Probleme der Wirtschaftsethik

Übersicht über die Geschichte der Ökonomie, die Geschichte der Wirtschaftsethik und die Theorien der Gegenwart


Magisterarbeit, 2000

63 Seiten, Note: 2,00


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1.0. Einleitung

2.0. Verhältnis von Philosophie und Ökonomie aus (philosophie-) geschichtlicher Perspektive
2.1. Geschenke oder vom Mythos zum Logos
2.2. Das Verhältnis von Geist und Geld: antikes Griechenland
2.3. Entwicklung von der Theologie zur Ökonomie: Mittelalter, Renaissance und Aufklärung
2.4. Zusammenfassung

3.0. Geschichte der Ökonomie
3.1. Adam Smith
3.2. Neoklassische Ökonomie

4.0. Ursprung und Ausgangstheoreme der Wirtschaftsethik
4.1. Verantwortungsethik (Hans Jonas)
4.2. Utilitarismus (Koslowski, Amartya Sen)
4.3. Gerechtigkeit (John Rawls)
4.4. Der Kommunitarismus (Walzer, Francis Fukujama, Amitai, Etzioni)
4.5. Die Diskursethik (Habermas, K.-O. Apel)

5.0. Zusammenfassung

6.0. Probleme der Wirtschaftsethik in Deutschland
6.1. Thematische Einlaßstellen von Wirtschaftsethik
6.1.1. Weltbild und Rolle der Wissenschaften
6.1.2. Ökonomismus
6.1.3. Menschenbild
6.1.4. Kultur
6.1.5. Marktwirtschaft
6.2. Verschiedene theoretische Auffassungen von Wirtschaftsethik
6.2.1. Vernunftethik statt Reparaturethik
6.2.2. Motivationale Klugheitsethik (Meran)
6.2.3. Tauschgerechtigkeit als Grundlage der Wirtschaftsethik (Höffe)
6.2.4. Institutionalismus und Verständigungsethik (Katterle)
6.2.5. Betriebswirtschaftliche und systemtheoretische Ethikauffassung (Wieland)
6.2.6. Integrative Wirtschaftsethik (Ulrich)
6.3. Zusammenfassung

7.0. Philosophische Betrachtung und kritischer Ausblick

Literaturverzeichnis

1.0. Einleitung

Philosophie und Ökonomie gelten heute als Gegensätze, wobei der Philosophie der Charakter einer wirtschaftlichen (und damit generellen) Nutzlosigkeit seitens Ökonomie und Gesellschaft zugeschrieben wird. Dabei reichen die Spuren des spannungsreichen Verhältnisses zwischen der Philosophie und der Ökonomie bis in die Zeit des antiken Griechenlands zurück. Thales v. Milet, Anthistenes, Platon, Aristoteles, Thomas v. Aquin, Leibnitz, Hobbes, Rousseau, Marx sind nur einige der Philosophen, deren Gedankengut man mit der Ökonomie in Verbindung bringen kann. Trotzdem hat es eine eigenständige Philosophie der Ökonomie nicht gegeben. Wirtschaftsethik, die heutige Form, das problematische Verhältnis zu thematisieren, versteht sich daher auch eher als Kritik oder als Hinweis auf unerledigte Aufgaben der Ökonomik sowie einer Suche nach einer theoretischen Alternative, die zu einem Ausweg aus dem Dilemma führen könnte. Die ursprünglich in Amerika im Zuge der Watergate-Skandale entstandene Disziplin tritt in Deutschland in modifizierter Form ungefähr seit 1990 in Erscheinung. Die spezifische deutsche Ausprägung von Wirtschaftsethik manifestiert die Reaktion auf Orientierungslosigkeit durch das Wegbrechen alter Ideale in der Zeit der "Wende". Das Verschwinden des kommunistischen Gegenpols zum Kapitalismus sowie die rasanten Auswirkungen der Globalisierung fokussieren sich in entsprechenden Theorien, so daß die Frage nach der Funktion der deutschen wirtschaftsethischen Theorien innerhalb einer Wechselwirkung von geistigen Produkten und Lebensumfeld akut wird. Ziel meiner Arbeit ist es, die einzelnen wirtschaftsethischen Ansätze (insbesondere die deutsche Ausprägung) darzustellen, um sie einer Diskussion in Hinblick auf meine o. g. Thesen zugänglich zu machen. Eine mittlerweile existierende Flut von wirtschaftsethischen Publikationen macht eine Selektion unumgänglich. Daher stütze ich mich in dieser Arbeit bezüglich der deutschen Wirtschaftsethik hauptsächlich auf die St. Gallener Beiträge zur Wirtschaftsethik der Jahre 1990 und 19941, weil sich meines Erachtens hier alle gängigen Theoreme dokumentieren. Zur sinnvollen Eingrenzung des Themas stütze ich meine Untersuchung lediglich auf die Arbeiten von Philosophen, Soziologen und Betriebswirtschaftlern, soweit deren Ansätze aufeinander bezogen sind. Auf die entsprechenden Theorien der Theologen habe ich verzichtet, weil für meine These hier keine weitergehenden Aufschlüsse zu erwarten sind, zumal die Positionen der Kirchen seit Thomas von Aquin gewissermaßen bekannt sind.

