Der lange Weg nach Westen?

Zum Ratifizierungsprozess der EU-Verträge in Polen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Die politische Landschaft in Polen
2.1 vor der Wahl 2007
2.2 Der Ratifizierungsprozess im Pressespiegel

3. Außerparteiliche Machtfaktoren: Die Haltung der katholischen Kirche und das Phänomen Radio Maryja

4. Zusammenfassung

5. Literatur

1. Einleitung

Die Republik Polen steckt derzeit europapolitisch in einer Sackgasse. Einerseits hat der polnische Präsident Lech Kaczynski den Vertrag von Lissabon ausgehandelt, andererseits will er das Ratifizierungsgesetz jetzt nicht mehr unterschreiben. Wie aber kam es zu dieser Situation?

Um diese Frage zu klären werden wir uns in den folgenden Kapiteln die Parteien- und Presselandschaft in Polen einmal näher ansehen. Es soll die Frage geklärt werden, inwiefern das Verhalten Lech Kaczynskis parteipolitische Hintergründe hat. Auch die unterschiedlichen außenpolitischen Prioritäten des Premierministers Donald Tusk und des Präsidenten werden näher beleuchtet.

Auch der Einfluss der Polnischen Katholischen Kirche, vor Allem des Priesters und Medienunternehmers Tadeusz Rydzyk, wird kritisch betrachtet. Hierbei wird hinterfragt, wie groß dieser Einfluss tatsächlich ist.

Die Quellenlage ist in Bezug auf die wissenschaftliche Ausarbeitung dieses Themas sehr dürftig. So hat sich bisher lediglich Ireneusz Pawel Karolewski in einem Aufsatz mit dem Verfassungsdiskurs näher befasst. Es ist daher unumgänglich auf die Programme der einzelnen Parteien und auf die polnische Tagespresse zurückzugreifen. Besondere Beachtung finden die Artikel aus den Onlinearchiven der zwei auflagenstärksten Tageszeitungen Polens, der Gazeta Wyborcza1 (GaW) und der Rzeczpospolita2 (Rz). Ferner betrachten wir auch die Publikationen des nicht nur in Kirchenkreisen umstrittenen Senders Radio Maryja3, dessen Sendungen als Podcast im Internet verfügbar sind.

Die verwendeten Artikel wurden vom Autor selbst ausgewählt und - soweit erforderlich - übersetzt.

2. Die politische Landschaft in Polen

Um die Schwierigkeiten während des Ratifizierungsprozesses der EU-Verträge zu verstehen, ist es erforderlich, die politische Landschaft in Polen zu kennen. Dabei beschränken wir uns auf die Parteien, die im Sejm, dem polnischen Parlament, vertreten waren bzw. derzeit vertreten sind, und wir betrachten deren Ambitionen in Bezug auf die europäische Union. Auch die Nicht-parteilichen Machtfaktoren werden in diesem Kapitel genannt.

2.1 Die politische Landschaft vor der Wahl 2007

Nach den Wahlen im Jahre 2005 ging die Partei „Prawo i Sprawiedliwosc“ (Recht und Gerechtigkeit) aus den Wahlergebnissen mit als stärkste Fraktion hervor. Ihr gehören sowohl der derzeit amtierende Präsident, Lech Kaczynski, als auch dessen Zwillingsbruder Jaroslaw, der ehemalige Premierminister, an. Diese Partei ist dem national-konservativen Spektrum zuzuordnen. Die PiS ist innenpolitisch gegen Abtreibungen, Homosexualität und Legalisierung von leichten Drogen und steht für eine Wiedereinführung der Todesstrafe. Außenpolitisch haben sich die Kaczynski-Brüder zwar für den EU-Beitritt Polens ausgesprochen, diesen jedoch an harte Bedingungen geknüpft.

