Die Darstellung des Krieges und seiner Folgen in Hans Erich Nossacks Der Untergang


Seminararbeit, 2000

13 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A: Einführung

B: Hauptteil

I. Zur Einordnung von Hans Erich Nossacks „Der Untergang“
1. Der historische Hintergrund
2. „Der Untergang“ – Bericht oder (Selbst)bekenntnis?

II. Die Darstellung und die Folgen des Krieges in „Der Untergang“
1. Die äußerlichen Zerstörungen
2. Die Destruktion im menschlich-seelischen Bereich
3. Der Neubeginn angesichts des „Abgrunds“

III. Autobiographische Elemente in Nossacks Werk
1. Zu Nossacks Intention des Erzählens
2. Der Standpunkt des Erzählers zur Schuldfrage

C: Schlussgedanken

D: Literaturverzeichnis

A: Einführung

„Einer, der seinen Anfang aus dem ‚Untergang‘ nahm“[1] – so beschrieb Christof Schmid einmal Hans Erich Nossack. Und tatsächlich ist es so: Mit seinem Erstlingswerk „Der Untergang“ machte sich Nossack einen Namen als bedeutender Literat der deutschen Nachkriegsepoche, der schon vor der viel besagten „Stunde Null“ im Jahre 1943, also noch während des Krieges mit seiner persönlichen Ver-gangenheitsbewältigung begann und vielleicht deshalb Bereiche des Todes und der Vernichtung be-handelte, in die später seine Berufskollegen nicht mehr in vergleichbarer Manier vorzustoßen wagten.

Die vorliegende Arbeit soll sich gerade diesem Themenbereich nähern und will den Komplex der Dar-stellung des Krieges und seiner Folgen in „Der Untergang“ näher erläutern. Ausgehend von einer knapp gehaltenen Einführung zum historischen Hintergrund des Werkes und dessen Einordnung soll das eigentliche Thema auf drei Ebenen (die Zerstörungen im äußerlichen und menschlichen Bereich sowie der Neubeginn angesichts des „Abgrunds“) untersucht werden – soweit es der eng gesteckte Rahmen der Arbeit zulässt. Kurz wird abschließend auf die autobiographischen Elemente im behandelten Werk eingegangen.

I. Zur Einordnung von Hans Erich Nossacks „Der Untergang“

1. Der historische Hintergrund

Der Tarnname der alliierten Luftoperation hätte treffender nicht gewählt werden können: „Gomorrha“. Wie die sündigende Stadt im alten Testament sollte Hamburg nach dem Wunsch des alliierten Bom-berkommandos im Juli 1943 in einem Feuerregen in Schutt und Asche versinken.

Unterstützt von der 8. amerikanischen Luftflotte bombardierte die Royal Air Force in mehreren auf-einanderfolgenden Tages- und Nachtangriffen die alte Hansestadt an der Elbe. Allein während des Bombardements in der Nacht auf den 28. Juli 1943 wurden zehntausend Tonnen Spreng- und Brand-bomben über den dichtbesiedelten Wohngebieten östlich der Elbe ausgeladen[2]. Innerhalb weniger Mi-nuten wuchsen die unzähligen, durch Brandbomben entfachten Brandherde zu großen Flächenbränden zusammen, um sich zu einem einzigen rund 20 Quadratkilometer großen Flammenmeer zu vereinigen. Angefacht von der ungeheuren Thermik erhob sich ein Feuersturm von einer Intensität, wie sie kein Mensch zuvor für möglich gehalten hätte.

Mit einer solchen Gewalt riss das 2000 Meter in den Himmel hinauflodernde Feuer den Sauerstoff an sich, dass die Luftströme Orkanstärke erreichten[3]. Die aus ihren Unterständen Geflohenen sanken un-ter grotesken Verrenkungen in den aufgelösten, Blasen werfenden Asphalt der Straßen. Niemand weiß, wie viele in dieser Nacht ums Leben kamen. Am kommenden Morgen lag eine bis in 8000 Me-

ter Höhe aufsteigende Rauchwolke über der Trümmerwüste, die übersäht war von grauenvoll entstellten Leichen. Andere waren in der bis auf 1000 Grad und mehr angestiegenen Glut so verkohlt und zu Asche geworden, dass man die Überreste mehrköpfiger Familien in einem einzigen Wäsche-korb davontragen konnte[4].

