Nancy Bird Walton. Australiens erste und jüngste Verkehrspilotin


Fachbuch, 2010

57 Seiten


Leseprobe


Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nancy Bird Walton (1915-2009)

Foto: Australian War Memorial

Die erste und jüngste Pilotin in Australien war Nancy Bird Walton (1915-2009), geborene Bird. Wegen ihres aufopferungsvollen Einsatzes im Dienst einer fliegenden Ambulanz für entlegene Gebiete auf den „Fünften Kontinent“ nannte man sie „Engel des Outback“. Die Flug- pionierin hat sich auch als Gründerin der Pilotinnenvereinigung „Australian Women Pilot’s Association“ („AWPA“) hervor- getan.

Nancy Bird kam am 16. Oktober 1915 in Kew (Neusüdwa- les) in Australien zur Welt. Spaßeshalber könnte man fast meinen, ihr englischer Familienname Bird (zu deutsch: „Vogel“) hätte bereits von Geburt an darauf hingedeutet, dass das Fliegen in ihrem Leben einmal sehr wichtig werden sollte.

Während der Weltwirtschaftskrise befand sich Nancy in der gleichen Lage wie viele andere Kinder jener Zeit in Australien und anderswo. Im Alter von 13 Jahren musste sie die Schule verlassen, um mit ihrer Arbeit ihre Familie zu unterstützen. Sie führte ihrem Vater den Haushalt und half ihm in dessen Geschäft.

Bereits als kleines Kind träumte Nancy davon, Pilotin zu werden, wenn sie groß war. Von ihrem ersten schwer ver- dienten Geld kaufte sie ein Fliegerhandbuch, das sie so lange und so intensiv studierte, bis sie den Inhalt fast auswendig kannte. Ihren Vater amüsierte es, dass sie oft mit ihrem Lehrbuch in der Hand und dieses lesend durch das elterliche Haus wanderte. Er glaubte nicht daran, dass seine Tochter tatsächlich eine Pilotin werden würde, und hielt deren Begeisterung für die Fliegerei als vorübergehenden Spleen. Doch Nancy sparte eisern, um ihren Kindheitstraum verwirk- lichen zu können.

1933 ging die 17-jährige Nancy Bird - bekleidet mit einem Helm, einer Fliegerbrille und einer Lederjacke - zu einem Flugtag, bei dem das australische Idol Charles Kingsford-Smith (1897-1935) Rundflüge anbot. Letzterer war 1929 als Erster von den USA nach Australien geflogen und galt in seiner Heimat als Held. Der berühmte Flieger nahm die kleine und zierliche Nancy nicht besonders ernst, als sie nach dem Flug mitteilte, sie wolle Pilotin werden.

Zur Überraschung von Kingsford-Smith erschien Nancy Bird zwei Monate später im August 1933 in seiner Flugschule, die er in Mascot bei Sydney eröffnet hatte. Sie hatte damals gerade genug Geld zusammen, um ihre Flugausbildung finanzieren zu können und war fest entschlossen, dies zu tun. Ihr Vater war angeblich zunächst entsetzt über diesen Entschluss.

Ein Jahr lang kam Nancy jeden Morgen zum Flugplatz und blieb dort bis zum Einbruch der Dunkelheit. Auf dem Weg dorthin und zurück fuhr sie mit einer Fähre über den Hafen. Bei der Wartung der Maschine und beim Flug im offenen Cockpit trug sie im Sommer eine Knickerbocker aus Leinen und im Winter eine aus Tweed. Ihr Fluglehrer Kingsford-Smith war anfangs nicht sehr davon begeistert, eine junge Frau zu unterrichten. Die rothaarige Nancy war so klein, dass sie auf zwei Kissen sitzen musste, um beim Flug etwas sehen zu können.

Ungeachtet der Skepsis männlicher Fluglehrer und Mitschüler lernte die eifrige Nancy Bird bald zu fliegen, wobei das Landen am schwierigsten war, aber auch, ein Flugzeug zu warten und ein Funkgerät zu bedienen. Bereits einen Monat nach Beginn ihrer Ausbildung bestand sie am 27. September 1933 die Prüfung für die A-Lizenz. Anschließend flog sie verschiedene Maschinen, um die erforderlichen 60 Flugstunden für die Verkehrspilotenprüfung zu schaffen. Jeden Abend studierte sie ihre Bücher und eignete sich die nötigen theoretischen Kenntnisse - wie Navigation, Meteorologie und Flugzeugbau - an. Am meisten Probleme bereitete ihr die Mathematik.

