Das privilegium minus

Eine Untersuchung zu seiner Bedeutung für das Lehnswesen im Hochmittelalter


Hausarbeit, 2008

18 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Der staufisch-welfische Konflikt als Ausgangspunkt des Privilegium minus

3 Das Privilegium minus im Kontext des Lehnrechts
3.1 Das Fürstentum als Fahnenlehen
3.2 Besondere lehnsrechtliche Bestimmungen der Urkunde
3.2.1 Heerfolge und Hoffahrt
3.2.2 Ausübung der Gerichtsbarkeit
3.2.3 Weibliche Erbfolge und die libertas affectandi

4 Resümee

5 Bibliographie
5.1 Quellen
5.2 Sekundärliteratur

1 Einleitung

Gegenstand meiner Hausarbeit ist „eine[r] der berühmtesten Urkunden des Hochmittelalters“[1], zu welchen Heinrich Appelt das Privilegium minus[2] im Vorwort seiner Studie über diese Urkunde rechnet.

Die mit dieser Urkunde Friedrichs I. Barbarossa aus dem Jahr 1156 verbundene Erhebung der Mark Österreich zum Herzogtum Österreich spielt eine wichtige Rolle in der österreichischen Landesgeschichte. Die vorliegende Arbeit verfolgt jedoch die Absicht, dass Privilegium minus in den Kontext des Lehnsrechts einzuordnen und seine Bedeutung für die Lehnspraxis im 12. Jahrhundert herauszuarbeiten.

Der belgische Historiker François-Louis Ganshof beschäftigte sich bereits 1944 mit der Frage „Was ist das Lehnswesen?“[3]. Obwohl die heutige Forschung Ganshofs Antworten nicht mehr uneingeschränkt folgt, prägte sein Werk das Bild von einer lehnsrechtlich strukturierten Ordnung im Hochmittelalter maßgeblich. Ähnliches gilt für die Darstellung des deutschen Rechtshistorikers Heinrich Mitteis von 1933[4]. Die von Ganshof und Mitteis noch selbstverständlich skizzierte herausragende Bedeutung des Lehnswesens für die politische Geschichte des Hochmittelalters ist in jüngeren Darstellungen, unter anderem von Gerd Althoff[5], zugunsten der Beachtung von persönlichen Bindungen – Verwandtschaftsverhältnisse oder Freundschaften – sowie der Funktion von symbolischen Kommunikationsformen relativiert worden.[6] Dennoch setzt sich die Mediävistik in Deutschland heute wieder intensiver mit dem Lehnswesen und seiner politischen Bedeutung auseinander. Die neuerliche Diskussion gründet vor allem in den provokanten Thesen der Oxforder Historikerin Susan Reynolds, die in ihrem 1994 erschienenen Buch „Fiefs and vasalls“[7] die faktische Existenz des Lehnswesens im Hochmittelalter bestritt. Eine aktuelle Einführung ins Lehnswesen, die auch zentrale Quellen in Übersetzung bietet, wurde 2002 von Karl-Heinz Spieß[8] veröffentlicht.

Das Privilegium minus von 1156 ist ein geeignetes Beispiel, die Frage nach der praktischen Ausgestaltung des Lehnswesens im Hochmittelalter aufzugreifen. Die Urkunde ist vor dem Hintergrund des staufisch-welfischen Konflikts zu betrachten: Kaiser Friedrich I. Barbarossa versuchte diesen Konflikt beizulegen, indem er dem Welfen Heinrich dem Löwen das Herzogtum Bayern zurückgab, das statt ihm die Babenberger seit 1139 regiert hatten, und den Babenberger Heinrich Jasomirgott als Ausgleich zum Herzog von Österreich erhob. In dieser Arbeit gehe ich sowohl auf die lehnsrechtlichen Aspekte der Vorgänge von 1156 ein, als auch auf die Frage, welche Bedeutung das Privilegium minus für die praktische Ausgestaltung des Lehnswesens und seinen politischen Charakter zu dieser Zeit hat. Die Erarbeitung erfolgt in zwei Schritten:

