Wassergeister und Meerwunder in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Überlieferung


Seminararbeit, 2007

22 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Traditionspsychologisch orientiertes Interpretationsmodell

3. Anthropomorphe Wassergeister

4. Theriomorphe Erscheinungen

5. Maritimer Raum und Meerwunder

6. Fazit

7. Bibliographie

1. Einleitung

Es lässt sich wohl schwerlich ein Kulturkreis rund um den Globus finden, welchem jegliche Vorstellung von dämonischen Wesen unbekannt ist, um etwa Nebelhaftes oder Unbegreifliches in der menschlichen Lebenswirklichkeit verständlich zu machen oder die Welt ringsum zu erfassen.[1] Insofern war das Aufkommen dämonischer Vorstellungswelten nach Sigmund Freud der erste menschliche Verdienst in theoretischer Hinsicht.[2]

Als ubiquitär-geistige Realitäten und Abbildungsflächen von emotional-menschlichen Elementen wie Erfahrungen, Furcht oder Zuversicht einerseits, kollektiven Wertesystemen, sozialen Gefügen oder jeweiligen Erkenntnisstand andererseits, unterliegen dämonische Wesen einer fortdauernden Modellierung[3] in den Gesellschaften, in welchen sie generiert werden. „Die Unbestimmtheit und Flüchtigkeit ihres Wesens, der Wandlungsreichtum ihrer Gestalt und die Ambivalenz ihres Charakters“[4] ergeben diffuse Konturen und problematisieren damit ihre Wesenbestimmung.[5] „Dämonen sind Glaubensgestalten und Erzählgestalten zugleich, Phänomene des Volksglaubens, die sich in der Volkserzählung konkretisieren.“[6] In solchen Vorstellungen spiegelt sich aber nicht nur das Bestreben der Gesellschaft wieder das Unbekannte und die sie umgebende Welt zu erklären, sondern auch das Vorhaben diese durch in bestimmten Milieus entstandenen und dort tradierten Anweisungen zu kontrollieren. Etwa im richtigen Umgang mit den schon in frühen Vorstellungswelten existenten und auf der kulturanthropologischen Animismuskonzeption beruhenden Elementargeistern, die als elementare Versinnbildlichungen in der beseelt gedachten Natur scheinbar Abläufe und Geschehen bestimmten.[7] Das dämonische Wesen nimmt damit eine zentrale Schlüsselfunktion und Mittlerrolle zwischen den Bereichen Natur und Kultur ein.[8]

Eine Mittlerrolle nahmen die „Daimones“, das so viel bedeutet wie „Verteiler oder Zuteiler des Schicksals“[9], auch in der Systematik antiker griechischer Gelehrter ein, welche sie etwa wie Plutarch oder Hesiod[10] als Verbindung zwischen den hierarchisch gegliederten Bezugspunkten Gott und Mensch integrierten. Als Geschöpfe mit originär neutraler und unpersönlicher Konnotation agierten sie nicht nur als hyperphysisches Bindeglied zwischen den beiden genannten Polen, sondern wurden in ihrem engen Bezug zu Menschen auch mit Protektions- und diversen weiteren Kompensationsfunktionen in Verbindung gebracht. Auf die Verbreitung von dämonischen Vorstellungswelten in Schrift und Wort, in Form von intellektueller Literatur und Volkserzählung, trifft man aber nicht nur in der Antike, sondern auch im mittelalterlichen Zeitalter, in welchem die wundersamen Wesen undifferenziert neben nicht fiktiven Naturgeschöpfen als Teil des göttlichen Heilsplans betrachtet wurden. Seien es auf Analogiedenken basierende Kreaturen der Scholastik, die im Volksglauben existierende Geschöpfe oder die an Gebäuden und Inneneinrichtung angebrachten und in Bestiarien und Chroniken bildhaft beschriebenen Mischwesen, sie alle belegen die Imaginationskraft jener Zeit.[11]

Als kontinuierlich auftretende Problematik erschwerte aber auch in der Neuzeit die im Volksglauben aus Fluktuation und Individualität hervorgerufene Vielfalt von dämonischen Gestalten eine Systematisierung.

