„Wir sehen uns online“ - Eine Untersuchung zum Vergleich realer und virtueller Netzwerke von Jugendlichen mit Migrationshintergrund


Bachelorarbeit, 2009

133 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALTSÜBERSICHT

I EINLEITUNG

II VORMERKUNGEN ZUR ARBEIT
1. BEGRIFFSERKLÄRUNGEN UND ABGRENZUNGEN
1.1 reale Netzwerke
1.2 virtuelle Netzwerke
1.3 Jugend/Jugendliche
1.4 Migrationshintergrund

III THEORETISCHER HINTERGRUND
2. ZUGANG ZU ONLINE-NETZWERKEN
2.1 Medienausstattung und -nutzung
2.2 Gründe für die Nutzung von Online-Netzwerken
2.3. Funktionen für Jugendliche
3. GESELLSCHAFTLICHER WANDEL DURCH ONLINE KOMMUNIKATION
3.1 Individualisierung und Pluralisierung
3.2 Wandel der Kommunikationsstrukturen
4. SOZIALE NETZWERKE
4.1 Sozialisation durch soziale Kontakte
4.2 Peergroup als soziales Netzwerk
5. ASPEKTE DER INTERKULTURALITÄT
5.1 Der „Dritte Stuhl“ und die Folgen für Identitätsentwicklung
5.2 Kritik und ergänzende Identitätstheorien im Migrationskontext
6. INTERPENDENZ SOZIALER NETZWERKE UND INTERKULTURALITÄT

IV SOZIALFORSCHUNG
7. QUALITATIVE SOZIALFORSCHUNG
7.1 Grundlagen qualitativer Sozialforschung
7.2 Fragestellung der Erhebung
7.3 Auswahl und Beschreibung des Forschungsdesigns
7.4 Interviews mit den ausgewählten Jugendlichen
7.4.1 Interviewleitfaden
7.4.2 Stichprobenbeschreibung
7.4.3 Durchführung der Interviews
7.5 Auswertung der Interviews
7.5.1 Qualitative Inhaltsanalyse
7.5.2 Die Kategorien

V FORSCHUNGSERGEBNISSE
8. DIE INTERVIEWPARTNERINNEN
8.1 Adjoa
8.2 Alina
8.3 Fabio
8.4 Adrijan
9. ERGEBNISSE AUS DEN LEITFADENINTERVIEWS
9.1 Freundschaften in Online-Netzwerken
9.1.1 Bedeutung von Online-Freundschaften
9.1.2 Themen
9.1.3 Grenzen
9.1.4 Vertrauen vs. Enttäuschungen
9.1.5 Zusammenfassung
9.2 Vergleich realer und virtueller Netzwerke
9.2.1 Unterschiede realer und virtueller Netzwerke
9.2.2 Face-to-face Freunde sind auch Online-Freunde?
9.2.3 Online-Freunde statt face-to-face Freundschaften?
9.2.4 Zusammenfassung
9.3 Nationalität in Online-Netzwerken
9.3.1 Freunde gleicher Herkunft
9.3.2 Nationalität als Diskriminierungsfaktor?
9.3.3 Zusammenfassung
9.4 (inter)kulturelle Kommunikation
9.4.1 Online-Netzwerke -Kommunikationsgrenzen verschieben sich
9.4.2 Sprache als kulturelle Gemeinsamkeit
9.4.3 Zusammenfassung
9.5 Integration (durch Online-Netzwerke)
9.5.1 Zweiheimisch?
9.5.2 Online-Netzwerke als Türöffner für Freundschaften?
9.5.3 Zusammenfassung
10. DISKUSSION DER ERGEBNISSE

VI ABSCHLIEßENDE BETRACHTUNG

LITERATURVERZEICHNIS

ANHANG
A SYSTEMATISCHE EINTEILUNG DER FORSCHUNGSFRAGEN
B INTERVIEWLEITFADEN
C BEGLEITFRAGEBOGEN
D INTERVIEWKONTROLLBOGEN

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Sozialisation als Kreislauf in sozialen Netzwerken

Abbildung 2: Einordnung des "Dritten Stuhls" als Identitätskonzept

Abbildung 3: Akkulturationsstrategien nach BERRY

Abbildung 4: Interpendenz sozialer Netzwerke und Interkulturalität

Abbildung 5: tabellarische Übersicht der Stichprobe

Abbildung 6: Kategorien zur qualitativen Inhaltsanalyse

Abbildung 7: Vertrauens-Enttäuschungs-Dimensionen in Online-Netzwerken

Abbildung 8: face-to-face-Freunde sind auch Online-Freunde?

EINLEITUNG

„ Da gab es jetzt eine Zeit lang, da hatte ich, ich hatte ein Jahr keine Schule, da war ich wirklich jeden Tag daheim, da war ich jeden Tag am Laptop und immer im Internet im Online-Netzwerk (...). [ … ] das war eigentlich nur Zeitverschwendung fürmich. Und da habe ich dann schon gemerkt, ne ne das geht nicht so, ich muss mich schon treffen. (...) Weil dann verliert man die Freunde und so. “ (Alina, 16 Jahre, Interviewpartnerin zur Verknüpfung von realen und virtuellen Netzwerken).

Einführung

Online-Communities - virtuelle Netzwerke - Social Web - Social Network, derart vielfältig sind die Bezeichnungen für eine neue Kommunikationskultur. Menschen, aber insbesondere Jugendliche, tauschen sich innerhalb einer Gemeinschaft via Internet untereinander aus. In Zeiten der Globalisierung, wo Grenzen verwischen, kommt diesem Phänomen der Kommunikation eine neue Bedeutung zu (Vgl. BUCHER; BONFADELLI 2007, S. 223). Jugendliche nutzen virtuelle, soziale Netzwerke wie schüler-vz1 oder facebook2 um sich mit Gleichaltrigen auszutauschen. Nach den Ergebnissen der JIM-Studie3 nehmen immerhin 71 % der Jugendlichen regelmäßig über das Online-Netzwerk Kontakt mit ihren Freunden auf (Vgl. MEDIENPÄDAGOGISCHER FORSCHUNGSVERBUND SÜDWEST 2008, S. 14f). Dies zeigt den großen Einfluss von Online-Netzwerken im Alltag von Jugendlichen. Doch welche Auswirkungen haben diese Online-Netzwerke auf die realen Netzwerke von Jugendlichen? Gibt es mögliche Veränderungen in der Kommunikationsstruktur, wie tief greifend sind diese Veränderungen? Oder ist dieser medial-gesellschaftliche Hype um Online-Netzwerke übertrieben? Wird die Beeinflussung durch Online-Netzwerke zu ernst genommen? Welche Folgen hat dies für die Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund?

Diesen Fragen will ich mich in dieser Arbeit annähern und versuchen Antwort(möglichkeit)en aufzuzeigen.