Betrachtet man das Wahlprogramm zur Wahl 2007, so fällt einem auf, dass im wirtschaftlichen Teil mehrfach von EU-Fördergeldern gesprochen wird. So heißt es in der Einleitung des wirtschaftspolitischen Teils beispielsweise: „ Die Chancen, die Polen durch die Möglichkeit von EU-Fördermitteln zu profitieren gegeben werden, darf man nicht vergeuden“.4 Ferner heißt es, dass die Regierung Jaroslaw Kaczynskis es erreicht habe, dass Polen in den Jahren 2007 bis 2013 der größte Profiteur von EU-Geldern werde.5 Polen würde in diesem Zeitraum bis zu 70 Milliarden Euro erhalten, eine Unterstützung, die zu großen Teilen der Landwirtschaft zugute kommen würde. Dies ist ein nicht unwichtiger Punkt, da die PiS einen großen Teil ihrer Wählerschaft aus dem ländlichen Raum rekrutiert.

Auch die Modernisierung der Infrastruktur soll nach dem Willen der PiS zu großen Teilen von EU- Fördergeldern gefördert werden.

Betrachtet man lediglich den wirtschaftlichen Teil, so müsste man annehmen, dass die Regierung Jaroslaw Kaczynskis in der Europäischen Union lediglich massive Vorteile für Polen gesehen hat. Warum also sollte die Kaczynski-Regierung den EU-Vertrag nicht ratifizieren? Auf diese Frage gibt das Wahlprogramm keine explizite Antwort. Zu finden sind lediglich Hinweise, die darauf schließen lassen, dass die PiS mit den Ängsten der Bevölkerung spielt. So wirbt sie in dem Wahlprogramm von 2007 beispielsweise damit, dass sie sich stets gegen Regressansprüche aus Deutschland wehren wird. Im außenpolitischen Teil des Programms ist sogar die Rede davon, dass „ das Potenzial der revisionistischen Bedrohung es nötig macht, über die Fortführung der jahrelangen Politik der guten Nachbarschaft nachzudenken“.6 Dies zeugt von einer durchaus aggressiven Form der Außenpolitik. Zum Verfassungsvertrag steht im Wahlprogramm, dass die PiS „für Polen ungünstige Vorschriften nivelliert“7 habe und dank dessen die Gewichtung der polnischen Stimme erhalten geblieben sei. Um welche Vorschriften es sich genau handelt wird nicht näher gesagt.

Aber wo genau steht die PiS nun? Diese Frage ist schwierig zu beantworten. In ihrer Dissertation vom Juni 2005 geht die Politikwissenschaftlerin Anna Niewiadomska-Frieling davon aus, dass die PiS die EU als lockeres Bündnis souveräner Staaten ansieht.8 Eine der wichtigsten fünf Fragen ist demzufolge die „Durchsetzung polnischer Interessen im Prozess der Integration in die EU, die wir als ein starkes Bündnis solidarischer nationaler Staaten, die ihren Wohlstand und ihre Unabhängigkeit stärken, sehen möchten.“9 Dies mag ein Grund dafür sein, dass die Regierung Kaczynski die EU-Grundrechtecharta nicht ratifizieren wollte. Durch eine Anerkennung der Charta wäre nämlich ein rechtlich verbindlicher Status geschaffen worden, dem der polnische Staat sich hätte beugen müssen.

Die zweitstärkste Fraktion mit 28,9 Prozent bildete die Partei des jetzigen Premierministers Donald Tusk, die Platforma Obywatelska (Bürgerplattform). Sie ist eher der politischen Mitte zuzuordnen. Innen- wie Außenpolitisch tritt diese Partei wesentlich moderater auf als die PiS. So vertritt sie beispielsweise nicht die starren Ansichten bezüglich der Homosexualität und steht auch nicht für die Todesstrafe.

