Herbert Marcuse, "Triebstruktur und Gesellschaft" und die 68er Bewegung


Seminararbeit, 2006

15 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Triebstruktur und Gesellschaft
2.1 Die Befreiung vom Leistungsprinzip

3. Die Begeisterung der Studenten für Marcuse

4. Resümee

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Herbert Marcuse hat sich wie kaum ein anderer Theoretiker oder Philosoph seiner Zeit mit den internationalen Studentenbewegungen der 60er Jahre identifiziert und sich bemüht, ihnen einen theoretischen Rahmen zu geben.1 Darüber hinaus, und somit ganz im Gegensatz zu Adorno oder Horkheimer zum Beispiel, die, ebenso wie Marcuse, führende Köpfe der Frankfurter Schule waren, scheute Herbert Marcuse nicht neben dem Konstruieren theoretischer Gerüste auch den Versuch praktische Handlungsanleitungen zu formulieren. Von ihren Lehrmeistern erhofften sich die Studenten Hilfen und Anregungen für die Praxis. Nach solchen Hinweisen wie denn nun die neuen, revolutionären Konzepte zu verwirklichen seien, hungerten die Studentenbewegungen vor allem in Deutschland geradezu. Doch gerade damit konnten oder wollten die Altmeister der Kritischen Theorie, wie eben zum Beispiel Adorno, nicht dienen. Wie stark das Bedürfnis nach konkreter Handlung in Deutschland war, und wie sehr sich im Gegenzug eine Abneigung gegen alles, was diesem Drang nach Aktion widersprach entwickelte, lässt sich aus Marcuses Worten während einer Rede in Amerika entnehmen, in welcher er kurz auf die Studentenbewegung in Deutschland zu sprechen kommt und da meint, dass von den Studenten ständig konkrete Aktion verlangt wird und alle Gespräche, Diskussionen oder theoretische Anstrengungen abgelehnt werden.2

Entscheidend beeinflusst haben die Studentenschaft vor allendingen die Bücher Marcuses „Triebstruktur und Gesellschaft“, „Der Eindimensionale Mensch“ sowie seine Schriften zur repressiven Toleranz. Vor dem Hintergrund des Bestrebens der Studenten einen neuen, freien Lebensstil zu etablieren und sich frei zu machen von alten und repressiven Einschränkungen, strebten sie in der Folge auch nach einem Überwinden überkommener Moralvorstellungen im Bezug auf das Sexuelle. Da wir uns im Rahmen des Seminars vornehmlich mit dieser Komponente der 60er, speziell der 68er, befassten, wird auf „Triebstruktur und Gesellschaft“ ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Dieses Buch Marcuses, welches einen nicht geringen Einfluss auf die Studentenbewegung hatte, beschreibt in einem philosophischen Versuch der Neuinterpretation der Thesen Freuds, wie alle Kultur bis zum heutigen Tage ihrem Wesen nach unterdrückend ist, warum sie es ist und wie man womöglich einen Ausweg aus dieser Unterdrückung zu finden vermag. Darüber hinaus ist das ganze Thema der Kultur, und der Unterdrückung durch sie, untrennbar gekoppelt mit der individuellen Freiheit, und hier ganz besonders mit der Freiheit, oder eben Unfreiheit, der Triebe und der Bedeutung dieser.

Vornehmlich wird sich diese Arbeit also befassen mit den Thesen aus „Triebstruktur und Gesellschaft“, woraus ersichtlich werden wird weshalb Marcuse, und speziell dieses Werk von ihm, bei den Studenten eine so weite Rezeption fand. Abschließend wird die These einer „freien Gesellschaft“ nach Marcuse untersucht werden, welche definitiv eine der wichtigsten Ideen war für die Studenten. Meine Hauptquelle wird zu diesem Zwecke „Triebstruktur und Gesellschaft“ selbst sein, sowie ebenfalls von Herbert Marcuse: „Nachgelassene Schriften Band 3 - Philosophie und Psychoanalyse“, und „Nachgelassene Schriften Band 4 - Die Studentenbewegung und ihre Folgen“. Außerdem werde ich mich auf folgende Literatur stützen: Gilcher-Holtey, Ingrid:

„Die 68er Bewegung“; Koenen, Gerd: „Das rote Jahrzehnt“, und Kraushaar, Wolfgang: „1968“.