Durch verschiedene Klassifizierungssysteme versuchten ab dem 15. Jahrhundert trotz der genannten Problematik Gelehrte die Gestalten in so genannten Dämonologien in einen durchdachten Rahmen zu fassen. Sie koordinierten in diesem Bedeutungsfeld weniger im Volksglauben vorhandene Dämonen, sondern generierten anhand spätantiker Dämonologien fabulöse Gestalten der vorwissenschaftlich-spekulativen Naturphilosophie.[12]

In den Werken „Chronologia mystica“ und „Liber octo questionum“ setzte sich beispielsweise Johannes Trithemius, Abt von Sponheim mit verschiedenen für seine Systematik wichtigen dämonologischen Grundsatzfragen wie die von ihm vermuteten Dämonendynastien auseinander. Getragen wurden seine Überlegungen dabei nicht nur von neuplatonischen[13] Gedankengut, sondern auch von der in der Diabolisierungstradition der Spätantike und des Mittelalters stehenden Vorstellung, dass Dämonen die Nachfahren der in Verbindung mit den Menschen getretenen abgestürzten Engeln nach dem Buche Genesis seien. Auf dieser Basis, ersann Trithemius ein Lehrgebäude, nach welchem den jeweiligen „Geschlechtern der Teufel“ ein Element zugewiesen wurde. Neben den feurigen als erstes , den luftigen als zweites, den irdischen als drittes und den unterirdischen als fünftes Teufelsgeschlecht machte er als viertes dämonisches Kollektiv das so genannte „Aquaticum“ aus, welches er wie folgt beschrieb:

„Das viert Geschlecht und Art der Teufel heißt man Aquaticum, das ist darum, daß sie gern um die Wasser wohnen. Ist ein bös und zörnig, unruhig, betrogenes Geschlecht der Teufel, erweckt auf dem Meer allerlei Ungewitter, versenkt die Schiff in die Tiefe, ertränkt viele Menschen […]“[14]

An einer Verständigung der christlichen Glaubensvorstellungen und der antiken Dämonen- und Elementarlehre versuchte sich der am Anfang des 16. Jahrhundert lebende Gelehrte Agrippa von Nettesheim in seiner dämonologischen Systematik, die er in seinem Werk „De occulta Philosophia“ fundierte. Neben einer großen Anzahl von Dämonen, die er in einem bestimmten Umfeld und Milieu platziert, nennt er auch übernatürliche Wesen, die im Bezug zum Wasser stehen. So siedelte er etwa die aus der griechischen Mythologie bekannten Najaden bei Quellen und Potamiden bei Flüssen an, Nymphen im Ambiente von Seen und anderen Binnengewässern. Agrippa geht bei seinen Ausführungen auch auf das physische Erscheinungsbild seines Dämonenspektrums ein[15] und kommt im Bezug auf die Wassergeister zum Schluss, dass diese aus einem Mischverhältnis von Feuer, Luft und ein wenig Wasser bestehen. Im Gegensatz zu den feurigen und luftigen Geistern, die sich in transformatorischer Hinsicht nur durch ihre eigene Imaginationsgabe begrenzen, nehmen „Wassergeister, welche die feuchte Oberfläche der Erde bewohnen, […] in Folge der Weichheit ihres Elements gemeiniglich die Form weiblicher Wesen an, wie die der Najaden […].“

Neben solchen Versuchen das dämonische Spektrum zu koordinieren, treten Wassergeister vor allem in der Vorstellungswelt des Volksglaubens unter anderem als „psychische Realitäten und Projektionen menschlicher Erfahrungen, Ängste und Hoffnungen“[16] in Erscheinung. Obwohl die Verbreitung ihrer Sagen keine einheitlichdurchgängige Dichte aufweißt, ist festzustellen, dass in der Oberpfalz, Schlesien und in mittelhochdeutschen Arealen im Vergleich zu anderen Regionen eine erhöhte Zahl von Erzählungen und Schilderungen über Wassergeister zu finden ist.[17]

Wasserdämonen werden im und in direkter Nähe zum Wasser angesiedelt oder stehen damit in etwaigem Konnex. So leben zu den Naturdämonen zu zählende Wassergeister, der Imaginationswelt des Volksglaubens nach, etwa in Brunnen und bei Quellen, in Tümpeln, Weihern und Teichen; in Bächen, Flüssen, Seen, weiteren Binnengewässern und Meeren.

