Deutschlands Gewerkschaften am Scheideweg

Zwischen glorreicher Zukunft und völligem Untergang – eine Analyse der aktuellen (Forschungs-)Lage


Hausarbeit, 2009

21 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

1 Einleitung

2 Veränderungen der Gewerkschaftslandschaft
2.1 Entstehung der deutschen Gewerkschaftsbewegung
2.2 Strukturelle Veränderungen der Mitgliedschaft
2.3 Veränderungen innerhalb der Gewerkschaftslandschaft

3 Entwicklungen des wirtschaftlichen und politischen Umfeldes

4 Entwicklungen des gesellschaftlichen Umfeldes

5 Fazit – Wohin führt der Weg?

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Gewerkschaften erleben Renaissance“1, „Zwischen Mitgliedererosion und Ansehensverlust: Die deutschen Gewerkschaften im Umbruch“2 und „Die Entmachtung der Gewerkschaften“3 – ungefähr in gleichem Verhältnis wie die Auswahl der Über-schriften stehen die aus Wissenschaft und Forschung kommenden Bestandsaufnahmen und Zukunftsvisionen, mit denen sich deutsche Gewerkschaften momentan konfrontiert sehen. Die so gezeichneten – in der Mehrzahl hässlichen – Bilder der deutschen Gewerkschaftslandschaft waren für mich als aktiver Gewerkschafter Anlass genug, mich selbst mit dem aktuellen Stand dieser Interessenvertretung und der Frage „Wie ist es um ihre Zukunft bestellt?“ zu beschäftigen.

Wie die vielfältigen Veröffentlichungen zeigen, die sich mit den Veränderungen der Arbeitsbeziehungen im Allgemeinen und der Gewerkschaften im Speziellen befassen, lassen sich diese Entwicklungen aus verschiedenen Blickwinkeln und unter den unter-schiedlichsten Aspekten betrachten. Demnach können auch die Ursachen in verschie-denen Bereichen gesucht werden. Die beste Bestimmung von Faktoren, die die Macht und Stärke von Gewerkschaften beeinflussen, gelang in meinen Augen Hönigsberger4. In Anlehnung an seine Ergebnisse sind die Gewerkschaften im Wesentlichen von drei entscheidenden Bereichen – und demzufolge auch von den dortigen Veränderungen – abhängig:

Auch wenn einige Autoren der Meinung sind, dass die Faktoren Macht und Mitgliederstärke bei den Gewerkschaften nicht unbedingt miteinander korellieren5, stellt diese Maxime (Anzahl der Mitglieder = Größe der (Verhandlungs-)Macht) sowohl für die Gewerkschaften (Hauptziel: Mitgliedermaximierung) als auch die Öffentlichkeit (verursacht durch die mediale Interpretation, dass Stagnation schon Schwäche bedeutet)6 den ersten, oft sogar DEN entscheidenden Faktor dar. Dabei ist jedoch nicht nur die reine Mitgliederzahl entscheidend, sondern auch ihre Struktur und der daraus abgeleitete Organisationsgrad, also im Grunde der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder an der arbeitenden Bevölkerung. Hinzu kommen etwaige Entwicklungen innerhalb der Gewerkschaften bzw. der Gewerkschaftslandschaft.

Der zweite Faktor und Untersuchungsgegenstand wird die Stellung der Gewerkschaften in Politik und Wirtschaft sein. Hierbei handelt es sich um das Umfeld, die Arena in der die Gewerkschaften bzw. ihre Funktionäre agieren müssen. Demzufolge sind sie auch von den Vorgaben in diesen Bereichen abhängig und werden durch Veränderungen der dort vorgefunden Bedingungen in ihrem Handeln und dem daraus resultierenden Erfolg beeinflusst.

Den dritten hier untersuchten Faktor stellt die Gesellschaft, als beeinflussende Größe der materiellen Grundlage von Gewerkschaften, also den potentiellen, zu rekrutierenden Mitgliedern dar. Ändern sich die gesellschaftlichen Einstellungen und hier ganz besonders diejenigen zur Gewerkschaftsbewegung sowie die Struktur der Gesellschaft, so dürfte auch dies einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklungspotentiale von Gewerkschaften haben.

Abschließend soll eine Gegenüberstellung und Zusammenfassung der so gewonnenen Ergebnisse dazu beitragen, die, wie eingangs geschildert, recht unterschiedlich beurteilte Lage der deutschen Gewerkschaften in ein klareres Licht zu rücken. Im günstigsten Fall lassen sich etwaige daraus zu ziehende Schlüsse zur einen oder anderen Problemlösung und/oder Zukunftsperspektive verdichten.

2 Entwicklung der gewerkschaftlichen Strukturen

2.1 Entstehung der deutschen Gewerkschaftsbewegung

Die Wurzeln der Deutschen Gewerkschaftsbewegung reichen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Im Laufe der Märzrevolution entwickelten sich aus regional organisierten Arbeiterbildungsvereinen7 überregionale Arbeiter- und Handwerkerorga-nisationen. Die ersten nationalen Gewerkschaftsgründungen erfolgten schließlich 1848 durch Buchdruckergesellen und Druckereibesitzer sowie die Zigarettenarbeiter. Aus den ursprünglich hauptsächlich auf Statussicherung des jeweiligen Standes gerichteten Organisationen entwickelten sich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts erste Industrie-gewerkschaften mit hauptamtlichen Apparaten.

