Taktisches Verhalten weltbester Fußballtorhüter

Eine videogestützte empirische Untersuchung zur individualtaktischen Analyse des Torwartspiels anhand ausgewählter Spielszenen der Spiele vom Viertelfinale bis zum Finale der Fußball Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland


Examensarbeit, 2007

132 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Anhangsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Vorwort

1 EINFÜHRUNG IN DIE THEMATIK
1.1 Allgemeine Überlegungen zur Arbeit
1.2 Zur Grundstruktur des Fußballspiels
1.3 Problemstellung
1.4 Zielsetzung der Arbeit
1.5 Aufbau der Arbeit

2 FORSCHUNGSSTAND UND HYPOTHESENFORMULIERUNG
2.1 Leistungsstrukturmodelle im Sport
2.2 Leistungsstrukturmodelle im Fußball
2.2.1 Kondition
2.2.2 Technik
2.2.3 Strategie und Taktik
2.2.3.1 Gegenstandsbereich von Strategie und Taktik
2.2.3.2 Abgrenzung unterschiedlicher Autoren von Strategie und Taktik
2.2.3.3 Taktik im Sportspiel
2.3 Strukturierung taktischer Leistungsfaktoren
2.3.1 Die taktische Handlung
2.3.2 Taktische Handlungsfähigkeit
2.3.2.1 Taktische Kenntnisse
2.3.2.2 Taktische Fähigkeiten
2.3.2.3 Taktische Fertigkeiten
2.4 Zur Struktur des modernen Fußballspiels
2.4.1 Modernes Abwehrverhalten
2.4.2 Modernes Angriffsverhalten
2.4.3 Modernes Torwartspiel
2.5 Taktik im Fußball
2.5.1 Individualtaktik
2.5.2 Gruppentaktik
2.5.3 Mannschaftstaktik
2.5.4 Abwehrtaktik
2.5.4.1 Individualtaktik in der Abwehr
2.5.4.2 Torwarttaktik in der Abwehr
2.5.5 Angriffstaktik
2.5.5.1 Individualtaktik der Feldspieler im Angriff
2.5.5.2 Torwarttaktik im Angriff
2.6 Zusammenfassung des Forschungstandes
2.7 Hypothesenformulierung

3 METHODIK
3.1 Problematik der Sportspielbeobachtung
3.1.1 Beobachtung und Analyse
3.1.2 Varianten der Beobachtung und Verfahren in den Sportspielen
3.1.2.1 Quantitatives Beobachten
3.1.2.2 Qualitatives Beobachten
3.1.2.3 Gütekriterien der Spielbeobachtung
3.1.3 Zur Konstruktion eines Beobachtungsverfahrens
3.2 Untersuchungsmethodik
3.2.1 Forschungsmethode
3.2.2 Untersuchungsgegenstand
3.2.3 Untersuchungsdurchführung
3.3 Überprüfung der Durchführungsobjektivität

4 DARSTELLUNG UND INTERPRETATION DER UNTERSUCHUNGSERGEBNISSE
4.1 Darstellung und Interpretation der analysierten Spiele
4.1.1 Individualtaktisches Abwehrverhalten
4.1.2 Individualtaktisches Angriffsveraltens
4.2 Prüfung der Ergebnisse anhand der Gütekriterien
4.3 Darstellung der hypothesenprüfenden Untersuchungsergebnisse
4.3.1 Hypothesenprüfende Untersuchungsergebnisse des individualtaktischen Abwehrverhaltens
4.3.2 Hypothesenprüfende Untersuchungsergebnisse des individualtaktischen Angriffsverhaltens
4.4 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse

5 DISKUSSION
5.1 Diskussion des Forschungstandes
5.2 Diskussion der Methoden
5.3 Diskussion der Ergebnisse

6 ZUSAMMENFASSUNG

Anhang

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anhangsverzeichnis

Teil A: Beobachtungsbogen Viertelfinale Deutschland - Argentinien

Teil B: Beobachtungsbogen Viertelfinale Italien - Ukraine

Teil C: Beobachtungsbogen Viertelfinale England - Portugal

Teil D: Beobachtungsbogen Viertelfinale Brasilien - Frankreich

Teil E: Beobachtungsbogen Halbfinale Deutschland - Italien

Teil F: Beobachtungsbogen Halbfinale Portugal - Frankreich

Teil G: Beobachtungsbogen Spiel um Platz 3 Deutschland - Portugal

Teil H: Beobachtungsbogen Finale Italien - Frankreich

Teil I: Übereinstimmungsmatrizen der beobachteten Spiele

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Beispiel für ein Deduktionskettenmodell. Die komplexe Leistung wird in Teilleistungen zerlegt, diese auf weiteren Stufen wiederum in Einflussgrößen