Im März 1935 wurde die 19-jährige Nancy Bird für ihre Ausdauer und Mühe belohnt: Sie absolvierte erfolgreich die Prüfung für die B-Lizenz und war nun die erste und jüngste Pilotin in Australien mit dieser Qualifikatikon. Auf gar keinen Fall wollte Nancy Bird danach wieder im Geschäft ihres Vaters arbeiten. Anders als andere Frauen hatte sie nicht vor, nur zum Zeitvertreib zu fliegen, sondern beab- sichtigte, als Pilotin ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Auf dem Flugplatz hielt man sie deswegen für verrückt. Es war schon für einen Mann schwer, einen Job als Pilot zu finden, für eine Frau galt dies als unmöglich.

Nancy Bird bemühte sich nicht um eine Stelle bei einer Fluggesellschaft, sondern kaufte sich selbst ein gebrauch- tes Flugzeug, nämlich eine „Gipsy Moth“, die noch überholt und repariert werden musste. Das Geld dafür hatte sie teil- weise von einer Tante geerbt und von ihrem Vater geliehen, der inzwischen die Pläne seiner Tochter begeistert unter- stützte.

Nancy’s Geschäftsidee war, gemeinsam mit der sechs Jahre älteren Peggy McKillop (1909-1999), später verheiratete Kelman, die mit ihr zusammen die B-Lizenz erworben hatte, von Ort zu Ort zu fliegen und Rundflüge anzubieten. Ihr Flugunternehmen nannten sie „First Ladies Flying Tour“. Die Taufe ihres Flugzeuges im Beisein von Verwandten und Bekannten auf den Namen „Vincere“ („Überwinden“) drohte beinahe auszufallen, weil der erste Testflug mit einer Notlan- dung geendet hatte. Laut Nancy gab es nicht nur Entfernungen zu überwinden, sondern auch düstere Prophezeiungen, dass sie und Peggy vom Fliegen nicht leben könnten. Am 3. April 1935 starteten Nancy Bird (genannt „Little Bird“) und die merklich größere Peggy McKillop („Big Bird“) mit ihrem erneut reparierten Flugzeug zur ersten von Pilotinnen organsierten Tour durch Australien. Die beiden Pilotinnen kamen immer dann in eine Stadt, wenn dort eine Veranstaltung war und sich deswegen viele Menschen aufhielten. Die Auftritte der beiden Pilotinnen liefen immer nach dem selben Muster ab. Vor der Landung kreisten sie einige Male über dem Ort, um dort ihre Ankunft anzukündigen, landeten dann auf einer Wiese, die als Flugfeld diente, demonstrierten ihr Können im Kunstflug und nahmen für 10 Schilling wage- mutige Passagiere zu einem Rundflug mit. Ihre begeisterten Zuschauer/innen bzw. Fluggäste hatten teilweise noch nie ein Flugzeug, geschweige denn eine Pilotin gesehen. Während dieser Tour unternahm Nancy Bird erstmals einen Flug im Auftrag des „Far West Children’s Health Scheme“. Dabei handelte es sich um einen von dem Reverend Stanley Drummond (1885-1943) aufgebauten Gesundheitsdienst, der sich um Kinder kümmerte, die fern von jeder medizinischen Versorgung im wilden australischen Hinterland, dem so genannten „Outback“, lebten. Der Dienst transportierte kranke Kinder, die oft an einer Augenkrankheit litten, die unbehandelt zur Blindheit führt, ins Krankenhaus nach Sydney, richtete in ausrangierten Eisenbahnwaggons mobile Kliniken ein und schickte Krankenschwestern in Siedlungen, die teil- weise Hunderte von Meilen abseits einer Eisenbahnlinie lagen. Oft waren die Schwestern tagelang im Auto unterwegs oder hatte der Regen die Straßen unpassierbar gemacht. Ein Flugzeug schien hier das ideale Transportmittel zu sein.