2. „Der Untergang“ – Bericht oder (Selbst)bekenntnis?

Auf zirka 27 eng beschriebenen Folioseiten hielt Hans Erich Nossack das fest, was er vom 24. Juli bis 15. August 1943 als Augenzeuge des Untergangs Hamburgs erleben musste. „Das Wort Bericht ist vielleicht irreführend; wenn, dann ist es ein sehr intimer Bericht und man könnte es ebenso gut Be-kenntnis nennen. Ich sehe in mich als in einen Hohlspiegel, in dem die Bilder aufgefangen sind, und gehe und durchdenke den Weg noch einmal“, erläuterte Nossack selbst den Zweck seines Schreibens[5]. In den ersten Sätzen von „Der Untergang“ definiert Nossack explizit seine beobachtende Position als Zuschauer. Das Schicksal habe es ihm erspart, „eine Einzelrolle dabei zu spielen“[6]. Gleichzeitig fühle er sich beauftragt, darüber Rechenschaft abzulegen:

„Es soll niemand fragen, warum ich so vermessen von einem Auftrag rede: ich kann ihm nicht da-

rauf antworten. Ich habe das Gefühl, daß mir der Mund für alle Zeiten verschlossen bleiben würde,

wenn ich nicht dies zuvor erledigte.“[7]

Nossack kommt es bei seinem Bericht nicht darauf an, die erlebte Katastrophe in Form einer Statistik oder in nüchterner Protokollform zu schildern. Er unternimmt den Versuch, „ein Erinnerungsbild zu überliefern und den Umriß von Erfahrungen festzuhalten, die ohne weiteres nicht kategorisierbar oder subsummierbar scheinen“, stellt Hans Geulen treffend fest[8]. „Denn erinnert und zur Sprache gebracht werden soll, was durch den Schock der unmittelbar Betroffenen je verstellt war oder in ihren eigenen Berichten vom Grauenhaften meist nur als Bruchstück begegnete: eben das Geschehensganze als Ge-samtschicksal.“[9]

Nossacks Bericht (oder Bekenntnis – beide Titulierungen sind wohl zu rechtfertigen) ist zwar einer-seits das in Worte gefasste Erlebte eines Einzelnen, steht anderseits jedoch auch für das im Kollektiv erlebte Trauma einer ganzen Stadt, ja mehr oder weniger einer ganzen Generation. Die behandelte Thematik (Krieg und totale Zerstörung) ist Grundlage der so genannten Trümmerliteratur der deut-schen Literaturgeschichte. Nossack nimmt darin eine besondere Position ein. Denn während die Trüm-merliteratur nach Meinung W. G. Sebalds bemüht gewesen sei, den wahren Zustand der materiellen und moralischen Vernichtung, in welcher das ganze Land sich befand, stillschweigend und nach einer für alle gleichermaßen gültigen Vereinbarung nicht zu beschreiben, habe es Nossack gewagt[10], an dem über die innere und äußere Zerstörung verhängten Tabu zu rühren[11].

II. Die Darstellung und die Folgen des Krieges in „Der Untergang“

1. Die äußerlichen Zerstörungen

„Es ist sehr zu bezweifeln, ob sich über etwas, was noch so nah in aller Munde ist, mit Abstand be-

richten läßt; kaum daß man es mit Abstand wird lesen können.“[12]

So umschreibt Hans Erich Nossack selbst die Problematik, vor der er sich gestellt sah, als er noch 1943, wenige Wochen nach der Zerstörung Hamburgs mit der Aufarbeitung des Erlebten in literari-scher Form begann. Angesichts des Trümmerfeldes, dem er gegenüberstand, galt es für Nossack, die allgegenwärtige Zerstörung mit Worten zu schildern, die dem späteren Leser stets nur unvollständige Teilaspekte nahe bringen konnte, die weder den Übelkeit erregenden Geruch der Verwesung, der mo-natelang über den Trümmern lag, noch die schrecklichen Szenen nachzeichnen konnten, die sich dem Augenzeugen Nossack boten.