2. Triebstruktur und Gesellschaft

„Triebstruktur und Gesellschaft - Ein Philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud“ trägt von Anfang bis Ende die Form einer sich logisch gliedernden Argumentation, daher ist es notwendig zunächst dem grundlegenden Gedankenverlauf zu folgen, da die einzelnen Teile sonst vollständig aus dem Zusammenhang gerissen erscheinen würden. Zudem wird über weite Teile in Termini der psychoanalytischen Thesen Freuds gesprochen, bzw. bilden diese Thesen selbst die Grundlage, was eine Erklärung derselben erforderlich macht. Marcuse war der Ansicht, dass Freuds Entwicklung seiner psychoanalytischen Begriffe einer erneuten Untersuchung bedarf, und zwar nicht so sehr auf deren Gehalt im Sinne der Psychologie hin, sondern es ging ihm vielmehr darum ihre eigentliche politische und soziologische Substanz zu ergründen. Bevor man an den Versuch wagen kann, die Idee einer Kultur ohne Unterdrückung zu formulieren, muss sich vorher angeschaut werden was denn Kultur überhaupt ist, und warum sie schon ihrem Wesen nach, sowohl in der heutigen, als auch in jeder vorangegangenen Ausprägung, unterdrückend sein muss. Nach Freud ist die individuelle Freiheit kein Kulturgut, denn: „ Das Glück muss der Disziplin der Arbeit als Volltagsbeschäftigung untergeordnet werden, der Disziplin der monogamen Fortpflanzung, dem geltenden System von Recht und Ordnung. Die methodische Aufopferung der Libido, ihre strikt erzwungene Ablenkung auf sozial nutzbringende Tätigkeiten und Ausdrucksformen ist Kultur.“3 Grundlegend ist Marcuse jedoch der Ansicht, dass es eine Alternative geben kann, wenngleich sie auch nur durch eine ursprünglich repressive Kultur herbeigeführt zu werden vermag, wenn diese einen ausreichend hohen Stand des Fortschritts erreicht hat. Aber um zum Gedanken der Befreiung zu gelangen, muss zunächst einmal erläutert werden woraus bzw. wovon es sich zu befreien gilt, nämlich von der Herrschaft des Leistungsprinzips, welches unsere allgemeingültige Form des Realitätsprinzips darstellt.

Grundlegend ist jeder Mensch seinem eigentlichen Wesen nach von zwei Haupttrieben geprägt, von Eros und Thanatos. Eros kann als der allgemeine Lebenstrieb umschrieben werden, der nach angenehmer Lusterfüllung strebt und dabei alle anderen Teiltriebwünsche einschließt. Die stärkste Ausprägung des Lebenstriebes findet sich zwangsläufig in der Sexualität, wobei unter Sexualität hier ursprünglich nicht die Fixierung auf die genitale Sexualität verstanden wird, sondern schlichtweg jede lustvolle Empfindung. Thanatos hingegen ist der Todestrieb der dem Menschen innewohnt, und danach strebt die Dinge, inklusive dem Menschen selbst, in einen anorganischen Zustand zurückzuführen, weil sich laut Freud die Psyche unterschwellig daran erinnere, einmal frei von jeder Versagung gewesen zu sein, und zu diesem Zustand möchte sie durch Auflösung zurückkommen. Der Todestrieb kann sich sowohl nach innen in Form von Selbsthass oder Ähnlichem äußern, als auch nach außen im Sinne einer Aggression und eines destruktiven Triebes. Eros und Thanatos sind die beiden Urtriebe, von welchen alle anderen Triebe, gleich in welcher Ausprägung, lediglich Partialtriebe darstellen. Sie streben immer gegeneinander und heben sich dadurch in ihrer zerstörenden Wirkung auf, denn ein ungezügelt befriedigter Eros wäre ebenso vernichtend wie ein ungezügelter Todestrieb. Nun streben diese Triebe Befriedigung als solche und als Selbstzweck in jedem Augenblick an,4 was in jeder Form von Kultur vollkommen unmöglich zu erfüllen ist. Die Erfüllung der Triebe ist das Lustprinzip, jenes Prinzip wonach wir Menschen eigentlich streben. Allerdings zwingt uns die „Lebensnot“ (Ananke), also alle äußeren Umstände und Schwierigkeiten die es zu überwinden gilt, will man am Leben bleiben, uns die Erfüllung unserer Triebe zu versagen, bzw. sie zeitlich hinauszuzögern oder zu modifizieren. Durch dieses Versagen werden nun Energien frei, welche in Arbeit umgewandelt werden. Dieser notwendige Prozess des Ersetzens der augenblicklichen Befriedigung durch aufgeschobene Befriedigung, der Lust durch Unlust, der Freude (Spiel) durch Arbeit (Mühe), bezeichnet Freud als die Umformung des Lustprinzips zum Realitätsprinzip, was die große traumatische Erfahrung des Menschen ist, sowohl jedes Individuums, als auch der ganzen Gattung „Mensch“ an sich.5 Das Individuum erleidet dieses Trauma, indem es als Kind von den Eltern unter das Realitätsprinzip gezwungen wird.

Interessanter für diese Arbeit ist allerdings das Ereignis, welches in der Phylogenese, also in der Entwicklung der Art, dieses Trauma hervorruft, nämlich die Urherrschaft in der Urhorde durch den Urvater. Dieser Vater unterwirft die Söhne unter das Realitätsprinzip, und erzwingt gewaltsam ihren Lustverzicht. Zum einen da er als Oberhaupt das Monopol auf Lustbefriedigung hat und zum anderen damit seine Söhne ihre so freigewordenen Energien auf Arbeit lenken können, bzw.

[...]


1 Kraushaar, 1968, S 141.

2 Marcuse, Die Studentenbewegung und ihre Folgen, S 93.

3 Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft, S 11.

4 Ebd., S 19.

5 Ebd., S 22.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Herbert Marcuse, "Triebstruktur und Gesellschaft" und die 68er Bewegung
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Historisches Institut)
Veranstaltung
"Dynamische Zeiten" - Sexualmoral und kultureller Umbruch
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
15
Katalognummer
V146450
ISBN (eBook)
9783640569830
ISBN (Buch)
9783640570348
Dateigröße
492 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Herbert, Marcuse, Triebstruktur, Gesellschaft, Bewegung
Arbeit zitieren
Thomas Marx (Autor:in), 2006, Herbert Marcuse, "Triebstruktur und Gesellschaft" und die 68er Bewegung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146450

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