Im Regelfall werden in der wissenschaftlichen Literatur lediglich die Einflüsse und Auswirkungen auf Jugendliche im Allgemeinen betrachtet. Ich will meine Perspektive auf einen kleineren Ausschnitt dieser Gruppe lenken: Jugendliche mit Migrationshintergrund und ihre Haltung gegenüber virtuellen Netzwerken in Abgrenzung zu realen Netzwerken sollen im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen. Den Schwerpunkt bildet eine Analyse von Online-Freundschaften im Vergleich zu face- to-face-Freundschaften.

Letztendlich soll mit diesen Ergebnisse überprüft werden, inwieweit Online- Netzwerken eine Integrationsfunktion für reale Netzwerke zugeschrieben werden kann. Als theoretisch-wissenschaftlicher Ausgangspunkt dient die Grounded Theory Studie „Der Dritte Stuhl“ von BADAWIA als Konzept von Identitätsentwürfen von Migrantenjugendlichen (Vgl. BADAWIA 2002).

Motivation zur Themenwahl

Während meines Praxissemester und in diversen Praktika arbeitete ich vorwiegend mit Jugendlichen zusammen. Ob Jugendberufshilfe oder Soziale Gruppenarbeit, immer häufiger konnte ich feststellen, dass virtuelle Netzwerke eine größer werdende Rolle im Alltag von Jugendlichen einnehmen. Insgesamt entstand bei mir der Eindruck, dass virtuelle Netzwerke zu einem der wichtigsten Kommunikationsmittel von Jugendlichen werden. Die Aussage „Wir sehen uns online“, welche sich auch im Titel meiner Arbeit wieder findet, war selbstverständlich unter den Jugendlichen als ein Zeichen der virtuellen Verabredung zu hören. Dies weckte in mir den Anlass, dieses Themengebiet näher zu erforschen. So belegte ich bereits im Sommersemester 2009 das Seminar „Netzwerkarbeit“, doch auf die Frage, welche Rolle virtuelle Netzwerke im Alltag von Jugendlichen spielen, erhielt ich keine zufrieden stellenden Antworten. Auch während meines Studiums interessierte ich mich von Anfang an für das große Themenfeld Medienpädagogik. Wenn immer es möglich war versuchte ich Seminare zu belegen, die dieses Themengebiet beinhalteten. Doch insgesamt wurden meiner Ansicht nach Themen rund um das Zukunftsfeld Medienpädagogik im Studium der Sozialen Arbeit nur wenig Zeit in Seminaren eingeräumt. Dies motivierte mich umso mehr mich diesem Thema in meiner Bachelorthesis zu widmen.

Während ich zunächst mein Thema auf den Bereich der neuen Medien im Allgemeinen ausweitete, beschloss ich kurzerhand mich aufgrund des großen Themenumfangs ausschließlich auf (virtuelle und reale) soziale Netzwerke zu konzentrieren. Zudem ist es fast unmöglich sich, den in den Medien dargestellten Diskussionen um virtuelle soziale Netzwerke und ihre Gefahren und negativen Begleiterscheinungen zu entziehen. Aus diesen verschiedenen Erfahrungen und Erlebnissen entwickelte sich mein Interesse die Bedeutung von virtuellen Netzwerken für Jugendliche zu erforschen. Die Untersuchungsgruppe dieser Arbeit sollte sich auf Jugendliche mit Migrationshintergrund beschränken, da ich mit dieser Zielgruppe der Sozialen Arbeit bereits im Praxissemester und verschiedenen Praktika gearbeitet habe. Während dieser Zeit ist mir besonderes aufgefallen, dass diese Jugendliche immer häufiger den Kontakt zu Jugendlichen ihrer Herkunft über Online-Netzwerke suchen. So entstanden schließlich mein endgültiges Thema und der Titel meiner Bachelorthesis:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Fragestellung und Zielsetzung dieser Arbeit

Dennoch war der Forschungsgegenstand der Arbeit noch sehr unklar, zu viele Fragen rund um die sozialen Netzwerke von Jugendlichen taten sich für mich auf, da fiel es mir schwer mich in dieser Arbeit auf nur wenige Fragen zu beschränken. Insgesamt kann nur ein minimaler Ausschnitt der sozialen Netzwerke von Jugendlichen thematisiert werden. Aufgrund des Ablösungsprozesses Jugendlicher von ihren Familien und die verstärkte Hinwendung zur Peergroup in diesem Alter (Vgl. ITTEL; ROSENDAHL 2007, S. 183; TILLMANN 2008, S. 45), konzentriere ich mich im theoretischen und empirischen Teil dieser Arbeit auf die Erforschung der Peergroup als soziales Netzwerk von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zwischen 15 und 16 Jahren. In den Blick werden sowohl reale als auch virtuelle Netzwerke genommen. Konkret werde ich, leitend durch die festgehaltenen Ergebnisse in den Interviews, vier zentrale Themenfelder der sozialen Netzwerke der befragten Jugendlichen analysieren und auswerten. Die folgenden vier Kernfragen der Themenfelder möchte ich nun hier benennen:

- Wie stellt sich das allgemeine Internetnutzungsverhalten von Jugendlichen dar?
- Welche Bedeutung haben virtuelle Netzwerke für den Aufbau und die Pflege von Freundschaften?
- Wie beeinflussen virtuelle Netzwerke die realen Netzwerke von Jugendlichen mit Migrationshintergrund?
- Können virtuelle Netzwerke den „Dritten Stuhl“ von Jugendlichen mit Migrationshintergrund einnehmen und Integration positiv beeinflussen?

Hinzuzufügen bleibt, dass es keinesfalls Anspruch dieser Arbeit ist, repräsentative Ergebnisse auf die oben genannten Fragen zu erhalten, da die Untersuchungsgruppe von Jugendlichen mit Migrationshintergrund keine homogene Gruppe abbildet und da dies der vorgegebene Umfang dieser Arbeit ohnehin nicht zulassen würde. Dabei will ich hervorheben, dass die realen Netzwerke von Jugendlichen mit Migrationshintergrund nicht gesondert als Themenfeld aufgeführt werden, da diese nicht den Schwerpunkt dieser Arbeit darstellen. Die Konzentration liegt lediglich auf dem Vergleich realer und virtueller Netzwerke. Da bereits ausführliche Studien zu realen Netzwerken von Jugendlichen vorhanden sind, werden die realen Netzwerke im theoretischen Teil nur im Zusammenhang mit dem virtuellen Netzwerken dargestellt.

