Türkendeutsch. Ein Ethnolekt des Deutschen?


Examensarbeit, 2005

91 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die Deutschtürken in Deutschland
1.1 Der soziale Hintergrund der Deutschtürken
1.2 Das Leben zwischen den Kulturen´

2. Der soziolinguistische Hintergrund der Deutschtürken
2.1 Definition des „Türkendeutsch“
2.2 Stand der Forschung
2.3 Sprachentwicklung der ersten Generation
2.3.1 Das „Gastarbeiterdeutsch“ der Eltern
2.3.2 Merkmale des Gastarbeiterdeutschen
2.3.3 Kurzer Sprachüberblick der türkischen Grammatik
2.3.4 Gastarbeiterdeutsch und Pidgin
2.3. 5 Zweitspracherwerbsforschung
2.4 Sprachentwicklung der zweiten und dritten Generation der Deutschtürken
2.4.1 Bilingualismus
2.4.2 Sprachentwicklung im Bilingualismus
2.4.3 Sprachwechselverhalten – Codeswitching
2.4.4 Formen von Codeswitching
2.4.5 Funktionen von Codeswitching

3. TürkendeutschEin Ethnolekt des Deutschen?
3.1 Der primäre Ethnolekt
3.2 Merkmale bei bilingualen Diskursen „DeutschTürkisch“
3.3 Der sekundäre, mediale Ethnolekt
3.4 Zaimoğlus „Kanak Sprak“
3.5 Der tertiäre Ethnolekt

4. Empirische Untersuchung zum „Türkendeutsch“
4.1 Sprachwissenschaftliche Termini
4.2 Gesprochene Sprache
4.3 Analyseverfahren
4.3.1 Datenerhebung
4.3.2 Transkriptionsverfahren
4.4 Transkriptionen Beispiel
4.4.1 Angaben zur Person
4.4.2 Gesprächsanalyse
4.5 Beispiel
4.5.1 Angaben zur Person
4.5.2 Gesprächsanalyse
4.6 Beispiel
4.6.1 Gesprächsanalyse
4.7 Beispiel
4.7.1 Angaben zur Person
4.7.2 Gesprächsanalyse
4.8 Beispiel
4.8.1 Gesprächsanalyse
4.9 Auswertung
4.9.1 Sprachrepertoire
4.9.2 Codeswitching in bilingualen Diskursen
4.9.3 Gastarbeiterdeutsch
4.9.4 Zusammenfassung der sprachlichen Kennzeichen des „Türkendeutsch“

5. Erklärungsansätze für die Herausbildung des „Türkendeutschs“
5.1 „Türkendeutsch“ Eine Jugendsprache?
5.2 Sprechen als Ausdruck sozialer Identität

6. Schlussfolgerung

Literaturverzeichnis

Anhang

Einleitung

„Gökhan (14), Serhat (15) und Nuri (14) sind zweisprachig, eine Eigenschaft, die im Zeitalter der Globalisierung immer mehr gefordert wird. Die drei Frankfurter Schüler, als Kinder türkischer Eltern in Deutschland geboren, sprechen fließend deutsch und türkisch. Manchmal wird aus den beiden Sprachen auch eine dritte, ein Sprachenmix.“

„Wir wechseln häufig zwischen den verschiedenen Sprachen und mischen diese dabei auch“, erklärt Nuri, „meistens merken wir das gar nicht.“1

„`Türkendeutsch` sagte man bis dato - und das hatte einen deutlich negativen Beigeschmack. Diese Zeiten sind vorbei. Heute spricht man von "Kanak Sprak" oder "Kanakisch" - wobei feine, aber entscheidende Unterschiede zu beachten sind. In Deutschland aufgewachsene türkischstämmige Jugendliche haben ihre eigene Sprache kreiert, die seit einigen Jahren durch Dragan und Alder, vor allem aber Feridun Zaimoglu den Weg in die breite Öffentlichkeit gefunden hat.“2

Wie die beiden Zitate anklingen lassen, gibt es zwei Auffassungen der Sprache der Deutschtürken: zum einen das unbewusste Sprachwechselverhalten und zum anderen die mediengesteuerte Sprache. Gemeinsam sind beiden Ansichten, dass sie das „Türkendeutsch“ als eine Kreation der Eigeninitiative anerkennen. Diese neue „Sprachform“ entwickelte sich durch die massenhafte Migration in der Bundesrepublik Deutschland, denn so entfalteten sich innerhalb der Sprache neue Räume der Mehrsprachigkeit. Die Mehrsprachigkeit lässt erkennen, dass sich Grenzen von Varietäten verschieben und sich das sprachliche Repertoire im Kontakt mit anderen sprachlichen Varietäten verändert.3

Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Sprachen werden vor allem durch die wachsende interkulturelle Kommunikation von Individuen, Gruppen, Institutionen, Gesellschaften und der Medien stärker bewusst. Es handelt sich bei diesen Sprechern um Einwanderer, die der ersten, zweiten und dritten Generation angehören, und deren sprachliches Repertoire, welches sich aus den kulturellen Ressourcen mehrerer Sprachen zusammensetzt.

Durch die polyglotte Entwicklung entstand bei den Deutschtürken eine Trendsprache, die mit diversen Namen wie „Türkendeutsch“, „Kanak-Sprak“ oder „New-Pidgin“ tituliert wird. Diese ist in der aktuellen Popkultur kaum übersehbar. Die Aufmerksamkeit erregenden Merkmale dieser Sprache sind sprachliche Mischungen aus Elementen der Herkunftssprache und des Deutschen. Jedoch sind diese Sprachmischungen in Stadtteilen mit hohem Anteil von Populationen nicht deutscher Herkunft auch beobachtbar. Die Jugendlichen türkischer Herkunft fallen in der „Kategorie“ des Sprachwechsels am meisten auf, weil sie diese Formen sehr flüssig und mit hoher Routiniertheit produzieren und anwenden.4 Welche Sprachformen sich hierbei genau entwickeln, wie sie ihre kommunikative Praxis gestalten, ist heute Gegenstand verschiedener Forschungsansätze. Die Untersuchungen widmen sich aber nicht nur den sprachlichen Kodierungen, sondern auch dem Verhältnis zwischen sprachlich dominanten Gruppen, den Identifikations-, Aufwertungs- und Abwertungsprozessen.