Im Oktober 1935 - zwei Tage vor ihrem 20. Geburtstag - ging Nancy Bird in Bourke mit der Krankenschwester Webb auf ihre erste Tour für den Gesundheitsdienst. Dabei kamen sie in Orte, in denen die Hitze, der Staub und der Wind fast unerträglich waren. Sie besuchten Familien in Hütten aus verrostetem Wellblech und trafen Kinder, die noch nie frisches Obst gegessen hatten. Weil diese Tour sehr erfolgreich verlief, wurde Nancy vom Gesundheitsdienst gebeten, ihr Flugzeug in Bourke zu stationieren und die Schwestern regelmäßig zu ihren Einsatzorten zu fliegen. Nancy ging auf diesen Vorschlag ein. Einerseits konnte sie so als Pilotin arbeiten und andererseits Frauen, die ihre Kinder unter schwierigsten Bedingungen im „Outback“ aufzogen, helfen.

Weil das von der Hilfsorganisation gezahlte Geld nicht zum Lebensunterhalt ausreichte, wollte Nancy Bird zusätzliche Charterflüge durchführen, für die sie ein größeres und zuverlässigeres Flugzeug benötigte. Aus diesem Grund nahm sie das Angebot eines reichen Farmers an, ihr bei der Finan- zierung zu helfen. Sie kaufte einen Eindecker des Typs „Leopard Moth“ mit geschlossenem Cockpit, zwei Passa- giersitzen, großzügigem Gepäckraum, Ventilation, Heizung und einer Reisegeschwindigkeit von 120 Meilen in der Stunde (rund 190 Stundenkilometer). Damit startete sie im November 1935 in die verschlafene Kleinstadt Bourke, wo sie in den nächsten Monaten leben und arbeiten wollte.

Die einzigen regelmäßigen Aufträge bekam Nancy Bird vom Gesundheitsdienst, weitere Aufträge folgten unregelmäßig. Bei schönem Wetter gab es oft nichts zu tun, bei schlechtem Wetter, wenn die Straßen unpassierbar und die Telefonleitungen un- terbrochen waren, dagegen zu viel. In letzterem Fall hätte sie zwei Piloten beschäftigen und drei Flugzeuge auslasten können.

Nancy flog Schafzüchter zu entfernten Weiden, Kranke ins Hospital, Bewohner abgelegener Orte zum nächsten Bahnhof und wirkte sogar im Film „Engel des Outback“ über den Ge- sundheitsdienst mit. Trotzdem verdiente sie nur so viel, dass sie zwar ihr Flugzeug abstottern, aber sehr bescheiden leben musste. Ihre Schwester schickte ihr getragene Kleidung, ihr Vater Vitamintabletten, um die einseitige Ernährung etwas auszugleichen.

Damals gab es noch keine Navigationssysteme für Flug- zeuge. Nancy Bird musste sich oft am Verlauf von Hecken oder Zäunen halten oder sogar in einem Fall „an die Spur, die Schafe mit ihren Kötteln gelegt hatten“, wie Verwandte von Nancy später erzählten. Die Windrichtung ermittelte sie unter anderem mit Hilfe der auf der Leine trocknenden Wäsche.

Im Dezember 1936 nahm Nancy Bird an einem Luftrennen von Adelaide nach Brisbane teil und gewann den für die beste Pilotin ausgesetzten Preis („Ladies Trophy“). Bei dem Luft- rennen genoss sie - nach vielen einsamen Monaten - jede Möglichkeit zu Gesprächen mit anderen Fliegern. Nach diesem Rennen kehrte Nancy Bird nicht mehr nach Bourke zurück, weil der Gesundheitsdienst nicht mehr den Zuschuss zum Unterhalt des Flugzeuges aufbringen konnte. Danach wollte sie ihr Hauptquartier in Charlesville (Queens- land) aufschlagen und hoffte, die Behörden von der Not- wendigkeit, bei der Krankenversorgung ein Flugzeug einzu- setzen, überzeugen zu können. Weil ihr dies nicht gelang und ihr die Lebenhaltungskosten in Charlesville im Vergleich zu den geringen Verdienstmöglichkeiten viel zu hoch erschienen, zog sie nach Cunnamala, wo sie im Hotel von Mrs. Davis kostenlos wohnen konnte.

Anfang März 1938 wollte Nancy Bird mit einem Passagier von Sydney nach Bourke fliegen. Doch als sie sich dem Gebirge näherte und eine tief liegende Wolkendecke sah, befürchtete sie plötzlich, nicht weiterfliegen zu können. Sie kehrte um, landete und hatte vielleicht einen kontrollierten Nerven- zusammenbruch. Danach verkaufte sie ihr Flugzeug und gab das Fliegen auf.