Der erste Teil meiner Arbeit lenkt den Blick auf die (philosophie-) historische Perspektive des Verhältnisses von Philosophie und Ökonomie, um meine These zu untermauern, daß Philosophie nicht im luftleeren Raum entsteht, sondern sich in bezug auf das Lebensumfeld generiert, wobei die ökonomischen Verhältnisse einen möglichen Bezug darstellen. Die Wirtschaftsethik wäre nach dieser Maßgabe ein Ausdruck des heutigen diesbezüglichen Verhältnisses, an dem man den geistigen Zustand unserer Zeit ablesen kann, weil sich das philosophische Vermächtnis anhand der ökonomischen Problemkette entlang generiert.

Der zweite Teil meiner Arbeit dient dazu, die historische Herleitung der ökonomischen Theorie sowie das Entstehen der Wirtschaftsethik (in den USA und England) knapp darzustellen. Die Kenntnis dieser Ursprünge sind für das Verständnis des Phänomens der deutschen Wirtschaftsethik unumgänglich notwendig.

Im dritten Teil soll eine Darstellung der deutschen Wirtschaftsethik gegeben werden, die sich als Kritik an bestehenden Verhältnissen (ökologische und soziale Folgen ökonomischen Handelns) versteht. Dabei habe ich mich für eine thematische Zweiteilung entschieden, die eine Beleuchtung der behandelten Problematik aus unterschiedlichen Perspektiven ermöglicht. Dies erschien mir notwendig im Hinblick auf die Tatsache, daß die Folgen ökonomischen Handelns, die erst das Entstehen der Wirtschaftsethik notwendig machen, unterschiedlichste Bereiche (nicht nur Theorie und Praxis) betreffen. Zum einen stelle ich die Probleme der deutschen Wirtschaftsethik dar anhand der unterschiedlichen thematischen Einlaßstellen (z.B. Menschenbild, Ökonomismus, Kultur, Wissenschaft, Weltbild und Marktwirtschaft) und zum anderen anhand der verschiedenen theoretischen Auffassungen (Reparaturethik, Vernunftethik, motivationale Klugheitsethik, Institutionalismus, Verständigungsethik, integrative Wirtschaftsethik, betriebswirtschaftliche und systemtheoretische Ethikauffassungen sowie Tauschgerechtigkeit als Grundlage für Wirtschaftsethik). Hierbei zeigt sich schon jetzt, daß es keine einheitliche, allgemeingültige Auffassung von Wirtschaftsethik geben kann.

Im vierten Teil der Arbeit sollen die Ergebnisse dieser Untersuchung in philosophischer Hinsicht diskutiert werden. Dabei ist u.a. zu klären, welche Schlußfolgerungen insbesondere aus der deutschen Wirtschaftsethik für das Verhältnis zwischen Philosophie und Ökonomie, unter Berücksichtigung meiner These, zu ziehen sind und ob Wirtschaftsethik eine Alternative zu ungültig gewordenen Orientierungsmustern (z.B. Abschied von der Nationalökonomie durch die Globalisierung) darstellt.

Angemerkt werden muß hier noch, daß in den wirtschaftsethischen Publikationen eine permanente Verwechslung der Begriffe Ethik und Moral vorkommt, was ich im Darstellungsteil ebenso unkommentiert übernommen habe wie die Verwendung von Vernunft- und Rationalitätsbegriffen usw., die eher alltagssprachliche Verwendung als philosophische Auffassung wiedergeben.

Außerdem muß in dieser Arbeit aus Platzgründen eine Berücksichtigung von Unternehmensethik sowie Alternativen von Wirtschaftsethik in Form von Umweltethik oder einem Biologismus unterbleiben. Wegen der unüberschaubaren Menge von wirtschaftsethischen Publikationen kann aber ohnehin kein Anspruch auf Vollständigkeit in meiner Untersuchung erhoben werden.

