Sind wir auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Identität?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

24 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Identitätsbegriff

3. Untersuchung zum Ausmaß der Identität
3.1 „Ausschließlich europäische Identität“
3.2 „Europäische und nationale Identität“
3.3 „Nationale und europäische Identität“
3.4 „Ausschließlich nationale Identität“
3.5 Europäischer Durchschnitt

4. Erklärungsversuche
4.1 Hemmnisse einer kollektiven europäischen Identität
4.2 Möglichkeiten europäischer identitätsstiftender Politik

5. Ausblick

6. Bibliographie

1. Einleitung

Die Europäische Union (EU) wurde in den vergangenen Jahren von mehreren politischen Ereignissen eingeholt, die ihre Entwicklung negativ beeinflusst haben bzw. zu einem Stillstand derselben geführt haben.

Nach der Osterweiterung, den gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden zum Verfassungsvertrag, der öffentlichen Diskussion über den Beitrittskandidaten Türkei, benötigt die Europäische Union mehr denn je die Unterstützung der europäischen Öffentlichkeit. Vor allem braucht sie aber auch die politische Legitimation der europäischen Bevölkerung sowie eine Unterstützung finanzieller Art durch die Mitgliedstaaten, um die europäische Integration erfolgreich voranzubringen.

Politische Gemeinwesen, so wie die Europäische Union eines ist, sind auf Legitimation und Akzeptanz angewiesen, um die Stabilität der politischen Ordnung zu gewährleisten. Die Bürger erkennen ein Gemeinwesen nur als legitim an und akzeptieren es, wenn sich sich mit diesem identifizieren. (Thalmaier 2007) Eine gemeinsame europäische Identität ist somit ein zentrales Thema für die künftige Entwicklung und das Bestehen der Union.

Deshalb stellt diese Hausarbeit die Frage, ob wir auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Identität sind?

In den folgenden Kapiteln wird der Terminus Identität eingeführt und erläutert. Dazu ist es erforderlich zwischen personaler und kollektiver Identität zu unterscheiden und den Begriff der multiplen Identitäten einzuführen, um schließlich auf europäische Identität und ihre Relevanz im europäischen Kontext einzugehen.

In einem weiteren Schritt findet die Operationalisierung der Forschungsfrage statt. Mit Hilfe von Daten des Eurobarometers wird die Entwicklung der Identität von europäischen Bürgern zu ihrer Nation sowie zu Europa im Zeitraum von 1994-2004 beschrieben. Die Resultate der zweimal im Jahr stattfindenden Standard-Eurobarometer-Umfrage, die von der Europäischen Kommission in Auftrag gegeben wird, geben Auskunft über den Grad und die Stabilität der Identität in Europa. Seit 1992 wird regelmäßig nach den Einstellungen und Gefühlen der Bürger bezüglich der europäischen und nationalen Identität wie folgt gefragt:

„In the near future do you see yourself as: 1. Nationality only? 2. Nationality and European?

3. European and Nationality? 4. European only?“.

Diese Frage soll Auskunft über das Ausmaß europäischer Identität geben und ist der Hauptbezugspunkt des empirischen Teiles dieser Arbeit.

Nach dem deskriptiven Teil der Arbeit folgt die Ergebnisauswertung. Dazu wird die Entwicklung der europäischen Identität von 1994 bis 2004 analysiert und aufgezeigt, ob die Bürger sich bereits mit Europa identifizieren und wie ausgeprägt die Identifikation mit Europa ist. In diesem Kapitel muss ebenfalls auf die Bedeutung und Relevanz multipler Identitäten für die Forschungsfrage eingegangen werden.

Vor diesem empirischen Hintergrund können anschließend Erklärungsversuche für das Ausmaß und die Stabilität europäischer Identität unternommen werden. Anhand der Pluralität von Sprachen in Europa, der Frage nach der Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Verfassung, der Osterweiterung und der Rolle des Nationalstaates werden Grenzen und Möglichkeiten europäischer Identität diskutiert.