Neben dem männlichen und weiblichen Geschlecht, existieren im großen Spektrum der Wassergeister sowohl anthropomorphe als auch theriomorphe bis hin zu teratologischen und zoomorphen Erscheinungsformen. Namen wie Vodyaniye, Brunnemutter, Meerjungfrau, Tritonen, Nöck, Hakelnixe, Kelpies, Wasserfrauen, Brückenmann oder Wassermuhme, um nur einige zu nennen, unterstreichen ihren vielfältigen und polymorphen Ausdruck im Volksglauben, wobei im Bezug zu den jeweiligen Landstrichen sowohl Denotation als auch Konnotation differieren kann.[18] Aufgrund der also auch bei Wassergeistern vorhandenen vielfältigen Erscheinungsformen und der damit verbunden Problematik für eine kategoriale Systematik, möchte der Autor durch seine Auswahl und seine Untersuchungen im Rahmen dieser Seminararbeit vorwiegend einen thematischen Bereich konturieren[19] und deshalb primär dementsprechende Aspekte beleuchten. Er ist sich dabei der Tatsache bewusst, dass im Rahmen einer Arbeit von dieser Kürze das Thema keinesfalls erschöpfend behandelt werden kann, hofft aber einen guten Einblick in das behandelte Feld zu geben.

2. Traditionspsychologisch orientiertes Interpretationsmodell

Naturdämonen gelten zwar als imposante Figuren des Volksglaubens, werfen aber im selben Moment starke Deutungsproblematiken auf;[20] wobei im Zentrum dämonischer Sagen entweder menschliche Akteure, die sich hyperphysische Potenz nutzbar machen, oder „dämonische Wesen, denen übernatürliches Wissen oder ebensolche Kräfte nachgesagt werden“, agieren.[21]

Die skandinavischen Folkloristen Carl Wilhelm von Sydow und Albert Nilsson unterstrichen dabei in ihren Überlegungen die Bedeutung von psychologischen und emotionalen Elementen bei der Bildung von Volksglaubensvorstellungen und davon abhängigen Erzählungen. Der involvierte Akteur interpretiert demnach bestimmte Vorkommnisse im Rahmen einer in seinem gesellschaftlichen Umfeld und Milieu generierten und dort dominanten Interessensrichtung. Nilsson fasst diese Konstellation, die unter anderem von Faktoren wie sozialem Stand, anthropogeografischem Zustand oder gegebenen Erwerbsmöglichkeiten beeinflusst wird, unter dem Begriff „Interesse(n)dominanz“ zusammen. Auf das Milieu übertragen spricht Nilsson von „dominant elements in the environment“ beziehungsweise von „Milieudominanz“. Weiters kann ein durch soziale und mentale Strukturen bestimmte „Traditionsdominanz“ als weiterer bestimmender Faktor eruiert werden.

Der finnische Folklorist Lauri Honko lotet die drei angeführten Dominanzbegriffe innerhalb eines „frame of reference“ aus. In einem solchen Referenzrahmen, der ein Relations- und Bedeutungsfeld umspannt, wirkt auf der Ebene eines soziokulturell-dominanten Milieus ein breites Spektrum von Traditionen, Annahmen, Ansichten, Sinneseindrücken und Gemütsbewegungen, welche sich in einer kollektiven Wahrnehmungsrealität ajourieren. Auf diese Weise werden Konzepte als symbolische Repräsentationen von Ideen im jeweils dominanten Milieu nicht nur generiert, sondern von diesem wiederum bestimmt.[22]

Zudem bezieht eine traditionspsychologische Sichtweise neben dem erwähnten synchron-dominanten Referenzrahmen mit besonderer Beachtung der anthropogeografischen und kulturanthropologischen Milieudominanzen in der bäuerlichen, urbanen, alpinen, montanen feudal-genealogischen oder maritimen Lebenswirklichkeit, auch den diachromen Faktor von chronologisch-historischer Schichtung durch geistesgeschichtliche, religiöse und gesellschaftliche Entwicklungen in die Betrachtung von Erzählungen mit ein.

Besonders bei der Untersuchung von Wassergeistern fällt auf, dass sich Faktoren wie Motive, Muster oder Vorstellungen nicht auf einen bestimmten Lebensbereich einschränken, sondern durch die in der Natur der Sache liegenden Interferenz von Lebenswirklichkeiten gegebenenfalls transferieren. So treten Wasserdämonen nicht nur in direkter Nähe von Wasser auf und lassen sich dadurch nicht nur etwa im maritimen Lebensbereich lokalisieren. Neben den dabei zusätzlich zu berücksichtigenden Differenzen etwa zwischen Binnengewässer, Bergsee, Fluss, Quell, Nord- oder Mittelmeer, lässt sich auch feststellen, dass all diese Gewässerformen „letztlich mehr durch das Milieu ihrer Umgebung […] als durch ihre natürliche Eigenschaft“[23] charakterisiert sind. Lauri Honko schrieb dazu,

„It is also at least as important that the tradition is not connected with water in general, but certain places where on swims, fishes etc. Water spirits are not found everywhere where there is water, but can only occur in places where water is used regularly.”