Erläuterung der Gliederung

Nach der Einleitung erfolgen als Vorgriff zum theoretischen Teil allgemeine Vormerkungen zur Arbeit (II). Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Begriffsdefinitionen und -abgrenzungen (Kapitel 1) zum Vergleich realer und virtueller Netzwerke von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Daran schließt der theoretische Hintergrund (III) an, hier geht es zunächst um den Zugang zu Online-Netzwerken (Kapitel 2) mit Medienausstattung und -nutzung, Gründe für die Nutzung von Online-Netzwerken, sowie die Funktionen von Online- Netzwerken für Jugendliche. Weiterhin erfolgt eine Erläuterung des gesellschaftlichen Wandels durch Online-Kommunikation (Kapitel 3), der Schwerpunkt liegt hier auf Individualisierung und Pluralisierung der Gesellschaft und dem damit verbundenen Wandel der Kommunikationsstrukturen. Daraufhin werde ich mich mit sozialen Netzwerken (Kapitel 4), dem Kernthema dieser Arbeit, widmen. In erster Linie geht es hier um die Sozialisation durch soziale Kontakte und um die Peergroup als soziales Netzwerk. Um Missverständnisse zu vermeiden, will ich darauf hinweisen, dass sich die Zusammenstellungen und Ergebnisse in Kapitel 2-4 im theoretischen Teil hauptsächlich auf Jugendlichen im Allgemeinen beziehen, da zu Jugendlichen mit Migrationshintergrund, als besondere Gruppe, nur unzureichende wissenschaftliche Literatur vorlag. Mit den Aspekten von Interkulturalität (Kapitel 5) erfolgt dann explizit die Bezugnahme auch auf Jugendliche mit Migrationshintergrund. Im Mittelpunkt stehen zunächst die Beschreibung des „Dritten Stuhls“ von BADAWIA und die Folgen dieses theoretischen Konzepts für die Identitätsentwicklung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Zur Vollständigkeit schließt sich eine Kritik des „Dritten Stuhls“ mit ergänzenden Migrationstheorien an. Im abschließenden Kapitel zum theoretischen Hintergrund erfolgt mit der Interpendenz sozialer Netzwerke und Interkulturalität (Kapitel 6) die eigentliche theoretische Verknüpfung. In Vorarbeit zum empirischen Teil erfolgt die Beschreibung der Sozialforschung (IV) in Form von qualitativer Sozialforschung (Kapitel 7). Dies umfasst die Darstellung der Grundlagen qualitativer Forschung, die Fragestellung der Erhebung sowie die Auswahl und Beschreibung des Forschungsdesigns. Insbesondere wird hier auf die Prozessbeschreibung zu den Interviews der ausgewählten Jugendlichen mit dem Interviewleitfaden, die Stichprobenbeschreibung und die Durchführung der Interviews eingegangen. Diesem schließt sich die Methodenauswahl zur Auswertung der Interviews an. Konkret werde ich das Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse erläutern und die Kategorien für den Auswertungsprozess vorstellen.

Im nächsten Abschnitt werden dann die Darstellung und Interpretation der eigentlichen Forschungsergebnisse (V) präsentiert. Diese beginnt mit den Profilen der vier InterviewpartnerInnen (Kapitel 8). Daraufhin folgen dann die Ergebnisse aus den Leitfadeninterviews (Kapitel 9) in den Kategorien Freundschaften in OnlineNetzwerken, Vergleich realer und virtueller Netzwerke, Nationalität in OnlineNetzwerken, (inter)kulturelle Kommunikation und schließlich Integration. Im letzten Kapitel findet sich die Diskussion der Ergebnisse (Kapitel 10) als Verbindung von theoretischem und empirischem Teil dieser Arbeit.

In der abschließenden Betrachtung (VI) werden ein Fazit und Ausblick für die Soziale Arbeit zu den Ergebnissen hinzugefügt.

II VORMERKUNGEN ZUR ARBEIT

Zum besseren Verständnis und zur Erleichterung der Lesbarkeit dieser Arbeit ist es notwendig vorab grundlegende Definitionen bzw. Begriffserklärungen vorzunehmen. Die relevanten Erläuterungen sind im ersten Kapitel zu finden, weitere notwendige Definitionen sind an inhaltlich passender Stelle im Text eingebaut.

1. Begriffsklärungen und Abgrenzungen

Als Definitionen werden „reale Netzwerke“ (Kapitel 1.1) und „virtuelle Netzwerke“ (Kapitel 1.2) ausgeführt, da diese im Vergleich den Schwerpunkt dieser Arbeit bilden. Weiterhin werden die Begrifflichkeiten „Jugend/Jugendliche“ (Kapitel 1.3) und „Migrationshintergrund“ (Kapitel 1.4) geklärt, da diese Gruppe als Gegenstandsbereich bestimmt wurde.

1.1 reale Netzwerke

Reale Netzwerke werden auch als soziale Netzwerke benannt, diese sind zu unterscheiden in einerseits natürliche Netzwerke und andererseits künstliche Netzwerke. Letztere werden bewusst aufgrund gemeinsamer Interessen oder ähnlichen Problemlagen, aus einer Selbstinitiative heraus, initiiert. Natürliche Netzwerke sind wiederum gewachsene Netzwerke wie Verwandtschaft oder Nachbarschaft. Weiterhin existieren so genannte sekundäre Netzwerke, welche als professionelle, fremde Hilfen durch Institutionen oder Organisationen angeleitet werden. Die beiden erstgenannten Formen von Netzwerkzusammenschlüssen setzen dagegen auf Solidarität mit Selbsterfahrung und Selbstverantwortung zwischen den Netzwerkmitgliedern. Insgesamt können alle genannten Netzwerke eine Schutz-, Bewältigungs-, Entlastungs- oder Unterstützungsfunktion für Mitglieder des jeweiligen Netzwerks einnehmen (Vgl. PANKOKE 2007, S. 857). Für die Ausgewogenheit und Gegenseitigkeit von und innerhalb sozialen Netzwerken ist der Grad der Reziprozität ein Qualitätsmerkmal, denn über ein langfristiges Bestehen der Netzwerke entscheidet der Nutzen für jedes einzelne Mitglied (Vgl. GALUSKE 2009, S. 309; NOWAK 2005, S. 607).

Während durch Enttraditionalisierung sich verlässliche Wege und Muster der Lebensplanung auflösen, nehmen sowohl die vielfältigen Optionen als auch die Unsicherheit für die die eigenen Lebensbiografie zu (Vgl. MÜNCHMEIER 2005, S. 823). Die Familie als primäres Netzwerk und zuverlässiges Bezugsnetzwerke beginnt sich ebenfalls aufzulösen oder abzuschwächen. Die einzelnen Mitglieder verlieren wichtige Bindungen, gleichzeitig entstehen auch viele neue Netzwerke, welche aber in Dauer, Dichte und insbesondere in der Intensität ihrer Ausprägung nicht mit dem traditionellen Netzwerk der Familie vergleichbar sind. So kann es möglich sein, dass die ursprüngliche Funktionen der Netzwerke (Entlastung und Unterstützung) sich umkehren und die Netzwerkpflege eher als eine Belastung angesehen wird (Vgl. GALUSKE 2009, S. 309; NOWAK 2005, S. 606ff). Soziale Netzwerke sind nämlich auch mit Verhaltenserwartungen und sozialer Kontrolle, sowie festgelegten Normen und Werten verbunden. Mit der Mitgliedschaft in sozialen Netzwerken wird die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verstärkt, in Einzelfällen kann so soziale Benachteiligung verfestigt werden. Außerdem wird davon ausgegangen, dass sich natürliche soziale Netzwerke meist auf ein bestimmtes Milieu begrenzen, milieuübergreifende Netzwerke existieren laut GALSUKE seltener (Vgl. GALUSKE 2009, S. 310). Dies ist gerade bei einer Untersuchung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund nicht zu vernachlässigen.

