Manipulationsmöglichkeiten bei Umfragen

Die Mehrheit der Studenten ist für Studiengebühren?


Projektarbeit, 2008

56 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Manipulation und die Psychologie des Überzeugens

3. Die kognitionspsychologische Theorie der Befragung

4. Manipulationsmöglichkeiten bei der Fragebogenkonstruktion
4.1 Einleitender Überblick
4.2 Befragtenmerkmale
4.3 Frageeffekte
4.4 Situationaler Befragungskontext

5. Vorgehen bei der empirischen Kurzstudie

6. Vorstellung und Interpretation der Ergebnisse der empirischen Kurzstudie
6.1 Halo-Effekt
6.2 Wahrnehmung der versuchten Meinungsmanipulation

7. Fazit
I. Anhang
II. Literaturverzeichnis

Anlagenverzeichnis

Anlage 1: Fragebogen (mit „negativem“ Block D)

Anlage 2: „positiver“ Block D

Anlage 3: Antwortverteilung (Skalenwerte) bei den für die Untersuchung relevanten Fragen und gegebene Antworten in den kognitiven Interviews

1. Einleitung

Die Einführung von allgemeinen Studiengebühren, also denjenigen Gebühren, die Studenten im Erststudium für jedes Semester zahlen müssen, um studieren zu dürfen, ist ein heiß diskutiertes Thema mit bildungs- und sozialpolitischer Brisanz. In einem solchen Fall bietet sich die Umfrageforschung an, um Klarheit bezüglich der Mehrheitsverhältnisse in der Bevölkerung zu schaffen. Die Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen „forsa“ führte im Auftrag des dem Bertelsmann-Konzern nahe stehenden Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) im Jahr 2003 eine bundesweite Umfrage zum Thema Studiengebühren durch (CHE 2003). Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass „Die Mehrheit der Studierenden (59%) und die Mehrheit der Bevölkerung (67%) […] Studiengebühren befürworten würden, wenn diese den Hochschulen direkt zugute kommen und durch Darlehen finanziert werden können.“ (S. 2). Der Geschäftsführer des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren (ABS) Klemens Himpele kritisierte das Vorgehen von CHE und forsa heftig (Süddeutsche Zeitung, 2003). So behauptete er, dass mit einer „suggestiven Fragestellung gearbeitet“ worden ist. Die Zustimmung oder Ablehnung der Befragten wurde nur zu drei verschiedenen Gebührenmodellen erfasst, aber nicht zur generellen Frage nach Studiengebühren. Himpele zufolge glaubten die Befragten, sie könnten bei der Wahl des Modells mitentscheiden und wählten deshalb die sie am wenigsten störende Variante. Die Ludwig-Maximilians-Universität München und die Friedrich-Schiller-Universität Jena führten daraufhin eigene Umfragen mit ihren Studenten durch und kamen zum Ergebnis, dass jeweils weit mehr als die Hälfte der Befragten gegen Studiengebühren für das Erststudium ist (AStA der Universität München, 2004; LZaS, 2006). Das war der Ausgangspunkt für unsere Projektarbeit, die sich mit den Manipulationsmöglichkeiten beschäftigt, die durch Umfragen ermöglicht werden.

Zuerst klären wir, was Manipulation bedeutet und stellen Erkenntnisse der Psychologie des Überzeugens vor (Kap. 2). Danach wird der Leser mit der kognitionspsychologischen Theorie der Befragung (Kap. 3) und möglichen „Fehlerquellen“ bei der Konstruktion von Fragebögen bekannt gemacht (Kap. 4). Im Anschluss wird das Vorgehen bei unserer empirischen Kurzstudie beschrieben, die mithilfe eines dafür konstruierten Fragebogens zum Thema Studiengebühren eine Möglichkeit der Manipulation auf ihre Wirksamkeit testet (Kap. 5). Im darauf folgenden Kapitel werden dann die Ergebnisse der Kurzstudie vorgestellt und diskutiert (Kap. 6). Ein Fazit rundet die Projektarbeit ab (Kap. 7).

