Motivationale Grundlagen für die Erbringung von Dienstleistungen in Internetforen


Magisterarbeit, 2008

84 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Problemstellung
2.1 Forschungsstand
2.2 Begriffsbestimmung
2.2.1 Internet-Forum
2.2.2 Kommunikation
2.2.3 Dienstleistung

3 Vorgehen der Arbeit

4 Das Internet: Dimensionen eines Kommunikationsraumes
4.1 Das Internet als Kommunikationsraum
4.2 Das Internet als Handlungsraum
4.3 Das Internet als virtueller Raum
4.4 Zusammenfassung: Die Problemdimensionen des Internets

5 Identität im Internet
5.1 Anerkennung als motivationale Grundlage der Vergemeinschaftung
5.2 Prosoziales Verhalten

6 Vergemeinschaftung im Internet: Virtuelle Gruppen
6.1 Die Bedingungen virtueller Gruppenbildung
6.1.1 Identität im anonymisierten Raum
6.1.2 Der emotionale Charakter der Kommunikationen
6.1.3 Vertrauen als Basis der Stabilisierung von virtuellen Gruppen
6.1.4 Zusammenfassung der Bedingungen virtueller Gruppenbildung
6.2 Kritik der Theorien Virtueller Vergemeinschaftung
6.3 Zusammenfassung der Forschungshypothesen

7 Methode
7.1 Forschungsdesign des problemzentrierten Interviews
7.2 Der Leitfaden
7.3 Stichprobe
7.4 Durchführung der Interviews
7.5 Auswertung

8 Ergebnisse
8.1 Fall 1
8.2 Fall 2
8.3 Fall 3
8.4 Fall 4
8.5 Kernkategorien
8.6 Typenbildung
8.7 Charakterisierung der Idealtypen

9 Diskussion der Ergebnisse
9.1 Beschreibungen des Untersuchungsgegenstandes
9.2 Schlussfolgerungen hinsichtlich der Ausgangsfrage

Literatur

Glossar

Anhang

1 Einleitung

Durch die in den letzten Jahren exponentiell ansteigende Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien, beispielsweise der drahtlosen Vernetzung mobiler Telefone, Digitalisierung der Fernsprechnetze, die Entwicklung neuer Medien im Internet und der digitalen Verbraucherelektronik, ist es möglich geworden jederzeit mit anderen Menschen zu kommunizieren, wobei irrelevant ist wo sich die Gesprächspartner befinden. Das Internet stellt heute aufgrund der weiten Verbreitung von Personalcomputern und anderen technischen Zugangsmöglichkeiten[1] ein globales, dezentrales, technisch gebundenes[2] Kommunikationsnetzwerk dar. Es ist eine Plattform für verschiedenste mediale Kommunikationsmöglichkeiten, also der kommunikativen Verbindung von Menschen über Orts-, Zeit-, Sprach- und Kulturgrenzen hinweg. Dabei ist hervorzuheben, dass das Internet nicht mehr wie das Telefon nur eine direkte Verbindung zweier Menschen zulässt, sondern die Verbindungsgrenzen offen sind, das heißt als mögliche Adressaten von mittelbaren Kommunikationen kann jeder Nutzer dieser Kommunikationstechnologien potentiell gelten. Es ist also möglich im Internet bereitgestellte Inhalte Internet-Nutzern der ganzen Welt zu präsentieren und sich mit ihnen mittelbar kommunikativ zu verbinden. Daher lässt sich zusammenfassen: „Ein rasant expandierendes System von Netzen, die in ihrer Gesamtheit als Internet bezeichnet werden, verbindet Millionen von Menschen in neuen Räumen, die unsere Denkweise, den Charakter unserer Sexualität, die Form der Gemeinschaftsbildung, ja unsere Identität selbst verändern“ (Turkle 1998: 9).

Mit der explosionsartigen Verbreitung des Internets in der 90er Jahren stiegen die Möglichkeiten der weltweiten Vernetzung stark an. Damit war es immer mehr Menschen möglich eigenes Wissen im Internet anzubieten beziehungsweise zu verbreiten und dafür auch quasi im Tausch das bereitgestellte Wissen der anderen Nutzer zu erreichen. Dass diese Möglichkeiten tatsächlich genutzt werden, ist an der sprunghaften Entwicklung des sogenannten ‚web 2.0’ zu erkennen (vgl. Alby 2007). Der Begriff ‚web 2.0’ steht dabei vor allem für ‚user generated content’, also der Bereitstellung von Inhalten durch die Nutzer selbst. Diese Selbstorganisation der Form und Inhalte des aus dessen Selbstverständnis heraus sogenannten ‚neuen’ Internets soll der Internet-Gemeinschaft selbst dienen und damit der Vereinnahmung des Internets in das Wirtschaftssystem unter kommerzieller Nutzung, etwa als virtueller Marktplatz von Waren und Dienstleistungen, entgegenwirken. Damit war ein Wandel des Internets von einer bloßen Sammlung von Webseiten, welche konsumorientiert als schlichte Präsentation und Vermittlung von Inhalten konzipiert sind, hin zu einer umfassenden, integrierten und integrierenden Plattform mit aktuellem und angepasstem Inhalt proklamiert. Hierbei ist auffällig, dass eine große Bereitschaft besteht, sich anderen mitzuteilen und sich problemorientiert zu vernetzen, was allein am starken Anstieg von betriebenen Blogs, Wikis und anderen Social-Software-Formaten, deren Funktion die Präsentation und Ausbildung sozialer Netzwerke ist, erkennbar ist. Bedeutsam ist auch, dass diese Plattformen des vernetzten Wissensaustauschs sich hauptsächlich außerhalb herkömmlicher Lehr-/Lernkontexte, wie etwa den Hochschulen, befinden. Zu diskutieren ist natürlich, ob alle angebotenen Inhalte auch tatsächlich für Andere nutzbar sind, oder aber einer ‚gedankenlosen Produktivität‘ geschuldet sind.

Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass alle Internet-Nutzer gleichsam mit den oben genannten Möglichkeiten des ‚web 2.0’ umgehen. Während die Einen an vielfältigen Arten von Kommunikationen teilnehmen und damit auch vielfältige Formen von sozialen Beziehungen im virtuellen Raum des Internets eingehen, ist auch ein großer Teil der Internet-Nutzer in einer quasi reinen passiven Rolle[3] zu sehen (vgl. den Begriff der „Lurker“ in Stegbauer/Rausch 2001). Letztere betrachten das Internet lediglich als konsequente Weiterentwicklung der Massenmedien und beschränken sich damit auf eine reine Einweg-Kommunikation, also des Konsums der angebotenen Inhalte.