(HOHMANN /LAMES /LETZELTER 2003 3, 47)

Abb. 2: Pyramidenmodell von Hohmann/ Brack (HOHMANN 1994, 49)

Abb. 3: Die Ablaufphasen der taktischen Handlung im Sportspiel nach MAHLO (1974b)

(HOHMANN/ LAMES/ LETZELTER 2003 3, 124)

Abb. 4: Das taktische Anforderungsprofil (GREIBER/ FREIS 2001, 33)

Abb. 5: Vor und Nachteile von Offensivaktionen. (GREIBER/ FREIS 2001, 34)

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Terminologische Abgrenzung der Gegenstandsbereiche von Strategie und

Taktik (R OTH 1989, 8)

Tab. 2: Systematisierung der sportlichen Taktik nach H OHMANN (H OHMANN / L AMES / L ETZELTER 2003 3 , 129)

Tab. 3: Alternativpaare der verschiedenen Beobachtungsarten (nach C ZWALINA 1988, 14)

Tab. 4: Verschiedene Sportspielbeobachtungsverfahren (L AMES 1994, 24)

Tab. 5: Vor- und Nachteile der quantitativen und qualitativen Beobachtungsverfahren (A UGUSTIN 2000, 79)

Tab. 6: Beobachtungsbogen zur Erfassung der relevanten Spielszenen

Tab. 7: Ergebnisse der Berechnung von COHENs kappa (eigener Entwurf)

Vorwort

Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen meines Studiums an der Johannes Guten- berg-Universität in Mainz. Sie beschäftigt sich mit dem individualtaktischen Verhalten weltbester Fußballtorhüter in den Spielen vom Viertelfinale bis zum Finale der FIFA- Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Dieses Ereignis, bei dem im vergan- genen Jahr viele Nationen und Kulturen vier Wochen lang ausgelassen feierten und welches das ganze Land in einen regelrechten Freudentaumel versetzte, hat auch mich beeindruckt. So wollte ich die Möglichkeit ergreifen und im Rahmen meiner Abschluss- arbeit die Spiele genauer betrachten. Zur Wahl genau dieser Thematik waren dann un- terschiedliche Gründe ausschlaggebend.

Aufgrund meiner eigenen langjährigen aktiven Tätigkeit als Fußballtorwart war mir schnell klar, dass mein Hauptinteresse darin liegt, das Torwartspiel zu untersuchen. Meine Idee stellte ich dann Herrn Prof. Augustin vor, der mich bei der genauen Festle- gung des Themas unterstützte. Ihm gilt mein besonderer Dank, zum einen für die Übernahme der Betreuung meiner Arbeit, zum anderen für die Bereitstellung der Vi- deoaufnahmen, der analysierten Spiele, sowie für seine Unterstützung während der Arbeitsphase.

Die Durchführung der Arbeit war weiterhin nur durch die Unterstützung zahlreicher Helfer möglich, denen ich an dieser Stelle herzlich danken möchte. Mein ganz besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang Korrekturlesern für die orthographische und grammatikalische Durchsicht meiner Arbeit.

1 EINFÜHRUNG IN DIE THEMATIK

1.1 Allgemeine Überlegungen zur Arbeit

Alle vier Jahre bietet die FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft Gelegenheit, den aktuellen Spitzenfußballs zu untersuchen, um die neusten Entwicklungen und Trends zu erfor- schen. So hat man auch anhand der Fußball WM 2006 in Deutschland wieder diese Möglichkeit.

Zum ersten Mal wurde eine Fußballweltmeisterschaft 1930 in Uruguay ausgetragen. Seither findet das Turnier, bei dem die besten Nationalmannschaften der Welt ihren Meister ausspielen, alle vier Jahre statt. Nur durch den Zweiten Weltkrieg wurde dieser Zyklus 1942 und 1946 unterbrochen.