Den Seeleuten auf Hochsee in Erscheinung tretende „mermaids“ unterscheiden sich demnach von einer Teich-Nixe im dörflichen Einzugsgebiet im Wesentlichen durch ihre „symbolische und kognitive Struktur“; die agierenden Dämonen spiegeln dabei die gesellschaftlichen Strukturen und Konzeptionen des sie umrahmenden Lebensbereiches wieder.[24] J. Stattin eruierte beispielsweise anhand der schwedischen Erscheinungsform des Nix, dem Näcken, wie sich gesellschaftliche Konzeptionen und Wertvorstellungen der schwedisch-bäuerlichen Bevölkerung in Form von Dämonenerzählungen und -Vorstellungen narrativ versinnbildlichen. In seinen Konzeptionen von der bäuerlichen Lebenswirklichkeit stark differenzierend wirkt der maritime Bereich, wenn beispielsweise Seeleute durch ihre atmosphärisch abhängige Arbeitswelt Naturkräfte „viel lebensnaher und existenzbedrohender“ erleben als ein Bauer.[25] Dieser Umstand führte unter anderem dazu, dass im Bereich der Glaubensvorstellungen widergespiegelte Interessen der Gruppe, in diesem Fall der Schiffsbesatzung, und ihrer Arbeit überwiegen. Durch die extremen Bedingungen waren neben Erzählungen von anthropomorphen Mischwesen wie Meerjungfrauen, vor allem Geschichten von Meeresdrachen, Seestieren oder Riesenkracken verbreitet, welche Segelschiffe in die Tiefe ziehen.[26]

3. Anthropomorphe Wassergeister

Dämonen und Geister waren für den alemannischen Gelehrten Theophrastus von Hohenheim, besser bekannt unter dem Namen Paracelsus, allgegenwärtig[27]:

„Also sind die Menschen vnd Leuth, sterben mit dem Viech, wandeln mit den Geistern, essen und trinken mit den Menschen […] Ihr Wohnung sind viererley, das ist nach den Vier Elementen. Eine im Wasser, eine in Lufft, Ein in der Erden, Eine im Feuer. Die im Wasser sind Nymphen […]“[28]

Stark beeinflusst durch den Elementargeistergedanken versuchte Paracelsus in seinem 1566 erschienenen Werk „Liber de nymphis, sylphis, pygmaeis et salamandris et de caeteris spiritibus“ die für ihn real existierenden dämonischen Geschöpfe zu fassen und in einer Systematik unterzubringen. Darin bezeichnet er die dämonischen Gestalten mitunter als Geistmenschen[29] oder „Menschen in tierischer Art“[30] und unterstrich damit seine Auffassung, dass die Dämonen zwar eine menschliche Natur aufweisen, aber über keine Seele verfügen. Um trotzdem an eine Seele zu gelangen und an der menschlichen Transzendenz zu partizipieren, suchen sie die eheliche Verbindung mit einem menschlichen Individuum.[31]

Paracelsus beschrieb dies für die Wassergeister wie folgt:

„Nun aber, Menschen sinds, aber allein in tierischer Art, ohne Seel. Nun folgt aus dem, daß sie zu Menschen verheiratet werden, also daß eine Wasserfrau einen Mann aus aus Adam nimmt, und hält mit ihm Haus und gebiert. Von den Kindern wisset, daß solch Gebären dem Mann nachschlagt, drum daß der Vater ein Mensch ist aus Adam, darum wird dem Kind eine Seel eingegossen und es wird gleich einem rechten Menschen, der eine Seel hat. Nun aber weiter, so ist das auch in gutem Wissen, daß auch solche Frauen eine Seel empfahen, indem so sie vermählt werden, also daß sie wie andere Frauen vor Gott sind und durch Gott erlöst sind […]Daraus folgt nun, daß sie um den Menschen buhlen sich zu ihm fleißigen und heimlich (vertraut) machen, gleicherweis wie ein Heide, der um die Tauf bittet und buhlt, auf daß er sein Seel erlange. Also stellen sie nach solcher Liebe gegen die Menschen, auf daß sie mit dem Mensch in demselben Bündnis sind. Denn aller Verstand und Weisheit ist bei ihnen außer der Seel.“[32]