Es gibt unterschiedliche Auffassungen für das „Türkendeutsch“. Während manche Kritiker es als sprachliche Inkompetenz5 und „doppelte Halbsprachigkeit“6 bezeichnen, gibt es auch positive Anschauungen, die eher eine sprachliche Kompetenz und Kreativität7 im Vordergrund sehen. Ausgehend von diesen Stellungnahmen wird diese Arbeit unter dem soziolinguistischen Aspekt untersucht.

Kann man wirklich von einer doppelten Halbsprachigkeit reden oder handelt es sich eher um phantasiereiche Kreationen der Deutschtürken? Was zeichnet das „Türkendeutsch“ aus? Beruht es auf bestimmten grammatikalischen Gegebenheiten oder ist es situationsbezogen?

Was hat es mit der Derivation von „Türken-Deutsch“ auf sich, heißt das zugleich, dass man einen Ethnolekten des Deutschen als Resultat vor sich hat? Der Schwerpunkt dieser Arbeit geht allerdings der Frage nach, warum das „Türkendeutsch“ überhaupt eine populäre Anwendung bei den Deutschtürken findet und welches Ausmaß es für die soziale Identität hat.

Dieser Fragenkomplex beweist, dass dieses Sprachphänomen noch eine sehr wenig erforschte Sprachform ist. Um ihm nachzugehen, werden die bisherigen Untersuchungen erläutert und anhand einer eigenen Sprachuntersuchung wird nach weiteren Erkenntnissen gesucht.

Thematisch ist diese Arbeit so gegliedert, dass zunächst ein kurzer Abriss des geschichtlichen und sozialen Hintergrunds der ersten und folgenden Generation gegeben wird, denn Sprache kann nicht von ihrem sozialen Kontext isoliert betrachtet werden.

Im anschließenden theoretischen Teil der wissenschaftlichen Hausarbeit erfolgen soziolinguistische Informationen zum Thema. Im Anschluss wird die Ausgangslage des Themas bestimmt, somit werden eine allgemeine Definition zum „Türkendeutsch“, der Stand der aktuellen Forschung und schließlich die „deutsche“ Sprachentwicklung der ersten und der zweiten und dritten Generation gegeben. Die Sprachentwicklung ist bei den Generationen unterschiedlich geprägt, während die Elterngeneration Deutsch als Zweitsprache meist ungesteuert erlernte, erwarben die jungen Deutschtürken einen unmittelbar komplexeren Sprachentwicklungsprozess. Aufgrund dessen werden allgemeine Informationen zu den Spracherwerbstheorien deklariert, die aber nicht weiter ausgeführt werden, da die Theorien eine untergeordnete Rolle in dieser Arbeit spielen. Das Phänomen des „Türkendeutsch“ wird im 2. Kapitel somit von seinem Ursprung bis zur aktuellen Entwicklung erläutert werden.

Der nächste Abschnitt beschäftigt sich mit den Kennzeichen des „Türkendeutsch“ vor allem der zweiten und dritten Generation, das unter verschiedenen Aspekten, wie den Sprachmischungen, der Aneignung des „Türkendeutsch“ von deutschen Jugendlichen, der Aggressivität der Sprache und der selbst kreierten Sprache wie der „Kanak-Sprak“, behandelt wird.

In Kapitel 4 werden grundlegende Termini für die empirische Untersuchung erläutert. In der Untersuchung werden Aufnahmen des „Türkendeutsch“ schriftlich anhand von Transkriptionen vorgestellt und segmentiert. Angaben zum Vorgang, zu den Informanten, zur Datenerhebung und zu den Transkriptanalysen werden gegeben. In der folgenden Gesprächsanalyse werden vor allem die Formen bilingualen Sprechens und bestimmte Merkmale dieser Sprache hervorgehoben. Besonders relevant erscheinen hier Sprachmischungen, Weglassen von Wortarten wie Artikel, Pronomen und Präpositionen und grammatische Besonderheiten. Anschließend werden Ergebnisse dieser Untersuchung zusammengefasst und wenn möglich Gründe der Anwendung des „Türkendeutsch“ präsentiert.

Schließlich werden nach der Auswertung der empirischen Analyse Erklärungsansätze für die Herausbildung dieser Sprachform gesucht. Es gibt verschiedene Ansätze, die das „Türkendeutsch“ einer sozio-kulturellen Identität8 zuschreiben. Doch muss hier erstmals die Beziehung von Sprache und Identität dargelegt werden, um diesen Ansatz zu konkretisieren. Ob es noch andere Möglichkeiten der Verwendung des „Türkendeutsch“ gibt, wird Kapitel 5 aufzeigen. Abschließend werden die Ergebnisse dieser Hausarbeit zusammengetragen und expliziert.

1. Die Deutschtürken in Deutschland

1.1 Der soziale Hintergrund der Deutschtürken

Die Türken stellen die größte ethnische Minderheit in Deutschland dar. Die erste Generation der Türken lebt seit mehr als 30 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland. „Die Migration der Türken setzte bereits 1960 ein und wurde ab Oktober 1961, nachdem das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei unterschrieben worden war, von deutscher Seite stark forciert.“9 In der Anfangsphase der Anwerbepolitik ging man von einem „Rotationsprinzip“ aus, bei dem die ausländischen Arbeiter nach kurzem Arbeitsaufenthalt wieder in ihre Heimat zurückkehren und durch neue ersetzt werden sollten. So etablierte sich gleichzeitig die Bezeichnung des Gastarbeiters. Jedoch stellte dieses Prinzip für die Wirtschaft einen umständlichen Aufwand dar und scheiterte, da permanent neue Gastarbeiter in den Arbeitsprozess eingearbeitet werden mussten.

Die meisten Gastarbeiter kamen aus Dörfern unterentwickelter Regionen und ihre Ziele waren primär ökonomischer Natur. Sie wollten sich nach einem begrenzten Aufenthalt im Anwerbeland eine Existenz in der Heimat ermöglichen. Eine Familienzusammenführung war anfangs kein Thema, doch je mehr sich eine Dauerhaftigkeit des Aufenthaltes ausländischer Arbeitskräfte abzeichnete, desto mehr wurden v. a. die aus den Hauptanwerbeländern Türkei, Jugoslawien und Griechenland stammenden Ausländer mit ihren Familien zusammengeführt. Anfang der 70er Jahre, nach dem Anwerbestopp im November 1973, entwickelte sich in der Bundesrepublik eine neue Diskussion über Integration, so dass aus Gastarbeitern "ausländische Mitbürger“ wurden.