Der heutige Modus sieht vor, dass alle von der FIFA anerkannten Nationen an der Qua- lifikation teilnehmen, die nach Kontinenten getrennt abläuft. Am Ende qualifizieren sich 31 Mannschaften. Der Gastgeber ist automatisch qualifiziert1. Bei der Weltmeisterschaft spielen dann zunächst in acht Gruppen je vier Mannschaften Jeder gegen Jeden. Die zwei erstplazierten Teams erreichen die Achtelfinalspiele. In den Finalspielen wird nach dem K.O.-System gespielt, d. h. der Gewinner zieht in die nächste Runde ein, wohin- gegen der Verlierer aus dem Turnier ausscheidet. Ist nach der regulären Spielzeit von 90 Minuten kein Sieger ermittelt wird um zweimal 15 Minuten verlängert. Steht es dann immer noch unentschieden, wird die Entscheidung im Elfmeterschießen herbeigeführt, dabei schießen von jeder Mannschaft fünf Spieler. Ist auch dann noch kein Sieger gefunden wird jeweils eins gegen eins weiter geschossen bis zur Entscheidung.

So werden systematisch gute Mannschaften von den weltbesten Mannschaften ge- trennt. Ausgehend von den 192 Mannschaften, die in der zwei Jahre dauernden Quali- fikation starten, kann man die 16 in den Finalspielen stehenden Teams ohne Zweifel als die weltbesten Mannschaften bezeichnen. Es ist davon auszugehen, dass bei ih- nen die Schlüsselposition des Torwarts zwangsläufig mit einem sehr guten Torwart be- setzt ist, da keine gute Mannschaft mit einem schlechten Torwart auf Dauer richtig er- folgreich sein kann.

Die in dieser Arbeit analysierten Spiele vom Viertelfinale bis zum Finale erfassen demnach die acht besten Mannschaften in denen, w]enn auch nicht unbedingt die acht weltbesten, so doch weltbeste Torhüter spielen.

Aufgrund dieser Gegebenheiten eignen sich die ausgewählten Spiele für eine Analyse des Individualtaktischen Verhaltens weltbester Torhüter.

1.2 Zur Grundstruktur des Fußballspiels

Als Sportspiel lässt sich Fußball den Tor-, Korb- und Malspielen unterordnen. Es bietet als Wettkampfsport die Möglichkeit zum Leistungsvergleich in und mit der Gruppe. Auf- grund des relativ einfachen Regelwerks bietet es jungen Spielern wie auch Anfängern gleichermaßen die Möglichkeit, genauso schnell zum Spiel zu finden wie Profis. So er- freut sich das Fußballspiel wachsender Begeisterung und Zuwendung bei Jung und Alt, da es gute Voraussetzungen bietet die Spielfreude jüngerer aber auch älterer Men- schen zu wecken und damit ihren Bewegungsdrang zu befriedigen. So können bereits im frühen Ausbildungsstadium die Grundzüge des komplexen Spielgeschehens erfasst und durchgeführt werden. Mit zunehmender Erfahrung und Spielfähigkeit ist es dann möglich den Spielverlauf immer besser zu analysieren und daraus Beziehungen zwi- schen wahrgenommen Situationen und möglichen Folgehandlungen zu erstellen. (BI- SANZ/ GERISCH 1980/88, 13)

Das Spielen des Balles mit dem Fuß erhöht den durch die rasch wechselnden Spielkonstellationen ohnehin schon vorhanden Spannungseffekt noch weiter, da selbst auf hohem Spielniveau der Unsicherheitsfaktor in der Ballbehandlung nie ganz ausgeschaltet werden kann. „So bewegt sich das Fußballspiel von der untersten Handlungsebene einfacher Spielaktionen bis hinauf zu taktisch durchdachten und vorausgeplanten Spielzügen immer in einem Spannungsverhältnis zwischen Voraussagbarem und Unvorhersehbarem, zwischen Planung und Improvisation.“ (ebd.)