Im Alter von 24 Jahren heiratete Nancy Bird 1939 den Engländer Charles Walton. Aus ihrer Ehe gingen zwei Kinder hervor. Ihr Ehemann sprach sie mit „Nancy-Bird“ statt nur mit ihrem Vornamen an. In der Öffentlichkeit hieß sie bald nur noch „Nancy Bird Walton“.

Während des Zweiten Weltkrieges leitete Nancy Bird Walton zeitweise - vom 25. Juli 1942 bis zum 1. Oktober 1944 - das „Flugtraining-Frauenkorps“ und trainierte Fliegerinnen der „Royal Australian Air Force“ („RAA“).

Am 16. September 1950 gründete Nancy Bird Walton die „Australian Women Pilot’s Association“ („AWPA“). Fünf Jahre lang leitete sie diese Pilotinnenvereinigung als Präsidentin. Nach dem Tod von Lady Maie Casey (1892-1983) wurde Nancy Bird Walton neue Schirmherrin der „AWPA“. 1958 erneuerte Nancy Bird Walton auf einer „Tiger Moth“ ihre Fluglizenz. Wie früher saß sie auf Kissen, die ihre geringe Körpergröße wettmachten. Die alte Faszination für das Fliegen war nun wieder da. In jenem Jahr beteiligte sie sich mit einer gemieteten „Cessna“ am berühmten „Powder-Puff-Derby“ in den USA und erreichte den fünften Platz.

Während ihres ganzen Lebens hat sich Nancy Bird Walton immer für gemeinnützige Einrichtungen und Menschen in Not eingesetzt. Für dieses Engagement wurde sie mit dem „Order of Australia“ (1966), „Order of the British Empire“ und „Venerable Order of Saint John“ ausgezeichnet. „The National Trust of Australia“ ernannte sie 1997 für ihre Verdienste in ihrem Heimatland zum „nationalen lebenden Kulturgut“ („Australian Living Treasure“). „Women in Aviation Inter- national“ ehrte sie 2003 als eine der 100 wichtigsten Frauen in der Luftfahrt.

Für weibliche Piloten ist Nancy Bird Walton ein großes Vorbild. Trotz der Risiken der frühen Luftfahrt war sie nie in einen Unfall verwickelt.

Am 10. September 2008 gab Nancy Bird Walton ein 45 Minuten langes Interview für die einstündige Dokumentation „A very short war“. Eines ihrer letzten Interviews hat sie für den Dokumentarfilm „Flying Sheilas“ gegeben. Dieser Streifen erlaubte einen einzigartigen Einblick in ihr Leben und das anderer australischer Pilotinnen.

Die australische Fluggesellschaft „Quantas“ erwies der Flug- pionierin am 30. September 2008 bei der Taufe des ersten „Airbus A380“ den größten Respekt. Zunächst nannte man diese Maschine „Nancy Bird Walton“, dann aber respektierte man ihre Vorliebe für den Namen „Nancy-Bird“, den ihr Ehemann geprägt hatte. Nach der Taufe genoss die 82-Jährige den einstündigen Rundflug zusammen mit Ehrengästen sehr. Nancy Bird Walton ist am 13. Januar 2009 im Alter von 93 Jahren eines natürlichen Todes gestorben. Nach Angaben ihrer Enkelin Anna Holmann erlag sie nach kurzer Krankheit an Altersschwäche.

Die stellvertretende australische Premierministerin Julia Gillard lobte die kleine Flugpionierin mit den Worten, sie habe mit ihrer Energie und ihrem Starrsinn ihre Geschlechts- genossinen angeregt, in allen Lebenslagen nach dem Himmel zu greifen.

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Details

Titel
Nancy Bird Walton. Australiens erste und jüngste Verkehrspilotin
Autor
Jahr
2010
Seiten
57
Katalognummer
V146513
ISBN (eBook)
9783640573608
ISBN (Buch)
9783656857440
Dateigröße
1452 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Nancy Bird Walton, Nancy Bird, Ernst Probst, Fliegerin, Pilotin, Fliegerinnen, Pilotinnen, Fliegerei, Luftfahrt, Frauenbiografien, Biografien, Kurzbiografien
Arbeit zitieren
Ernst Probst (Autor:in), 2010, Nancy Bird Walton. Australiens erste und jüngste Verkehrspilotin, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146513

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