Als Paradebeispiel für soziale Netzwerke gilt die Peergroup von Jugendlichen, die als soziales Netzwerk ein Hauptgegenstand dieser Arbeit ist. Die „ Peergroup bezeichnet eine Gruppe Gleichaltriger oder Gleichgesinnter mit analogen Interessen, ä hnlichen soz. Abstammungen und oftmals gleichem Geschlecht und wird h ä ufig synonym zu ‚ Clique ’ gebraucht “ (MUND 2007, S. 696). Die Peergroup ist zugleich Übungsraum für das Erlernen von Verhaltensweisen, aber auch Erfahrungsraum für die Balance zwischen Gruppendruck und Zugehörigkeit. In der Phase der Abgrenzung zu den Eltern ist die Peergroup als wichtigste Sozialisationsinstanz auf dem Weg der Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen auszumachen (Vgl. ebd.).

1.2 virtuelle Netzwerke

Virtuelle Netzwerke als „ neue Formen der Vergemeinschaftung “ (JÖRISSEN 2008, S.27) basieren auf computervermittelter Kommunikation, Voraussetzung für die Nutzung sind entsprechende Endgeräte mit einer Netzwerkverbindung (Vgl. MISOCH 2006, S. 37). Die Kommunikation in virtuellen Netzwerken ist eine Mischform aus synchroner4 und asynchroner5 Kommunikation, da die Mehrheit der Anbieter virtueller Netzwerke sowohl eine Chatfunktion (synchron) als auch eine Nachrichtenfunktion (asynchron) eingebaut haben (Vgl. ebd., S. 55). Durch aufkommende Unsicherheiten und Orientierungslosigkeit durch den gesellschaftlichen Wandel gibt es immer mehr „leere“ Räume, in welchen sich verlässliche soziale Netzwerke nicht mehr erhalten lassen oder neu gestaltet werden müssen (Vgl. PANKOKE 2007, S. 857). Diese Lücke macht die Nutzung von Online-Netzwerken im Cyberspace vermutlich so attraktiv.

„ Cyberspace erscheint hier als von Maschinen generierter neuer Aktionsraum, der sich dadurch auszeichnet, dass er Illusionen evoziert, sich in einer eigenen Welt bewegen zu k nnen. Doch er ist ebenso ein Kommunikationsraum, in dem Menschen zusammen kommen ( … ). “

(HÖFLICH 2004, S. 144f).

Nach einer Erhebung von 2008 existieren allein schon über 150 deutschsprachige soziale virtuelle Netzwerke (Vgl. ERTELT 2008, S. 52), inzwischen dürfte deren Anzahl weiter gestiegen sein.

Online-Netzwerke zählen zu den neuen Medien, da diesen in Abgrenzung zu traditionellen Medien Interaktivität zugeschrieben wird, die NutzerInnen werden hierbei zu den bestimmenden Akteuren (Vgl. HÜTHER 2005, S. 348). Die Mitglieder von Online-Netzwerken können einen sogenannten „ user generated content “ (Vgl. ERTLET 2008, S. 51) erstellen, das heißt, sie können eigene Inhalte in Online-Netzwerken publizieren. Alle Anwendungen, die diese Interaktivität der NutzerInnen zulassen, gehören zu den Web 2.0-Anwendungen (Vgl. MEDIENPÄDAGOGISCHER FORSCHUNGSVERBUND 2009, S. 50).

Virtuelle Netzwerke werden in dieser Ausarbeitung als Interaktionsplattformen mit Kommunikationsfunktion verstanden. Dies bedeutet, dass lediglich OnlineNetzwerke mit integrierter Chat-Funktion oder ähnlichem Gegenstand dieser Arbeit sind. In dieser Arbeit setzte ich voraus, dass die grundlegenden Funktionen von typischen virtuellen Netzwerken, wie oben benannt, bekannt sind und keiner weiteren detaillierten Erklärung bedürfen.

1.3 Jugend/Jugendliche

Der Terminus Jugend selbst ist kein wissenschaftlich geprägter Begriff, denn er ist aus der Alltagssprache entstanden. Zudem hat Jugend inhaltlich zweierlei Bedeutungszuweisungen, einerseits wird Jugend als Lebensphase bezeichnet, andererseits ist Jugend auch als soziale Gruppe in der Gesellschaft auszumachen (Vgl. HORNSTEIN, THOLE 2005, S. 443). Der Soziologe SCHERR weist daraufhin, dass es die eine Jugend nicht gibt, deshalb sind

„ ( … ) verallgemeinernde Aussagen ü ber ‚ die Jugend ’ immer unter den Vorbehalt zu stellen, dass es die Jugend als homogene soziale Gruppe nicht gibt, also die gesellschaftsgeschichtlich und gesellschaftsstrukturell bedingten Unterschiede zwischen jeweiligen Jugenden zu ber ü cksichtigen “

(SCHERR 2009, S. 24).

Dies ist auch für die Interpretation und die Verwendung der Ergebnisse dieser Arbeit zu beachten.

Aufgrund von gesellschaftlichem Wandel ist es heute nicht mehr möglich, die Jugendphase innerhalb einer konkreten Altersspanne zu verorten. Die Übergänge von Kindheit zur Jugend und von der Jugend zum Erwachsenendasein sind fließend geworden. Mit längerer Ausbildungszeit und späterem Einstieg in die Berufswelt ist die Jugendphase im Gegensatz zu vorherigen Generation zudem stark verlängert (Vgl. TILLMANN 2008, S.30; SÜSS 2004, S. 52f). Deshalb ist der Gegenstandsbereich dieser Arbeit auf Jugendliche zwischen 15 und 16 Jahren festgelegt, da davon auszugehen ist, dass diese sich, ihrer Entwicklungen entsprechend, inmitten der Jugendphase befinden.

Diese beschriebene lange Ungewissheit über die eigene Zukunftsperspektive kann zu Unsicherheiten in der Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen führen. Keine andere Lebensphase als die Jugend ist so stark von Bewältigung, Entwicklung und Selbstverortung geprägt (Vgl. SCHEFOLD 2007, S. 507). Denn im Jugendalter beginnend, wollen sich Jugendliche von Erwachsenen abgrenzen und dazu ihre eigene Alltagskultur mit Sprache, Musik, Kleidung, sozialen Orten entwickeln. Die Peergroup dient dazu als Übungsfeld, in welcher „ ( … ) vielf ä ltige, dynamische soziokulturelle Welten ( … ) “ (ebd.) von Jugendlichen gestaltet werden.