Im ersten Schritt stelle ich den staufisch-welfischen Konflikt, die politische Situation in der Mitte des 12. Jahrhundert und somit die Hintergründe des Privilegium minus dar. Im zweiten Teil folgt die eigentliche Auseinandersetzung mit der Urkunde: Zum einen muss die Bedeutung der zum Herzogtum erhobenen Markgrafschaft Österreich als Fahnenlehen erörtert werden, zum anderen werde ich mich kritisch mit der Frage auseinandersetzen, ob oder inwiefern die besonderen Bestimmungen des Privilegium minus den Rahmen des Lehnsrechts in der Stauferzeit sprengen. Ziel ist es, den außergewöhnlichen Charakter der einzelnen Vorrechte Heinrich Jasomirgotts für das Lehnswesen klar herauszuarbeiten, aber dennoch den historischen Zusammenhang, das Streben Friedrichs I. Barbarossa auf einen Ausgleich in der Bayerischen Frage und seine damit verbundene Bereitschaft zu weitreichenden Zugeständnissen, mit einzubeziehen.

2 Der staufisch-welfische Konflikt als Ausgangspunkt des Privilegium minus

„Die Wiederherstellung des inneren Friedens und der Ausgleich mit den Welfen mußten die vordringlichsten Aufgaben des neuen Herrschers sein.“[9] So beschreibt Karl Jordan die Ausgangssituation für Friedrich I. Barbarossa nach seiner Wahl zum König am 04. März 1152 in Frankfurt. Aber wie war es zu diesem für das Reich belastenden Konflikt zwischen Staufern und Welfen gekommen? Die Forschung bietet zu dieser Frage zahlreiche Beiträge, an dieser Stelle soll jedoch nur der Kern des Konflikts, der für das Zustandekommen des Privilegium minus von Bedeutung ist, dargestellt werden.

Als Konrad III. im Jahr 1138 den Thron bestieg, hatte er mit Heinrich dem Stolzen, Herzog von Sachsen und Bayern, einen sehr mächtigen Welfenfürsten zum Gegenspieler. Heinrich Appelt spricht sogar von einer „überragende[n] Machtposition [Heinrichs des Stolzen], die der Staufer zerschlagen mußte, wollte er seine Herrschaft in Deutschland tatsächlich durchsetzen.“[10] Daher ließ Konrad im Frühjahr 1139 dem Welfen beide Herzogtümer aberkennen, belehnte Albrecht den Bären mit Sachsen und Leopold IV. von Österreich mit Bayern. Diese Maßnahmen hatten einen offenen Kampf zwischen Staufern und Welfen zur Folge. Nach dem Tod Heinrichs des Stolzen wurde im Süden des Reiches sein Bruder Welf VI. zum größten Widersacher der Staufer: Er kämpfte energisch gegen Leopold IV., bis dieser 1141 verstarb. Nach dem Tod Leopolds nutzte Konrad III. die Gelegenheit zu einem „Versöhnungsversuch, indem er eine Heirat zwischen Heinrich Jasomirgott, dem Bruder und Nachfolger Leopolds, und Gertrud, der Witwe Heinrichs des Stolzen, […] vermittelte und den Babenberger [Heinrich Jasomirgott] mit Bayern belehnte.“[11] Dieser Versöhnungsversuch, wie Appelt Konrads Politik aus dem Jahr 1141 nennt, erfüllte die Hoffnungen auf eine Befriedung des Reiches nicht, da Gertrud bereits zwei Jahre nach der Heirat starb.