2.0. Verhältnis von Philosophie und Ökonomie aus (philosophie-) geschichtlicher Perspektive

Anstelle einer Legitimation für die philosophische Beschäftigung mit der Ökonomie bietet es sich an, einen kurzen Blick in die Geschichte zu werfen und einige der Passagen zu beleuchten, in denen sich eine bemerkenswerte Begegnung von Philosophie und Ökonomie folgenreich manifestieren konnte.

2.1. Geschenke oder vom Mythos zum Logos

In der Kulturgeschichte der Menschheit findet sich bis in die früheste Zeit hinein die Erwähnung von Tauschverhältnissen. Es gibt bei allen Völkern in der frühen Menschheitsgeschichte einen festen Kodex der Austauschbeziehungen durch Geschenke. Malinowski und andere Ethnologen haben uns über diese Ökonomie der Freundschaft, d.h. ein lebendiges und auf Gegenseitigkeit angelegtes Ritual des organisierten Austausches in den frühen Entwicklungsphasen der Menschheit belehrt. Der Austausch findet häufig bei gegenseitigen Besuchen und kollektiven Festen statt und betrifft Güter, Worte, Symbole und Hochzeitspartner. Geschenke bewahren nicht nur die geistige Kraft des früheren Eigentümers (z.B. bei den Polynesiern), was das Problem des falschen Gebrauchs (religiöses Risiko) entstehen läßt; auch verpflichtet die Gabe zur Gegenseitigkeit und begründet so bereits ungeschriebene Gesetze. In dem bei Malinowski, Frazer und anderen Ethnologen vorherrschenden evolutionären Weltbild einer Entwicklung vom Mythos zum Logos findet eine Gegebenheit besondere Betonung: eine schon frühzeitig feststellbare Emanzipation des wirtschaftlichen Tausches von religiösen Ritualen. Unter einem evolutionistisch determinierten Weltbild wird darüber diskutiert, ob diese Emanzipation des wirtschaftlichen Tausches bereits als ein Merkmal des Logos gelten kann.

2.2. Das Verhältnis von Geist und Geld: antikes Griechenland

Von Thales von Milet (625-545 v. Chr.) weiß man, daß er Kaufmann war. 200 Jahre nach dessen Tod erzählt Aristoteles die folgende Geschichte und charakterisiert damit gleichzeitig das Verhältnis von Philosophie und Ökonomie:

"Man mache ihm (Thales, B.R.) nämlich seine Armut zum Vorwurf, weil man daran sehe, daß die Philosophie zu nichts nütze sei. Er aber soll aufgrund seiner astronomischen Kenntnisse eine gute Olivenernte voraussehen und daher noch während des Winters mit dem wenigen zur Verfügung stehenden Gelde... alle Ölpressen in Milet und Chios gepachtet haben, ohne daß ihn dabei jemand überbot. Als nun aber der rechte Augenblick kam und viele Leute auf einmal und sofort welche brauchten, da verpachtete er sie seinerseits so teuer, als er wollte, und verdiente damit viel Geld. So bewies er, daß es dem Philosophen ein leichtes sei, reich zu werden, wenn er es wollte, aber dies sei nicht das Ziel ihres Bemühens."2

Reiner Otte vertritt die These, daß im antiken Griechenland eine historische Parallelität von Geist und Geld zutage tritt, die auf eine tiefgreifende Transformation der Lebensverhältnisse hindeutet3. Seiner Ansicht nach erscheinen die Philosophen unübersehbar zusammen mit dem Geld auf der Bühne der Weltgeschichte. Thales von Milet wurde zum Zeitzeugen einer neuen Wirtschaftsordnung: der Einführung des Geldes. Die attische Silberwährung bemißt den Reichtum nicht mehr im Besitz von Vieh, Sklaven oder Frauen, sondern in einem abstrakten neuen Medium, das von Solon 594 v.Chr. im Rahmen einer durchgreifenden Wirtschaftsreform auf den Weg gebracht wird. Solons Reformen mildern den Druck der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Bauern ohne Landbesitz und der Bürger, deren Schulden Überhand genommen haben.

Jedoch sind die Fragen nach der Legitimation von Solons politischen Entscheidungen unausweichlich, denn durch die Reformen werden Armut und Reichtum neu verteilt. Hierbei werden Ansprüche vorgetragen, Vorrechte verteidigt und Privilegien gehütet, woraus eine Suche nach Prinzipien entsteht, die die Verhältnisse des Staates ordnen und lenken können. Auch die Philosophen beteiligen sich an den Überlegungen. Trotzdem bleiben seit dieser Zeit die Fragen, wie die Prinzipien der Gerechtigkeit in der Gesellschaft verankert werden können, letztlich bis heute aktuell.