2. Manipulation und die Psychologie des Überzeugens

Nach Hillmann (1994, S. 512) ist die Manipulation eine „mit psychologischen Mitteln arbeitende Herrschaftstechnik im Sinne einer systematischen, zielgerichteten Lenkung und Prägung des Bewusstseins, der Denkgewohnheiten, der Gefühlsregungen, der sozialen, politischen und ästhetischen Interessen größerer Bevölkerungsteile“ und führt zur geistigen Bevormundung, Uniformierung und Irreführung der Betroffenen. Uns interessieren hier nicht so sehr die langfristigen Effekte der Prägung, sondern eher die kurzfristigen der Überzeugung, die man mit einem Fragebogen erzielen kann. In jedem Fall beinhaltet die Manipulation „vorgeformte Denkmodelle, Anschauungen, Weltbilder, Interpretationen von sozialen und politischen Zusammenhängen oder Konfliktlagen, die […] den Interessen der Manipulatoren dienen“ (a.a.O.).

Der italo-amerikanische Sozialpsychologe Robert B. Cialdini ist Experte auf dem Gebiet der Überzeugung und schrieb ein Lehrbuch (2007) für alle, die nicht länger Opfer der Überredungskünste ihrer Mitmenschen sein wollen. Darin stellt er fest, dass Menschen aus Gründen der Effizienz und Autonomie zu fixen Handlungsmustern und automatischem Verhalten neigen (vgl. Cialdini, 2007, S. 19 ff.). Konzentriert man sich auf ein informatives Auslösermerkmal, spart man Zeit, Energie und mentale Kapazität. Allerdings steigt dadurch die Wahrscheinlichkeit, folgenschwere Irrtümer zu begehen, da das Verhalten nur von einem kleinen Teil der zur Verfügung stehenden Information abhängig gemacht wird. Diesen Umstand versuchen Manipulatoren auszunutzen. Cialdini unterscheidet sechs „Waffen der Einflussnahme“.

- Reziprozität: Anthropologen und Soziologen haben die Reziprozitätsregel entdeckt, die besagt, dass Menschen dazu tendieren, sich für einen Gefallen zu revanchieren. Überzeugungsprofis geben erst etwas, bevor sie um eine Gegenleistung bitten. Nicht selten willigen Personen dann ein, eine größere Leistung zu erbringen, als sie bekommen haben (vgl. a.a.O., S. 43 ff.).
- Konsistenz: Psychologen sind sich darüber einig, dass Menschen versuchen, in ihren Worten, Taten und Überzeugungen konsistent zu erscheinen. Konsistenz hat ein gutes gesellschaftliches Image und erleichtert den Umgang mit der Komplexität des modernen Lebens. Überredungsprofis versuchen daher, Menschen dazu zu bewegen, (schriftlich) eine Position einzunehmen, bevor sie um das Verhalten bitten, das mit dieser konsistent ist (vgl. a.a.O., S. 89 ff.).
- Soziale Bewährtheit: Sind sich Menschen unsicher, was sie glauben oder tun sollen, orientieren sie sich daran, was andere Menschen glauben oder tun, die ihnen ähnlich sind. Überzeugungsexperten führen deshalb oft (gefälschte) soziale Belege an, die ihren Standpunkt stützen (vgl. a.a.O., S. 151 ff.).
- Sympathie: Menschen lassen sich eher von jemandem überreden, den sie kennen und sympathisch finden. Körperliche Attraktivität, Ähnlichkeit, Anerkennung und Vertrautheit erhöhen nachweislich die Überzeugungskraft (vgl. a.a.O., S. 211 ff.).
- Autorität: Besonders die Experimente von Milgram (1974) haben gezeigt, dass Menschen dazu neigen, sich Autoritäten zu beugen. Das ist ein Ergebnis systematischer Sozialisation und in den meisten Fällen auch rational, da Autoritäten oft über mehr Wissen, Erfahrung und Macht verfügen (Cialdini, 2007, S. 259 ff.).
- Knappheit: Menschen messen Dingen, die schwerer erreichbar sind, einen höheren Wert zu. Für Profitzwecke wird deshalb oft suggeriert, dass das Angebot zeitlich oder mengenmäßig nur begrenzt verfügbar ist (vgl. a.a.O., S. 293 ff.).