So tritt etwa Undine, eine seelenlose Wasserfrau mit berauschendem Charakter, deren Name womöglich auf das lateinischen Wort für Woge und Welle zurückzuführen ist, im Glauben an einen Seelenempfang in Verbindung mit einem menschlichen Gatten.[33] Die durch die Erzählung des deutschen Poeten Friedrich de la Motte Fouqué im Jahre 1811 adaptierte und dadurch weiteren Kreisen bekannt gewordene Figur der Undine[34], bezeichnete bei Paracelsus unter anderem auch einen dämonologischen Genus.[35]

Ubiquitär-analoge[36] Motive erotischer Komponente lassen sich auch häufig in Erzählungen des Volksglaubens wieder finden. Die dabei geschilderten Ehen sind zwar häufig sowohl in emotionaler, sowie auch materieller Hinsicht für den menschlichen Beziehungsakteur von günstigem Charakter, doch im gleichen Moment mit einem Tabu behaftet, das allzu oft verletzt wird. So ist es in einer so genannten Marthenehe[37] beispielsweise verboten, dass der menschliche Ehepartner den Dämonen nach der Provenienz frägt, ihm Schaden zufügt, ihn mit der äußeren Handfläche tangiert oder in seiner Gegenwart zetert. Der Volksüberlieferung nach gilt die Konstante, „wonach weibliche Wassergeister Menschen-Männer durch Gesang oder ähnliche Kunststücke locken und verführen, Wassermänner die Menschen-Frauen hingegen entführen beziehungsweise rauben“[38] wie etwa in den Erzählungen „von der menschlichen Frau und dem Wassermann.“[39] Eine vermeintliche Entführung einer menschlichen Frau durch einen Wassermann, stellt etwa Albrecht Dürers 1498 entstandener Kupferstich „das Meerwunder“ dar.[40]

Besonders die Sagen über eine Liaison zwischen einem weiblichen Dämonen und einem menschlichen Gatten wie jene der Undine stechen prägend hervor.[41] Als populäres Sujetbeispiel „der höfischen Ebene“[42] erscheint dabei das in die mittelalterliche und neuzeitliche Kultur integrierte, beispielsweise in der Ortenau von Ritter Peter Dimriger, und bis ins 20. Jahrhundert immer wieder adaptierte und neu bearbeitete Melusinenmotiv,[43] wodurch Melusine von einem Dämon in eine christlich konnotierte Ahnfrau eines adeligen Geschlechts umgedeutet wurde.[44] In einer Sagenerzählung des 13. Jahrhunderts wird Melusine als nixengestaltige Meerfee beschrieben, die als fabulöse Mischgestalt von tierischer und menschlicher Komponenten zusammengesetzt ist. Konstantes erzählerisches Motiv ist das Sichttabu für ihren Gemahl, der sie aufgrund ihres an einem bestimmten Wochentag sichtbaren Fischschwanzes nicht beim Baden beobachten darf. Veranlasst durch den Tabubruch eilt Melusine davon.[45]

Während sich in Frankreich im von Mönchen um das Jahr 800 geschaffenen „Liber monstrorum“ die bis heute frühestbekannte Schilderung einer femininanthropomorphen Fischgestalt im nord-alpinen Kulturraum befindet[46] und weitere Abbildungen das Aussehen weiblicher Wassergeister konkretisierten, ist dennoch festzustellen, dass die volkstümliche Überlieferung dem physischen Erscheinungsbild des weiblichen Dämonenspektrums im Gegensatz zu den männlichen Wassergeistern, weniger Interesse zu widmen schien.[47] Sie werden entweder als Mischwesen mit menschlichen Oberkörper und tierischem Unterlaib oder in ganzheitlicher menschlicher Gestalt beschrieben. Als oft attraktiv geschilderte Erscheinungen, treten aber auch Berichte auf, in denen man sie sich etwa mit Schlitz-, Fisch- oder Froschaugen, grünen Zähnen, meergrünem oder blauem Körper, nur einem Nasenloch oder einem an einen Hund erinnernden Gesicht ausmalt, welches der Grund sein soll, dass ihre Kinder einen Hundskopf haben. Im alemannischen Sprachraum, Schlesien oder Böhmerwald sind weibliche Wasserwesen kleinerer Gestalt, nicht höher als eine Tischkante. Wenn von ihrer Haarfarbe gesprochen wird, wird oft blond oder schwarz genannt, wobei von einer brandenburgischen Seejungfrau berichtet wird, dass sie mit ihren langen, den ganzen Körper umhüllenden Haaren Fische fängt. Wenn sich weibliche Wassergeister in menschliches Milieu begeben, sind sie daran zu erkennen, dass sie durch einzelne ständig nasse Kleiderkomponenten oder ihrem feuchten Haar ein wässriges Indiz hinterlassen.[48]