Solon jedenfalls sieht sich in einer bedrängten Position der durch Interessenkonflikt zerissenen Bürger gegenüber. Er fordert schließlich ein Urteil des Olymp: "Und habe ich nicht alles, wofür ich das Volk zusammenschloß, erreicht und bis zum Großen Ziel geführt? Das möge mir vor dem Richterstuhl der Zeit die große Mutter aller Götter im Olymp bezeugen, die schwarze Erde, der ich einst Schuldsteine ausriß, hundertfältig eingepflockt, die vorher eine Sklavin war, jetzt aber frei."4 Sokrates (469-399 v. Chr.) dagegen versucht auf dem Marktplatz durch das Fragenstellen (Mäeutik) die Grundlagen von Tugend, Gerechtigkeit, Wissen, etc. zu klären und schafft sich dadurch bereits Feinde. Sokrates selbst "weiß, daß er nichts weiß" und muß sterben. Jedoch lehnt er die Lehrbarkeit von Tugend und Wissen gegen Geld genauso ab, wie er materielle Güter geringschätzt: "wobei ich sage, daß nicht der Reichtum sittlichen Wert hervorbringt, sondern der sittliche Wert Reichtum und alle übrigen Güter, für jeden einzelnen wie für die Allgemeinheit."5

Die Schule der Kyniker vertritt die These, daß nur die Autarkie (= Unabhängichkeit von äußeren Gütern) sowie die Zurückgezogenheit und Bedürfnislosigkeit ein erstrebenswertes Ziel im Leben darstellt. Antisthenes (444-368 v. Chr.) gibt den Athenern aus gutem Grund den Rat, per Abstimmung die Esel für Pferde zu erklären, da schließlich auch auf diese Weise normale Männer zu Feldherrn gemacht würden.

Als Hintergrund dieser Aktion behauptet Rainer Otte: "Die Normen und Gesetze der Gesellschaft entpuppen sich als hartnäckiges Problem, zu dessen Lösung die führende Hand der Götter oder die klaren Sätze der Naturwissenschaft nicht hinreichen. Immer wieder stellt sich die Frage, wie sicher das Grundgerüst des sozialen und politischen Übereinkommens trägt. Angefacht wird diese Debatte nicht zuletzt durch die Etablierung der Geldwirtschaft."6

Derweil (ca.450 v. Chr.) hat Athen alles Silber und sogar den Schatz des Delphischen Bundes ausgemünzt. Mit der so geschaffenen Geldmenge wurde das Bauprogramm der Akropolis bezahlt. Der Wirtschaftswissenschaftler Michael Hutter kommentiert dazu: "Nicht das Handelsvolumen geläufiger Güter hatte also die Schöpfung eines angemessenen Zahlungsmittels erfordert. Ein Zahlungsmittel konnte vielmehr dadurch zum fließen gebracht werden, daß eine geeignete Fremdreferenz - das Bauprogramm erfunden wurde."7

Die Stadt vergibt Gelder für die Teilnahme an Theateraufführungen und Gerichtsprozessen. Dies geschieht nach der Maßgabe von politischen Beschlüssen, die Werte verteilen, aber nicht schaffen. Der Handel liegt derweil in der Hand von Metöken (d.s. ortsansässige Fremde ohne Bürgerrechte), die durch die Ankurbelung der Wirtschaft zu reichen Kaufleuten werden. In dieser Zeit scheidet sich der Wert des Geldes vom Wert der verwendeten Materialien, wodurch ein Übergang vom materiellen zum symbolischen Wert des Geldes stattfindet.8

Platon (427-347 v. Chr.) läßt in seiner Utopie - Republik die Führungsschicht von vorneherein besitzlos sein, um so die o.g. Probleme auszuschließen.