1.4 Migrationshintergrund

In Deutschland haben über 18,6 % der gesamten Bevölkerung einen Migrationshintergrund, das sind immerhin 15,3 Millionen Menschen. Unter allen SchülerInnen, die in Deutschland eine Schule besuchen, verfügen 3,4 Millionen (26 %) über einen Migrationshintergrund. 60 % dieser SchülerInnen besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft (Vgl. NETZWERK MIGRATIN IN EUROPA E. V. 2008; KLINGLER, KUTTEROFF 2009, S.297). Das BUNDESAMT FÜR MIGRATION UND FLÜCHTLINGE zählt zu den Personen mit Migrationshintergrund „ alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausl ä nder und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausl ä nder in Deutschland geborenen Elternteil “ (BUNDESAMT FÜR MIGRATION UND FLÜCHTLINGE 2008, S.187). Die Untersuchungsgruppe dieser Arbeit ist ausschließlich auf Jugendliche der zweiten Einwanderergeneration begrenzt, deshalb trifft insbesondere der letzte Teil der vorangegangenen Definition auf diese Gruppe zu. Daher werden nachfolgend diejenigen als Jugendliche mit Migrationshintergrund bezeichnet, die entweder selbst außerhalb von Deutschland geboren oder aufgewachsen sind, nun aber in der Bundesrepublik leben, oder deren Eltern (mindestens ein Elternteil) auf die diese Beschreibung zutrifft (Vgl. BUCHER, BONFADELLI 2007, S. 228). Die Verwendung von Migrant(in) ist in dieser Arbeit der Einfachheit halber gleichzusetzen mit Jugendliche(r) mit Migrationshintergrund. Wenn im empirischen Teil von Jugendlichen die Rede ist, sind diese immer als Jugendliche mit Migrationshintergrund anzusehen, da ich die Interviews ausschließlich mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund durchführte und daher die Ergebnisse nur auf diese Gruppe bezogen werden können. Zur Einschätzung der Ergebnisse dieser Arbeit, wird davon ausgegangen, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund, wie bereits erwähnt, nicht als homogene Gruppe anzusehen sind, so dass die Ergebnisse nicht ohne logische Argumentation verallgemeinert oder pauschalisiert werden können. Weiterhin gilt zu beachten, dass Jugendlichen mit Migrationshintergrund eine besondere Gruppe in Deutschland darstellen, aber keineswegs als durchgängig benachteiligte Gruppe angesehen werden muss (Vgl. KLINGLER, KUTTEROFF 2009, S.297). Es wird lediglich angenommen, dass der soziale, kulturelle und religiöse Hintergrund von Menschen mit Migrationshintergrund sich von den Werten der Mehrheitsgesellschaft unterscheidet (Vgl. MULOT 2007, S. 649), aufgrund dieser Annahme ist es notwendig dies auch für den Vergleich realer und virtueller Netzwerke darzustellen.

III THEORETISCHER HINTERGRUND

Der theoretisch-wissenschaftliche Teil dieser Arbeit bildet die Basis für den empirischen Part (Kapitel V). Bereits erforschte Teilgebiete zum Thema dieser Arbeit werden dargestellt und sollen als Vorverständnis auf die qualitative Forschung zum Vergleich realer und virtueller Netzwerke von Jugendlichen mit Migrationshintergrund vorbereiten. Es ist darauf hinzuweisen, dass nicht alle Punkte der theoretischen Ausarbeitung sich analog im empirischen Teil wieder finden, da einige Aspekte lediglich als Hintergrundwissen aufgegriffen werden, um die Gesamtheit dieser Arbeit nachvollziehen zu können.

2. Zugang zu Online-Netzwerken

Für die aktive Nutzung von Online-Netzwerken müssen die Zugangsvoraussetzungen gegeben sein, dazu gehören zunächst die Medienausstattung sowie die Mediennutzung (Kapitel 2.1). Um die Bedeutung von Online-Netzwerken für Jugendliche einschätzen zu können, werden die Gründe von Jugendlichen für die Nutzung von Online-Netzwerken dargestellt (Kapitel 2.2). Daran anknüpfend erfolgt zum Abschluss dieses Abschnitts die Analyse der Funktion von Online-Netzwerken für Jugendliche (Kapitel 2.3).

2.1 Medienausstattung und -nutzung

Zur Nutzung von Online-Netzwerken benötigen Jugendliche die entsprechende technische Ausstattung, um an diesem neuen Kommunikationsprozess partizipieren zu können. Da Migrantenfamilien über eine ähnliche Medienausstattung wie deutsche Haushalte verfügen (Vgl. KLINGLER, KUTTEROFF 2009, S. 302), können die folgenden Zahlen auch für Jugendliche mit Migrationshintergrund herangezogen werden. Mit 99 % besitzen nahezu alle Haushalte mit Jugendlichen mindestens einen Computer bzw. Laptop, zusätzlich verfügen 96 % der Haushalte über einen entsprechenden Internetanschluss. Immerhin über 70,5 % der Jugendlichen besitzen einen eigenen Computer oder Laptop, 50,5 % haben sogar Zugang zu einem eigenen Internetanschluss (Vgl. MEDIENPÄDAGOGISCHER FORSCHUNGSVERBUND SÜDWEST 2008, S. 8; 10)6. Die technischen Voraussetzungen für Aktivitäten in Online-Netzwerken sind für Jugendliche, eingeschlossen für Jugendliche mit Migrationshintergrund, also gegeben und durch den Besitz von einem eigenen Computer /Laptop und Internetanschluss ist zumindest theoretisch eine zeitlich nicht eingeschränkte Nutzung von Online-Netzwerken möglich. Besonders bemerkenswert: In über 80 % der Hauhalte mit älteren Jugendlichen muss die Ausstattung mit neuen Medien neusten multimedialen Ansprüchen genügen (Vgl. BOFINGER 2005, S.), die Ansprüche der Jugendlichen an eine adäquate, moderne Medienausstattung für die Nutzung aktueller Anwendungen sind demnach sehr hoch.

Die Nutzung des Internets selbst, und damit inbegriffen die Aktivität in Online- Netzwerken, ist inzwischen fester, selbstverständlicher Bestandteil im Alltag von Jugendlichen geworden. So sind 61-71 % der Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren täglich im Internet unterwegs. 62,5 % der Jugendlichen nutzen dabei täglich bis mehrmals pro Woche Online-Communities wie schüler-vz. Zum erweiterten Kreis von Online-Netzwerken gehören auch die Instant Messenger wie ICQ, diese werden mit 73% täglich oder mehrmals pro Woche von den Jugendlichen in Anspruch genommen (Vgl. MEDIENPÄDAGOGISCHER FORSCHUNGSVERBUND SÜDWEST 2008, S. 46; 48f; 55).

