783640573103
ISBN (Buch)
9783640573189
Dateigröße
410 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Shoa, Verantwortung, Kollektivversagen, Einzelversagen, Holocaust, individuelle Verantwortung
Arbeit zitieren
Robert Griebsch (Autor:in), 2010, Die Shoa und die moralische Verantwortung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147165

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