Bei Aristoteles (384-322 v. Chr.), der in der Ökonomie lediglich das Wirtschaften nach Maß und Bedürfnis des Hauses und seiner Mitglieder sieht, dient der Handel lediglich dem Austausch überflüssiger Produkte. Insofern stellt Handel eher eine Ergänzung/Bereicherung der Hauswirtschaft dar und ist nicht eigentliches Ziel des Produzierens. Damit ist die Ökonomie lediglich eng mit den Anforderungen und Bedürfnissen der persönlichen und familiären Lebensgestaltung verknüpft. Geld dient als Bewertungsmittel dem Austausch, damit alles quantitativ vergleichbar ist. "Geld mißt alles und demnach auch den Überschuß und den Mangel ... ohne solche Berechnung kann kein Austausch und keine Gemeinschaft sein."9 Wenn aber die sogenannte "natürliche Erwerbskunst" durch Entstehung des Fernhandels und der Geldwirtschaft gefährdet wird, weil nun Geld zum Sinn und Zweck des Handels wird, dann gibt es ein Problem mit der Tugend und vor allem mit der Gerechtigkeit (nach Aristoteles die vollkommenste Tugend, weil man sie auch gegen andere üben kann). Rainer Otte charakterisiert diesen Zusammenhang nach der nikomachischen Ethik des Aristoteles folgendermaßen: "Nur derjenige führt ein gutes und tugendhaftes Leben, der an sittlich guten Handlungen selber Freude hat. Für seine Glückseligkeit braucht er äußere Güter nur als Hilfsmittel. In der expandierenden Geldwirtschaft vergessen die Bürger, daß Güter Krücken sind und nehmen sie als Podeste ihrer überhand nehmenden Leidenschaften. Aus Gütern des täglichen Gebrauchs werden dadurch Waren, denen der Wertmaßstab des Geldes eingeprägt wird, wie den Münzen auch. Sozialordnungen, die sich darauf gründen, müssen sich dem Problem der Verteilungsgerechtigkeit stellen, denn die Regulierung der Wünsche und Bedürfnisse erfordert politische Klugheit und moralische Integrität."10 Aristoteles verweist in seiner Beurteilung der Geldgier auf die Sage des Midas, der verhungerte, weil gemäß seinem eigenen Wunsch alles was er berührte zu Gold wurde, was bekanntlich schwer verdaulich ist.

2.3. Entwicklung von der Theologie zur Ökonomie: Mittelalter, Renaissance und Aufklärung

Thomas von Aquin (1225-1274) gibt nicht nur den Lehren der Scholastik eine feste Architektur des Glaubens und der Vernunft. Er erstellt auch eine Lehre der Ökonimie, die er stark an die Auffassung Aristoteles anlehnt. Diese Vorstellungen gelten bis heute noch, wie man feststellen kann, wenn man die (moralischen) Positionen der Kirche zu ökonomischen Belangen betrachtet.

Thomas von Aquin rechtfertigt zwar das Privateigentum, legt dem Eigentümer jedoch die moralische Pflicht zur Wohltätigkeit und Nächstenliebe auf11. Als wichtiger Beitrag zur Ökonomie gilt Thomas von Aquins Lehre vom gerechten Preis, d.h. der Wert der Ware ergibt sich aus der Arbeit, den Kosten und der Qualifikation, die zur Herstellung nötig sind. Käufer und Verkäufer müssen gleichermaßen vom Handel profitieren.12 Außerdem ist Thomas von Aquin der Ansicht, daß niemand durch die geschickte Vermarktung von Arbeit und Waren reich werden darf und daß wirtschaftliches Handeln eng an die Stabilitätsvorstellungen der Gesellschaft gebunden ist. Jedoch ist auch Thomas von Aquin davon überzeugt, daß wirtschaftliches Denken dem Seelenheil nicht gerade zuträglich ist und deshalb sollte es nur der Befriedigung der Grundbedürfnisse dienen und nicht etwa der Erfüllung überbordeter Wünsche. Diese Einstellung macht er in seiner Schrift "Über die Herrschaft der Fürsten" explizit.

Die ambitionierten Projekte dieser Zeit sprengten jedoch die moralischen und theologischen Konzeptionen. Beispielsweise werden durch Ablaßbriefe finanzielle Mittel beschafft, um Kathedralen zu bauen. Diese Baustellen, d.h. die Städte und Regionen werden damit zu Kristallisationspunkten der wirtschaftlichen Entwicklung, wobei die überregionale gigantische Kapitalbeschaffung der Geldwirtschaft die entscheidenden Impulse gibt.