Ungeachtet der Entwicklung in Bayern verschaffte sich der noch minderjährige Sohn Heinrichs des Stolzen, Heinrich der Löwe, in Sachsen als Herzog allgemeine Anerkennung. Albrecht der Bär legte daraufhin seinen Herzogtitel ab und verzichtete auf dem Fürstentag in Frankfurt im Mai 1142 offiziell auf das Herzogtum.[12]

In diese schwierige innenpolitische Situation fiel dann der zweite Kreuzzug: Der französische König Ludwig VII. entschloss sich, Weihnachten 1145 ins Heilige Land zu ziehen, und auch Konrad III. konnte durch Predigten und Umstimmungsversuche des vom Papst gesandten Bernhard von Clairvaux nach einiger Zeit für die Kreuzzugsidee gewonnen werden. In der Vorbereitung zum Kreuzzug verkündete der Stauferkönig 1147 in Frankfurt einen allgemeinen Reichsfrieden. Jedoch erschien auch Heinrich der Löwe auf diesem Reichstag und machte seine Ansprüche auf das Herzogtum Bayern geltend, die er aber bis nach Beendigung des Kreuzzuges zurückstellte. Welf VI. nahm bereits 1148 die Kämpfe gegen die Staufer in Süddeutschland wieder auf, sodass sich Konrad nach seiner Rückkehr vom erfolglosen Kreuzzug gleich wieder dem Konflikt mit den Welfen zuwenden musste. Ihm gelang es, Welf 1150 zum Frieden zu zwingen, jedoch machte auch Heinrich der Löwe seine Ansprüche auf Bayern weiterhin geltend. Konrads Versuch, Braunschweig zu erobern, während der Sachsenherzog sich in Schwaben befand, scheiterten, da der Löwe plötzlich aus Süddeutschland zurückkehrte. So stand der staufisch-welfische Konflikt immer noch im Raum, als Konrad III. 1152 starb. Da sein ältester Sohn Heinrich bereits zwei Jahre vor ihm verstarb und sein jüngster Sohn gerade mal sechs Jahre alt war, bestimmte Konrad III. auf dem Totenbett seinen Neffen Herzog Friedrich von Schwaben zu seinem Nachfolger.

Friedrich I. Barbarossa empfahl sich unter anderem deshalb für die Königswürde, weil er als Staufer durch seine Mutter Judith eng mit den Welfen verwandt war.[13] Mit den Worten Ottos von Freising gesprochen: „Die Fürsten also, welche nicht nur auf die Thätigkeit und Tüchtigkeit des schon oft genannten Jünglings, sondern auch darauf sahen, daß er, ein Verwandter beider Geschlechter, gleich wie ein Eckstein den klaffenden Riß dieser beiden Wände vereinigen könnte, […]“[14]

Sein Geschichtsschreiber Otto von Freising verschwieg in seinem Bericht, dass es auch durchaus Widerstand gegen die Wahl Friedrichs I. aus den Reihen der Fürsten gab. So stand vor allem Erzbischof Heinrich von Mainz in Opposition zu Friedrich I., da er eine Regentschaft für den jüngeren Friedrich, den bereits erwähnten Sohn Konrads II., erstrebte. Unter diesem Aspekt ist es interessant zu betrachten, mit welchen Mitteln sich Friedrich I. Barbarossa seine Wahl in Frankfurt sicherte: Aus den Quellen ist bezeugt, dass Heinrich der Löwe bei der Krönung Friedrichs in Aachen anwesend war. Die Forschung vermutet daher, dass Heinrich der Löwe auch zu Barbarossas Wählern beim Reichstag zu Frankfurt einige Tage zuvor zählte. Quellen, die dies eindeutig belegen, haben wir jedoch nicht.[15] Dennoch ist die These, dass es vor der Wahl eine Absprache zwischen Friedrich und Heinrich dem Löwen gegeben habe, in der Mediävistik kaum umstritten, zumal Heinrich Jasomirgott, der Gegenspieler Heinrichs des Löwen in Bayern, erwiesenermaßen nicht an den Feierlichkeiten zur Wahl Friedrichs I. teilnahm.[16] „[…] denn schon die Wahl Friedrichs I. zum König im März 1152 hatte unter anderem auf einer Absprache mit Heinrich dem Löwen beruht, der auf die eigene Kandidatur unter Bedingungen verzichtete, die wir im einzelnen nicht kennen, zu denen aber sicherlich die 1156 realisierte Rückgabe Bayerns in seine Hände gehört hat.“[17], so erklärt Jürgen Ehlers den Zusammenhang zwischen der Wahl Friedrichs und den Vorgängen von 1156 recht spekulativ. Eine ähnliche Verbindung stellt auch Heinrich Appelt her.[18] Trotz der fehlenden Belege aus den Quellen erscheinen die Vermutungen von Appelt und Ehlers plausibel. Friedrich I. war daran interessiert, die Frage über das Herzogtum Bayern recht zügig zu klären. Zu einem Reichstag in Würzburg im Herbst 1152 lud Barbarossa beide Herzöge, Heinrich Jasomirgott und Heinrich den Löwen, ein. Heinrich Jasomirgott leistete der Ladung jedoch, wie auch ein Jahr später zum Reichstag in Worms und 1154 zum Reichstag in Goslar, nicht Folge.[19] Eine Klärung der Frage des bayrischen Herzogtums war für Friedrich I. Barbarossa eine wichtige Vorraussetzung für den geplanten Romzug im Herbst 1154. So wurde auf dem Reichstag zu Goslar durch Fürstenspruch dem Babenberger Heinrich Jasomirgott das Herzogtum Bayern entzogen und Heinrich dem Löwen zugesprochen. Damit war eine grundsätzliche Entscheidung zugunsten Heinrichs des Löwen gefallen, wenn auch die Verhandlungen mit dem Babenberger fortgeführt werden sollten und die endgültige Investitur ins Lehen erst im September 1156 erfolgte.