Udo Thiedeke stellt darüber hinaus fest: „Das Internet ist aber noch weit mehr. Es ist die Grundlage einer virtuellen Vergesellschaftung, da es zum Beispiel die Konstruktion von ‚Schwatzbuden’ (Chats), Foren, aber auch von komplexen Erlebnis- und Handlungskontexten im Kommunikationsraum des Mediums ermöglicht, die unabhängig von der dauernden Teilnahme einzelner existieren“ (Thiedeke 2003:8). Daher ist es angebracht zu fragen, ob und welche Formen der Vergemeinschaftung (vgl. Weber 1984: §9) sich anhand dieser Fülle der Möglichkeiten der medialen Vernetzung ergeben beziehungsweise ob auf der Grundlage der Bedingungen des mittelbaren Kommunikationsraumes Internet sich neue Vergemeinschaftungen bilden.

Zunächst ist an dieser Stelle hierfür wichtig zwischen den Formen der Vergesellschaftung und deren Inhalten zu unterscheiden. So schreibt bereits Georg Simmel: „Gesellschaft im weitesten Sinne ist offenbar da vorhanden, wo mehrere Individuen in Wechselwirkung treten [...] Die besonderen Ursachen und Zwecke, ohne die natürlich nie eine Vergesellschaftung erfolgt, bilden gewissermaßen den Körper, das Material des socialen Prozesses; dass der Erfolg dieser Ursachen, die Förderung dieser Zwecke gerade eine Wechselwirkung, eine Vergesellschaftung unter ihren Trägern hervorruft, dass ist die Form, in die jene Inhalte sich kleiden“ (Simmel 1992: 54). Inhalte werden also dann gesellschaftlich, wenn sie von den Wechselwirkungen der Individuen erfasst werden. Das bloße Vorhandensein eines weltweiten technisch basierten Kommunikationsnetzes an sich stellt daher keine hinreichende Bedingung für neue Vergesellschaftungsformen dar. Erst durch dessen Nutzung, und damit der medialen Kommunikation selbst, werden Inhalt und Form über Wechselwirkungen der Individuen miteinander verschränkt. Daher müssen bei einer Betrachtung der Frage nach neuen Vergesellschaftungs- und auch Vergemeinschaftungsprozessen (vgl. Weber 1984: §9) in medialen Kommunikationsnetzwerken die Kommunikationen selbst und deren konstitutioneller Rahmen gleichsam betrachtet werden. Denn aufgrund der verschiedenen Formen der Rahmenbedingungen von Kommunikationen, wie zum Beispiel innerhalb eines Chats, der für alle Personen offen steht, sie aber dort gleichzeitig zur Kommunikation anwesend sein müssen, oder innerhalb eines textbasierten Rollenspieles wie einem Multi-User-Dungeon (MUD) (vgl. Turkle 1998), in dem fortlaufend eine Geschichte jeweils Stück für Stück von den teilnehmenden Personen, teilweise mit mehreren unterschiedlichen virtuellen personae, schriftlich erzählt wird, ist es evident, dass durch die Rahmenbedingungen Art, Inhalt und Form der Kommunikationen vorgegeben beziehungsweise eingeschränkt und kanalisiert werden. Es müssen demzufolge die verschiedenen Formen jeweils für sich betrachtet werden, da sie eigenständige konstituierende Rahmen für Kommunikationen darstellen.

2 Problemstellung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Internet-Forum als eine spezielle Form der Vergemeinschaftungsprozesse im Internet. Das Internet-Forum soll daher als spezifisches Medium im Kommunikationsraum Internet begriffen werden, denn es stellt einen spezifischen konstitutionellen Rahmen für Kommunikationen dar.

Ausgehend von dem Problem wie ein Internet-Forum als virtuell angelegter, technisch vermittelter Kommunikationsraum zustande kommt und in seiner Existenz berechtigt ist, soll diese Untersuchung einen Beitrag leisten das Internet-Forum soziologisch zu betrachten.

Die zentrale anleitende Forschungsfrage bezieht sich daher auf die Bedingungen unter denen Kommunikationen in diesem Medium zustande kommen. Hierzu sollen anhand von qualitativen Interviews mit Nutzern von Internet-Foren mögliche Ursachen der Motivation herausgefunden werden, in einem solchen Forum kommunikativ aktiv zu werden. Genauer soll es um die Motivation derer gehen, die auf Kommunikationsanschlüsse in Form von problemorientierten Fragen mit entsprechend antwortenden eigenen Beiträgen anschließen, also anderen Foren-Nutzern bei konkreten Fragen helfen und Lösungsstrategien anbieten. Denn es ist zu beobachten, dass in einem Forum in der Regel auf eine dort gestellte Frage seitens der anderen Mitglieder des Forums in vielfältiger Weise geantwortet wird. Das Internet-Forum ist demnach ein Medium, in dem verschiedene Nutzer miteinander problemorientiert kommunizieren. Besonders zu betonen ist hierbei, dass die Mitglieder eines Internet-Forums nur vermittels Computer mediatisierter Kommunikation (CMC) miteinander kommunizieren und in Wechselwirkung treten. Es werden also innerhalb eines Internet-Forums Dienstleistungen, in Form von konkreten Hilfestellungen und Bereitstellung relevanten Wissens, erbracht, im Allgemeinen ohne dass sich die Kommunikationsteilnehmer persönlich bekannt sind, da sie nur mittelbaren kommunikativen Kontakt hegen. Darüber hinaus wird keine konkrete Gegenleistung eingefordert, wie es sonst innerhalb des Wirtschaftsystems, wo Dienstleistungen gleichsam als Ware fungieren und daher einem spezifischen Gegenwert entsprechen, üblich ist. Vielmehr konstituiert sich durch diese Kommunikationen dieses spezifische Medium.

Daher versucht diese Arbeit auf Basis theoretischer Vorüberlegungen und Befragungen von Internet-Nutzern, welche sich an den Kommunikationen beteiligen, Typen von motivationalen Grundlagen für die Erbringung solcher Dienstleistungen zu eruieren. Es stehen also die Selektionen der Mitteilung der Kommunikationen (vgl. Luhmann 1996: 191ff.), welche sich in einem Internet-Forum als argumentativer Austausch von Informationen darstellen, beziehungsweise die Vorstellungen und Intentionen eben dieser Foren-Nutzer im Fokus der Untersuchung. Dies soll eine Annäherung an die Frage bieten, ob Internet-Foren als eine Form von Vergemeinschaftung zu verstehen sind. Dementsprechend lautet die zentrale anleitende Forschungsfrage: Aus welchen Motivationen heraus schreiben Mitglieder eines Internet-Forums eigene Beiträge in dasselbe?