Dabei wird seitens der Kirche nicht nur durch die Ablaßbriefe zunehmend die politische und ökonomische Anerkennung der Leistungen aller Beteiligten angeboten. Diese Legitimationen sind das Zeichen des wachsenden Selbstbewußtseins des einzelnen, der Städte und der Stände. Hinzu kommt, daß die Kaufleute im Schutze der Kathedralen Sicherheit vor Räubern und Wegelagerern genießen. Durch eine gleichzeitige Befreiung von der drückenden Steuerlast erlebt die Wirtschaft einen raschen Aufstieg. In diesem ganzen Prozeß verliert die theologische Ordnung ihre Überzeugungskraft und das scholastische Weltkonzept zerbröckelt. "Die Denker, Künstler, Händler und Techniker der Renaissance finden in dem geistigen Bau nicht mehr ihr irdisches behagliches Nest"13. In einer Zeit voller Umbrüche wird letztlich der einzelne Mensch zum Dreh- und Angelpunkt des Weltgeschehens. Es entstehen eine Reihe von Büchern mit Ratschlägen. Darin finden sich auch Idealbilder des Kaufmanns, dessen Tugend in der Verknüpfung von moralischer Integrität und durchsetzungsfreudiger Gesellschaftspolitik besteht, aber auch allgemeine Ratschläge zur Hauswirtschaft und Mitarbeiterführung sind enthalten. Das Idealbild des Kaufmanns heißt: er soll genau Buch führen, sparsam und fleißig sein, die Zeit gut nutzen und die Gunst der Stunde suchen. Leben und Arbeiten mit Methode wird in der Renaissance bald zu einem Lebensstil und "man schlägt Brücken zu vormals getrennten Bereichen der Alltagsgestaltung und der Lebenswelt. Wissenschaftler, Künstler, Handwerker und Händler erobern ihre Lebenswelt und lernen Wissen zu erwerben und Techniken fruchtbar zu machen."14 Dabei wird nun die Perspektive des Individuums zum Mittelpunkt der Weltsicht. Die Konsequenz dieser Entwicklung manifestiert sich in der Philosophie15 und wird als Zäsur im abendländischen Denken samt seinen Auswirkungen aufgefaßt. Eine weitere Auswirkung ergibt sich aus der Flut von Währungen und Maßeinheiten, die in den italienischen Städten der Renaissance herrschte. Will man Handel treiben, muß man ständig umrechnen.

Eine Hilfe bietet dabei der sogenannte Kaufmannsschlüssel, die "Regula di tri" (mit der Formel A:B = C:D). Tatsächlich rechnen auch Künstler wie Leonardo da Vinci auf diese Art die Proportionen ihrer Bilder aus. Hierdurch ergeben sich Parallelen zwischen dem Vorgehen der Künstler und dem der Kaufleute. Regeln bekommen eine Bedeutung für das "exakte Bewerten" im alltäglichen Leben und Machiavelli (t 1527) schreibt sogar die Regeln für den Bereich der gesellschaftlichen Machtausübung neu. Er begreift die Politik nicht mehr als ein Unterkapitel der Moral, sie wird in seinen praktischen Ratschlägen zu einem autonomen Bereich des sozialen Lebens. Die Wirtschaftsförderung wird sogar zu einer Lebensversicherung der Herrschaft, wobei der Fürst statt staatlicher Drangsalierung durch zu hohe Steuern oder Ausbeutung lieber Belohnungen schaffen soll für Handwerk, Handel, Landwirtschaft und anderes Gewerbe, das die Absicht hat, den Wohlstand seiner Stadt oder seines Landes zu vermehren16. Die Überlegungen der Philosophen der Aufklärung, komplettieren die bisher skizzierten geschichtlichen Verbindungen der Philosophie und der Ökonomie. Zu nennen ist hier beispielsweise G.F. Leibnitz, der für eine optimale Abstimmung aller Daseinsbereiche eintritt. "Die erhabene Ordnung der Welt reguliert sich selbst zum Besten des gottgefälligen Lebens"17 Außerdem legen Philosophen, Mechaniker, Handwerker und Naturwissenschaftler ihren Stolz in den Bau von Maschinen. Dies führte letztlich zu einer Anerkennung einer These, die bis auf den heutigen Tag bestimmend ist, nämlich daß alles Geschehen aufgrund einer engen Verknüpfung von Ursache und Wirkung zustande kommt. Eine besondere Rolle spielt hierbei auch Rene Descartes' Erklärung, daß der menschliche Körper wie eine Maschine funktioniert. Seine Vorstellungen der "res cogitans" und der "res extensa" manifestieren eine weitere Zäsur in der abendländischen Geistesgeschichte. Das Maschine-Modell dient dann auch noch als Verständnishilfe für die Komplexität des Wirtschaftslebens, das z.B. der Leibarzt Ludwig des XV., Francois Quesnay, 1758 in seinem "Tableau économique" darstellt.

Hieraus folgen die Überlegungen zum Verhältnis von Mensch zu "Zivilisation" oder zum "Naturzustand" der beiden philosophischen Widerpart Rousseau und Hobbes (Leviathan). Rousseaus Parolen begründen dabei eine wirtschaftsfeindliche Haltung bis auf den heutigen Tag. Nach Hobbes soll die Gewalt eine Angelegenheit des Staates sein, der durch Gesetze zum inneren Frieden verpflichtet ist, auf das Handel und Wirtschaft blühen18. Für die Moralphilosophen der Aufklärung wird letztlich der Gegensatz von Leidenschaften und Verstand festgeschrieben.