Die in Deutschland geborenen Kinder bzw. nachgeholten Kinder und ihre Kindeskinder werden als zweite bzw. dritte Generation bezeichnet.

Derzeit leben in Deutschland 1.877.70010 Türken, dabei bilden die türkischen Kinder und Jugendlichen bis zum Alter von 25 Jahren einen Anteil von etwa 40 Prozent und

die deutschen Kinder und Jugendlichen derselben Altersgruppe einen Höchstsatz von etwa 25 Prozent.11 Dieser Aspekt zeigt, dass die zweite und dritte Generation der Türken zu einem unübersehbaren Bestandteil Deutschlands geworden sind. Bei der zweiten und dritten Generation lassen sich Probleme und Konflikte in verschiedenen Teilbereichen feststellen, dazu zählen größtenteils Schulprobleme, soziale Abgrenzungen und kriminelle Tendenzen.

1.2 Das Leben zwischen den Kulturen´

Einwandererkinder der ersten Generation sind in Deutschland geboren oder sind im frühen Alter nach Deutschland immigriert. Dabei erfuhren sie intensiv den Zusammenprall unterschiedlicher Sprachen und Kulturen. Aufgrund dessen wurde im Hinblick der Sozialisation türkischer Jugendlicher vielfach die Metapher des Kulturkonflikts bzw. des „Lebens zwischen zwei Kulturen“ herangezogen.12 Man ging von einem so genannten ´Kulturkonflikt´ aus, da die jüngere Generation in Deutschland zwei sich teilweise widersprechende Lebensweisen mit ihren spezifischen Wertorientierungen und Rollenerwartungen erlebte. Das ´Leben zwischen den Kulturen´ bzw. der ´Kulturkonflikt´ meint demnach die Widersprüche zwischen familiären Traditionen und modernen, jugendspezifischen Lebensweisen, die als Ausdruck von Spannungen zwischen Herkunfts- und Aufnahmegesellschaft entstehen. Jedoch stellte sich heraus, dass die Jugendlichen der zweiten und dritten türkischen Generation mit ihrer Lebenssituation in Deutschland eher zufrieden sind.13

Die jüngere Generation zeichnet sich mittlerweile im Gegensatz zur Elterngeneration durch eine verbesserte Schul- und Ausbildung, eine höhere berufliche Stellung und ein besseres Sprachniveau aus. Durch diese Entwicklungen sind sie besser oder ´überhaupt´ in die deutsche Gesellschaft integriert. Gegenüber der ersten Generation, die fast ausschließlich aus bildungsschwachen Arbeitern bestand, zeigt sich heute ein ganz anderes Bild, denn die Türken sind in fast allen gesellschaftlichen Schichten vertreten.

Neben Schriftstellern, Schauspielern, Abgeordneten, Medizinern, Musikern, Sportlern u. Ä. hat sich eine heterogene türkische Gesellschaft in Deutschland etabliert. Aber dennoch sind die Sprecher durch ihre Herkunft und Sprache zusätzlich stigmatisiert, denn manche Deutsche haben viel dagegen, dass „Spaghettifresser“, „Kameltreiber“, „Kümmeltürken“ oder auch „Kanaken“ ihnen in der Bahn die Sitze wegnehmen oder sogar ihre Arbeitsplätze.14

2. Der soziolinguistische Hintergrund der Deutschtürken

Das „Türkendeutsch“ wird in dieser Arbeit unter dem soziolinguistischen Aspekt untersucht und dargestellt. Die Soziolinguistik, die sich seit den 60er Jahren zunehmend etablierte und eine weit verzweigte Wissenschaftsdisziplin ist, überschneidet sich mit der Linguistik, der Soziologie, der Anthropologie, der Sozialpsychologie und der Erziehungswissenschaft. Die Sprache wird hierbei konsequent als soziales Phänomen aufgefasst. Sie untersucht das wechselseitige Bedingungsgefüge von Sprach- und Sozialstruktur bzw. die soziale Bedeutung des Sprachsystems und des Sprachgebrauchs.15 Halwachs stell hierzu fest, dass

„(…) allen der bisher behandelten soziolinguistischen Studien die Einbeziehung des Handlungsaspekts in die Sprachbeschreibung gemeinsam ist und die Tatsache, dass aufgezeigt wird, dass Sprechergemeinschaften nicht eine homogene `Sprache` verwenden, sondern mehrere soziokulturell determinierte Sprach(gebrauchs)formen oder Varietäten, die sich auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen voneinander unterscheiden.“ 16

Unter diesem Aspekt kann man die Soziolinguistik auch als Varietätenlinguistik bezeichnen, die den Einfluss soziokultureller Variablen des Sprachverhaltens einzelner Sprechergemeinschaften analysiert.

Der Spracherwerbsprozess der Türken in Deutschland steht in unmittelbarer Relation zum sozialen Hintergrund. Aufgrund dessen werden in dieser Arbeit grundlegende Aussagen zur sprachlichen und sozialen Situation der Sprecher kenntlich gemacht, um das Sprachverhalten der Deutschtürken unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte zu begründen.

2.1 Definition des „Türkendeutsch“

Der Sprache der Deutschtürken wurden mehrere Bezeichnungen zugrunde gelegt, als Beispiele sind hier einige anzugeben wie „Türkendeutsch“, „Türkenslang“, „Kanaksprak“, „Ausländisch“, „Ausländerslang“, „Streetslang“, „Ghettoslang“, „Stadtteilsprache“, „Mischsprache“ , „Lansprache“ usw. „Diese Bezeichnungen deuten darauf hin, dass sich eine Varietätenfamiele als eine homogene Varietät gebildet hat.“ 17

Um nicht auf diese diversen Begriffe zurückzugreifen, wird „Türkendeutsch“ in dieser Arbeit als Oberbegriff verwendet.

Eine einheitliche Definition des „Türkendeutsch“ existiert nicht. Androutsopoulos erklärt das „Türkendeutsch“ im medialen Ansatz „ als ein Produkt von miteinander verbundenen Entwicklungen, die in den letzten Jahren in Deutschland zu beobachten waren “.18 Dem Begriff des „Türkendeutsch“ begegnet man auch bei Keim19 und Hinnenkamp20, wobei es im Zusammenhang mit der Sprachalternation und einigen unterschiedlichen sprachlichen Merkmalen erläutert wird.