Eine zu den ältesten Schilderungen über weibliche Wassergeister zählende Gestalt, welche auch wiederum zwecks fehlender Seele nach einer Verbindung mit einem Menschen in Form einer Marthenehe strebt, ist die „rauhen Else“, die im mittelalterlichen Epos Wolfdietrich aus dem 13. Jahrhundert ihre Erwähnung findet. Mit fischgleicher, schuppiger, moosbewachsener und muköser Haut, körperlangen Haaren, unnatürlich und übermäßig tief sitzende Augen, langen Zähnen und hoher Stirn, gilt sie unter anderem als Gebieterin der Meerwunder. Zu zählen ist die „rauhe Else“ zur dämonologischen Gattung der Nixen[49], welche überlieferten Volksvorstellungen nach im Gegensatz zur Figur der gutmütigen Wasserfrau größtenteils von bedrohlich-böswilligem, aber auch ambivalenten Charakter sind. Im Zuge romantischer Adaptionen erfuhren diese Wesenzüge aber positive Umdeutungen.

Während der Begriff „wazzernixe“ bei Kondrad von Würzburg im späten 13. Jahrhundert belegt ist[50], bezeichnet Notker der Deutsche im 10. Jahrhundert mit „nicchus“ eine „weibliche in dem Wasser hausende Gestalt.“[51] In der gemeingermanischen Basis-Determination bedeutet das Wort „waschen, plätschern“. Jedenfalls unterstanden Nixenfiguren einer frühen Dämonisierung.[52] Bereits in der Beowulf-Handschrift wurden mit dem altenglischen Wort „nicor“ Gestalten, unter anderem auch Grendels Mutter, bezeichnet, die sich „von Menschenfleisch ernähren und im Moor, in Fenn und Sumpf hausen […] einen mächtigen Griff [besitzen] und lange feindliche Finger haben.“[53]

[...]


[1] Leander Petzoldt, Das Universum der Dämonen und die Welt des ausgehenden Mittelalters, in: Ulrich Müller/Werner Wunderlich (Hrsg.), Dämonen. Monster. Fabelwesen (Mittelaltermythen 2), St. Gallen-Innsbruck-Konstanz 1999, S. 39.

[2] Ebd., S. 41.

[3] Leander Petzoldt, Kleines Lexikon der Dämonen und Elementargeister, München ³ 2003, S. 5 f.

[4] Ebd.

[5] Ebd.

[6] Ebd.

[7] Petzoldt, Lexikon, S. 7f.

[8] Leander Petzoldt, Dämonenfurcht und Gottvertrauen. Zur Geschichte und Erforschung unserer Volkssagen, Darmstadt 1989, S. 132f.

[9] Werner Wunderlich, Dämonen, Monster, Fabelwesen. Eine kleine Einführung in die Mythen und Typen phantastischer Geschöpfe, in: Ulrich Müller/Werner Wunderlich (Hrsg.), Dämonen. Monster. Fabelwesen (Mittelaltermythen 2), St. Gallen-Innsbruck-Konstanz 1999, S. 18 ff.

[10] Ebd.

[11] Ebd., S.14-17.

[12] Petzoldt, Welt des ausgehenden Mittelalters, S. 51.

[13] Sepp Domandl, Paracelsus – die Bedeutung seiner Philosophie für unsere Gegenwart, in: Sepp Domandl (Hrsg.), Paracelsus und sein dämonengläubiges Jahrhundet (Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung 26), Wien 1988, S. 68f..

[14] Petzoldt, Welt des ausgehenden Mittelalters, S. 45.