2.1 Forschungsstand

Die forschungsthematische Relevanz der Forschungsfrage liegt darin begründet, dass es bisher nur sehr wenige Ansätze gibt, Internet-Foren als spezifische Form der Vergemeinschaftung im virtuellen Raum des Internets zu beschreiben. Die Publikationslage kann demgemäß hinsichtlich dieses spezifischen Problembereiches als dürftig bezeichnet werden. Den theoretisch und methodisch bisher anspruchsvollsten Beitrag zu diesem Problembereich lieferte Stegbauer in „Grenzen virtueller Gemeinschaft – Strukturen internetbasierter Kommunikationsforen“ (Stegbauer 2001). Darin wird der Begriff der Virtuellen Gemeinschaft kritisiert und empirisch eruiert, welche Strukturprinzipien „internetbasierten Kommunikationsforen“ zugrunde liegen. Dabei werden jedoch nicht Internet-Foren untersucht, sondern Mailinglisten, welche auf einer anderen technischen Grundlage basieren. Deshalb lassen sich die Ergebnisse dieser Studie nur bedingt auf die Problematik der vorliegenden Arbeit übertragen. Des Weiteren befassen sich einige organisationssoziologische Studien mit Internet-Foren (Häussling 2005; Wellmann 2003; Hamman 2003). Diese subsumieren jedoch Internet-Foren unter die Gesamtheit aller Kommunikationen im Internet und charakterisieren diese unter dem Netzwerkbegriff. Dem Internet-Forum als spezifischer Kommunikationsraum wird dabei nicht gerecht begegnet. Diese Arbeiten versuchen, wie auch andere, in eher allgemeiner Form soziale Beziehungen im Internet ganzheitlich zu beschreiben und gehen nicht auf die spezifischen Besonderheiten der einzelnen Medien ein (Rößler 1998). Dabei wird sich vor allem mit dem organisatorischen Charakter von Kommunikationsräumen des Internets auseinander gesetzt und insbesondere auch mit der Frage, welche Verbindungen es zwischen virtueller und realweltlicher Vergemeinschaftung bestehen (Heintz 2003; Schelske 2005). Insgesamt lässt sich dabei beobachten, dass den einzelnen Medien innerhalb des Kommunikationsraumes Internet an sich wenig Rechnung getragen wird, sondern eher ganzheitlich versucht wird Kommunikationsformen und ihre Entstehungs- und Wirkungshintergründe zu beschreiben (Ludes/Werner 1997; Neverla 1998; Döring 1999). Bisherige empirische Arbeiten befassten sich umfassend mit den Bedingungen der Internet-Chats und den virtuellen Handlungsräumen verschiedener Formen von Online-Rollenspielen (Turkle 1998; Thimm 2000). Daher soll in dieser Arbeit auch die Besonderheiten der Kommunikationen in einem Internet-Forum herausgearbeitet werden, um einen Beitrag zu dessen Beschreibung zu leisten. Weitere Arbeiten zum Problemgebiet thematisieren die Bedingungen der Identitätskonstruktion im Internet (Turkle 1998; Bahl 1997), das Glaubwürdigkeitsproblem in diesem mittelbaren Raum (Rößler/Wirth 1999; Diekmann/Wyder 2002; Brinkmann/Meifert 2003) und vor allem auch die Möglichkeiten des eLearnings, also der Lehr- und Lernumgebungen im Internet, und dem Zusammenhang mit den Theorien der Informations- und Wissensgesellschaft (Thiedeke 1997).

Eine strukturelle Beschreibung des Mediums Internet-Forum, welche auf dessen spezifische Eigenschaften und den Charakter der Beziehungen der Mitlieder untereinander eingeht, lässt sich jedoch bisher nicht finden. Daher muss in dieser Arbeit zunächst ein theoretischer Rahmen festgelegt werden, unter dessen Gesichtspunkten die Betrachtung des Untersuchungsgegenstandes erfolgt.

2.2 Begriffsbestimmung

An dieser Stelle sollen die zentralen Begriffe der Fragestellung geklärt werden, um dann im nächsten Schritt die Problemstellung der Arbeit explizieren zu können.

2.2.1 Internet-Forum

Ein Internet-Forum ist ganz allgemein ein technisch basierter, thematisch orientierter Diskussionsraum auf der Grundlage des World Wide Web. Das zentrale Prinzip dieser internetbasierten Kommunikationsräume ist, dass jeder Internet-Nutzer sich an den jeweiligen Diskussionen beteiligen kann. Dies bedeutet, dass keine besondere Zugangssoftware von Nöten ist und es auf der graphischen Orientierung des World Wide Web aufbaut. In dieser Hinsicht ist es von ebenfalls als Diskussionsraum zu bezeichnenden Mailinglisten und Newsgroups im Usenet, ein eigenständiges elektronisches Netzwerk, abzugrenzen, da beide diese Vorteile nicht bieten und daher Internet-Foren als deren Weiterentwicklung anzusehen sind. Die Software zum Betreiben eines solchen Forums ist mittlerweile Teil des sogenannten Open-Source-Systems, das heißt dessen Quellcode ist für jeden frei zugänglich und wird als fertige und kostenfreie Softwarelösung angeboten. Dadurch hat sich insbesondere im letzten Jahrzehnt ergeben, dass eine stetig wachsende Anzahl von Themen durch Foren abgedeckt sind, insoweit dass man annehmen kann, dass potentiell zu nahezu jedem möglichen Thema ein entsprechendes Forum im Internet besteht.

Jedes Internet-Forum hat demnach ein bestimmtes Thema aus dem sich meist auch der Name beziehungsweise die entsprechende Internet-Adresse ergibt. Beispielsweise wäre hier das deutsche Soziologie-Forum mit der Adresse www.soziologie-forum.de zu nennen. Dieses Oberthema ist meist noch in verschiedene Unterthemen untergliedert. Die Diskussionen werden dabei in sogenannten Threads geführt. Das sind sozusagen die jeweiligen Diskussionsstränge. Die einzelnen Elemente eines solchen Threads werden als Beiträge bezeichnet. Insgesamt wird diese Struktur graphisch dargestellt. Auf der Startseite eines Forums sind dabei in der Regel die Unterthemen, meist in Verbindung mit dem aktuellsten Beitrag, angeordnet. Auf dieser Startseite findet sich meist auch ein Hinweis auf die jeweiligen Verhaltensregeln innerhalb des Forums, welche in der sogenannten Netiquette zusammengefasst werden.

Der Zugang zu den Foren ist für jeden Internet-Nutzer gestattet, das heißt jeder kann die dortigen Themen nachlesen. Dabei sind die Foren hinsichtlich der Schreibberechtigung zu unterscheiden, das heißt es gibt Foren wo man nur eigene Beiträge schreiben kann wenn man angemeldet ist und andere in welche jeder schreiben kann. Die Kommunikation in den Foren erfolgt asynchron, das heißt die Beiträge erfolgen zeitlich versetzt im Gegensatz etwa zum Chat, der auf einem synchronen beziehungsweise gleichzeitigen Empfangsmodus beruht. Die einzelnen Nutzer melden sich jeweils im Forum mit einem eigenen Benutzernamen an, mit dem auch jeder eigene Beitrag gekennzeichnet wird. Strukturell zu unterscheiden sind dabei Administratoren, welche die technischen Hintergrund steuern und bearbeiten, Moderatoren, welche die Durchführung des Netiquette wahren und einfach Mitglieder hinsichtlich ihrer Eingriffsmöglichkeiten in die Struktur des Forums.