Diese Sprachform setzt sich aus verschiedenen Bausteinen zusammen. Zu diesen Bausteinen gehören Entstehungen neuer Ethnolekte von türkischen und türkischstämmigen Jugendlichen der zweiten und dritten Generation. Diese Ethnolekte werden im 3. Kapitel näher beschrieben. „`Ethnolekt` wird hier als Sammelbegriff für Varietäten oder Sprechstile verwendet, die von den Sprechern selbst und/ oder von anderen mit einer oder mehreren nicht-deutschen ethnischen Gruppen assoziiert werden.“21

2.2 Stand der Forschung

Das „Türkendeutsch“ ist ein besonders von Inken Keim untersuchtes Sprachphänomen. Dabei beschränken sich unter diesem Aspekt ihre Analysen auf das sprachliche Repertoire der von ihr untersuchten Mädchengruppe „der türkischstämmigen Powergirls“22. Es umfasst die Stadtteil-Sprache, standardorientiertes Deutsch, einen türkisch-deutschen Mischstil, einige Formen des Mannheimer Stadtdialekts und das stilisierte Gastarbeiterdeutsch. Aus dem Projekt der „Powergirls“ fasst Keim folgende Merkmale zusammen, die sie beobachten konnte:

„Die deutschsprachigen Anteile haben besondere grammatische und lexikalische Eigenschaften wie Ausfall von Präposition und Artikel z. B. isch geh schule, Generalisierung des neutralen Genus, Bevorzugung bestimmter deutscher und türkischer Wörter (z. B. lan) und Formeln (z. B. isch schwör, isch hass des, siktir lan = „verpiss dich“). Dabei werden prosodische und phonetische Eigenschaften aus dem Türkischen übernommen und das Deutsche wird dabei verfremdet, der Sprechrhythmus hat einen `stampfenden` Charakter.“ 23

Keim geht der Annahme nach, dass das „Türkendeutsch“:

„(…) mehr als eine vorübergehende Sprachmode ist. Bei der deutsch-türkischen Sprachmischung handele es sich zwar um eine reduzierte Sprache, aber das hat nichts mit Unsicherheiten oder grammatikalischen Fehlern zu tun. Die türkischstämmigen Jugendlichen sprechen in der Regel Deutsch und Türkisch sehr gut. Indem sie im `Türkendeutsch` Artikel und Präpositionen wegfallen lassen, zeigen sie, dass sie sich weder zur deutschen noch zur türkischen Gruppe zugehörig fühlen.“24

Neben Keim hat auch Volker Hinnenkamp25 „das Türkendeutsch“ näher analysiert. Dabei stellt er ähnlich wie Keim fest, dass das „Türkendeutschs“ als Ausdruck der sozio- kulturellen Identität angewendet wird.

In Bezug zu den Sprachmischungen im „Türkendeutsch“ gibt es unterschiedliche Ansichten, „Lehrer und Betreuer von Jugendlichen türkischer Herkunft beispielsweise betrachten die Herausbildung ´misch-sprachlicher´ Formen eher mit Besorgnis“26. Aytemiz unterstützt diese Auffassung und fügt hinzu, dass bei den Jugendlichen türkischer Herkunft eher die Rede von einer „doppelten Halbsprachigkeit“27 ist. Er behauptet, dass Kinder türkischer Herkunft, die ausschließlich das Schulsystem in Deutschland durchlaufen haben, weder über gute Türkisch- noch Deutschkenntnisse verfügen. 28 Das Gegenteil belegen Hepsöyler/ Liebe-Harkort, so Banaz, die die Ansicht vertreten, dass man bei der zweiten türkischen Generation nicht von einer Halbsprachigkeit, sondern von dem Wechsel der Sprachdominanz sprechen kann.29

Sprachwissenschaftler dagegen treten Sprachmischungen eher als Ergebnis sprachlicher Kreativität und als Ausdruck einer eigenständigen sozial-kulturellen Identität entgegen.30

„Diese Sprache hat zwei Aufgaben (…) zum einen soll sie den Jugendlichen Prestige verschaffen, zum anderen dient sie als einfaches Kommunikationsmittel.“31

2.3 Sprachentwicklung der ersten Generation

Die erste Generation der Einwanderer hat zu 90 % keinen organisierten Deutschunterricht genossen.32 Am Arbeitsplatz und im Wohnviertel haben sie sich recht und schlecht gebrochene, als ausländisch erkennbare Varianten des Deutschen angeeignet. Dieses „Gastarbeiterdeutsch“ reicht dazu aus, elementare Kommunikation zu ermöglichen. Ein wichtiger Bestandteil bei der schlechten Sprachentwicklung ist, dass in vielen Großstädten Deutschlands ziemlich schnell nationale Infrastrukturen entstanden: Lebensmittelgeschäfte, Gaststätten, Reisebüros, Versicherungsagenturen usw., in denen Waren und Dienstleistungen in den Sprachen der Einwanderer angeboten werden.

Anfangs wurden an mehreren Arbeitsplätzen Dolmetscher für die Gastarbeiter eingesetzt bzw. angeboten. Diese Entwicklungen haben den Druck, Deutsch zu lernen, erheblich abgeschwächt und dazu beigetragen, dass nach wie vor viele Einwanderer nur schlecht und mit vielen Fehlern Deutsch sprechen. Hinzu kommt, dass die meisten Einwanderer mit der Rückkehrabsicht nach Deutschland kamen und somit die Motivation, die deutsche Sprache für einen kurzen Zeitraum zu lernen, nicht existierte.

2.3.1 Das „Gastarbeiterdeutsch“ der Eltern

„Unter Gastarbeiterdeutsch wird in der Spracherwerbsforschung das ungesteuert erworbene Deutsch von Migranten verstanden, die von Mitte der 50er bis Anfang der 70er Jahre als Gastarbeiter nach Deutschland kamen.“33 Diese meisten Gastarbeiter erwarben ihre Deutschkenntnisse in ihrer Arbeitswelt, so dass das beschränkte Sprachwissen auch in ihrem Alltag ausreichte.