Online-Communities gehören unter anderem auch zu den Web 2.0-Anwendungen, dies heißt konkret, dass Jugendliche als Produzenten eigene Inhalte über sich selbst online stellen können. Diese Rolle als Produzent scheint für die Jugendlichen besonders attraktiv zu sein, so geben 68,5 % der 14-17-jährigen an, täglich oder mehrmals pro Woche aktiv Inhalte im Word Wide Web zu publizieren (Vgl. ebd., S. 50).

Die hohen Zugangsraten zu Online-Netzwerken zeigen sich auch dadurch, dass 74 % der Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren bei mindestens einer Online- Community angemeldet sind (Vgl. BUSEMANN, GSCHEIDLE, 2009, S. 4). Weiterhin auffallend ist, dass rund die Hälfte der Internetnutzung in den Bereich der Kommunikation (E-Mail, Messenger, Chat, Communities) fällt (Vgl. MEDIENPÄDAGOGISCHER FORSCHUNGSVERBUND SÜDWEST 2008, S. 51). Dies unterstreicht die Relevanz des Internets als Kommunikationsmedium für Jugendliche.

Dabei gilt die Feststellung, dass mit dem Alter der Jugendlichen auch das Verlangen nach Kommunikation und Nachrichtenaustausch über das Internet steigt (Vgl. BOFINGER 2005, S. 112). Was die Nutzung von Medien angeht, sind Jugendliche mit Migrationshintergrund als Untersuchungsgruppe dieser Arbeit zunächst nicht signifikant von deutschen Jugendlichen zu unterscheiden, Unterschiede scheint es also eher im Umgang mit den Medien zu geben (Vgl. BUCHER, BONFADELLI 2007, S. 244).

Ein möglicher Anstoß für die Entscheidung zur Nutzung virtueller Netzwerke ist die, in der Jugendphase beginnende, Ablösung von den Eltern und die allmähliche Verselbstständigung. Sowohl in der Frage der Mediennutzung, als auch in der Wahl der Freundschaften wollen Jugendliche alleine ihre Entscheidungen treffen (Vgl. TILLMANN 2008, S. 32), so findet zumindest in der virtuellen Welt eine Abgrenzung von den Eltern statt.

2.2 Gründe für die Nutzung von Online-Netzwerken

Nach Ergebnissen der JIM-Studie wird als übergeordneter Grund für die Nutzung von Online-Netzwerken das Thema Freunde und Freundschaft von Jugendlichen genannt (Vgl. MEDIENPÄDAGOGISCHER FORSCHUNGSVERBUND SÜDWEST 2008, S. 55):

„ Alle Freunde sind auch dort eingetragen, man kann Freunde (wieder) finden und neue kennenlernen man kann mit Freunden in Kontakt bleiben oder treten, sich schreiben und austauschen “ (ebd.)

Hier können sie außerhalb von realen Netzwerken soziale Wertschätzung erfahren und durch ihre Profildarstellung Bekanntheit erlangen (Vgl. SCHINDLER 2008, S. 46). Es scheint, als ob Jugendliche, die keinen Zugang zu modernen Medien wie etwa auch virtuelle Netzwerke haben, zumindest partiell vom sozialen und kulturellen Leben ausgeschlossen sein könnten. Die Wahrscheinlichkeit aufgrund dessen etwas zu verpassen, steigt vermutlich an, denn Online-Netzwerke sind neben der Suche nach Kontakt zu Freunden auch eine Präsentationsplattform für jeden einzelnen Jugendlichen (Vgl. MEDIENPÄDAGOGISCHER FORSCHUNGSVERBUND SÜDWEST 2008, S. 55). So ist es möglich sich selbst im Vergleich mit anderen Jugendlichen einzuordnen. Diese Positionierung innerhalb einer Gruppe ist ein wichtiger Prozess in der Identitätsentwicklung, denn es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Medien zur Sozialisationsinstanz geworden sind und somit auch ein Teil der der Identitätsfindung von Jugendlichen sind (Vgl. MIKOS, WINTER, HOFFMANN 2007b, S. 7, 10).

Ein weiterer Anreiz für die aktive Nutzung von Online-Netzwerken für Jugendliche ist die scheinbare Unbegrenztheit des Aktionsradius in Online-Netzwerken. Für NutzerInnen sind die Kontakte nicht mehr nur auf das direkte Umfeld von Wohnort, Schule oder Sportverein begrenzt, die Reichweite nimmt unbegrenzte Dimensionen an (Vgl. MEDIENPÄDAGOGISCHER FORSCHUNGSVERBUND SÜDWEST 2008, S. 55). Dies hat insbesondere Einfluss auf die Wahl der Freunde. Der Auswahlprozess erfolgt aufgrund von Vorwissen, welches über die Angaben zu den einzelnen Mitgliedern in Online-Netzwerken eingesehen werden kann.

Die Unbegrenztheit der Online-Netzwerke macht diese auch zum Spaß-Faktor, 58 % der Jugendlichen nutzen Online-Netzwerke, weil das Stöbern in den verschiedenen Profilen einfach nur Spaß macht (Vgl. ebd., S. 56). Im Gegensatz zu gewöhnlichen face-to-face-Freundschaften ist es über das Online-Netzwerk möglich, auf schnelle und unkomplizierte Weise Freunde zu finden (Vgl. ebd.), allerdings sind die Freunde zunächst nur als Kontakt zu verstehen, eine besondere Qualität der Freundschaft wird hier nicht miteinbezogen.

2.3. Funktionen von Online-Netzwerken

Im Allgemeinen werden dem Internet als Medium acht Funktionskategorien zugeschrieben (Vgl. SCHELL 2005, S. 182ff), abgesehen von der Qualifikationsfunktion sind diese alle auch auf Online-Netzwerke zu übertragen. So haben Online-Netzwerke eine

- Informations-Funktion
- Spaß- und Unterhaltungsfunktion
- Kommunikationsfunktion
- Integrations- und Meinungsbildungsfunktion
- Nebenbei- und Zeitfüller-Funktion
- (Qualifikationsfunktion)
- Funktion, soziales Prestige herzustellen und zu festigen
- Funktion interpersonale Kommunikation zu ersetzen

Insbesondere für Jugendliche mit Migrationshintergrund steht das Internet als Informations- und Kommunikationsfunktion an erster Stelle, dahinter steckt die Möglichkeit zur Verbindung mit dem Heimatland (Vgl. ARD/ZDF- Medienkommission 2007, S. 7).