Besonders interessant ist, dass sich die Foren im Verlauf der Entwicklung und Verbreitung des Internets vom ‚Spezialistenmedium’ zum ‚Alltagsmedium’ hin entwickelt haben. Denn während zu Beginn des Internets sich noch vorwiegend Programmierer in Foren ausgetauscht haben und diese daher stark an technischen Themen orientiert waren, sind heutzutage sehr viele Internet-Nutzer an einer Fülle an Themen in den entsprechenden Foren beteiligt. Anzumerken ist außerdem, dass kein einheitlicher Standard für die graphische und strukturelle Gestaltung von Internet-Foren besteht.

2.2.2 Kommunikation

In der vorliegenden Arbeit soll der Kommunikationsbegriff von Luhmann aufgegriffen werden. Er ist definiert als Einheit der dreifach-selektiven Differenz von Information, Mitteilung und Verstehen (vgl. Luhmann 1996: 191ff.). Nur zusammen bilden diese drei Selektionen Kommunikation. Der Akt des Verstehens ist demnach in den Kommunikationsbegriff einbezogen. Verstehen zielt dabei auf das Erkennen der Differenz von Mitteilung und Information und der Auswahl des Anschlussverhaltens ab. Man kann also nur am Anschlusshandeln Erkennen, ob man verstanden wurde oder nicht, wobei dieses Erkennen wiederum eine Anschlusskommunikation darstellt. Dass eine mitgeteilte Information verstanden wurde bedingt ihrerseits also wieder eine Kommunikation. Eine Einzelkommunikation ist daher stets eine anschlussfähige Einheit, wodurch die Einzelkommunikation nur als Element eines kommunikativen Prozesses zu verstehen ist. Dieser ist also seinem Wesen nach selbstreferentiell, das heißt eine Einzel-Kommunikation bedingt eine angeschlossene Einzel-Kommunikation und nur zusammen bilden sie den Kommunikationsprozess.

Kommunikation wirkt in diesem Zusammenhang ausdifferenzierend (vgl. Luhmann 1996: 199f.), da sie koordinierte Selektivität ist und bedarf einer sozialen Situation, um Anschlussentscheidungen zu erwarten (vgl. Luhmann 1996: 204f.). Daher bestimmt Luhmann Kommunikationen als konstituierende Elemente sozialer Systeme (vgl. Luhmann 1996: 225ff.).

Die Kombination der Selektionen von Information und Mitteilung ist laut Luhmann als Handlung aufzufassen. Sie bezieht sich stets auf das soziale System innerhalb dessen die Handlung stattfindet. Handlung ist demnach elementare Einheit der Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung sozialer Systeme aufzufassen (vgl. Luhmann 1996: 240f.). Soziale Systeme bestehen daher „aus Kommunikationen und aus deren Zurechnung als Handlung“ (Luhmann 1996: 240).

Damit angeschlossene Kommunikationen überhaupt einen Kommunikationsprozess bilden können, also eine „temporale Verknüpfung einer Mehrheit selektiver Ereignisse durch wechselseitige Konditionierung“ (vgl. Luhmann 1996: 213) muss eine funktionsspezifische Differenz der Einheiten dieses Prozesses vorgenommen werden. Luhmann unterscheidet daher zwischen Themen und Beiträgen (vgl. Luhmann 1996: 213ff.). Themen ordnen Kommunikationszusammenhänge und ihre Elemente sind Beiträge. Themen überdauern Beiträge und fassen diese zu Sinnzusammenhängen zusammen. Themen regulieren also auch, wer etwas beitragen kann.

Sprache versteht Luhmann als „Medium, dass das Verstehen von Kommunikation weit über das wahrnehmbare hinaus steigert“ (Luhmann 1996: 220). Die Elemente der Sprache sind akustische und optische Zeichen für Sinn. Schrift fungiert dabei als Verbreitungsmedium dieses in Zeichen symbolisierten Sinns.

2.2.3 Dienstleistung

Unter Dienstleistung ist allgemein die Befriedigung eines Bedürfnisses einer Person durch eine andere zu verstehen. In dieser Studie wird der Begriff spezifisch für die Hilfestellung auf eine Fragestellung verwendet. In diesem Sinne versteht sich die Eröffnung eines Threads in einem Internet-Forum als Frage insofern, dass der erste Beitrag eines Threads, also der erste eröffnende Beitrag zu einem bestimmten Thema, eine Kommunikation darstellt. Diese Kommunikation ist, wie oben gezeigt, anschlussfähig, das heißt eine andere Kommunikation kann sich direkt darauf beziehen. Von daher stellt der erste Beitrag eines Threads potentiell eine Aufforderung dar, diesen zu beantworten. Der erste Beitrag kann entweder einen Hinweis auf einen spezifischen Sachverhalt thematisieren, wie zum Beispiel den Hinweis auf ein neu auf dem Markt erschienenes Produkt, oder eine konkrete Frage, wie zum Beispiel ‚Wie kann man am besten ein Fenster streifenfrei putzen?’, darstellen. In beiden Fällen kann darauf spezifisch geantwortet werden. Die angeschlossene Kommunikation stellt in diesem Sinne eine Dienstleistung dar, da sie das Bedürfnis des Threaderöffners nach einer Reaktion befriedigt. Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei vor allem solche anschließenden Kommunikationen, die eine konkrete Hilfestellung auf ein genanntes Problem beinhalten.

3 Vorgehen der Arbeit

Für die Beantwortung der Fragestellung der vorliegenden Arbeit bietet sich die Erhebung und Auswertung qualitativer Daten an, da sie vor allem auf Intentionen und Erwartungen der am Problemfeld der Internet-Foren Beteiligten abzielt. Da der Problembereich stark eingegrenzt und durch theoretische Vorüberlegungen strukturiert ist, wurden die Daten mithilfe Problemzentrierter Interviews erhoben. Das zentrale Anliegen dieses Untersuchungsdesigns ist die Verschränkung von Theoriegeleitetheit und Offenheit, also die Ergänzung von theoretischen Vorüberlegungen mit Themen welche sich im Forschungs- und Auswertungsprozess des empirischen Materials ergeben. Dies soll einerseits eine strukturierte Auswertung der Daten ermöglichen und andererseits den spezifischen Bedingungen des Untersuchungsgegenstands gerecht werden. Aufgrund der Publikationslage ist hierzu zunächst eine deutliche Explikation und Erarbeitung der theoretischen Grundlagen nötig.