Dieses Deutsch ist keine homogene Sprachform. Es besteht aus mehr oder weniger vereinfachten und pidginisierten Varietäten des Deutschen. Ähnlich wie bei Pidginsprachen ist das Lexikon beschränkt, einzelne Sprachformen werden übergeneralisiert und es werden nur einfache syntaktische Strukturen verwendet. „ Die Gastarbeiterdeutsch-Varietäten reichen von sehr rudimentären deutschsprachigen Strukturen (mit starken Interferenzen im phonetischen und lexikalischen Bereich) bis zu weit entwickelten und bereits gut ausgebauten Strukturen, die der Zielvarietät „Regionaldeutsch“ sehr nahe kommen.“34 Zwischen diesen beiden Kontrasten nimmt man eine Reihe von Varietäten an, die sich in spezifischer Weise voneinander unterscheiden. Keim stellt fest, dass

„ (…) z um einen eine zunehmende Komplexität in verschiedenen morphosyntaktischen Bereichen erfolgt, wie beispielsweise bei der Bildung der Nominalphrase, die zunächst nur durch das Nomen gebildet werden kann, später aber auch durch ein Nomen, zu dem Determinativ, Adjektiv oder auch Attributsatz treten. Zum anderen erfolgt eine zunehmende Erweiterung und semantische Ausdifferenzierung der Lexik.“35

2.3.2 Merkmale des Gastarbeiterdeutschen

Das Gastarbeiterdeutsch der Türken unterscheidet sich im Gegensatz zu anderen Nationalitäten, da beim Gastarbeiterdeutsch die Ausgangssprache einen zentralen Aspekt bildet und der Sprecher sich auf diese stützt. Folgende Merkmale wurden beim

Gastarbeiterdeutsch der Türken beobachtet: 36

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2.3.3 Kurzer Sprachüberblick der türkischen Grammatik

Die türkische Sprache steht vor allem mit ihrer Satzstellung im Kontrast zum Deutschen, Spanischen u. Ä., denn im Türkischen steht das Prädikat in der Regel am Ende des Satzes. Aber auch grammatische Beziehungen stehen im Gegensatz zu anderen Sprachen, denn diese werden durch Aneinanderreihung (Agglutination) bestimmter grammatischer Morpheme an unveränderlich bleibende Wortstämme gekennzeichnet Das Bezugswort ändert dabei durch die Suffixe Inhalt oder Funktion. Wortbildung, Grammatik und Syntax sind nach diesem Prinzip organisiert, d. h., an den Wortstamm wird zum Ausdruck jeder grammatischen Kategorie ein formal eindeutiges und in fester Reihenfolge stehendes Suffix angehängt.

Beispiel: masa masa + lar masa +lar + ımız

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Verbstamm–Negation Präsens- 1.Pers.Sing.

Einer der weiteren Besonderheiten des Türkischen ist, dass es durch Vokalharmonie gekennzeichnet ist, d. h. durch die Angleichung von Stuffixvokalen an den vorangegangen Vokal des Stammwortes. Nach dem Lautgesetz enthalten alle Wörter echt türkischen Ursprungs entweder helle (e, i, ö, ü) oder nur dunkle (a,ı ,o, u) Vokale, d. h., nur Vokale einer dieser beiden Gruppen können sich in einem Wort befinden, aber nicht gemischt. In einem türkischen Wort folgt nach dem dunklen Vokal ein dunkler, nach einem hellen Vokal ein heller. Diese Eigenschaft der türkischen Sprache nennt man „ große Vokalharmonie “, zum Beispiel: o d a (Zimmer)

Die kleine Vokalharmonie zeichnet sich anders aus.

Nach dem Zungenabstand sind die Vokale a, ı,o,u dunkel a,i,ö,ü hell

Nach dem Kieferabstand (oder der Mundöffnung) a,e,o,ö weit ı,i,u,ü eng

Nach der Gestalt der Lippen a,e,ı, i flach o,ö,u,ü rund

Nach den flachen Vokalen (a, e, ı, i) folgen in türkischen Wörtern die flachen, den runden (o, ö, u, ü) entweder flach-weite (a, e) oder rund-enge (u,ü).

Konsonantenhäufung (fr, schl, br, rfst usw.), Konsonantenverdoppelung sowie Diphthonge gibt es im Türkischen nicht oder nur eingeschränkt.

Das ungesteuert erworbene Gastarbeiterdeutsch zeichnet sich demnach durch vereinfachte sprachliche Formen aus und wird zumeist von der Ausgangssprache transferiert. Aufgrund dessen werden beispielsweise im Deutschen von der ersten Generation der Türken Artikel, Pronomen, Präpositionen usw. weggelassen, da sie im Türkischen durch Agglutination gekennzeichnet werden können.

Doch wie sieht es mit den Pidgins aus? Kann das Gastarbeiterdeutsch als eine Varietät des Pidgin angenommen werden? Um diesen Zusammenhang zu verdeutlichen, werden kurze Abrisse des Pidgin und der Beziehung zum Gastarbeiterdeutsch dargelegt.

2.3.4 Gastarbeiterdeutsch und Pidgin

Die Entstehung des Terminus „Pidgin“ entstand während der Kolonialzeit, wo es als eine „ grammatisch reduzierte, lexikalische Hilfssprache in der Funktion der kommunikativen Bewältigung von Handelskontakten mit Europäern und nicht- europäischen Einheimischen “ diente.37

Die Pidginforschung geht der Frage nach, ob die gebrochenen Gastarbeiterdeutsch- kenntnisse als ein Pidgin bezeichnet werden können. Im Allgemeinen betrachtete man Pidgin als abweichende Sprachformen der Standardsprache. Doch in den späteren Forschungen wertet Hall Pidgins als eigenständige, nach ganz spezifischen Prinzipien aufgebaute und in spezifischer Form verwendete Sprachformen bezeichnet.38

Es gibt verschiedene Ansätze der Pidginforschung, die zum Beispiel nach einer Definition und dem Auftreten bestimmter Merkmale sucht, jedoch wird das Pidgin hier nur unter dem monogenetischen Aspekt berücksichtigt, um eine kurze Übersicht von Pidgin und die Beziehung zum Gastarbeiterdeutsch zu erläutern.