Vergleicht man die Wahlprogramme der PO mit denen der PiS, so fällt einem auf, dass der Ton weitaus moderater ausfällt. Anders als die PiS vertritt die Bürgerplattform weder im Programm von 2005, noch in dem von 2007 die Ansicht, dass Polen sich irgendwelcher Ansprüche ( vor Allem von deutscher Seite) erwehren müsse. Vielmehr ist man in der PO der Ansicht, dass „die Europäische Union unsere Waffe sein sollte, und nicht ein durch einen großen Teil der politischen Klasse Polens bekämpfter Fremdkörper, der gut ist solange er etwas gibt, und schlecht wenn er etwas erwartet“.10 Die Platforma Obywatelska geht demnach davon aus, dass eine stabile Europäische Union im Interesse Polens liegt.Sie muss demzufolge effektiv arbeiten können, wofür ein gewisser stabiler institutioneller Rahmen gegeben sein muss, aber auch eine kontinuierliche Verlässlichkeit der Bündnispartner. Letztere stand unter der Regierung J. Kaczynskis immer öfter zur Debatte.

Bezüglich des Verfassungsvertrages hat sich die Position der Bürgerplattform leicht verändert. Auch die PO kritisierte das für Polen ungünstigere neue Entscheidungssystem, akzeptierte aber gleichzeitig die Verfassungsvereinbarungen bezüglich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.11 Der Slogan „Nizza oder Tod“ wird von der Partei nicht mehr verwendet, dennoch plädiert sie für die Beibehaltung der in Nizza vereinbarten Abstimmungsregeln.

Die Liga Polskich Rodzin (Liga Polnischer Familien) zählt zum rechten Spektrum. Sie ist stark an die Kirche gebunden und gilt als Ultranationalistisch. Sie bedient sich antisemitischer Propaganda und ist mit der NPD vergleichbar. Sie war bis 2007 mit 7,4 Prozent der Stimmen im polnischen Parlament vertreten. Politisch steht sie der EU ablehnend gegenüber. Sie verteufelt die europäische Verfassung, da diese angeblich elementare Werte der polnischen Gesellschaft bedroht.12 Dies geschieht beispielsweise durch die Akzeptanz der gleichgeschlechtlichen Ehe, einer Lebensform, die im katholischen Polen höchst umstritten ist. Des Weiteren ist die angebliche Vormachtstellung Deutschlands innerhalb der EU der LPR ein Dorn im Auge.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb 1: Brief an den Präsidenten

Selbst wenn diese Partei aktuell nicht im Sejm vertreten ist, agiert sie weiterhin gegen eine EU-Verfassung, unabhängig davon, wie diese letztendlich genannt wird.13 Ein Beispiel hierfür ist die Aktion „Narodowa akcja: Napisz list do Prezydenta w obronie Polski“14, in dem die Polen aufgefordert werden, dem Präsidenten ihre Ablehnung bezüglich des Vertrages von Lissabon mitzuteilen. Selbst wenn diese Aktion wohl kaum die Haltung Lech Kaczynskis beeinflussen dürfte, so ist sie dennoch ein Zeichen für die politische Haltung der LPR.

Warum aber gelingt es der PiS und der LPR immer wieder mit den Ängsten der Menschen zu spielen? An dieser Stelle sei mir aufgrund des derzeit niedrigen Forschungsstandes ein wenig Spekulation gestattet.

Historisch gesehen ist die Republik Polen eine sehr junge Demokratie. Gleichzeitig ist der polnische Staat erst seit 1989 wirklich souverän. Seit der dritten Teilung im Jahre 1795 war das polnische Volk von fremden Mächten beherrscht. Eine Ausnahme bildete die kurze Zeit der zweiten polnischen Republik, also die Jahre 1918 / 1919 bis zum September 1939, der vierten Teilung. Zwar war der polnische Staat nach 1945 international als souveräner Staat anerkannt, de facto lag die Macht jedoch in Moskau.

Die Schrecken des zweiten Weltkrieges und der Zeit, die darauf folgte, sind vielen älteren Polen, die naturgemäß die Mehrheit der Wählerstimmen stellen, noch frisch im Gedächtnis. Diese Wählergruppe ist es auch, die den -wenn auch nur teilweisen- Verlust der gerade erst erworbenen staatlichen Souveränität fürchtet.