Hierzu wird zunächst im ersten Kapitel der theoretischen Überlegungen der Kommunikationsraum Internet untersucht werden. In diesem Zusammenhang soll geklärt werden, inwiefern sich die Bedingungen der Kommunikationen im Internet konstituieren. Dies soll durch eine Beschreibung der Computer mediatisierten Kommunikation erfolgen. Das zweite Kapitel soll aufzeigen wie sich im Internet als medial vermitteltem Kommunikationsraum das Identitätsproblem darstellt und welche Möglichkeiten sich daraus ergeben. Darüber hinaus soll an dieser Stelle erläutert werden, inwiefern Erkenntnisse aus der Anerkennungstheorie und Altruismusforschung auf die Forschungsfrage anwendbar sind. Das darauffolgende Kapitel befasst sich dann mit den Vergemeinschaftungsprozessen im Internet. Wenn angenommen wird, dass die virtuellen Vergemeinschaftungsprozesse analog zu den realweltlichen verlaufen. So liegt es nahe, Internet-Foren als virtuelles Pendant zur sozialen Gruppe aufzufassen. Grundlage für diese Überlegungen ist Udo Thiedekes Text über „Virtuelle Gruppen“ im gleichnamigen Band, der als Basistext für die Erforschung der Vergemeinschaftungsprozesse im Internet anzusehen ist. Jedoch sind die daraus resultierenden Überlegungen spezifisch auf Internet-Foren bezogen mit Zweifeln behaftet wie zu zeigen sein wird.

Diese theoretischen Vorüberlegungen finden im Anschluss Eingang in die Untersuchung des empirischen Materials, in dem Sinne, dass sie thematisch strukturieren und auf die Forschungsproblematik zentrieren. Als empirisches Material werden Interviews nach der Methode des Problemzentrierten Interviews erhoben und ausgewertet werden. Ziel dieser Untersuchung soll dann eine Typisierung der motivationalen Grundlagen zur Erbringung von Dienstleistungen in Internet-Foren sein.

Dabei werden auch die strukturellen Bedingungen von Internet-Foren berücksichtigt. Daher soll neben der Eruierung und Beschreibung von Motivationen an einem Internet-Forum zu partizipieren die vorliegende Arbeit auch ein Ansatz der Beschreibung des Erlebens der genannten Dynamik sein.

4 Das Internet: Dimensionen eines Kommunikationsraumes

Grundsätzlich ist das Internet als ein technisches Phänomen zu beschreiben, welches aus der Verbindung der Computer- und Kommunikationstechnologie hervorgegangen ist (vgl. Kyas 1994). Es ermöglicht die Kommunikation zwischen einer potentiell unbegrenzten Zahl an Computern, welche mit verschiedenen Betriebssystemen ausgerüstet sind. Die Verbindung und damit die Informationsübertragung wird durch das standardisierte TCP/IP-Protokoll ermöglicht und geschieht auf unterschiedlichen Übertragungswegen, wie etwa Glasfaserkabel, Funk und anderen (vgl. Haaß 1997). Die Informationsübertragung ist dabei aufgrund der technischen Voraussetzungen und des dezentralen Netz-Charakters des Internets nicht auf einseitige Wege beschränkt, sondern ermöglicht den direkten Austausch von Information zwischen einer unbestimmten Anzahl an Menschen, welche mittels Computer und CMC am Internet teilnehmen und dadurch gleichzeitig Adressat und Adressant von Informationen sind. Das Internet gestattet also nicht nur Individual-, sondern auch gleichzeitig Massenkommunikation. Es ist damit als Kommunikationsraum zu bezeichnen, der als technische Basis unterschiedliche Medien in Form der jeweiligen Internetdienste, zum Beispiel Email, Chat, Internet-Foren und andere, ermöglicht.[4] Diese Differenzierung zwischen Kommunikationsraum und darin möglicher Medien lässt die jeweils spezifische Betrachtung der einzelnen Internet-Dienste zu (vgl. Greis 2001: 92ff.). Dies ist nötig, da die Dienste sich teilweise erheblich in ihrer Struktur unterscheiden und daher jeweils unterschiedliche Voraussetzungen für mögliche Formen und Inhalte der Vergemeinschaftungsprozesse mit sich bringen. Es wäre demnach nicht der empirischen Wirklichkeit gerecht, das Internet selbst als Medium aufzufassen und damit alle dort denkbaren Vergemeinschaftungsprozesse unter einem einzigen Begriff zusammenzufassen. Um der empirischen Wirklichkeit also entsprechend Rechnung zu tragen, müssen die verschiedenen Internet-Dienste einzeln für sich betrachtet werden, um deren spezifische Form und Inhalt der Vergemeinschaftung reliabel beschreiben zu können.

4.1 Das Internet als Kommunikationsraum

Das Verständigungsmittel der CMC ist verschriftlichte Sprache. Deren inhärente Eigenschaft ist die Herauslösung der kommunizierten Informationen aus der spezifischen Verwendungssituation durch räumliche, zeitliche und personale Trennung. Der kommunizierte Inhalt wird also auf dem jeweiligen Server gespeichert und kann von jedem Nutzer zu jeder Zeit abgerufen werden. Aufgrund der Schriftlichkeit der Sprache kommt es zu einem Verlust des Lenkfeldes, zur Einschränkung des Zeigefeldes und zur Semiotisierung des Malfeldes (vgl. Greis 2001: 159). Anders als in einer face-to-face Situation fehlt demnach die direkte Rezeption des Adressaten, müssen situative Anpassungen der Informationen und nonverbale Unterstützungen, wie etwa Gestik, explizit benannt beziehungsweise umkodiert werden. „Als alleiniger Informationsträger verbleibt die Nachricht selbst“ (Greis 2001: 159). CMC ist folglich problematisch. Denn aufgrund der Tatsache, dass im Internet mittels Computer lokal entgrenzt kommuniziert wird, werden Inhalte anonymisiert. Informationen über den Verfasser einer Nachricht, wie zum Beispiel Geschlecht, Alter, Nationalität, Gestik und sozialer Status, sind nicht bekannt. CMC benötigt als Rahmenbedingung dementsprechend Erwartbarkeit und Normalität, damit Nachrichten problemlos verstanden werden können. Hinzu kommt die potentielle Adressatenoffenheit, dass jede im Internet getroffene Äußerung potentiell von jedem anderen Nutzer gelesen werden kann.

„Dabei lässt sich festhalten, dass die synchronen Medien im Internet ein zwar medial schriftliche aber konzeptionell mündliche Kommunikation ermöglichen“ (Greis 2001: 162). Denn innerhalb dieser synchronen Medien sehen alle Teilnehmer, gleichzeitig was kommuniziert wird und können auch gleichzeitig darauf antworten. Damit wird eine virtuelle Nähe erzeugt, die alle Teilnehmer quasi in demselben physischem Raum zur gleichen Zeit erscheinen lässt, so wie es bei einer face-to-face Situation der Fall ist. Diese Hybridisierung von Schriftlichkeit und Mündlichkeit ist Ursache für rhetorische Schwierigkeiten, weil das Schreiben unter den Konventionen oraler Kommunikation geschieht. So müssen beispielsweise physische Zustände aufgrund der Kompensierung des Verlusts der Malfähigkeit verbalisiert werden. Der Verlust der Zeigefähigkeit wird durch die explizite Adressierung in Form von Voranstellung des Adressatennamens kompensiert.