[15] Wolf-Dieter Müller-Jahncke, Zur Geister- und Dämonenlehre des Agrippa von Nettesheim, in: Sepp Domandl (Hrsg.), Paracelsus und sein dämonengläubiges Jahrhundet (Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung 26), Wien 1988, S. 16-23.

[16] Petzoldt, Welt des ausgehenden Mittelalters, S. 51f.

[17] Leander Petzoldt, Einführung in die Sagenforschung, Konstanz ³ 2002, S. 126 – 130.

[18] Ebd.

[19] Wunderlich, Dämonen, S. 11.

[20] Petzoldt, Dämonenfurcht, S. 99.

[21] Ebd., S.97.

[22] Ebd., S.132f.

[23] Ebd.

[24] Ebd.

[25] Ebd., S. 154.

[26] Ebd., S. 133.

[28] Petzoldt, Welt des ausgehenden Mittelalters, S. 39.

[29] Ebd.

[30] Ebd., S. 49.

[31] Ebd.

[32] Ebd.

[33] Petzoldt, Lexikon, S. 164f.

[34] Oswald Floeck, Die Elementargeister bei Fouqué und anderen Dichtern der romantischen und nachromantischen Zeit, Heidelberg 1909, S. 11-23.

[35] Helena Malzew, Menschenmann und Wasserfrau. Ihre Beziehung in der Literatur der deutschen Romantik, Berlin 2004, S.9f.

[36] Petzoldt, Lexikon, S. 130f.

[37] Ebd., S. 130f.

[38] Gabriele Bessler, Von Nixen und Wasserfrauen, Köln 1995, S.86.

[39] Petzoldt, Welt des ausgehenden Mittelalters, S. 50.

[40] Bessler, Nixen, S.85.

[41] Petzoldt, Dämonenfurcht, S. 100.

[42] Petzoldt, Welt des ausgehenden Mittelalters, S. 50.

[43] Oswald Floeck, Die Elementargeister, S. 48-61.

[44] Petzoldt, Kleines Lexikon der Dämonen und Elementargeister, S. 130f.

[45] Petzoldt, Welt des ausgehenden Mittelalters, S. 50.

[46] Bessler, Nixen, S. 33-37.

[47] Art. Wassergeister, in: Hanns Bächtold-Stäubli (Hrsg.), HdA (9), Berlin-New York 1987, Sp. 127-191.

[48] Ebd.

[49] Petzoldt, Lexikon, S. 63.

[50] Ebd., S. 173ff.

[51] Claude Lecouteux, Nicchus-Nix, in: Ulrich Müller/Werner Wunderlich (Hrsg.), Dämonen. Monster. Fabelwesen (Mittelaltermythen 2), St. Gallen-Innsbruck-Konstanz 1999, S. 439f.

[52] Petzoldt, Lexikon, S. 136.

[53] Lecouteux, Nicchus, S. 439-442.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Wassergeister und Meerwunder in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Überlieferung
Hochschule
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck  (Institut für Geschichte und Ethnologie)
Veranstaltung
Dämonologien und dämonologische Konzepte von der Antike bis zur frühen Neuzeit
Note
1
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V146088
ISBN (eBook)
9783640565535
ISBN (Buch)
9783640565207
Dateigröße
452 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wassergeister, Meerwunder, mittelalterliche Überlieferungen, frühneuzeitliche Überlieferungen, Mittelalter, Neuzeit, Meergeister, Wasserdämonen, Meerdämonen, Dämonen, Dämon, Meerjungfrau, Maritimer Raum, Theriomorph, Anthropomorph, Traditionspsychologisch, Agrippa, Johannes Trithemius, Naturdämonen, Paracelsus, Nymphen, Nymphe, Undine, Melusine, Wassermann, Wasserfrau, Marthenehe, Nixe, Nix, Beowulf, Grendel, Neck, Nöck, Strömkarl, Shelly CoatmUtoplek, Rauhe Else, Raue Else, Vodyanoy, Wodyanoy, Kelpie, Riesenhecht, Fischkönig, Fisch, finnisch-ugrisch, Ostjaken, Finnland, Wogulen, Riesenkrebs, Wasserdrache, Wasserstier, Blutschink, Riesenfisch, Ungeheuer, Seeungeheuer, Fischschwanz, nass, Weltenfisch, Meer, Fjordmann, Seeritter, unterwasser, unterseeisch, Papstesesl, Mythos
Arbeit zitieren
Hubert Feichter (Autor:in), 2007, Wassergeister und Meerwunder in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Überlieferung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146088

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