2.4. Zusammenfassung

Wie wir anhand der kurzen Ausführungen ablesen können, gibt es in der Geschichte diverse Schnittstellen zwischen Philosophie und Ökonomie, die im Grunde eine eigenständige Untersuchung rechtfertigen würden. Die wirtschaftliche Entwicklung geht von religiös- oder sozialmotiviertem ritualem Tausch von Geschenken in der Frühzeit der Menschheitsgeschichte, über den Austausch von Überproduktionen im antiken Griechenland, bis hin zum regulären Handel seit dem Mittelalter zum Zwecke des eigenständigen Gelderwerbs. Die Etablierung der Geldwirtschaft wird einerseits begleitet von der Suche nach Prinzipien zur Ordnung des Staates (d.h. Normen und Gesetze als Grundgerüst des moralischen und politischen Übereinkommens). Durch den Übergang vom materiellen zum symbolischen Wert des Geldes, wodurch Güter des täglichen Gebrauchs zu Waren werden, denen der Geldmaßstab eingeprägt ist, entsteht das Problem der Sozialordnung und der Verteilungsgerechtigkeit.

Andererseits führt dieser Prozeß zur Auflösung der theologischen und moralischen Ordnung und zur Betonung des Individuums als Mittelpunkt der Weltsicht. Es entsteht die Wahrnehmung einer Dualität (Individuum/Gesellschaft, res cogitans/res extensa, Zivilisation/Naturzustand usw.), und Regeln gewinnen durch ihr exaktes Bewerten eine Bedeutung zur optimalen Abstimmung aller Daseinsbereiche. Die auftauchenden Probleme und Fragestellungen sind bis heute noch nicht zufriedenstellend gelöst. Die Rolle der Politik oder die Frage nach der Gerechtigkeit oder aber das problematische Verhältnis des Menschen zur Moral einerseits und zur Ökonomie andererseits wird uns in der Darstellung der wirtschaftsethischen Debatten weiter beschäftigen.

II

3.0. Geschichte der Ökonomie

Nicht nur seitens der Philosophiegeschichte, die für diese Arbeit als bekannt vorausgesetzt werden kann, gibt es bedenkenswerte Gesichtspunkte für die Thematik der Wirtschaftsethik. Wichtiger für das Verständnis des heutigen Dilemmas, das die Beziehung zwischen Wirtschaft und Ethik kennzeichnet und somit erst die Grundlage für die "Wirtschaftsethik" bildet, ist die Geschichte der ökonomischen Theorie. Auch wenn eine genaue und sorgfältige Darstellung an dieser Stelle nicht vorgenommen werden kann, müssen die wichtigsten ökonomiegeschichtlichen Theorien kurz beleuchtet werden, da weite Teile der wirtschaftsethischen Diskussion sonst unverständlich blieben.

Die Wurzeln der Ökonomik liegen in der Philosophie. Die englische Aufklärungsphilosopie bemüht sich um eine Integration von Leidenschaft und Vernunft.

"Auf ihrem Weg von Graf Shaftesbury zu Adam Smith entdeckt sie, daß die Leidenschaften zu nützlichen Triebkräften werden, die eine neue Dimension des gesellschaftlichen Fortschritts entstehen lassen."19

Anton Ashley Cooper, Graf von Shaftsbury, formuliert in der Schrift " Natur und die Ökonomie der Gattung Mensch" bereits die Idee, daß eine höhere Wahrheit die Geschicke des einzelnen und seiner Gesellschaft lenkt, wobei eine Harmonie in der Lebensführung eigennützige und soziale Motive austariert.

Francis Hutcheson versucht, das eigene Streben nach Glück für schuldlos zu erklären, wenn man anderen nicht schadet, wobei die Abneigung gegen das allgemeine Leid sowie das Streben nach öffentlicher Wohlfahrt verhindert, daß der eigene Vorteil auf Kosten anderer gesucht wird.

3.1. Adam Smith

Adam Smith legt 1759 sein Werk "The Theory of Moral Sentiments" vor. Es geht darin um die Grundmotive menschlichen Handelns, die Smith durchaus im Bestehen der Verbesserung der eigenen Lebensverhältnisse und damit im wirtschaftlichen Wohlergehen sieht. Nach Smith ist der Konflikt zwischen eigen- und gemeinnützigen Interessen gründlich von der Moralphilosophie mißverstanden worden. Er wendet sich gegen die Verurteilung der Selbstliebe, da diese, richtig gelenkt, für die Gesellschaft sehr nützlich sein kann. Ansonsten erklärt Smith den Menschen für ein soziales Wesen, das Kraft der Sympathie seine Gefühle lenkt, was seine Handlung in weit stärkerem Maße prägt als die vernünftige Reflexion. Das "Schicksal" spielt sich deshalb nicht außerhalb des mitfühlenden Beobachters sondern inmitten seiner Gefühls- und Gedankenwelt ab. Die Erkenntnis dessen führt zum Verständnis und damit zur Anerkennung der Selbstliebe des anderen.