Abschließend soll in einem Ausblick geklärt werden, wie weit wir auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Identität voran geschritten sind und was unternommen werden muss, um den Prozess der europäischen Identitätsbildung voran zu treiben.

2. Identitätsbegriff

In diesem Kapitel soll der Terminus Identität eingeführt werden. Dadurch soll gezeigt werden, warum eine europäische Identitätsbildung so entscheidend für die Europäische Union ist. Zu diesem Zweck wird zwischen personaler und kollektiver Identität unterschieden. Allerdings wird auf die personale Identität nur sehr kurz eingegangen, in Form einer kleinen Erklärung, da sie für den weiteren Verlauf der Hausarbeit nicht relevant ist.

Der Begriff Identität kann auf verschiedenen Ebenen analysiert werden.[1] Auf politischer Analyseebene ist Identität die Selbstdefinition einer Person oder Sache und beschreibt weiterhin den Prozess der Selbstvergewisserung. (Schmale 2007: 63) Schon bei der Einführung des Begriffs muss eine Unterscheidung in personale und kollektive Identität unternommen werden.

Personale Identität bezeichnet dabei die Individualität einer Person, das heißt ihre Besonderheiten, die sich nach außen und innen zeigen und die sie von anderen zu unterscheiden. Außerdem wird eine affektive und kognitive Relation einer Person zu einem Objekt, mit dem sie sich identifiziert, beschrieben. (Haratsch 2008:175)

Kollektive Identität hingegen bezieht sich auf Familien, Gesellschaften und nationale sowie grenzüberschreitende soziale Gruppen. Dieser Identitätstyp wird durch ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe geformt und wird durch die Abgrenzung zu anderen Gruppen gestärkt. (Haratsch 2008)

Der Identität kommen dabei verschiedene Funktionen zu. Sie bildet einen Bezugs- und Orientierungspunkt, damit Personen und Kollektive sich selbst in einen familiären oder gesellschaftlichen Kontext einordnen können. Dazu erfolgt bei der kollektiven Identität eine Trennung zwischen wir und sie (vgl. Nissen 2004).

Des Weiteren gibt es die Funktion der Exklusion und Inklusion, die dazu führt, dass Grenzen gezogen werden, was im Besonderen die Abgrenzung zu anderen Gruppen betrifft.

Eine sehr wichtige Funktion der Identität ist die Legitimationfunktion bzw. die Systemunterstützung. Nach Easton gibt es zwei Arten der Unterstützung: die spezifische Unterstützung und die diffuse Unterstützung (Easton 1965). Spezifische Unterstützung bedeutet, dass das politische System Outputs produziert, die deckungsgleich mit den Interessen der Bürger sind. Die diffuse Unterstützung bezieht sich aber nicht auf die Outputs, die in der Gegenwart oder Zukunft zu erwarten sind, sondern ist existent, sogar, wenn die Outputs nicht den Interessen der Bevölkerung entsprechen. Nun muss es also das Ziel der Europäischen Union sein, eine diffuse Unterstützung zu erlangen, was bedeutet, dass sie sich nicht nur stärker der Output-Produktion widmen und Ergebnisse hervorbringen muss. Es wird außerdem vonnöten sein, dass beispielsweise die Strukturen der europäischen Politik verbessert sowie transparenter gemacht werden und außerdem eine Verbesserung des Wohlstandes[2] herbeigeführt wird. Eine gemeinsame europäische Identität stellt bei der Schaffung der diffusen Unterstützung eine grundlegende Bedingung dar[3]. Diese Funktion ist im Kontext dieser Hausarbeit entscheidend, da sie die Relevanz der Identität in Bezug auf die Forschungsfrage beschreibt. Wichtig dabei ist, dass die EU nur dann von den europäischen Bürgern akzeptiert und die politische Ordnung somit legitimiert wird, wenn sie sich mit diesem politischen Gemeinwesen identifizieren, sich affektiv und kognitiv dazu hingezogen fühlen.(Thalmaier 2007)

Auch wenn es mehrerer Faktoren bedarf, um die Legitimität einer politischen Ordnung zu gewährleisten[4], spielt die Identität bei dem Legitimationsprozess eine wichtige Rolle.