Diese Funktionen insgesamt unterstreichen die Vielseitigkeit von Online- Netzwerken, die Multifunktionalität verlangt folglich in der Beurteilung von Online- Netzwerken alle Ebenen einzubeziehen, um zu einer adäquaten Einschätzung über Chancen und Risiken von Online-Netzwerken für Jugendlichen zu gelangen. Das Internet hat insbesondere für jüngere Migranten eine wichtige Informations- und Kommunikationsfunktion, auch als Brücke zum Heimatland (Vgl. EGGERT 2008, S. 104).

Um die Funktionen virtueller Netzwerke ganzheitlich erforschen zu können, ist die Einnahme von zwei verschiedenen Sichtweisen möglich. Einerseits die medienzentrierte Perspektive mit der Frage nach dem Einfluss der Medien auf die Menschen. Andererseits die rezipientenzentrierte Perspektive mit der Frage nach dem Handeln der Menschen mit den Medien (Vgl. AUFENANGER 2008, S. 87). In neuerer Zeit, insbesondere mit dem Durchbruch der interaktiven Medien, wie auch eben die virtuellen Netzwerke, konzentriert sich die Mehrheit der Forschungsprojekte auf die letztere Perspektive. Diese wird auch den Schwerpunkt meiner Forschung bilden, dennoch will ich die medienzentrierte Perspektive nicht vernachlässigen. Denn meiner Ansicht nach kann nur durch eine multiperspektivische Sichtweise sich einer Forschungsfrage ganzheitlich angenommen werden. Medien und Menschen, in diesem Fall Jugendliche, müssen als ein Wirkungsgefüge angesehen werden, nur so können letztendlich Medienwirkungen analysiert werden. Dabei müssen nicht immer automatisch negative Einflüsse mit diesem Wirkungsgefüge assoziiert werden. Gerade Online- Communities als interaktives Medium können bei Identitätsbildung und Lebensbewältigung auch unterstützend wirken (Vgl. ebd., S. 88ff). Diese Grundsätze will ich auch in meiner Forschung berücksichtigen.

Häufig wird unterschätzt, welche im positiven Sinne wichtige Funktion virtuelle Netzwerke für Jugendliche einnehmen kann. Es ist bei weitem nicht ungewöhnlich, dass Jugendliche in diesen Netzwerken durchaus ernsthaft über ihre persönlichen Vorstellungen und Probleme sowie Ideen und Werte diskutieren und dort Anregungen und Empfehlungen finden, wie sie damit umgehen können (Vgl. MIKOS, WINTER, HOFFMANN 2007b, S. 11f). Insbesondere für Jugendliche mit Migrationshintergrund sind Online-Netzwerke eine Plattform für die Ausbildung einer hybriden Identität, die Herkunfts- und Aufnahmeland einschließt. So können sie Gleichaltrige treffen, die ähnliche Erfahrungen durch ihren Migrantenstatus erlebt haben (Vgl. LINS 2009, S. 24). Dies ist meiner Auffassung nach grundsätzlich positiv anzusehen. Doch es ist dabei wichtig, dass die Jugendlichen diese Empfehlungen richtig einschätzen können und entscheiden ob diese für sie selbst positiv oder doch eher negativ zu bewerten sind. Für diesen Lernprozess braucht es auch in realen Netzwerken verlässliche Kommunikationspartner, daraus wird bereits die Notwendigkeit der Verknüpfung von realen und virtuellen Netzwerken deutlich. Auch aufgrund dieser Feststellung können virtuelle Netzwerke als Ergänzung zu realen Netzwerken von Jugendlichen angesehen werden, sie sind mittlerweile ein wichtiger Ort des sozialen Lernens von Normen und Werten geworden. Somit können sich Erfahrungen aus Virtualität und Realität gegenseitig ergänzen (Vgl. ebd., S. 14), und erweitern somit den Erfahrungshorizont der Jugendlichen.

Insgesamt ermöglichen Online-Netzwerke in der Informationsgesellschaft neue Dimensionen sozialer Teilhabe für Jugendliche mit Migrationshintergrund (Vgl. CROLL, KUNZE, BERNSMANN 2008, S. 163; LINS 2009, S. 23), wenn die Zugangsvoraussetzungen vorzufinden sind.

3. Gesellschaftlicher Wandel durch Online-Kommunikation

Um gesellschaftlichen Wandel einordnen zu können, werden dessen Ausprägungen mit Individualisierung und Pluralisierung (Kapitel 3.1) in Anlehnung an OnlineNetzwerke dargestellt. Daraufhin wird der Wandel der Kommunikationsstrukturen (Kapitel 3.2) thematisiert. Dieses Kapitel dient insgesamt der Einordnung von virtuellen Netzwerken in die Modernisierung der Gesellschaftsbezüge.

3.1 Individualisierung und Pluralisierung

Neben Individualisierung und Pluralisierung gehören Begriffe wie Modernisierung, Entstrukturierung, Biografisierung, Flexibilität, Mobilität und Orientierungslosigkeit zu den Schlagworten für gesellschaftlichen Wandel. Hinter diesen Beschreibungen verbergen sich für das Individuum zahlreiche Chancen, aber auch viele Risiken. Diese will ich in Zusammenhang zur Online-Kommunikation bringen, im Rahmen dieser Arbeit ist nur eine kurze Übersicht zum sozialen Wandel darstellbar.7

Die Etablierung von Online-Netzwerken als Ergänzung zu realen Netzwerken ist möglicherweise eine Reaktion auf die gesellschaftlichen Veränderungen und der damit einhergehenden Bedürfnisse (Vgl. EIBL; PODEHL 2005, S. 175). Dazu existieren zweierlei Erklärungsmuster: Neue Medien wie Online-Netzwerke sind einerseits durch gesellschaftliche Veränderungen entstanden, andererseits erzeugen neue Medien wiederum gesellschaftlichen Wandel (Vgl. AUFENANGER 2008, S. 87). Die damit einhergehenden Sozialisationsveränderungen im gesellschaftlichen Kontext bedürfen wiederum einer Anpassung der Jugendlichen an die neuen Bedingungen.

Inzwischen sind die Medienwelten von Jugendlichen zu einem selbstverständlichen Teil ihrer Lebenswelt geworden, da diese als ritualisierte Tätigkeit in ihrem Alltag verankert sind (Vgl. ERTELT 2008, S. 55). Aus diesem Grund tragen auch sie zu Individualisierung und Biographisierung der Lebenswelt von Jugendlichen bei, daher nehmen sie eine besondere Bedeutung im Zuge ihrer Identitätsentwicklung ein (Vgl. GANGUIN, SANDER 2008, S. 423). Gerade durch Online-Netzwerke wird der Umfang der Einflüsse auf die Lebenswelt von Jugendlichen stark vergrößert. Mehr Einflüsse heißt auch automatisch zusätzliche Optionen für Entscheidungen, die die Jugendlichen selbstverantwortlich treffen müssen. Das eigene Leben wird somit immer mehr zur individuellen Leistung, diese Selbstbestimmung wird auch als Individualisierung bezeichnet.