Genau vor diesem Hintergrund muss man jegliche außenpolitische Handlung einer polnischen Regierung betrachten. So ist auch die verstärkte Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika und die Stationierung von militärischem Material zur Raketenabwehr auf genau diese Angst zurückzuführen. Der derzeitige polnische Außenminister Radoslaw Sikorski (PO) hat in seiner Regierungserklärung vom Mai 2008 gesagt, dass Polen erst dann zu einem normalen europäischen Staat werde, wenn es normale europäische Nachbarn auf beiden Seiten seiner Grenzen15 habe16. Dieser Satz zeigt, dass derzeit jede polnische Regierung alle Möglichkeiten nutzen muss und wird um jeglichen erneuten Verlust der Souveränität zu verhindern. Dazu zählt auch, dass Polen so wenig Entscheidungskompetenzen wie möglich an die Europäische Union abtreten will.

[...]


1 www.wyborcza.pl

2 www.rzeczpospolita.pl

3 www.radiomaryja.pl

4 s. Wahlprogramm der PiS, Warschau 2007, S. 21

5 s. Wahlprogramm PiS, S. 23

6 s. Parteiprogramm PiS 2007, S. 50

7 s. Parteiprogramm PiS 2007, S. 53

8 vgl. Anna Niewiadomska-Frieling, POLITISCHE PARTEIEN POLENS NACH 1989, Zusammenhang zwischen den cleavage-Positionen und den EU Positionen der polnischen Parteien in den Parlamentswahlen 1997 und 2001, Berlin 2005, S. 188

9 Parteiprogramm der PiS 2001, zit. nach ebd.

10 s. Zasadnicze cele naprawy Panstwa - III Krajowa Konwencja Platformy Obywatelskiej RP Warschau, 21. Mai 2006, S. 12 Zu erhalten unter: http://www.platforma.org/program/ (Stand 08.08.2008)

11 Vgl. Karolewski, Ireneusz Pawel; „Verfassungsdiskurs in Polen“, S. 92, In: Franzke, Jochen (Hrsg); Europa in der Denkpause“, Brandenburg 2005, S. 88-93

12 s. Karolewski, Verfassungsdiskurs, S. 89

13 Es macht für die LPR kaum einen Unterschied, ob man von der EU-Verfassung oder vom Vertrag von Lissabon spricht.

14 Nationale Aktion: Schreib einen Brief an den Präsidenten zur Verteidigung Polens, zu finden unter: http://www.lpr.pl/?sr=!czytaj&id=6480&dz=kraj&x=9&pocz=0&gr=

15 Gemeint ist in erster Linie die Russische Föderation und ihr Verbündeter Weißrussland, vermutlich in Verbindung mit dem Streit um das amerikanische Raketenabwehrschild (d. Autor)

16 s. Sikorski, Radoslaw: Informacja Ministra Spraw Zagranicznych na temat polityki zagranicznej RP w 2008 roku, Warschau 2008. http://www.msz.gov.pl/Informacja.Ministra.Spraw.Zagranicznvch.na.temat.politvki.zagranicznej.RP.w.2008.roku.17 317.html, Stand 01.09.08

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der lange Weg nach Westen?
Untertitel
Zum Ratifizierungsprozess der EU-Verträge in Polen
Hochschule
Universität Potsdam
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
19
Katalognummer
V146140
ISBN (eBook)
9783640566037
ISBN (Buch)
9783640566471
Dateigröße
573 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Europäische Union, Vertrag von Lissabon, Polen, Medienlandschaft Polen, Innenpolitik Polens, Aussenpolitik Polens, EU, Kaczynski, Innenpolitik, Aussenpolitik, EU-Reform
Arbeit zitieren
Michael Breska (Autor:in), 2008, Der lange Weg nach Westen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146140

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