[...]


1 Auf der Suche nach einer modernen Wirtschaftsethik: Lernschritte zu einer reflexiven Ökonomie/ Peter Ulrich (Hrsg.)- Bern: Stuttgart: Haupt. 1990 (St. Galler Beiträge zur Wirtschaftsethik: Bd. 4) und Markt und Moral: die Diskussion um die Unternehmensethik- hrsg. vom Forum für Philosophie, Bad Homburg. Siegfried Blasche; Wolfgang R. Köhler; Peter Rohs.- Bern; Stuttgart, Wien: Haupt 1994 (St. Galler Beiträge zur Wirtschaftsethik; Bd. 13).

2 Aristoteles, Politik, zit. n. Aristoteles, Hauptwerke. Hrsg. Wilhelm Nestle. Stuttgart 1977, S. 302.

3 vergl. R. Otte. Der Stachel der Verantwortung, Nachhaltiges Denken und wirtschaftliche Vernunft, Frankfurt/M., 1996, S. 20 f.

4 Solon. zit.n.: Michael Austin, Pierre Vidal-Naquet, Gesellschaft und Wirtschaft im alten Griechenland,München 1984,S. 191.

5 Apologie des Sokrates, Platpn, Reclam,1986,§17, S. 51.

6 R. Otte. Der Stachel der Verantwortung, Nachhaltiges Denken und wirtschaftliche Vernunft, Frankfurt/M., 1996, S. 26.

7 Die frühe Form der Münzen, in Dirk Bäcker (Hrsg.) Probleme der Form, Frankfurt,1993, S. 174.

8 Auf die Frage, welche Wechselwirkung sich durch eine genauere Gegenüberstellung der Wirtschaft des antiken Griechenlandes mit seiner Geistesgeschichte ergibt, kann in dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden.

9 Aristoteles, Nikomachische Ethik. (133 a). Hrsg. Günther Bien. Hamburg 1985, S. 112.

10 R. Otte "Der Stachel der Verantwortung" A.a.O. S. 31.

11 Art.14,2 unseres Grundgesetzes konserviert diese Vorstellung bis in die heutige Zeit.

12 Diese Vorstellungen finden sich im Vertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches wieder.

13 R. Otte, A.a.O. S. 40.

14 R. Otte, A.a.O. S. 42.

15 Die entsprechenden philosophischen Theoreme werden als bekannt vorausgesetzt und sollen an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden..

16 vergl. R. Otte, a.a.O. S. 44.

17 Otte a.a.O., S. 45.

18 Daniel Defoes "Robinson Crusoe" dokumentiert die entsprechenden Theorien sehr anschaulich. Vergl. hierzu auch R. Otte a.a.O. S.50 ff.

19 R. Otte, a.a.O. S. 54.

Ende der Leseprobe aus 63 Seiten

Details

Titel
Probleme der Wirtschaftsethik
Untertitel
Übersicht über die Geschichte der Ökonomie, die Geschichte der Wirtschaftsethik und die Theorien der Gegenwart
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Note
2,00
Autor
Jahr
2000
Seiten
63
Katalognummer
V146377
ISBN (eBook)
9783640572816
ISBN (Buch)
9783640573165
Dateigröße
724 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Dieses Buch ist eine wertvolle Hilfe in der aktuellen Diskussion. Es bietet in kurzer Zeit eine leicht verständliche Übersicht über die Geschichte der Ökonomie, die Geschichte der Wirtschaftsethik und die Theorien der Gegenwart. Zusätzlich werden die Defizite analysiert, die in den Bereichen Menschenbild, Kultur, Weltbild, Marktwirtschaft, im Ökonomismus und in der Rolle der Wissenschaften wirksam sind. Außerdem ermöglicht eine Darstellung verschiedener theoretische Auffassungen von Wirtschaftsethik einen schnellen Überblick und macht dieses Buch zu einem nützlichen Nachschlagewerk.
Schlagworte
Witschaftsethik, Britta Ryschka, Marktwirtschaft, Ökonomismus, gesellschaftliche Werte, IGPP.org, ITCCA, philosolutions.de, Wirtschaftskriese, Finanzkriese, Philosophie
Arbeit zitieren
M.A. Britta Ryschka (Autor:in), 2000, Probleme der Wirtschaftsethik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146377

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