Nossack differenziert in „Der Untergang“ Ausmaß und Art der Zerstörungen auf unterschiedliche Be-reiche. Am oberflächlichsten fällt die Beschreibung der äußerlichen Zerstörungen aus. Nossack führt den Leser auf zwei Etappen an das Inferno heran. Zunächst beobachtet der Leser an der Seite des Au-toren den Angriff auf Hamburg aus sicherer Entfernung in der Heidelandschaft vor der Stadt, in die die drohenden Zeichen des Unheils unvermittelt einbrechen.

„Es war, als söge dies Geräusch zwischen Himmel und Erde ihr Licht aus und machte sie sinnlos.

Aber die Sterne leuchteten wie im Frieden durch das unsichtbare Unheil hindurch.

Man wagte nicht, Luft zu holen, um es nicht einzuatmen. Es war das Geräusch von achtzehnhundert

Flugzeugen, die in unvorstellbaren Höhen von Süden her Hamburg anflogen. Wir hatten schon zwei-

hundert oder auch mehr Angriffe erlebt, darunter sehr schwere, aber dies war etwas völlig Neues.

Und doch wußte man gleich: es war das, worauf jeder gewartet hatte, das wie ein Schatten seit Mo-

naten über all unserem Tun lag und uns müde machte, es war das Ende.“[13]

Nossack macht seinen Leser zum „Ohrenzeugen“, nimmt ihn mit in die Finsternis, aus der heraus eine schreckliche Gewissheit vom kommenden Untergang zeugt.

Der zweite Schritt hin zur Zerstörung erlebt der Leser wieder als Begleiter Nossacks, diesmal auf der Fahrt in das bombardierte Hamburg. Der Autor entreißt ihn nun aus der Idylle der unversehrten Heide-landschaft, in die die Zerstörung Hamburgs bislang nur in Form von Gerüchten gelangte, und konfron-tiert ihn mit der vollen Vernichtung.

„Kurz nach Wilhelmsburg begannen die Zerstörungen, auf der Veddel hatte man bereits das Bild der

völligen Vernichtung vor sich.“[14]

Nossack zwingt den Leser gleichsam dazu, den Blick mit ihm aus seinem Augenwinkel heraus über das Chaos schweifen zu lassen:

„ Der Wagen schwankte und tastete sich durch den Paß, der zwischen den Trümmern notdürftig frei-

gelegt war, über Geröllhalden zusammengebrochener Gebäude, an Kratern vorbei und unter zer-

knickten Brücken hindurch, von denen Waggons wie Girlanden ins Wasser der Hafenbecken hingen,

aus denen der Bug einer Schute emportauchte, erschrocken über die plumpen Körper von Oberlän-

derkähnen, die leblos auf der Seite trieben. An den Rändern des Passes lagen längliche Bündel, und

man sagte, es wären Leichen. Alle so still, und viel lauter glaubte man den Todesschrei der Autos

gellen zu hören, die, gelbausgeglüht und in letzter Not sich erbarmungswürdig aufbäumend, den ver-

geblichen Fluchtweg bezeichneten.“[15]

Nossacks Beschreibung der äußerlichen Zerstörungen beschränkt sich nicht allein auf Äußerlich-Sächliches. Die zur entstellten Hülle gwordene, im Bombenhagel ausgelöschte und der Verwesung preisgegebene menschliche Existenz wird mit aller Dringlichkeit dargestellt:

„Man sah Zuchthäusler in gestreiften Anzügen [...]. Sie sollten die Toten bergen. Man erzählte sich,

daß die Leichen, oder wie man die Reste ehemaliger Menschen sonst nennen will, an Ort und Stelle

verbrannt oder in den Kellern durch Flammenwerfer vernichtet wurden. Aber in Wirklichkeit war es

schlimmer. Sie konnten vor Fliegen nicht in die Keller gelangen, sie glitschten auf dem Boden aus

vor fingerlangen Maden, und die Flammen mußten ihnen einen Weg bahnen zu denen, die durch