Nach Whinnom entstehen Pidgins in multilingualen Situationen. Dabei schreibt er der Sprache eine Hybridisierung zu. Damit meint er einen Prozess der Umstrukturierung von Sprachen, aus dem neue Sprachen bzw. Varietäten hervorgehen.39 Die Entstehung der Hybridisierung erfolgt nach Whinnom durch ökologische oder emotionale Barrieren. Eine primäre Hybridisierung entsteht in Ausdifferenzierung von bestimmten Kontaktstrukturen in dialektale Subkodes.40 Die Sprachen, die sich durch die sekundäre Hybridisierung in bilingualen Situationen entwickeln, zeichnen sich durch hohe Variabilität aus, welche mit dem Zweitspracherwerbsprozess vergleichbar sind. Ein Pidgin kann laut Whinnom lediglich durch die tertiäre Hybridisierung entstehen, wenn Sprecher mit verschiedenen Muttersprachen versuchen sich in einer völlig anderen Sprache zu verständigen.41 Erst dann sieht Whinnom eine „pidginauslösende“ Distanz zur Standardnorm und zur Gruppe der Sprecher dieser Standardnorm. Das Modell von Whinnom gibt theoretische Erklärungen für die Entstehungen von Pidgin, doch erfährt man wenig über spezifische Kennzeichen. Keim fasst hierfür zusammen, dass dieses Modell vor allem zur Klassifikation der Kontaktsituation der Gastarbeiter verwendet wird.42 Jedoch besteht diese Klassifikation nicht nur von Whinnom, sondern auch durch Anregungen von Grimshaw, Decamp und Ferguson, die für die Ausprägung vom Gastarbeiterdeutsch als bedeutend erschienen.43 Diese unterteilt Keim in folgende Faktoren: erstens die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen des Kontakts, zweitens die gegenseitigen Erwartungen und Einstellungen der am Kontakt beteiligten Personen und drittens die Art und das Ausmaß des Kontakts zwischen den Gruppen.44

Die Untersuchungen sind sich einig, dass es sich bei Pidgins allgemein um simplifizierte Kodes handelt, die immer wiederkehrende charakteristische sprachliche Eigenschaften aufweisen.45 Dazu zählt vor allem ein erheblicher Verlust der morphologischen und der analytischen Struktur. Einige Eigenschaften des Pidgins sind identisch mit den sprachlichen Merkmalen des Gastarbeiterdeutschen. Jedoch wird das Gastarbeiterdeutsch nur aufgrund der sprachlichen Merkmale von Sprachwissenschaftlern nicht als Pidgin anerkannt, denn für die Bestimmung eines Pidgin sind nicht nur die sprachlichen, sondern auch die außersprachlichen Kriterien wie soziale, ökonomische, politische und psychologische Umstände von Bedeutung. Keim stellt hierzu fest:

„Das Gastarbeiterdeutsch ist kein `Pidgin- Deutsch`, sondern es konstituiert sich aus einer Menge von Lernersprachen (…), die unter ganz spezifischen äußeren Bedingungen entstanden sind (…). Die Lernersprachen unterscheiden sich voneinander durch Auftreten und Häufigkeit des Auftretens bestimmter Strukturen und spezifischer Merkmale. Die Ausprägung der einzelnen Lernersprachen, die Annäherung an die Zielvarietät – als Zielvarietät gilt hier die regionale Umgangssprache – oder der große Abstand lässt sich erklären durch den Einfluss außersprachlicher, besonders sozialer und psychologischer Faktoren.“46

Aufgrund der hohen Variabilität des Gastarbeiterdeutschen spricht Keim nicht von einem Pidgin, sondern von einer Menge von Lernersprachen, die ein Sprecher zwischen „stark pidginisiert“ und „wenig pidginisiert“ bildet.47 Dabei spielen innere und äußere Faktoren eine besondere Rolle. Die inneren Faktoren reflektieren beispielsweise die Erfahrungen mit der deutschen Umwelt, emotionale Bindungen, Rückkehrabsichten u. Ä., und die äußeren Faktoren dagegen sind Wohnsituationen, Alter bei der Einreise usw.

Der Aspekt der Simplifizierungsstrategien - wie es auch in Pidgins vorkommt - stellt eine besondere Eigenschaft beim Verhalten des Lerners während des Zweitspracherwerbs dar. Aufgrund dessen werden im Folgenden Theorien und Hypothesen des Zweitspracherwerbs herangezogen, um somit das Sprachverhalten der Deutschtürken näher zu beschreiben.

2.3. 5 Zweitspracherwerbsforschung

Da die Zweitspracherwerbsforschung eine relativ junge Disziplin ist, gibt es zurzeit immer noch keine einheitliche Theorie. Ich werde anhand einiger theoretischer Ansätze versuchen einen Einblick in dieses Forschungsgebiet zu geben.

Es wird in erster Linie zwischen dem gesteuerten und ungesteuerten Zweitspracherwerb unterschieden.48 Ein gesteuerter Erwerb der Zweitsprache entspricht dem Fremdsprachenunterricht in der Schule. Dieser erfolgt aufgrund der Vermittlung von bestimmten Lehrmethoden und Regeln. Der ungesteuerte Erwerb der Zweitsprache entspricht dem in einer natürlichen Umgebung. In einer alltäglichen Kommunikation, z. B. mit Freunden, Bekannten und Arbeitskollegen, vollzieht sich der Zweitspracherwerb ohne Verwendung bestimmter Regeln, d. h. in diesem Sinn also ungesteuert.

In der Auseinandersetzung über den gesteuerten und den ungesteuerten Zweitspracherwerb entstanden Theorien, die von zwei getrennten Lernsystemen ausgehen, einem bewussten und einem unbewussten System. Krashen unterscheidet hierzu in seiner „Monitor Theory“ fünf Thesen.49