Diese so genannten Waffen der Einflussnahme sind in erster Linie für Verkäufer und Menschen nützlich, die im Marketing arbeiten. Einige sind aber auch einsetzbar, wenn man jemanden mit einem Fragebogen manipulieren will. So könnte man eine Frage zum Beispiel folgendermaßen einleiten: „Die Mehrheit der [ähnliche Bevölkerungsgruppe] denkt, […]. Was denken Sie?“. Oder: „Der anerkannte Wissenschaftler […] fand heraus, dass […]. Stimmen Sie dem zu?“. Wahlweise kann die Autoritätsperson auch mit einer körperlich attraktiven und sympathischen ersetzt werden. Solche Suggestionen sind aber zum Teil sehr auffällig. Um die vielfältigen und subtileren Manipulationsmöglichkeiten zu erkennen, die ein Fragebogen eröffnet, muss man sich mit der kognitionspsychologischen Theorie der Befragung beschäftigen.

3. Die kognitionspsychologische Theorie der Befragung

Seit dem Anfang der Achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts haben Psychologen, Sozialpsychologen und Umfrageforscher zusammengearbeitet, um die kognitiven und kommunikativen Prozesse, die in der Befragungssituation ablaufen zu erforschen. Das Ergebnis dieser Arbeit ist die kognitionspsychologische Theorie der Befragung (vgl. Porst, 2008).

Umfassend wird diese Theorie zum Beispiel bei Strack (1994) und bei Sudman, Bradburn & Schwartz (1996) vorgestellt. Gut zusammengefasste überblicksartige Darstellungen findet man bei Häder (2006, S. 200 ff.) und Porst (2008, S. 17 ff.).

Ausgangspunkt ist diejenige Person, die mit dem Fragebogen zurechtkommen muss. Sie muss bei der Beantwortung eines standardisierten Fragebogens oder beim mündlichen Interview fünf psychologische Aufgaben bewältigen. Diese Aufgaben betreffen die Informationsverarbeitung und bauen aufeinander auf. Der Prozess beginnt mit der Präsentation der Frage und endet mit der Äußerung der Antwort. Die fünf psychologischen Teilaufgaben sind:

1. Verständnis der Frage (comprehension)
2. Abrufen relevanter Informationen aus dem Gedächtnis (retrieval)
3. Urteilsbildung auf der Basis dieser Informationen (judgement)
4. (gegebenenfalls) Anpassen dieses Urteils an das Antwortformat (response)
5. (gegebenenfalls) Anpassen dieses Urteils an die soziale Situation (response)

Diese psychologischen Prozesse laufen nur implizit ab. Das heißt, dass die Befragten nicht bewusst überlegen, wie man zum Beispiel die Frage zu verstehen hat. Sie verstehen sie eben einfach auf die eine oder andere Art.

Natürlich ist das Verständnis der Frage eine wesentliche Voraussetzung für eine sinnvolle Antwort. Der Befragte muss dabei in zwei Dimensionen verstehen. Das semantische Verständnis bezieht sich auf die Bedeutung eines Begriffes bzw. einer Frage, während es beim pragmatischen Verständnis um die Rekonstruktion der Absicht des Forschers geht. Dem Befragten stehen dafür lediglich die wenigen Informationen zur Verfügung, die er in der standardisierten Interaktionssituation vorfindet. Dazu zählen alle verbalen und nonverbalen Stimuli, Antwortvorgaben, Skalenbeschriftungen und auch vorhergehende Fragen. Probleme mit dem semantischen Verständnis treten auf, wenn Begriffe unbekannt oder mehrdeutig sind, Fragen unklar oder schwierig formuliert sind oder wenn Begriffe von Befragten individuell interpretiert bzw. von unterschiedlichen Befragungsgruppen unterschiedlich verstanden werden können. Wie weiter unten noch gezeigt wird, können bereits kleinste Unterschiede in der Formulierung, wie zum Beispiel das Einfügen eines eigentlich unbedeutenden Füllwortes (nämlich z.B. eigentlich), die Antwortverteilungen stark beeinflussen. Die Frageformulierung bietet sich also für die Manipulation an. Abgesehen davon, kann es noch zu Schwierigkeiten beim pragmatischen Verständnis kommen. Die Befragten gehen davon aus, dass der Fragebogen insgesamt und jede einzelne Frage einen Sinn hat und versuchen, diesen zu rekonstruieren. Die Antwort wird dann auf das vermutete Informationsbedürfnis des Forschers zugeschnitten.