Im Kontext dieser Arbeit und der nachfolgenden Kapitel ist es abschließend wichtig klar zu stellen, dass multiple Identitäten existieren. Multiple Identität bedeutet, dass eine Person mehrere Identitäten haben kann. So schließen sich beispielsweise die nationale, regionale und europäische Identität nicht aus, sie können nebeneinander bestehen. ( Thalmaier 2007)

Für die Frage, ob wir uns auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Identität befinden, ist es wichtig zu sehen, dass multiple Identitäten den Identifikationsprozess der EU Bürger nicht stören. Es ist relevant, dass sich überhaupt eine gemeinsame europäische Identität herausbildet und es soll hier nicht darum gehen, diese über die Identifikation mit dem Nationalstaat zu stellen.

Im nächsten Kapitel wird dazu anhand einer Frage des Eurobarometers untersucht, ob und in welchem Ausmaß europäische Identität vorhanden ist.

3. Untersuchung zum Ausmaß der Identität

In diesem Kapitel soll die europäische Identität anhand von Daten des Eurobarometers gemessen und beschrieben werden.

„Gegen die öffentliche Meinung kann auf Dauer keine Politik gemacht werden.“ (Mau 2003). Diese Aussage zeigt, dass die Meinung der EU-Bürger erfragt und beachtet werden muss, da es der Politik sonst an ihrer Legitimationsgrundlage fehlt. Zu diesem Zwecke werden seit 1973 zahlreiche Fragen mit Europabezug gestellt. Dabei ist die europäische Identität von besonderem Interesse.

Deshalb wurde die Frage gestellt, ob die Bürger des jeweiligen Landes sich in der nahen Zukunft

1. ausschließlich als Europäer/in
2. als Europäer/in und Nationalität
3. als Nationalität und Europäer/in oder
4. nur als Nationalität

sehen.

Diese Hausarbeit untersucht die Daten, die seit 1994-2004 vom Eurobarometer erhoben wurden und diese Frage betreffen. Dabei werden besonders die Daten der Länder Luxemburg, Italien, Deutschland, Niederlande, Finnland und Schweden unter den vier bereits genannten Gesichtspunkten (nur Europäer/in, Europäer/in und Nationalität etc.) in vier Diagrammen analysiert. Das fünfte Diagramm befasst sich mit dem europäischen Durchschnitt der vier Kategorien und dient sozusagen der Zusammenfassung. Es wurde diese Variante der Analyse gewählt, weil so die Länder besser vergleichbar sind. Man kann die sechs Staaten anhand eines Faktors beispielsweise, ob sie sich nur als Europäer/in sehen, untersuchen und vergleichen.

Für die Präsentation der Daten wurden Liniendiagramme gewählt, weil sie zur Verdeutlichung der Entwicklung europäischer Identität besser geeignet sind als Tabellen oder Balkendiagramme. Sie erweisen sich als günstiger für die Wahrnehmung von Verläufen und ermöglichen einen besseren Vergleich des Verlaufs europäischer Identität zwischen den sechs Staaten.

Sollte es Auffälligkeiten anderer Länder im Verlauf der untersuchten zehn Jahre geben, werden diese ebenfalls beschrieben und in einem nächsten Schritt im europäischen Kontext erklärt.

Die Länder, die in diesem Kapitel untersucht werden, wurden ausgesucht, weil sie Unterschiede in der Gesinnung zu Europa aufweisen. Es soll verdeutlicht werden, wie sich die Entwicklung einer europäischen Identität bei Ländern verschiedener Europa-Gesinnung darstellt und verändert. Es wird interessant sein zu sehen, ob sich ein gemeinsamer Trend hin zu einem Mehr an europäischer Identität entwickelt, trotz unterschiedlicher Gesinnung. Beziehungsweise, ob die Daten der ausgewählten Länder mit der Europa-Gesinnung übereinstimmen.