1. Spracherwerb und Sprachenlernen: In dieser Hypothese gibt es prinzipiell zwei Arten, sich Kenntnisse einer Zweitsprache anzueignen. Erstens ist der Erwerb demnach ein unterbewusster Prozess, der sich bei 'echter' Kommunikation des Erwerbers mit einer anderen Person in der Zielsprache abspielt. Echte Kommunikation in diesem Sinne ist Kommunikation, welche die Zielsprache zum Medium und nicht als Ziel hat. Zweitens ist das Sprachenlernen ein bewusstes Einprägen und Einüben von Sprachstrukturen. Zu diesem Wissen über Sprache gehört auch die Grammatik, die in formellen Lern- oder Unterrichtssituationen gelernt wird. Das Fremdsprachenlernen ist also dadurch charakterisiert, dass der Lerner bewusst ihm bekannte Regeln der Zielsprache reflektiert, Gehörtes oder Gelesenes auf grammatikalische Richtigkeit untersucht und eigene schriftliche oder mündliche Äußerungen auf Richtigkeit überprüft.
2. Die natürliche Ordnung: Die grammatischen Strukturen werden in einer natürlichen Reihenfolge gelernt. Wichtig ist hierbei, dass der Input aus normalem Sprachgebrauch besteht. Der Fremdsprachenunterricht richtet sich nicht nach der natürlichen Progression. Die Reihenfolge der gelernten Strukturen richtet sich zumeist nach den Lehrbüchern.
3. Der Monitor: Der so genannte Monitor hat einen beschränkten Einfluss auf den aktiven Gebrauch der Zweitsprache beim bewussten Sprachenlernen. Angewendet wird der Monitor entweder vor dem 'natürlichen' (erworbenen) Sprachgebrauch, der dann aber durch den Monitor in seiner Schnelligkeit beeinträchtigt wird, oder aber nach einer (schriftlichen oder mündlichen) Äußerung, indem die eigene Äußerung auf Richtigkeit untersucht und ggf. korrigiert wird. Die Verwendung des Monitors erfolgt demnach nur in bestimmten Situationen, z. B. wenn dem Sprecher ausreichend Zeit zur Verfügung steht oder wenn es auf korrekten Sprachgebrauch ankommt.
4. Der Input: Der 'Input' hat nach dieser Theorie eine entscheidende Bedeutung für den Fremdsprachenerwerb. Menschen erlernen Sprachen allein dadurch, dass sie verständlichen Input erhalten. Der ideale Input liegt dabei über der aktuellen Sprachkompetenz der Lernenden auf dem Niveau n + 1. Für Anfänger stellen zum Beispiel vereinfachte Sprachformen von Muttersprachlern, aber auch Äußerungen von anderen Lernenden einen förderlichen Input dar.
5. Der affektive Filter: Der affektive Filter umfasst verschiedene Einflussfaktoren wie Einstellung gegenüber der Zielsprache, Selbstvertrauen, Motivation oder Ängste. Lerner mit positiver Einstellung und Motivation sind bessere Sprachlerner und haben einen niedrigen Filter. Lerner mit Ängsten und negativen Einstellungen besitzen eher einen hohen Filter. Der affektive Filter reguliert die Aufnahme des Inputs. Lässt ein hoher Filter wenig Input durch, so führt das zu schlechterem Fremdsprachenerwerb.

Obwohl Krashens Theorie in der Fremdsprachendidaktik Popularität erlangte, wurde sie auch vielfach kritisiert. Einer der Kritiker ist beispielsweise McLaughlin50, der das Lernen aus wissenschaftstheoretischer Sicht nicht als Erwerb anerkennt. Die Hypothese lässt sich empirisch nicht überprüfen, da nicht entschieden werden kann, welcher der beiden Prozesse sich in einem bestimmten Fall gerade abspielt.

Frischherz, Bruno (1997): Lernen, um zu sprechen- sprechen, um zu lernen. Diskursanalytische

Analyse zum Zweitspracherwerb türkischer und kurdischer Asylbewerber in der Deutschschweiz.

Dissertation zur Doktorwürde an der philosophischen Fakultät der Universität Freiburg in der Schweiz.

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1 Küpper, Moritz (09.04.2003): Wie die Kanack Sprack salonfähig wurde. Zitat entnommen aus: http://www.stern.de/politik/panorama/index.html?id=506409&q=türk

2 Schmidt-Fink, Ekkehart (30.12.2002): Voll krass Alder. Von Türkendeutsch über Kanak Sprak zu Kanakisch, http://www.isoplan.de/aid/2002-4/sprache.htm)

3 vgl. Erfurt, Jürgen (2003): " Multisprech": Migration und Hybridisierung und ihre Folgen für die Sprachwissenschaft OBST - Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 65. S.2.

4 Keim, Inken/ Cindark, Ibrahim (2003): Deutsch- türkischer Mischcode in einer Migrantinnengruppe: Form von „Jugendsprache“ oder soziolektales Charakteristikum? In: Neuland, Eva (Hg.): Jugendsprache – Spiegel der Zeit Frankfurt. S. 377.

5 Ebd. (2003), S. 378 ff.

6 Aytemiz, Aydin (1990): Zur Sprachkompetenz türkischer Schüler in Türkisch und Deutsch, Frankfurt am Main, Peter Lang.

7 Keim, Inken/ Cindark, Ibrahim (2003): Deutsch- türkischer Mischcode in einer Migrantinnengruppe: Form von „Jugendsprache“ oder soziolektales Charakteristikum? In: Neuland, Eva (Hg.): Jugendsprache – Spiegel der Zeit. Tagungsband der internationalen Fachkonferenz in Wuppertal 2001. Frankfurt. S. 378.

8 Ebd. S. 378, Hinnenkamp (2001), Auer/ Dirim (2001).

9 Şen, Faruk: 1961 bis 1993: Eine kurze Geschichte der Türken in Deutschland. In: Leggewie, Ckaus/ Şenocak, Zafer (1993): Deutsche Türken, Das Ende der Geduld, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, S. 17.

10 Statistisches Bundesamt Deutschland; http://www.destatis.de/allg/d/impr/d_impr.htm; (31.12.2004)

11 Ebd (2004); vgl. Füglein (2000) S. 13.

12 Wilhelm Heitmeyer/Joachim Müller/Helmut Schröder (1997): Verlockender Fundamentalismus. Türkische Jugendliche in Deutschland, Frankfurt am Main, S. 24.

13 Werth (1983) S.107 zitiert nach Banaz (2002): Bilingualismus und Code- Switching bei der zweiten türkischen Generation in der Bundesrepublik Deutschland. Sprachverhalten und Identitätsentwick- lung. Redaktion Linse S.44.

14 Glück, Helmut/ Werner- Sauer, Wolfgang: (1997) Gegenwartsdeutsch, J. B. Metzler Verlag, Stuttgart- Weimar, S. 94.

15 Bußmann, H. (1983): Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart. S.608.

16 Hallwachs, Dieter (2001): Soziolinguistik; aus: http://www-gewi.kfunigraz.ac.at/ling/sozio/sozio.html

17 Androutsopoulos, Jannis (2000): Ultra korregd Alder! Zur medialen Stilisierung und Popularisierung von „Türkendeutsch“, Linguistik Server Essen, S.3.

18 Ebd. S. 2.

19 Keim, Inken (2001): Die Powergirls. Aspekte des kommunikativen Stils einer Migrantinnengruppe aus Mannheim. In: Jakobs, Eva/ Rothkegel, Annely (Hg.): Perspektiven auf Stil. Akten des Kolloquiums zum 60. Geburtstag von Barbara Sandig. S. 376.