Der Idealfall bei der folgenden Informationsbeschaffung wäre, dass die Antwort unmittelbar aus dem Gedächtnis abgerufen werden kann. Möglich ist das vor allem bei den auf objektive Merkmale zielenden demografischen Fragen. Alter und Familienstand müsste zum Beispiel jeder ohne Nachdenken angeben können. Größere Schwierigkeiten bereiten Fragen nach Verhalten und Datierung von Ereignissen. Die für die Beantwortung dieser Fragen nötige Erinnerungsleistung wird besonders schwer zu erbringen sein, wenn das bestimmte Verhalten nicht habitualisiert oder das bestimmte Ereignis nicht markant ist. Bei Einstellungsfragen werden persönliche Erfahrungen, Erfahrungen Dritter, Medienerfahrungen und kollektive Vorstellungen ins Bewusstsein gerufen. Kritischer Faktor ist also die Verfügbarkeit von Gedächtnisinhalten, denn diese bilden die Basis für die Urteilsbildung. Leicht abrufbar sind besonders jene Informationen, die erst vor kurzem aktiviert wurden. In der Befragungssituation geschieht diese Aktivierung im Wesentlichen durch vorangehende Fragen. Diese können für die Folgefrage zum Beispiel relevante Argumente, Vergleichskriterien und normative Standards bereitstellen oder eine bestimmte Stimmung in der Befragungsperson auslösen. Manipulatoren können sich diesen Umstand natürlich zunutze machen.

Für die Urteilsbildung sind die erinnerten Informationen entscheidend. Besonders die Antworten auf Einstellungs- und Meinungsfragen sind sehr instabil. Häufig haben die Befragten keine vorbereitete Antwort zum Abruf bereit, sondern bilden diese erst während der Reflektion über die Fragestellung. Dabei wägen sie zwischen vielen im Gedächtnis abgelegten Argumenten und Überzeugungen ab, aus denen sie bei der Informationsbeschaffung bereits eine Selektion getroffen haben. Gezielte Nachfragen seitens des Interviewers können die Antwort oft noch mal völlig verändern.

Hat die Befragungsperson ihr Urteil getroffen, folgt gegebenenfalls das Anpassen an das Antwortformat. Unnötig ist das nur bei offenen Fragen. In diesem Fall können die Befragten ihre Antwort mit eigenen Worten formulieren. Bei geschlossenen Fragen müssen sie ihr Urteil in eine Skala oder vorgegebene Antwortkategorien einpassen. Das Resultat ist nicht das eigentliche Urteil des Befragten, sondern ein Wert, der ihrem Urteil am nächsten liegt. Ein „Forscher“ mit der Absicht, seine Befragung zu manipulieren, könnte also zum Beispiel einfach Antwortkategorien weglassen, die ihm nicht gefallen.

Vor allem in persönlich-mündlichen Interviews könnten die Befragungspersonen zusätzlich eine Anpassung an die soziale Situation für nötig halten. Besonders bei „heiklen“ Fragen (zum Einkommen, kriminellen oder sexuellen Verhalten usw.) ist es wahrscheinlich, dass der Interviewte sein Urteil in eine sozial erwünschtere Variante abwandelt.