Die enge Zusammenarbeit zwischen Heinrich dem Löwen und König Friedrich I. in seinen ersten Regierungsjahren war vor allem in der militärischen Stärke Heinrichs begründet. Jürgen Ehlers stellt die Hilfeleistungen Heinrichs des Löwen heraus: „Im übrigen trug Heinrich mehrfach erhebliche Lasten, die sich aus seiner Stellung als Reichsfürst ergaben: auf dem Italienzug 1154/1155 führte er dem königlichen Heer das stärkste Truppenkontingent zu, zeichnete sich bei der Belagerung Tortonas aus, […]“[20].

Aber nicht nur die Stärke Heinrichs des Löwen war ausschlaggebend für die Entscheidung über das Herzogtum Bayern: Wie Heinrich Appelt feststellt, „waren [die Babenberger] nicht in der Lage, die Herrschaft über das alte Stammesherzogtum fest in die Hand zu nehmen.“[21]

Dass es dennoch vier Jahre (1152-1156) gedauert hat, bis Friedrich I. sein Ziel, Heinrich dem Löwen das Herzogtum Bayern wieder zuzusprechen, erreichte, kann auf mehrere Aspekte zurückgeführt werden: Zum einen unterscheide sich die Auseinandersetzung des Kaisers (1155 in Rom gekrönt) mit Heinrich Jasomirgott von politischen Prozessen dadurch, „daß sie nicht das Niederkämpfen eines Gegners sondern einen Friedensschluß erstrebte.“[22] Dieser richtigen Einschätzung Appelts zum diplomatischen Geschick Friedrich I. Barbarossas möchte ich noch den Aspekt hinzufügen, dass der Fürstenspruch von Goslar 1154 bereits eine Lösung der angespannten innenpolitischen Situation vorzeichnete. Friedrich konnte also mit der Unterstützung Heinrichs des Löwen den geplanten Italienzug 1154/55 in Angriff nehmen, ohne dass er mit großen Unruhen im Reich rechnen musste.

Nach Friedrichs Rückkehr aus Italien brachte er die bayrische Frage endgültig zum Abschluss:

Auf einem Hoftag in Regensburg 1155 belehnte er Heinrich den Löwen mit dem Herzogtum Bayern. Die bayrischen Großen leisteten dem Löwen daraufhin Mannschaft und Treueid.[23]

Heinrich Jasomirgott erklärte seinen Verzicht auf Bayern erst nach weiteren Verhandlungen im Juni 1156. Der Streit konnte somit im September 1156 auf einem Reichstag in Regensburg mit den Mitteln des Lehnrechts endgültig geschlichtet werden.