20 Hinnenkamp, Volker (2000): „Gemischt sprechen“ von Migrantenjugendlichen als Ausdruck ihrer Identität. In: Der Deutschunterricht, Heft 5/ 2000, S. 96.

21 Auer, Peter: (2000) 'Türkenslang' - ein jugendsprachlicher Ethnolekt des Deutschen und seine Transformationen". In: A. Häcki Buhofer (Hrsg.), Spracherwerb und Lebensalter. Tübingen/Basel: Francke, S. 256..

22 Keim, Inken (2001): Sprachvariation und kommunikativer Stil in einer jugendlichen Migrantinnengruppe in Mannheim. In: List, Gudula/ List, Günther (Hg.): Quersprachigkeit- Zum transkulturellen Registergebrauch in Laut- und Gebärdensprachen. Tübingen. S. 65-87.

23 Keim, Inken (2001): Die Powergirls. Aspekte des kommunikativen Stils einer Migrantinnengruppe aus Mannheim. In: Jakobs, Eva/ Rothkegel, Annely (Hg.): Perspektiven auf Stil. Akten des Kolloquiums zum 60. Geburtstag von Barbara Sandig. S. 381.

24 Schmidt-Fink, Ekkehart (30.12.2002): Voll krass Alder. Von Türkendeutsch über Kanak Sprak zu Kanakisch (http://www.isoplan.de/aid/2002-4/sprache.htm).

25 Marszk, Doris: Kanak Sprak als Ausdruck sozialer Identität.

26 Keim, Inken/ Cindark, Ibrahim (2003): Deutsch- türkischer Mischcode in einer Migrantinnengruppe: Form von „Jugendsprache“ oder soziolektales Charakteristikum? In: Neuland, Eva (Hg.): Jugendsprache – Spiegel der Zeit. Tagungsband der internationalen Fachkonferenz in Wuppertal 2001. Frankfurt. S. 377.

27 Aytemiz, Aydin (1990): Zur Sprachkompetenz türkischer Schüler in Türkisch und Deutsch, Frankfurt am Main, Peter Lang GmbH, Seite 241.

28 Ebd. S. 241 zitiert nach Banaz, Halime (2002): Bilingualismus und Code- Switching bei der zweiten türkischen Generation in der Bundesrepublik Deutschland, S. 48.

29 Hepsöyler, E./ Liebe-Harkort, K.L. (1991): Muttersprache und Zweisprache, Frankfurt am Main, Peter Lang GmbH, S. 169 zitiert nach Banaz, Halime (2002): Bilingualismus und Code- Switching bei der zweiten türkischen Generation in der Bundesrepublik Deutschland, S. 48

30 Hinnenkamp, Volker (2002): Deutsch-türkisches Code-Mixing und Fragen der Hybridität. In: Hartung, W./Shethar, A. ( Hrsg): Kulturen und ihre Sprachen, S. 134 & Keim, Inken (2001): Die Powergirls. Aspekte des kommunikativen Stils einer Migrantinnengruppe aus Mannheim. In: Jakobs, Eva/ Rothkegel, Annely (Hg.): Perspektiven auf Stil. Akten des Kolloquiums zum 60. Geburtstag von Barbara Sandig. S. 376.

31 vgl. Hinnenkamp (2002).

32 Glück, Helmut/ Werner- Sauer, Wolfgang: (1997) Gegenwartsdeutsch, J. B. Metzler Verlag, Stuttgart- Weimar, 2. Auflage, S. 93

33 Keim, Inken (2002): Sprachvariation und Bedeutungskonstitution. Die Verwendung von Gastarbeiterdeutsch in Gesprächen junger Türkinnen. In: Deppermann, Arnulf/ Spranz- Fogasy, Thomas (Hg.): be-deuten. Wie Bedeutung im Gespräch entsteht. Tübingen. S. 138.

34 Keim. Inken (1984) : Untersuchungen zum Deutsch türkischer Arbeiter, Tübingen: Narr, S. 25

35 Ebd. (1984) S. 25

36 Ebd., S.26.

37 Dittmar, Norbert: (1997) Grundlagen der Soziolinguistik. Ein Arbeitsbuch mit Aufgaben. Max Niemeyer Verlag, Tübingen. Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 57 (Hrsg. Eisenberg, Peter/ Kiesel, Helmut), S 236.

38 Keim. Inken (1984) : Untersuchungen zum Deutsch türkischer Arbeiter, Tübingen: Narr, S. 37.

39 Dittmar, Norbert: (1997) Grundlagen der Soziolinguistik. Ein Arbeitsbuch mit Aufgaben. Max Niemeyer Verlag, Tübingen. Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 57, S. 238.

40 Ebd. S. 238.

41 Keim. Inken (1984) : Untersuchungen zum Deutsch türkischer Arbeiter, Tübingen: Narr, S. 44.

42 Whinnom, K. (1971): Linguistic- Hybridization and the ´Special Case´ of Pidgins and Creoles, In: Hymes, D., S.91- 115, zitiert nach Keim (1984).

43 Keim. Inken (1984) : Untersuchungen zum Deutsch türkischer Arbeiter, Tübingen: Narr, S. 65.

44 Ebd.

45 Ebd. (1984) S. 37.

46 Ebd.

47 Ebd.

48 Krashen (1981) zitiert nach Bausch, K. - R./ Kasper G. (1979): Der Zweispracherwerb: Möglichkeiten und Grenzen der „großen“ Hypothesen, In: Linguistische Berichte 64, S. 3-26.

49 Krashen, S.D. (1981): Second language acquisition and second language leanring Oxford Krashen, S.D. (1982): Principles and practice in second language acquisition Oxford ect, vgl. Frischherz (1997).

50 McLaughlin, B. (1987): Theories of second language learning London etc., S. 55 ff, zitiert nach

Ende der Leseprobe aus 91 Seiten

Details

Titel
Türkendeutsch. Ein Ethnolekt des Deutschen?
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für deutsche und niederländische Philologie)
Note
2,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
91
Katalognummer
V146367
ISBN (eBook)
9783640554089
ISBN (Buch)
9783640553655
Dateigröße
836 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Türkendeutsch, Ethnolekt, Deutschen
Arbeit zitieren
Nuran Aksoy (Autor:in), 2005, Türkendeutsch. Ein Ethnolekt des Deutschen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146367

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