Überträgt man das von Petty und Cacioppo (1986) vorgestellte Elaboration Likelihood Model auf die Befragungssituation wird aber klar, dass sich die meisten Befragten nicht derart mit den einzelnen psychologischen Teilaufgaben beschäftigen. Tatsächlich werden in den meisten Fällen heuristische Abkürzungen genommen. Das wird umso wahrscheinlicher, je geringer die kognitiven Fähigkeiten und die Motivation der Befragungsperson sind. Wenn sogar schon ein vorgefertigtes Urteil abrufbereit ist, werden die Informationsbeschaffung und die Urteilsbildung deutlich abgekürzt.

Die meisten „Manipulationen“ geschehen unbeabsichtigt, denn „even after years of experience, no expert can write a perfect questionaire“ (Sudman & Bradburn, 1982, S. 283). Erfahrene Umfrageforscher versuchen dem entgegenzuwirken, indem sie Regelkataloge für die Fragebogenkonstruktion zur Verfügung stellen. Bekannt sind zum Beispiel die „10 Gebote der Frageformulierung“ von Rolf Porst (2000, Hervorhebungen im Original):

1. Du sollst einfache, unzweideutige Begriffe verwenden, die von allen Befragten in gleicher Weise verstanden werden!
2. Du sollst lange und komplexe Fragen vermeiden!
3. Du sollst hypothetische Fragen vermeiden!
4. Du sollst doppelte Stimuli und Verneinungen vermeiden!
5. Du sollst Unterstellungen und suggestive Fragen vermeiden!
6. Du sollst Fragen vermeiden, die auf Informationen abzielen, über die viele Befragte mutmaßlich nicht verfügen !
7. Du sollst Fragen mit eindeutigem zeitlichen Bezug verwenden!
8. Du sollst Antwortkategorien verwenden, die erschöpfend und disjunkt (überschneidungsfrei) sind!
9. Du sollst sicherstellen, dass der Kontext einer Frage sich nicht auf deren Beantwortung auswirkt !
10. Du sollst unklare Begriffe definieren!

Auch wer Menschen mit einer Umfrage manipulieren will, kann sich solche Regeln zunutze machen, indem er sie einfach umkehrt. Im Folgenden beschäftigen wir uns mit konkreten Manipulationsmöglichkeiten, die sich durch die Fragebogenkonstruktion ergeben.

4. Manipulationsmöglichkeiten bei der Fragebogenkonstruktion

4.1 Einleitender Überblick

Die Antwort eines Befragten auf eine bestimmte Frage muss nicht unbedingt dem zu messenden „wahren Wert“ entsprechen, sondern kann von diesem abweichen. Der Grund hierfür liegt darin, dass Antwortreaktionen durch bestimmte bei der Beantwortung der Fragen auftretende Effekte (Antworteffekte) verfälscht werden und auf diese Weise Antwortfehler auftreten können (vgl. Strack, 1994, S. 10). Diese können durch unterschiedliche Aspekte hervorgerufen werden: Durch verfälschende Merkmale der Befragten, durch Aspekte der Frage selbst und schließlich auch durch Einflüsse der Befragungssituation.

Es erscheint uns dabei durchaus möglich, einige dieser Antworteffekte zu missbrauchen, d.h. sie absichtlich zu fördern, um die Ergebnisse einer Studie zu verzerren. Im Folgenden werden einige dieser verschiedenen Antworteffekte näher erläutert.