3 Das Privilegium minus im Kontext des Lehnrechts

3.1 Das Fürstentum als Fahnenlehen

Der Rechtshistoriker Heinrich Mitteis definiert in seinem bis heute vielfach zitierten Werk „Lehnrecht und Staatsgewalt“ aus dem Jahr 1933: „Die Fürstenlehen waren Fahnenlehen“[24]. Weiter erklärt Mitteis: „Die eine von den mehreren Fahnen ist das Gegenstandssymbol für die verlehnte reichsfürstliche Gewalt“[25]. Die unmittelbare Belehnung durch den König mit einer Fahne, als Symbol für die fürstliche Gerichtsgewalt, sowie die Freiheit von Lehnsbindungen an einen anderen weltlichen Lehnsherrn waren ein Kennzeichen für die Zugehörigkeit zum Fürstenstand.[26] Karl-Heinz Spieß merkt zusätzlich an: „Auf diese Weise wurde der Fürst wie in einem ligischen Lehnsverhältnis ausschließlich an seinen königlichen Lehnsherrn gebunden, doch machte man vor allem aufgrund der zahlreichen Kirchenvogteien, […], insofern eine Ausnahme, als ein Vassalitätsverhältnis zu den auf der zweiten Heerschildstufe stehenden geistlichen Reichsfürsten zugestanden wurde.“[27] Weitere landrechtliche Kriterien für die Zugehörigkeit zum Reichsfürstenstand, dessen Ausbildung zum Ende des 12. Jahrhunderts abgeschlossen wurde, waren die Gebietsherrschaft über ein Land und eine übergeordnete Gerichtsgewalt über dieses Territorium.[28] Auf die näheren Beziehungen zwischen den einzelnen Stufen der Heerschildordnung, die im Sachsenspiegel von Eike von Repgow festgehalten wurde, soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden.

Vielmehr ist es von Interesse, dass die Staufer versuchten, das Lehnsrecht zum wichtigsten Gestaltungsprinzip ihrer Herrschaft zu machen.[29] Die moderne Forschung ist sich einig, „den Staufern als Auffassung und Ziel zu unterstellen, daß Herrschaftsrechte grundsätzliche durch Lehnsauftrag delegiert werden sollten.“[30]

Inwiefern diese These in besonderem Maße auf das Verhältnis zwischen König und Reichsfürsten, also auf die Fahnenlehen zutrifft, bleibt zu untersuchen. Das Privilegium minus bietet hierzu einen hilfreichen Ansatzpunkt.

Der Inhalt der Urkunde selbst weist auf die Beilegung des Streits zwischen Heinrich Jasomirgott und Heinrich dem Löwen mit den Mitteln des Lehnsrechts hin: Nachdem Heinrich Jasomirgott das Herzogtum Bayern zurück in die Hände des Kaisers gelegt hatte, belehnte dieser Heinrich den Löwen mit dem Herzogtum. Dux autem Bawariae resignavit nobis marchiam Austriae cum omni iure suo et cum omnibus beneficiis, que quondam marchio Liupoldus habebat au ducatu Bawariae[31], so beschreibt das Privilegium minus die Abtrennung Österreichs vom Herzogtum Bayern. Otto von Freising geht in seiner Gesta Frederici detaillierter auf die näheren Umstände ein: Während des Reichstags zu Regensburg hielt sich der Oheim des Kaisers Heinrich Jasomirgott etwa zwei Meilen vor der Stadt in einem Feldlager auf. Als der Kaiser und alle Großen des Reiches ihm entgegenzogen, wurde der schon lange getroffene Ratsschluss öffentlich kundgetan.[32] Zum Hauptinhalt der Vereinbarung schrieb Otto von Freising ähnlich dem Wortlaut der Urkunde selbst, deren Inhalt ihm sicherlich bekannt war: „Der an Jahren ältere Heinrich [Jasomirgott] ließ dem Kaiser das Herzogtum Bayern durch sieben Fahnen auf. Nachdem diese dem Jüngeren [Heinrich dem Löwen] übergeben worden waren, gab dieser mit zwei Fahnen die Ostmark mit den seit alters zu ihr gehörenden Grafschaften [dem Kaiser] zurück.“[33] Die Erhebung der marchia Austrie zum Herzogtum erfolgte auf Beschluss der Fürsten, wobei der Herzog von Böhmen das Urteil verkündete.[34]