Luxemburg wird eine große Europa-Gesinnung zugewiesen, da es ein Land mit einem hohen Migrantenanteil ist.[5] Dies ist ein Grund, weswegen die Bürger dieses Landes pro Europa eingestellt sind. Italien gehört laut Eurobarometer ebenfalls zu den Staaten, die sich stärker zu Europa hingezogen fühlen.[6] Die Italiener sind bereits seit Ende der sechziger Jahre starke Befürworter der EU und lagen in Umfragen bezüglich des Zugehörigkeitsgefühls zu Europa stets sehr weit vorn.[7]

Deutschland und die Niederlande weisen dagegen eine gemäßigtere Europa-Gesinnung auf. In Deutschland wird die EU als großes Friedensprojekt, sogar als Erweiterung des politischen Systems Deutschland wahrgenommen, trotzdem denken die Deutschen laut Umfragen, dass die deutschen Interessen in Europa zu wenig Berücksichtigung erfahren.[8]

Mit der Niederlande sollen die Daten eines weiteren Gründungsmitgliedes untersucht werden. Die Niederländer hatten sich 2005 eindeutig[9] gegen den EU-Verfassungsvertrag gestellt[10], was einen starken Rückschlag für Europa darstellte. In diesem Kontext ist es interessant zu sehen, in welchem Maß sich die Niederländer mit Europa identifizieren.

Die skandinavischen Länder Finnland und Schweden, die der EU beide 1995 beitraten, sind einer eher europaskeptischen Position zuzuteilen. Während des Kalten Krieges war Finnland das skandinavische Land, dem der eine aktive Partizipation an der europäischen Integration verwehrt wurde, aufgrund seiner guten Beziehungen zur Sowjetunion (Schymik 2004). Dass Finnland der EU beitrat, geschah primär aus wirtschaftlichen Gründen[11], wenn auch teilweise um ein Zugehörigkeitsgefühl zum Westen zu verstärken. Eine euroskeptische Haltung Finnlands zeigte sich durch das zögerliche Verhalten bei der Ratifikation der EU-Verfassung und es wurde klar gemacht, dass eine Vertiefung der EU-Integration Grenzen hat. (Schymik 2004)

[...]


[1] Identität ist ein wichtiges Konstrukt in der Philosophie, sowie auch in der Psychologie, in den Sozialwissenschaften, aber auch in der Soziologie.

[2] Wohlstand ist das wichtigste, öffentliche Gut der EU (vgl. Thalmeier 2007:171)

[3] Hurrelmann 2005: 122-131 beschreibt dieses Phänomen genauer

[4] Vgl. etwa Janning 2004:87

[5] Viele ausländische Geschäftsleute wohnen in Luxemburg, sie machten 2008 44,5 % der Gesellschaft Luxemburgs

aus (STATEC 2008)

[6] Vgl. Eurobarometer 46 : 46

[7] Zusammen mit Luxemburg, vgl. Caviagli 2004 politik und zeitgeschichte

[8] Die Umfragen wurden von Emnid im Jahre 2000 erhoben, vgl. Hellmann 2002, politik und zeitgeschichte

[9] Rund ¾ der Niederländer stimmten gegen den Verfassungsvertrag

[10] Dadurch wurden Kernpunkte wie mehr Bürgernähe und Transparenz, eine stärkere Kontrolle des Europäischen Parlaments, und eine Wahl des Ratspräsidenten und Außenministers abgelehnt.

[11] Nach dem Zerfall der UdSSR, verlor Finnlands Wirtschaft essentielle Absatzmärkte

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Sind wir auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Identität?
Hochschule
Universität Stuttgart
Note
2,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
24
Katalognummer
V147031
ISBN (eBook)
9783640561407
ISBN (Buch)
9783640561490
Dateigröße
605 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gemeinsame europäische Identität, Sind wir Europäer?, Identität
Arbeit zitieren
Katharina Weiß (Autor:in), 2009, Sind wir auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Identität?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147031

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