4.2 Befragtenmerkmale

Bei den Verzerrungen, die auf Befragtenmerkmalen beruhen, ist besonders der Effekt sozialer Erwünschtheit oder auch social desirabilty effect hervorzuheben (vgl. Diekmann, 2008, S. 448). Darunter versteht man eine situationsübergreifende Neigung von (einigen) Befragten, durch eine entsprechende Antwort beim Interviewer einen guten Eindruck zu hinterlassen oder zumindest einen schlechten zu vermeiden (Strack, 1994, S.14). Je weiter die tatsächliche Ausprägung eines subjektiven Merkmals (z.B. Bewertung, Meinung oder Einstellung) von der abweicht, die vom Befragten als sozial erwünscht wahrgenommen wird, desto unangenehmer wird die Angabe der entsprechenden „wahren“ Antwortalternative, d.h. umso mehr ist diese – gemäß der Theorie des rationalen Verhaltens – mit Kosten verbunden (vgl. Diekmann, 2008, S. 447). Wenn die Kosten sehr hoch sind, wird der Befragte eher eine dem sozial erwünschten Wert angenäherte Antwortalternative wählen, um mit ihr schließlich soziale Anerkennung zu erlangen oder zumindest einer sozialen Ablehnung auszuweichen (Strack, 1994, S.14). Auf diese Weise kann es zu einer systematischen Verzerrung der Ergebnisse kommen. So ist es bspw. möglich, dass die Befragten bei der Angabe des subjektiven Wohlbefindens eine höhere Zufriedenheit angeben, als sie in Wirklichkeit empfinden, um auf diese Weise soziale Anerkennung zu erlangen.

Durch Inversion der Maßnahmen zur Reduzierung des Effektes sozialer Erwünschtheit (vgl. Diekmann, 2008, S. 449) scheint es Möglichkeiten zur Generierung bzw. Promotion des Effektes zu geben: So könnte man diesen sicherlich dadurch erzeugen bzw. verstärken, dass man keine neutralen, unparteiischen Formulierungen im Fragetext verwendet, sondern stattdessen stark wertbesetzte Begriffe (z.B. „Gerechtigkeit“, „Freiheit“, „Verbrechen“) benutzt. Des Weiteren können Fragen suggestiv formuliert werden (z.B. „Sind Sie nicht auch der Meinung, dass…“). Dabei können bereits einleitend im Fragetext Bewertungen vorgenommen oder das Meinungsklima zu bestimmten Themen dargestellt werden – hierzu ein fiktives Beispiel: „Die meisten Deutschen sind ja für die Einführung von Studiengebühren. Sind Sie auch dafür?“. Mit der angeblichen Mehrheits- und damit vermeintlich auch sozial erwünschten Meinung, an der sich die Befragten sicherlich auch orientieren werden, kann schon eine bestimmte Antwortalternative nahe gelegt werden. Weiterhin ist es möglich, vor die eigentliche Frage zu einem zu bewertenden Sachverhalt Argumente zu nennen, die für bzw. gegen diesen sprechen – auch hier wieder ein frei erfundenes Beispiel: „Studiengebühren würden die Qualität des Studiums erheblich verbessern. Wie stehen Sie zu Studiengebühren?“ Auch dadurch können sozial erwünschte Antwortausprägungen gefördert werden. Vermutlich tritt der Effekt sozialer Erwünschtheit aufgrund vorheriger Suggestion besonders bei Befragten auf, die sich zu dem bewertenden Sachverhalt in der Vergangenheit noch kein Urteil gebildet haben und erst jetzt – auf Basis verfügbarer Informationen – eine Bewertung vornehmen. Gleiches gilt für diejenigen, die über den zu bewertenden Sachverhalt gar nichts wissen.

Im Vergleich zu einer (mehr oder weniger) anonymen Antwort in einer schriftlichen Befragung ist die Antwort im persönlichen Interview grundsätzlich eher an den Vorstellungen sozialer Erwünschtheit orientiert, da die Interviewsituation einer sozialen Interaktion sehr viel näher kommt, wodurch Bedürfnisse der positiven Selbstdarstellung aktiviert werden (vgl. Strack, 1994, S. 34).