Aufgrund der Möglichkeit der synchronen Kommunikationen innerhalb dieser Medien stehen die Teilnehmer unter einem gewissen Zeitdruck. Dadurch kommt es zu Verknappungen und Vereinfachungen der Wörter und Sätze. Auf Orthographie wird dementsprechend auch wenig Wert gelegt. Dieser Reflex verstärkt jedoch noch den Eindruck der konzeptionellen Mündlichkeit (vgl. Greis 2001: 163).

Hier zeigt sich die pragmatische Komplexität der CMC, denn Funktion und Bedeutung der kommunizierten Informationen müssen aus dem Kontext erschlossen beziehungsweise explizit verbalisiert angezeigt werden. Hierdurch kommt es zur Tradierung von Abkürzungen und Akronymen, was einerseits die virtuelle Nähe der mithilfe CMC in Wechselwirkung tretenden Personen unterstreicht. Andererseits werden dadurch spezifische Jargons herausgebildet, welche zur inneren und äußeren Abgrenzung von Gruppen beitragen können. In den Bedingungen der CMC selbst stecken demnach schon Voraussetzungen für die Bildung von virtuellen Gruppen.

Auch asynchron ausgerichtete Medien tragen Spezifika von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. So ist laut Greis ein typisches Merkmal von Emails das Zitieren einer erhaltenen Nachricht in der Antwort. „Dadurch wird eine zeitlich versetzte, aber parallel dargestellte Dialogizität erzeugt, die kommunikative Distanz zu überwinden hilft“ (Greis 2001: 164). Auch Newsgroups sind laut Greis grundsätzlich dialogisch angelegt. Auch können orthographische Fehler und Verknappungen, sowie der Einsatz von Emoticons und Akronymen als Ausdruck von Oralität angesehen werden. Die Toleranz hierfür sinkt jedoch mit dem Grad Formalität (vgl. Greis 2001: 163ff.).

Ein weiteres wesentliches Merkmal der Schriftlichkeit der CMC ist der Hypertext. Durch dessen Konzeption wird die lineare Struktur von Text aufgehoben, da Verknüpfungen in dialogisch flexibler Form auf andere Stellen im Dokument selbst oder zu anderen Dokumenten verweisen. Diese Struktur ermöglicht assoziative Sprünge im Gedankengang und zeigt also Züge von Mündlichkeit. Die Texte gewinnen damit eine neue Dimension, da die Verknüpfungen, Hyperlinks oder nur kurz Links genannt, eine zeitliche Orientierung nach vorn implizieren. Da nämlich jeder Leser selbst entscheidet, welchen Links er folgt, wird er zum Co-Autor des fortlaufenden Hypertextes (vgl. Greis 2001: 166f.).

Somit kommt Greis zu dem Schluss, dass die Kommunikation im Internet als „Oszillation zwischen Literalität und Oralität“ (Greis 2001: 169) zu beschreiben ist, da die Literalität des Textes wird aufgebrochen und um Merkmale der Oralität ergänzt wird. Außerdem erzeugt seiner Meinung nach die potentiell sofortige Rezeption und das Verschwinden der Grenze zwischen Wort und Sprechakt im Hypertext eine Gefahr der gedankenlosen Produktivität (vgl. Greis 2001: 171). Die Strukturen der CMC im Internet erlauben also eine beständig fortschreitende Produktion von eigenem Hypertext durch Rezeption der dort geschriebenen Informationen in Verbindung mit dem sogenannten surfen, also dem fortlaufendem Folgen der Verlinkungen.

Ferner konstatiert Greis aufgrund fehlender Fixierungen im Kommunikationsraum Internet eine Ver- beziehungsweise Behinderung der Tradierung von sozialen Praktiken und damit dem Gelingen von Kommunikation (vgl. Greis 2001: 174). Damit sagt Greis, dass es im Internet nicht zu Vergemeinschaftungsprozessen kommen kann. Dieses Argument lässt sich jedoch wiederlegen. Denn Berger und Luckmanns Konzeption einer Wissenssoziologie zufolge geschieht die Ausbildung von intersubjektivem Wissensbestand durch Objektivation von Erfahrungen mithilfe eines Zeichensystems. Auf diese Weise werden Erfahrungen wiederholbar, allen zur Sprachgemeinschaft gehörenden Personen zugänglich und neue Erfahrungen in den Wissensbestand eingliederbar. Sprache dient demnach als Medium zur Tradierung von Wissen (vgl. Berger/Luckmann 2004: 72ff.). Das heißt, die Objektivation von Handlungen durch Zeichen ermöglicht die Tradierung von Praktiken. Da im Internet mithilfe von verschriftlichter Sprache kommuniziert wird, werden also Erfahrungen und Praktiken schriftlich festgehalten. Objektiviert werden sie durch den Rückbezug anderer auf die ursprüngliche Verschriftlichung. Damit können also auch, entgegen Greis’ Behauptung, Praktiken im Internet tradiert werden. Als Beispiel wäre hier der Gebrauch von emotionalen Akronymen, wie ‚LOL’ für laugh out loud, zu nennen. Es lässt sich fast überall im Internet finden und wird von sehr vielen Nutzern gebraucht um eben den Zustand des Lachens auszudrücken.

4.2 Das Internet als Handlungsraum

Im Internet werden auch Handlungen vollzogen. Aufgrund der technisch medialen Struktur des Internets sind sie jedoch rein sprachlich repräsentiert. Weiterhin lässt sich feststellen, dass infolge der Definition des Internets als Kommunikationsraum, alle darin sprachlich repräsentierten Handlungen immer im sozialen Zusammenhang zu betrachten sind. Denn jede sprachliche Äußerung ist im Internet als Text repräsentiert und gewinnt erst durch die Rezeption Anderer an Wirkungscharakter. Beispielsweise wird der Satz ‚Ich verabschiede mich’ innerhalb eines Chats erst dann zur Handlung, wenn ein anderer Nutzer ihn ließt. Würde keiner den Satz lesen können, was nur der Fall sein kann, wenn man sich in einem geschlossenen Chat allein befindet und dieser nach dem Austritt für andere gesperrt bleibt und damit die wesentlichen Strukturmerkmale eines Chats nicht mehr erfüllt, kann man sich von niemandem verabschieden. Die Handlung wäre damit nicht durchführbar. Daher sind alle im Internet sprachlich repräsentierten Handlungen, gemäß Webers Definition, soziale Handlungen, da sie sinnhaft auf Andere bezogen sind (vgl. Weber 1984: §1). Weiterhin werden die Handlungen seitens der anderen Teilnehmer aufgrund der sprachlichen Repräsentation als bereits vollzogen rezipiert. Die Handlungen selbst werden demzufolge nicht nur durch den Handlungskontext, sondern auch durch den medialen Charakter des Internets determiniert. Außerdem ist zu betonen, dass sich der Akteur strukturell aufspaltet, da zum Einen von ihm physisch die Tastatur und Maus bedient wird, um Handlungen anzuzeigen und auszuwählen und zum Anderen der Akteur virtuell auf dem Bildschirm repräsentiert wird. Das kann in Form eines Benutzernamens im Chat, aber auch etwa durch eine detaillierte graphische Darstellung eines Avatars in einem Online-Rollenspiel geschehen.