Am Privilegium minus wird also deutlich, welch große Bedeutung die Fahnenlehen für das Reich zu dieser Zeit hatten: Die verfassungs- und lehnsrechtlichen Veränderungen, auf die ich im nächsten Kapitel genauer eingehen werde, „vollzieht nicht der Kaiser allein aus seiner Machtvollkommenheit heraus, sondern er bedient sich dabei des Rates und des Urteilsspruches der Fürsten“[35] Heinrich Appelt würdigt das diplomatische Vorgehen Friedrich I. Barbarossas als ein „Meisterstück dieser Politik […], die elastisch genug war, auch den rivalisierenden Kräften Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sofern nur das oberste Prinzip der Wahrung der kaiserlichen Autorität nicht in Frage gestellt wurde.“[36] Zur friedlichen Lösung dieses Konflikts um das Herzogtum Bayern hat nicht zuletzt Friedrich I. Barbarossas lehnsrechtliches Verständnis beigetragen. Für Appelt stellen Barbarossas lehenrechtlichen Anschauungen sogar „in seinem politischen Bewußtsein die wichtigste Vorraussetzung dafür dar.“[37]

[...]


[1] H. APPELT, Privilegium Minus. Das staufische Kaisertum und die Babenberger in Österreich, u.a. Wien 1973, S. 7.

[2] Der Name Privilegium minus dient zur Unterscheidung von einer unter Herzog Rudolf IV. von Österreich 1358/59 angefertigten Fälschung, dem Privilegium maius.

[3] F.L. GANSHOF, Was ist das Lehnswesen? Darmstadt 19836.

[4] H. MITTEIS, Lehnrecht und Staatsgewalt. Untersuchungen zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte, Weimar 1933.

[5] G. ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997.

[6] Zur Bewertung des Lehnswesens in der Forschung, vergleiche J. DENDORFER, Was war das Lehnswesen? Zur politischen Bedeutung der Lehnsbindung im Hochmittelalter, in: E. Schlotheuber/M. Schuh: Denkweisen und Lebenswelten des Mittelalters, München 2004, S.43-64, S. 43-46.

[7] S. REYNOLDS, Fiefs and vassals. The medieval evidence reinterpreted, u. a. Oxford 1994.

[8] K.H. SPIEß, Das Lehnswesen in Deutschland im hohen und späten Mittelalter, Idstein 2002.

[9] K. JORDAN, Investiturstreit und frühe Stauferzeit, in: Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Band 4, München 1975², S. 113.

[10] H. APPELT, Privilegium minus, S. 32.

[11] Ebenda.

[12] Zur Entwicklung in Sachsen siehe auch K. JORDAN, Investiturstreit und frühe Stauferzeit, S. 102-104.

[13] Seine Mutter Judith war die Schwester Heinrichs des Stolzen.

[14] O. VON FREISING, Taten Friedrichs, in: J. Grimm (u. a.), die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, Band 59, Leipzig 1939², S.122.

[15] Zur genaueren Betrachtung der Wahl Friedrich Barbarossas und des Verhaltens Heinrich des Löwen empfiehlt sich H. APPELT, Heinrich der Löwe und die Wahl Friedrich Barbarossas, in: A. Novotny/O. Pickel, Festschrift Hermann Wiesflecker, Graz 1973, S. 39-48.

[16] Nach Otto von Freisings Bericht versammelten sich allen Fürsten in Frankfurt zur Wahl Friedrichs, jedoch umgeht der Autor damit eine Aufzählung aller Anwesenden, zu denen Heinrich Jasomirgott nicht zählte. Vergleiche hierzu H. APPELT, Heinrich der Löwe und die Wahl Friedrich I. Barbarossas. S. 47.

[17] J. EHLERS, Heinrich der Löwe. Europäisches Fürstentum im Hochmittelalter, Göttingen 1997, S.12.