Vom Ablauf her ist das Fußballspiel vom ständigen Wechsel zwischen Angriff und Ab- wehr gekennzeichnet. Dabei bestimmt der Ballbesitz welche Mannschaft sich zu einem Zeitpunkt im Angriff und welche sich in der Abwehr befindet. Die Offensive, also der Ballbesitz kann sowohl positiv (Tor, Torschuss) oder auch negativ (Ballverlust) enden und somit zum Gegner überwechseln. In der Regel versucht die Mannschaft in Ballbe- sitz durch Zusammenspiel der einzelnen Mannschaftsmitglieder durch eine „Reduktion der Stabilität der Abwehr des Gegners“ (LOY 1996, 53) die Voraussetzungen für das Erreichen des obersten Spielziels, Tore zu erzielen, zu verbessern. Gleichzeitig ver- sucht die Mannschaft die sich nicht in Ballbesitz befindet durch Abwehrmaßnahmen diese Vorhaben zu unterbinden und dadurch selbst in Ballbesitz zu gelangen. Interaktionen zwischen den Mitspielern können auf unterschiedliche Zuspielarten wie zum Beispiel Pass oder Flanke erfolgen oder durch Ereignisse wie ein Foulspiel des Gegners unterbrochen werden. Zur Spielfortführung nach derartigen Unterbrechungen, folgen dann die Standardsituationen, wie zum Beispiel der Freistoß. (ebd.)

1.3 Problemstellung

Hauptanliegen dieser Arbeit ist es, die Spielweise und das individualtaktische Verhalten weltbester Fußballtorhüter aufzuzeigen und zu analysieren. Anhand von in der Literatur gängiger Ansichtweisen und theoretischen Anschauungen zum Torwartspiel wird ein theoretisches Grundgerüst des individualtaktischen Verhaltens von Torhütern erarbeitet. Entsprechend dieser Grundüberlegungen zu den diversen Handlungssituationen werden die ausgewählten Spiele analysiert und das theoretische Grundgerüst durch Videobeispiele bestätigt oder widerlegt.

Die typischen Verhaltensweisen und Handlungsmuster der weltbesten Torhüter in be- stimmten Situationen sollen erfasst und mit den theoretischen Grundlagen verglichen werden. Es erfolgt somit eine Leistungsdiagnostik im technisch-taktischen Bereich.

Im Spitzensport kommt der sportartspezifischen Leistungsdiagnostik eine immer größer werdende Bedeutung zu. Da sich die Trainingsumfänge kaum mehr steigern lassen, kann eine weitere Verbesserung nur durch Konzentration auf individuelle Defizite erfol- gen. Da die konditionellen Fähigkeiten im Spitzensport heute soweit ausgeprägt sind, dass zwischen den besten Spielern kaum Unterschiede bestehen beschränkt sich die- se Arbeit ausschließlich auf den technisch-taktischen Bereich, denn „auf Grund des sehr komplexen Anforderungsprofils dieser Sportart ist das Erfassen technisch- taktischer Fertigkeiten von besonderem Interesse.“ (MÜLLER/ LORENZ 1996, 59)

1.4 Zielsetzung der Arbeit

In der Arbeit wird versucht zunächst einen umfassenden allgemeinen Überblick zu Strukturmodellen im Sport und zur Strategie und Taktik zu geben. Die unterschiedli- chen Auffassungen verschiedener Autoren in der Literatur sollen dargestellt werden. Weiterhin sollen taktische Modelle vorgestellt werden. Aufgrund des Themas der vor- liegenden Arbeit wird dabei der Schwerpunkt auf die Individualtaktik gelegt. Es sollen die in der Literatur dargestellten theoretischen taktischen Verhaltensweisen des Torwartspiels zusammengestellt und beschrieben werden.

Hauptziel der Arbeit ist die Analyse des individualtaktischen Verhaltens weltbester Torhüter anhand der acht Spiele vom Viertelfinale bis zum Finale der FIFA-Fußball- Weltmeisterschaft 2006. Die Analysen sollen Hinweise zum Verhalten der besten Torhüter in bestimmten Spielsituationen liefern. Dabei werden sowohl offensive als auch defensive Aktionen betrachtet. Es werden anhand von aufgestellten Hypothesen Szenen ausgewählt und diese dann bewertet.

1.5 Aufbau der Arbeit

Formal ist die Arbeit nach den Richtlinien des wissenschaftlichen Arbeitens aufgebaut (MESSING/ PREUß 2002)

Die Strukturierung lässt sich anhand des Inhaltsverzeichnisses nachvollziehen. Im ersten Kapitel werden Grundüberlegungen zur Arbeit angestellt. Es wird kurz auf die Grundstruktur des Fußballspiels an sich eingegangen, sowie Fragestellung und Zielsetzung der Arbeit erläutert. So soll ein kurzer Überblick gewonnen werden.