Handlungen im Internet sind laut Greis wie folgt zu beschreiben: Es stellt Als-Ob-Handeln dar, da aufgrund der Virtualität keine Beeinflussung von physischen Zuständen möglich ist und sie außerdem rein sprachlich repräsentiert sind. Sie unterliegen spezifischen Regeln, wie zum Beispiel einer Netiquette oder den Strukturvorgaben der technisch-medialen Beschaffenheit des Internets. Weiterhin zeichnen sie sich durch Interaktivität aus (vgl. Greis 2001: 198).

Daher unterscheidet Greis zwei Arten von Handlungen im Internet: Die erste bezeichnet er als Aktivierung von Befehlen. Denn die technische Struktur des Internets wird durch Programme und Routinen verwaltet deren Steuerung aufgrund von spezifischen Befehlen erfolgt. Früher geschah dies durch direkte Eingabe der Befehlszeilen. Heute klickt man sich vor allem durch graphische Benutzeroberflächen.[5] Auch die bereits angesprochenen Hyperlinks zählen in diese Kategorie. Die zweite betrifft die sprachlichen Repräsentationen von Handlungen, beispielsweise in Form von Aktionen beschreibenden Akronymen. Sie werden meist aus einer Beobachterperspektive formuliert, so zum Beispiel ‚me kuckt entgeistert’, was der medialen Distanz zum Geschehen geschuldet ist (vgl. Greis 2001: 198).

Insgesamt lässt sich also schließen, „dass sprachliche Äußerungen im Internet Handlungscharakter haben, performativ sind und die intendierten Handlungen in den Äußerungen selbst sich vollziehen“ (Greis 2001: 177).

Darüber hinaus lassen lässt die sprachliche Repräsentation der Handlungen deren Speicherung zu, was wiederum eine De-Kontextualisierung derselben ermöglicht. Es können also Handlungen zu einem späteren Zeitpunkt nachgelesen oder aber deren Text in andere Zusammenhänge eingefügt werden. Dadurch wird die Trennung von Handlung und Handelndem innerhalb der CMC deutlich.

Weiterhin stehen die Handlungen im Internet „ständig in der Spannung zwischen dem Status von Probierhandlungen von Seiten des Handelnden und ihrer Negation von Seiten des Adressaten“ (Greis 2001: 202). Denn eine Handlung kann jederzeit wieder rückgängig gemacht werden, zum Beispiel indem man anfügt ‚Es war nicht so gemeint’ oder ‚Da hab ich mich falsch ausgedrückt’. Jede Handlung im Internet ist daher potentiell reversibel. Auch kann eine Handlung seitens des Adressaten sprachlich negiert werden, zum Beispiel indem sie konterkariert oder ignoriert wird. So wäre zum Beispiel folgende Situation innerhalb eines MUDs denkbar: Spieler A schreibt ‚Figur A ersticht Figur B mit einem Dolch’, woraufhin Spieler B schreibt ‚Der Dolch kann jedoch nicht die Rüstung der Figur B durchdringen’ und somit die Handlung des Tötens negiert.

4.3 Das Internet als virtueller Raum

Nach der Betrachtung der strukturellen Bedingungen von Kommunikation und Handlung im Internet sollen nun die Besonderheiten der räumlich-zeitlichen Struktur des Internets selbst fokussiert werden.

Zunächst ist hierbei festzuhalten, dass sich Virtualität nur schwer begrifflich fassen lässt, denn er entzieht sich seinem Wesen nach einem systematischem Zugriff. Oft wird daher das Internet metaphorisch als ‚Cyberspace’[6] oder ‚Raum aus Daten’ beschrieben. Diese Ansicht betont vor allem die physische Trennung von Körper und Akteur und die begehbare Grenzenlosigkeit eines Raumes aus Möglichkeiten (vgl. Greis 2001: 211). Das Internet ist daher eher als prävirtueller Raum anzusehen, da ihm die Möglichkeit der Immersion, also dem physischen Eintauchen in eine Parallelwelt, fehlt. Dennoch zeigt es Züge von Virtualität. „Der einzelne User ist befähigt, räumliche, zeitliche, körperliche und sprachliche Restriktionen zu überschreiten. Gleichzeitig bleibt er jedoch über seinen Körper immer eingebunden in Zeit und Raum“ (Greis 2001: 219). Das Attribut virtuell beschreibt daher eher die Erfahrungen im Internet als die CMC selbst.[7] Denn Kommunikation im Internet können sich nicht auf eine gemeinsame räumliche und zeitliche Umwelt der durch sie konstituierten sozialen Systeme beziehen. Das Internet ist demnach nicht zeitlich und räumlich verortbar.

4.4 Zusammenfassung: Die Problemdimensionen des Internets

Fasst man nun die Befunde aus den obigen Betrachtungen zusammen ergibt sich folgende Reihe von Merkmalen, welche dem Kommunikationsraum Internet zugeschrieben werden können (vgl. Greis 2001: 217f.):

- Entörtlichung, da die persönliche Präsenz überflüssig ist und damit potentiell die ganze Weltbevölkerung miteinander vernetzt ist.
- Entzeitlichung, da die Kombination aus asynchronen und synchronen Medien die Orientierung an die Weltzeit überflüssig scheinen lässt. Im Internet ist immer jemand da und „man kann jeder Zeit überall virtuell präsent sein“ (Greis 2001: 218).
- Entkörperlichung, da virtuelle personae allein auf Beschreibungen beruhen.
- Oszillation zwischen Literalität und Oralität
- Performatisierung nicht-performativer Sprechakte, denn Handlungsbeschreibungen wirken als Handlungen.
- Instrumentalisierung non-verbaler Ausdrucksmöglichkeiten, da sie nicht spontan geäußert werden können und durch die Bedingungen der CMC eingeschränkt sind.
- Substitution des Realen, da das Internet durch Zeichen vermittelt ist, die eine Wirklichkeit simulieren und damit Grenzen zwischen wahr und falsch verwischen lassen. Zudem ist die Referenz der Zeichen negiert.