Als ein weiteres Phänomen, das auf Basis der Befragtenmerkmale für die Beeinflussung von Ergebnissen in eine bestimmte Richtung missbraucht werden könnte, erscheint die so genannte Ja-Sage-Tendenz bei Befragten, auch Akquieszenz genannt. Sie zählt zu der Gruppe der Response-Sets. Darunter versteht man systematische Antwortmuster, auf die Befragte unabhängig vom Frageinhalt zurückgreifen (vgl. Diekmann, 2008, S. 451). Im Fall der Akquieszenz besteht dieses Antwortmuster in der generellen Neigung zur Zustimmung (Diekmann, 2008, S. 452). Eine hohe Neigung zur Ja-Sage-Tendenz weisen besonders Menschen aus nichtwestlichen Kulturkreisen auf, z.B. aus arabischen Ländern (vgl. Diekmann, 2008, S. 452). Eine Beispielstudie, in welcher der genannte Effekt tatsächlich auftrat, ist die von Carr (1971) durchgeführte Untersuchung zum Thema „Anomie“, in der arme farbige USA-Südstaatler anhand der Items der „Anomie-Skala“ hierzu befragt wurden. Dabei wurde die Stichprobe in zwei Gruppen geteilt: Ein Teil der Stichprobe (Gruppe A, n=46) hat die Fragebatterie mit (in Bezug auf die Anomie) „positiv“ formulierten Items erhalten, z.B. „Heute weiß man wirklich nicht mehr, auf wen man zählen kann“. In den Ergebnissen der Gruppe spiegelte sich dann ein sehr hoher Anomiegrad wider – 61% der Befragten stimmten den Items zu. Die andere Hälfte aller Probanden (Gruppe B, n=48) erhielten die gleichen Aussagen in umgekehrter Formulierung, z.B.: „Heutzutage weiß man, auf wen man zählen kann“. Zu erwarten wäre, dass ungefähr gleich viel Befragte wie in Gruppe A diese Items nun verneinen, de facto waren es aber nur 10%, d.h. hier kam ein äußerst niedriger Anomiegrad heraus. Zurückgeführt wurden die unterschiedlichen Ergebnisse auf die hohe Neigung zur Akquieszenz.

4.3 Frageeffekte

Bestimmte, bei der Beantwortung eines Fragebogens auftretende Effekte können aber auch durch spezielle Eigenschaften der Fragen selbst hervorgerufen werden und somit die Umfrageergebnisse verzerren. Diese Einflussfaktoren können vom Forscher selbst gezielt variiert werden (vgl. Strack, 1994, S. 21). Sie sind diejenigen Merkmale in der Befragungssituation, mit denen die Umfrageforscher am stärksten manipulieren können (vgl. Strack, 1994, S. 21). Forschungs methode zum Ermitteln von Effekten, die auf Merkmalen der Fragen beruhen, ist das so genannte Split-Ballot-Experiment, die gegabelte Befragung (vgl. Petersen, 2002, S. 81). Hierbei wird die Gesamtstichprobe einer repräsentativen standardisierten Umfrage in zwei oder mehrere Teilstichproben mit jeweils gleicher Fallzahl nach dem Zufallsprinzip unterteilt. Der Fragebogen, den die Personen der verschiedenen Unterstichproben beantworten müssen, unterscheidet sich dabei nur in den zu testenden Aspekten der Fragen. Hierzu gehören z.B. deren Formulierungsweise oder Reihenfolge (vgl. Petersen, 2002, S. 81). Da die Substichproben jeweils repräsentativ für die Grundgesamtheit sind und somit gesichert ist, dass auch mögliche Störfaktoren die Teilstichproben gleichermaßen beeinflussen, können die Unterschiede in den Antwortverteilungen zwischen den Teilstichproben auf die unterschiedlichen Aspekte der Fragen zurückgeführt werden (vgl. Koschnik, 2008). Die einzelnen Effekte, die aufgrund von Fragemerkmalen verursacht werden können, sollen im Folgenden näher beschrieben werden.