[18] H. APPELT, Privilegium minus: „Heinrich dem Löwen wird er das Herzogtum Bayern in Aussicht gestellt haben.“ S. 33.

[19] Eine Beschreibung der Ereignisse bietet K. JORDAN, Investiturstreit und frühe Stauferzeit, S. 114-116.

[20] J. EHLERS, Heinrich der Löwe, S.12.

[21] H. APPELT, Privilegium minus, S. 34.

[22] Ebenda.

[23] Vergleiche O. VON FREISING, Taten Friedrichs, S. 180.

[24] H. MITTEIS, Lehnrecht und Staatsgewalt, S. 513.

[25] H. MITTEIS, Lehnrecht und Staatsgewalt, S. 513.

[26] H.K. SCHULZE, Grundstrukturen der Verfassung im Mittelalter, Band 1: Stammesverband, Gefolgschaft, Lehnswesen, Grundherrschaft, Frankfurt am Main, 1990, S. 88; K.H. SPIEß, Das Lehnswesen in Deutschland,

S. 37.

[27] K.H. SPIEß, Das Lehnswesen in Deutschland, S. 37; ausführlicher bei S. HAUSER, Staufische Lehnspolitik am Ende des 12. Jahrhunderts 1180-1197, Frankfurt am Main 1998, S. 409 ff. Ein ligisches Lehnsverhältnis, vor allem in England und Frankreich ausgeprägt, war ein Mittel gegen die Mehrfachvassalität, die sich im Lehnswesen entwickelt hatte: Ein Lehnsherr wurde zum sogenannten dominus ligius, dem der Vasall ohne Einschränkungen und gegenüber jedem sonstigen seiner Lehnsherren beizustehen hatte. Vergleiche hierzu F.L. GANSHOF, Was ist das Lehnswesen?, S. 108 ff., K.H. SPIEß, Das Lehnswesen in Deutschland, S. 29 f.

[28] K.H. SPIEß, Das Lehnswesen in Deutschland, S. 38

[29] K.H. SPIEß, Das Lehnswesen in Deutschland, S. 41;S. HAUSER, Staufische Lehnspolitik, S. 395 f.; H. MITTEIS, Lehnrecht und Staatsgewalt, S. 428.

[30] S. HAUSER, Staufische Lehnspolitik, S. 396.

[31] PRIVILEGIUM MINUS, aus: L. Weinrich, Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250 (ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr vom Stein- Gedächtnisausgabe 32) Darmstadt 1977, Nr. 114, S. 232-237, Absatz 3.

[32] O. VON FREISING, zitiert nach K.H. Spieß, Lehnswesen in Deutschland, S. 68 f.

[33] O. VON FREISING, zitiert nach K.H. Spieß, Lehnswesen in Deutschland, S. 69.

[34] Im genauen Wortlaut der Urkunde: „ Ne autem in hoc facto aliquatenus imminui videratur honor et gloria dilectissimi patrui noster, de consilio et iudicio principum Wadizlao illustri duce Boemie sentenciam promulgante et omnibus princibus approbantibus marchiam Austrie in ducatum commutavimus […] “ PRIVILEGIUM MINUS, Absatz 4.

[35] H. APPELT, Privilegium minus, S. 85.

[36] H. APPELT, Privilegium minus, S. 84.

[37] H. APPELT, Privilegium minus, S. 84.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Das privilegium minus
Untertitel
Eine Untersuchung zu seiner Bedeutung für das Lehnswesen im Hochmittelalter
Hochschule
Universität zu Köln  (Historisches Seminar I)
Veranstaltung
EInführungsseminar: Der Sachsenspiegel
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
18
Katalognummer
V146229
ISBN (eBook)
9783640569724
ISBN (Buch)
9783640570102
Dateigröße
454 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Friedrich Barbarossa, Heinrich der Löwe, Heinrich Jasomirgott, Bayern, Habsburger, Staufer, Welfen, Mittelalter, 12. Jahrhundert
Arbeit zitieren
Markus Ramers (Autor:in), 2008, Das privilegium minus , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146229

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