Zur Individualisierung gehört auch dazu, dass Bindungen in Netzwerken eher lose sind und sich enge Bindungen nur noch auf wenige Kontakte beschränken. So sind diejenigen Jugendlichen im Vorteil, welchen es gelingt, schnell Beziehungen einzugehen aber diese auch wieder zu lösen (Vgl. RÖLL 2008, S.91). Dieses Prinzip ist auch wesentlich für Online-Netzwerke. Gelingt es Jugendlichen nicht, sich diesen Gegebenheiten anzupassen, kann dies Verhaltensunsicherheiten auslösen.

Die unüberschaubaren Optionen führen zur Biografisierung mit individuellen, grundverschiedenen Lebensentwürfen. Dieser Prozess wird als Pluralisierung verstanden, diese ist gleichzusetzen mit der Zunahme von Vielfalt, das heißt, die Lebensläufe von Jugendlichen erfolgen nicht mehr in ähnlichen Mustern, wie es vor dem Wandel zu einer pluralisierten Gesellschaft wohl eher der Fall war. Mit diesen Entstrukturierungsmomenten wird die Identitätsbildung von Jugendlichen immer mehr zur Eigenleistung.

„ Umbrucherfahrungen infolge der Individualisierung moderner Gesellschaften, insbesondere damit einhergehende Erfahrungen kultureller Differenz, fordern von Subjekten eine st ä rkere Eigenleistung bei der Pers ö nlichkeitsentwicklung und bei der sozialen Integration als je zuvor. “

(MÜLLER, CALMBACH, RHEIN u. a. 2007, S. 135).

Virtuelle Netzwerke können als kleiner Teil dieser Eigenleistung ausgemacht werden, bei verantwortungsvoller Nutzung können sie Selbstverortung positiv beeinflussen, da sie zusätzliche soziale Kontakte fördern.

Unabhängig von realen oder virtuellen Netzwerken wird nach der Auffassung von BECK das Selbst somit zur Lebensplanung (Vgl. BECK 1986, S.116) und damit sind auch Jugendliche für die Chancen und Risiken ihrer Lebensgestaltung verantwortlich. Zur Orientierung benötigen sie neben realen Netzwerken gerade zur Positionierung im Vergleich mit anderen Jugendlichen virtuelle Netzwerke als „Sicherheit“.

Hier knüpfen MIKOS, WINTER und HOFFMANN an, sie sind der Auffassung, dass die neuen Medien und damit auch die virtuellen Netzwerke „ ( … ) die Lücke, die durch die Enttraditionalisierung der Gesellschaft geschaffen wurde ( … ) “ (MIKOS, WINTER, HOFFMANN 2007b, S. 10), ausfüllen können. Zu diesem Aspekt will ich kritisch anmerken, dass es nicht Anspruch sein kann, dass die Orientierungslosigkeit, die durch Individualisierung und Pluralisierung bei Jugendlichen auftritt, allein von den Medien aufgefangen werden soll. Hier benötigt es auch andere „Auffangnetze“, denn die Medien können, nach meiner Auffassung, nicht den Rückhalt oder die Sicherheit wie intakte, reale Netzwerke bieten. Es wäre gefährlich sich einzig und allein darauf zu verlassen.

Denn stabile Identitäten werden nicht nur von den Jugendlichen selbst konstruiert, auch das soziale Netzwerk sowie das gesamte Lebensumfeld prägen die Identitätsfindung von Jugendlichen (Vgl. ebd., S. 12f).

Die Modernisierung der Gesellschaft und der Wegfall von verbindlichen Normen und Werten erfordert auch immer wieder Flexibilität von Jugendlichen in ihrem Lebenslauf. So ist es fast nicht möglich sich auf die eine Identität festzulegen (Vgl. MÜLLER, CALMBACH, RHEIN u. a. 2007, S. 135f). Identität muss wandelbar sein, um sich den Anforderungen der Gesellschaft anzupassen und um Enttäuschungen und Krisen in den Lebensläufen der Jugendlichen in ihrer Anzahl und in ihrem Ausmaß so gering wie möglich zu halten.

Mit der Modernisierung ist auch die heutige Jugendphase durch Enttraditionalisierung gekennzeichnet, was wiederum eine allgemeine Desorientierung zur Folge hat. Deshalb suchen Jugendliche in neuen Jugendkulturen nach Orientierung und Zugehörigkeit (Vgl. TILLMANN 2008, S. 30ff). Zu einer dieser neuen Kulturen können auch die Online-Netzwerke gehören. Weiterhin suchen Jugendliche nach neuen Bewältigungsstrategien, um mit diesen Unsicherheiten zurechtzukommen (Vgl. ebd., S. 32). Eine Nische darin sind die Online-Netzwerke, denn diese können als Tor für weitere soziale Kontakte für Stabilität und Kontinuität in der Lebenswelt eines Jugendlichen sorgen. Der Fortschritt des gesellschaftlichen Wandels und die parallel verlaufende Phase der Identitätsfindung löst bei Jugendlichen eine doppelte Unsicherheit und Orientierungslosigkeit aus. Gerade deshalb bewerten sie für sich persönlich die Netzwerke der Freunde noch höher, bei einem Höchstwert von 7, werden Freundschaften laut HURRELMANN mit 6,6 eingeordnet, da Freunde von Jugendlichen als wichtige Ressource benannt werden, wenn es um die Bewältigung der erhöhten gesellschaftlichen Anforderungen geht (Vgl. HURRELMANN 2006, S. 176f; 291).

[...]


1 www.schuelervz.net deutschsprachiges Online-Netzwerk für SchülerInnen

2 www.facebook.com internationales Online-Netzwerk

3 JIM: Jugend-Information- (Multi)media

4 synchron: erfordert, dass die Nutzer zur gleichen Zeit online sind (Vgl. MISOCH 2006, S. 55)

5 asynchron: ermöglicht eine zeit- und ortsunabhängige Kommunikation (Vgl. ebd.)

6 Ergebnisse der JIM-Studie 2008: telefonische Befragung von 1 208 Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 19 Jahren

7 Weiterführend: BECK 1986

Ende der Leseprobe aus 133 Seiten

Details

Titel
„Wir sehen uns online“ - Eine Untersuchung zum Vergleich realer und virtueller Netzwerke von Jugendlichen mit Migrationshintergrund
Hochschule
Evangelische Fachhochschule Freiburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
133
Katalognummer
V146723
ISBN (eBook)
9783640574902
ISBN (Buch)
9783640575121
Dateigröße
2271 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Soziale Netzwerke, Kommunikation, Online-Netzwerke, Communities, Medienpädagogik, Jugendliche, Migrationshintergrund, real, virtuell, Netzwerke
Arbeit zitieren
Sandra Eisenmann (Autor:in), 2009, „Wir sehen uns online“ - Eine Untersuchung zum Vergleich realer und virtueller Netzwerke von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146723

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