Die bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts stattgefundene Spaltung der Gewerkschafts-bewegung in drei verschiedene Lager8 – die freien, sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaften, die christlichen Gewerkschaften und die liberalen Hirsch-Dunckerschen-Gewerkvereine – konnte bis zum 1933 erfolgten Verbot der Gewerkschaften und der gleichzeitigen Zwangsvereinigung aller Arbeitnehmer in der Deutschen Arbeitsfront nicht überwunden werden. Viele Wissenschaftler und Historiker geben der (richtungspolitischen) Zerstrittenheit in der deutschen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung eine Mitschuld daran, dass der Machtaufstieg des National-sozialismus durch die Arbeiterbewegung nicht aufgehalten, sondern nur ohnmächtig zur Kenntnis genommen werden konnte.

Während der zwölfjährigen Verbotsphase der nationalsozialistischen Herrschaft erar-beiteten Gewerkschafter im Widerstand und Exil Pläne für einen Wiederaufbau ihrer Organisationen. Dabei stellte das wichtigste Element die Überwindung eben jener richtungspolitischen Spaltung dar. Die Idee einer „zentralistischen“ Einheitsgewerk-schaft wurde geboren. Die Einwirkung der Alliierten führte nach Kriegsende im ehemaligen Westdeutschland jedoch zur Gründung 16 autonomer, dezentraler Einheits-gewerkschaften nach dem Industrieverbandsprinzip. Sie verfolgten dabei die Grund-sätze parteipolitische Neutralität, ein Betrieb - eine Gewerkschaft und die Vertretung von Arbeitern, Angestellten und Beamten in einer Organisation. Die so entstandenen Industriegewerkschaften schlossen sich im Oktober 1949 im Deutschen Gewerkschafts-bund (DGB) zusammen.

Wie jedoch die Gründung zwei weiterer Dachverbände, der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) 1946 und des Deutschen Beamtenbundes (DBB) 1949\1950, zeigten, scheiterte der ursprüngliche Anspruch des DGB, Arbeiter, Angestellte und Beamte in einer Branche zu vereinen, bereits vor seiner Gründung. Der wachsende Unmut christlicher Gewerkschafter führte darüber hinaus 1955 zur Gründung der Christlichen Gewerkschaftsbewegung, die sich 1959 in den Christlichen Gewerk- schaftsbund (CGB) umtaufte9. In der sowjetischen Besatzungszone kam es im Frühjahr 1946 zur Gründung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB). Aufgrund seiner umstrittenen Bewertung, der daraus resultierenden (Nicht-)Akzeptanz als gewerkschaftliche Interessenvertretung sowie seiner kurz nach dem Mauerfall erfolgten Selbstauflösung und daraus resultierender Bedeutungslosigkeit für die Untersuchung wird seine Entwicklung auch kein weiterer Bestandteil dieser Arbeit sein.

2.2 Strukturelle Veränderungen der Mitgliedschaft

Bis zur Wiedervereinigung 1990 war die Geschichte der deutschen Gewerkschafts-bewegung – zumindest auf den ersten Blick – eine recht erfolgreiche: Die Mitglieds-zahlen der vier großen Dachverbände stiegen mit Ausnahme einer Minikrise Ende der 1960er kontinuierlich an und erreichten 1981 mit rund 9,6 Millionen Organisierten ihren Höhepunkt. Es schloss sich eine Konsolidierungsphase an, in der die Mitglieds-zahlen minimalen Schwankungen unterlagen, sich zum Zeitpunkt der Wiedervereini-gung aber erneut auf dem Niveau von 1981 befanden. Dabei sollte allerdings beachtet werden, dass dies der Verstetigung des positiven Trends bei der Organisation von Arbeitnehmerinnen zu verdanken war. Die Anzahl der männlichen Organisierten lag 1990 bereits um knapp Fünfhunderttausend unter der Marke von 1981.

Der zweite Blick offenbart jedoch eine Vielzahl von strukturellen Problemen, mit denen sich die Gewerkschaften schon damals konfrontiert sahen. So koppelte sich die Struktur der Mitglieder im Laufe der Jahre immer mehr von der Struktur der Gesamtheit der Arbeitnehmerschaft ab. Weder die Verteilung der Organisierten auf die einzelnen Wirtschaftssektoren, noch ihre Anteile an den einzelnen Berufsgruppen stimmten mit den realen Verhältnissen unter den Beschäftigten überein. Darüber hinaus gelang es den Gewerkschaften besonders zu Zeiten des Wirtschaftswunders nicht, die positiven Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, die Zuwächse an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch in Mitglieder umzumünzen. Dies kann an den sinkenden Organisationsgraden abgelesen werden und trifft besonders auf den DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften zu.

[...]


1 Schmergal/Losse 2009

2 Biebeler/Lesch 2007

3 Adam 2009: S. 375

4 Hönigsberger 2008: S. 25 f.

5 vgl. u. a. Schnabel/Wagner 2007: S. 93

6 Hönigsberger 2008: S. 27

7 Die geschichtlichen Daten stammen aus: Schneider 1989 und Deppe/Fülberth/Harrer (Hrsg.) 1989

8 Mitte bis Ende der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts kam mit den kommunistischen Verbänden sogar noch ein viertes Lager hinzu

9 Soweit nicht anders angegeben, drehen sich die folgenden Ausführungen ausschließlich um diese vier Dachverbände. Da sie die Mehrzahl der Arbeitnehmer organisieren bzw. seit dem zweiten Weltkrieg bis heute organisierten

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Deutschlands Gewerkschaften am Scheideweg
Untertitel
Zwischen glorreicher Zukunft und völligem Untergang – eine Analyse der aktuellen (Forschungs-)Lage
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut)
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
21
Katalognummer
V146306
ISBN (eBook)
9783640569779
ISBN (Buch)
9783640570386
Dateigröße
871 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gewerkschaft, DGB, Deutschland, soziale Bewegung, Arbeitsbeziehungen, Gesellschaft, Wirtschaftssystem
Arbeit zitieren
Eberhard Podzuweit (Autor:in), 2009, Deutschlands Gewerkschaften am Scheideweg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146306

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