Thiedeke formuliert diese Merkmale der Kommunikationsraums Internet zusammenfassend: „Mitteilungsmedien bewirken im Kontext der sozialen Kommunikation mehr als nur die instrumentelle Erweiterung der Kommunikationsmöglichkeiten, indem sie Informationen in kurzer Zeit über große räumliche Distanzen transportieren, oder den Kontakt nichtanwesender Kommunikationsteilnehmer sicherstellen. Sie lassen, bedingt durch ihre Operationsweise, den kommunikativen Kontakt zur physikalischen und sozialen Realität mittelbar werden. Die kommunizierbare Wirklichkeit wird durch sie von den unmittelbaren Quellen der Information abgelöst und in eine virtuelle Form gebracht“ (Thiedeke 1997: 319).

In Bezug auf die Problemstellung der vorliegenden Arbeit ist damit ist nun der Kommunikationsraum Internet beschrieben, innerhalb dessen die im Fokus stehenden Handlungen, in Form von sprachlich repräsentierten Dienstleistungen, stattfinden.

Wenn Handlungen als wissentlich-willendes Tun bezeichnet werden, dann stellt nun sich die Frage, welche Motivation dessen, der sein Wissen und Willen in die Handlung einbringt, zu Grunde liegt. Anders ausgedrückt: Welche Zielantizipationen verbindet der jeweilige Akteur mit der konkreten Handlung des Helfens beziehungsweise Hilfeanbietens innerhalb eines Internet-Forums beziehungsweise welche Selektionen von Mitteilung liegen den Kommunikationen zugrunde?

Folgt man der Argumentation Greis’ dann stellt man zunächst fest, dass im Internet Handlungen unter einem akuten Authentizitätsproblem stehen. Denn aufgrund des medialen Charakters dieses Kommunikationsraumes ist die Nachricht der alleinige Informationsträger, womit sie sich vom Adressanten loslöst (vgl. Greis 2001: 172f.). Damit stellt sich die Frage, ob zum Beispiel die Selbstbeschreibung eines Forum-Teilnehmers auf dessen zugehöriger Profilseite tatsächlich der Wahrheit entspricht. Virulent wird dieses Problem dann, wenn dieser Teilnehmer sich als Experte in bestimmten Fragen und Themen darstellt und daraufhin einen Beitrag in das Forum schreibt, der den Anspruch hat einem anderen Nutzer bei dieser bestimmten Fragestellung weiterzuhelfen[8]. Das ist besonders problematisch, da die sprachlich repräsentierten Handlungen im Kontext von Kommunikationen, also unter wechselseitigem Bezug, vollzogen werden. Zudem besteht ein Verantwortungsproblem, da Handlungen im Internet aufgrund der Bedingungen der CMC nicht per se zuschreibbar sind. Die Handlung wird nämlich durch deren sprachliche Repräsentation vom Handelnden losgelöst. Verantwortung muss hier also übernommen werden, um anzuzeigen, dass ein Akteur die Handlung sich selbst zurechnet und damit als seine eigene Handlung betrachtet. Das lässt ihn zudem authentisch erscheinen (vgl. Greis 2001: 219). Ist nun eine Handlung einem spezifischen Akteur zurechenbar und authentisch, können sich andere Akteure direkt auf ihn sinnhaft beziehen. So können aus den diffusen Interaktionen innerhalb der CMC schließlich Beziehungen entstehen, welche durch aktiven Bezug der Akteure untereinander gekennzeichnet sind. Denn nach Webers Definition sind soziale Beziehungen durch wechselseitiges auf den jeweils Anderen bezogenes sinnhaftes Handeln, also soziales Handeln, gekennzeichnet (vgl. Weber 1984: §3).

[...]


[1] mittlerweile ist das Internet nicht mehr ortsgebunden an durch Kabel verbundene statische Rechenmaschinen, sondern kann auch durch andere tragbare technische Zugangsmöglichkeiten wie etwa dem Mobiltelefon quasi potentiell überall abgerufen werden

[2] Der Zugang zum Internet steht per se zwar allen Menschen offen, wird jedoch faktisch durch den Zugang zu internetfähigen Computern reguliert

[3] Dies ist umstritten, da einige Autoren behaupten, dass man sich gar nicht passiv innerhalb dieses medialen Raumes bewegen kann, da speziell im Internet (beispielsweise durch den Hypertext) die vorgegebenen Strukturen die Handlungen bestimmen und wiederum die Handlungen die Strukturen; vgl. Thiedeke 2003

[4] Hierbei ist zu diskutieren, ob das Internet selbst und bereits auch schon der einzelne Computer als Medium anzusehen ist. Vgl. hierzu die Darstellung der verschiedenen Positionen in Greis 2001: 88-94

[5] Die Benutzeroberflächen, zum Beispiel der Browser, lassen zwar einen einfacheren Zugang zur Software zu, jedoch werden damit die Programmroutinen immer untransparenter, was vor allem bei der Fehlersuche hinderlich ist, weil man nicht mehr weiß, welche technischen Vorgänge man eigentlich mithilfe der Software gesteuert hat. Weiterhin ist zu bemerken, dass somit die technischen Vorgaben die Handlungsmöglichkeiten einschränken. Vgl. hierzu Thiedeke 1997

[6] Dieser Begriff geht auf eine zentrale Erwähnung in Wiliam Gibbsons Roman „Neuromancer“ zurück

[7] hieran schließen sich Diskussionen darüber, ob Handlungen im Internet reell sind (Bsp. „Rape im MUD“)

[8] Diskutiert wird dieses Problem vor allem in Bezug auf die sogenannten Wiki’s. Das sind Textsammlungen im Internet mit enzyklopädischem Anspruch, deren Beiträge von den Nutzern selbst geschrieben werden und damit unter dem Verdacht stehen, potentiell falsche Aussagen zu verbreiten und Fakten falsch darzulegen. Vgl. Rößler/Wirth 1997

Ende der Leseprobe aus 84 Seiten

Details

Titel
Motivationale Grundlagen für die Erbringung von Dienstleistungen in Internetforen
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Soziologie)
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
84
Katalognummer
V146508
ISBN (eBook)
9783640572915
ISBN (Buch)
9783640572588
Dateigröße
672 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
problemzentriertes Interview, Virtuelle Gruppen, Kommunikationsraum Internet, Identität im Internet, Virtuelle Vergemeinschaftung, Internetforen, Internet, Wissensgesellschaft, Qualitative Sozialforschung, Web 2.0, Soziale Netzwerke, Social Media, Netzidentität, computervermittelte Kommunikation, Dienstleistung, Motivation, Communities, Online-Community
Arbeit zitieren
Mirco Hähnel (Autor:in), 2008, Motivationale Grundlagen für die Erbringung von Dienstleistungen in Internetforen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146508

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