Unter dem Begriff „Reihenfolgeeffekt“ versteht man die Beeinflussung der Antwortreaktionen der Befragten augrund der relativen Position einer Frage in Bezug auf andere Fragen (vgl. Strack, 1994, S. 24) Sie werden auch unter dem Stichwort Positionseffekte (vgl. Diekmann, 2008, S. 464) diskutiert. Genauer gesehen kommt der Einfluss auf das Antwortverhalten dadurch zustande, dass bestimmte Fragen – bei vorangehender Platzierung – auf andere Fragen ausstrahlen können, weshalb man diese Effekte auch als Ausstrahlungseffekte, Halo-Effekte oder Fragekontexteffekte bezeichnet (Diekmann, 2008, S. 464). Der Effekt lässt sich in Anlehnung an Strack (1994, S. 69-70) wie folgt erklären: Befragte können nicht zwangsläufig bei der Beantwortung einer bestimmten Meinungsfrage ein bereits zu einem früheren Zeitpunkt gebildetes und im Gedächtnis gespeichertes Urteil abrufen. Das bedeutet, dass ein Urteil manchmal erst zum Zeitpunkt der Befragung gefällt werden muss. Hierzu muss der Befragte zunächst Informationen über den fraglichen Sachverhalt abrufen, auf deren Grundlage er das Urteil dann bilden kann. In der Umfragesituation findet jedoch keine vollständige Suche nach relevanten Informationen statt. Stattdessen sind für die Urteilsbildung vermutlich (nur) die Informationen relevant, die zum Zeitpunkt der Befragung kognitiv verfügbar sind. Informationen, die durch vorangehende Fragen aktiviert wurden, sind bei darauf folgenden Fragen aufgrund des nur kurzen zeitlichen Abstands besonders verfügbar, d.h. sie können leichter aus dem Gedächtnis abgerufen werden und somit die Urteilsbildung in nachfolgenden Fragen beeinflussen. Dabei gibt es verschiedene Einflus srichtungen (vgl. Strack, 1994, S. 25-26): So kann es einerseits zu gleichgerichteten Effekten (Assimilationseffekten) kommen, d.h. nachfolgende Urteile werden der zuvor aktivierten Information inhaltlich ähnlicher. Andererseits sind auch gegengerichtete Effekte (Kontrasteffekte) möglich, d.h. nachfolgende Urteile unterscheiden sich inhaltlich gesehen stärker von der zuvor aktivierten Information.

Reihenfolgeeffekte können auf unterschiedliche Weise hervorgerufen werden. So können sie auftreten, wenn sowohl in der vorangehenden als auch in der darauf folgenden Frage jeweils eine Bewertung eines speziellen Elements (z.B. von Politiker A und Politiker B) einer gleichen übergeordneten Rubrik (z.B. Politik) vorgenommen werden soll (vgl. Strack, 1994, S. 71). Die durch die vorherige Frage aktivierten Informationen über einen bestimmten Stimulus (Politiker A) können dem Befragten somit auch bei der anschließenden Beurteilung des anderen Stimulus (Politiker B) in den Sinn kommen (vgl. Strack, 1994, S. 70). Die Aufmerksamkeit kann dabei auf Gemeinsamkeiten der Stimuli der aufeinander folgenden Fragen gerichtet sein, wodurch das Urteil in Richtung der zuvor aktivierten Informationen beeinflusst wird und Assimilationseffekte auftreten. Die Aufmerksamkeit kann aber auch auf Unterschiede zwischen den Stimuli der beiden Fragen gerichtet sein, wodurch das Urteil in die entgegengesetzte Richtung gelenkt wird und dementsprechend Kontrasteffekte zustande kommen (vgl. Strack, 1994, S. 71).

[...]

Ende der Leseprobe aus 56 Seiten

Details

Titel
Manipulationsmöglichkeiten bei Umfragen
Untertitel
Die Mehrheit der Studenten ist für Studiengebühren?
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Erhebungsdesign und Fragebogenkonstruktion
Note
1,0
Autoren
Jahr
2008
Seiten
56
Katalognummer
V146746
ISBN (eBook)
9783640583904
ISBN (Buch)
9783640584390
Dateigröße
643 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Empirische Sozialforschung, Meinungsforschung, Manipulation, Manipulationsmöglichkeiten, Fragebogenkonstruktion, Studiengebühren, Kognitionspsychologie, Überzeugung, Waffen der Einflussnahme, Robert Cialdini, Theorie der Befragung, Frageeffekte, Frageformulierung, Antwortverhalten, Halo-Effekt
Arbeit zitieren
Paul Thierbach (Autor:in)Stephan Nickmann (Autor:in), 2008, Manipulationsmöglichkeiten bei Umfragen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146746

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