Flammen umgekommen waren. Ratten und Fliegen beherrschten die Stadt. Frech und fett tummelten

sich die Ratten auf den Straßen. Aber noch ekelerregender waren die Fliegen. Große, grünschillern-

de, wie man sie nie gesehen hatte. Klumpenweise wälzten sie sich auf dem Pflaster [...]. Als sie

schon nicht mehr fliegen konnten, krochen sie durch die kleinsten Ritzen hinter uns her, besudelten

alles, und ihr Rascheln und Brummen war das erste, was wir beim Aufwachen hörten. Dies hörte erst

später im Oktober auf.“[16]

Sebald verweist zur zitierten Buchstelle darauf, dass sich in der Literatur jener Zeit keine vergleichba-re plastische Schilderung der organischen Zersetzung in den deutschen Trümmerstädten gebe und „Der Untergang“ so ein seltenes Dokument des Lebens in einer Ruinenstadt darstelle[17].

Nossack berührt eine sensible Thematik, die einem allgemeinen Tabu zu unterliegen scheitn, indem er den „Geruch [...] von Fäulnis und Verwesung“[18] beschreibt und seine Leser damit konfrontiert.

[...]


[1] H. E. Nossack: Die Erzählungen (1987), S. 853.

[2] Nach einer speziellen Taktik rissen zunächst viertausendpfündige Sprengbomben und schwere Luftminen sämtliche Türen und Fenster aus den Rahmen, dann fielen leichte Brandbomben in die abgedeckten Dachböden, während bis zu 15 Kilo schwere Brandbomben in die tieferliegende Geschosse durchschlugen. Um die Löscharbeiten zu behindern, wurden zusätzlich fortwährend Sprengbomben geworfen. Bomben mit eingestellten Zeitzündern detonierten zum Teil Stunden oder auch noch Tage nach dem eigentlichen Angriff.

[3] Auf seinem Höhepunkt hob der Sturm Giebel und Hausdächer ab, drehte Bäume aus ihrem Grund und trieb Menschen als lebendige Fackeln vor sich her. Gleich einer Flutwelle mit Geschwindigkeiten von über 150 km/h schossen haushohe Flammen durch die Straßen.

[4] Vgl. W. G. Sebald: Luftkrieg und Literatur (1999), S. 35 – 38.

[5] Zit. n. H. E. Nossack: Die Erzählungen (1987), S. 857.

[6] H. E. Nossack: Der Untergang (1976), S. 7.

[7] H. E. Nossack: Der Untergang (1976), S. 7.

[8] H. Geulen: Nossacks Untergang und Arno Schmidts „Leviathan“ (!990), S. 213.

[9] H. Geulen: Nossacks Untergang und Arno Schmidts „Leviathan“ (1990), S. 213 f.

[10] Neben Heinrich Böll, Heinrich Kasack, Arno Schmidt und Peter de Mendelssohn.

[11] Vgl. W. G. Sebald: Luftkrieg und Literatur (1999), S. 18f.

[12] Zit. n. H. E. Nossack: Die Erzählungen (1987), S. 857.

[13] H. E. Nossack: Der Untergang (1976), S. 13 f.

[14] H. E. Nossack: Der Untergang (1976), S. 44.

[15] H. E. Nossack: Der Untergang (1976), S. 47.

[16] H. E. Nossack: Der Untergang (1976), S. 52 f.

[17] Vgl. W. G. Sebald: Luftkrieg und Literatur (1999), S. 45 f.

[18] H. E. Nossack: Der Untergang (1976), S. 53.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Die Darstellung des Krieges und seiner Folgen in Hans Erich Nossacks Der Untergang
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg  (Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Proseminar Derivation und Gewalt in der deutschen Literatur
Note
1,5
Autor
Jahr
2000
Seiten
13
Katalognummer
V14674
ISBN (eBook)
9783638200080
Dateigröße
458 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Darstellung, Krieges, Folgen, Hans, Erich, Nossacks, Untergang, Proseminar, Derivation, Gewalt, Literatur
Arbeit zitieren
Michael Mößlein (Autor:in), 2000, Die Darstellung des Krieges und seiner Folgen in Hans Erich Nossacks Der Untergang, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14674

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