Im zweiten Kapitel wird der für die Arbeit nötige wissenschaftliche Sachstand aufgear- beitet. Die Bedeutung von Strategie und Taktik wird mit den unterschiedlichen Ausle- gungen der verschiedenen Autoren beleuchtet und taktische Modelle vorgestellt. Zum Abschluss werden dann die zu untersuchenden Forschungs- und Prüfhypothesen auf- gestellt.

Das dritte Kapitel befasst sich mit der Methodik der empirischen Untersuchung. Zuerst werden allgemeine Probleme dargestellt die bei Spieluntersuchungen auftauchen kön- nen und somit zu beachten sind. Es werden weiterhin die wichtigsten Gütekriterien auf- gezeigt. Im Anschluss wird die der Untersuchung dieser Arbeit zugrunde liegende For- schungsmethode und die Untersuchungsmethodik aufgestellt und erörtert. Als For- schungsmethode dient die qualitative Spielbeobachtung, auf die auch in diesem Kapitel eingegangen wird.

Im vierten Kapitel werden dann die Ergebnisse der empirischen Untersuchung dargestellt und zusätzlich einer Prüfung der relevanten Gütekriterien unterzogen.

Abschließend werden im fünften Kapitel sowohl die Untersuchungsergebnisse als auch die Forschungsmethode und auch der Forschungsstand diskutiert.

2 FORSCHUNGSSTAND UND HYPOTHESENFORMULIERUNG

2.1 Leistungsstrukturmodelle im Sport

Als Gegenstand der Trainingswissenschaft werden allgemein das Training, die Leistungsfähigkeit und der Wettkampf formuliert. Strukturmodelle der sportlichen Leistung sollen die wesentlichen Komponenten der Wettkampfleistung identifizieren und auch die Leistungsvoraussetzungen integrieren, die der Wettkampfleistung zugrunde liegen. (HOHMANN/ LAMES/ LETZELTER 2003 3, 41) Das Interesse liegt aber nicht nur in der Aufzählung einzelner Elemente dieser Systeme, sondern in der Charakterisierung der Wechselwirkungen der einzelnen Elemente. Die Strukturmodelle werden in der Regel in Modelle ohne und Modelle mit Kriteriumsleitung unterteilt.

Modelle ohne Kriteriumsleitung beschränken sich darauf, deren Komponenten zu be- nennen. Die Modelle mit Kriteriumsleitung gehen „(…) explizit auf den Zusammenhang zwischen Einflussgrößen und Kriterium (…)“ ein. (ebd., 46) Innerhalb der Modellgruppe mit Kriteriumsleitung wird weiterhin unter dem Pyramidenmodell und der Deduktionsket- te unterschieden.

Deduktionskettenmodelle beschreiben sportliche Zielgrößen. Für die Zielgröße werden Einflussgrößen bestimmt, die als Teilweiten (deterministisch) oder Kraftfähigkeiten (probabilistisch) in Zusammenhang zur Zielgröße stehen. Diese Einflussgrößen der Zielgröße fungieren dann selbst als Zielgrößen auf tieferen Ebenen für weitere deterministische oder statistische Einflussgrößen. (ebd. 46)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Beispiel für ein Deduktionskettenmodell. Die komplexe Leistung wird in Teilleistungen zerlegt, diese auf weiteren Stufen wiederum in Einflussgr öß en. (H OHMANN /L AMES /L ETZELTER 2003 3 , 47)

Bei Pyramidenmodellen geschieht die Strukturierung durch die Erstellung mehrerer E- benen der sportlichen Leistung. (ebd., 48) Der Unterschied zum Kegelmodell dagegen besteht nur in der Dimensionalität. Der Kegel bildet die Struktur der sportlichen Leis- tung in 3 Dimensionen ab. (HOHMANN/ BRACK 1983, 8) Für die Einteilung der einzelnen Ebenen gilt, dass die unteren Ebenen über die obere wirksam werden, ihre Beziehung nicht umkehrbar ist und der Komplexitätsgrad nach unten hin abnimmt. (HOHMANN/ LA- MES/ LETZTELTER 2003 3, 48) Im Pyramidenmodell von HOHMANN/ BRACK (1983, 9) wird die komplexe Spielleistung anhand von drei Erklärungsebenen dargestellt. Die erste Erklärungsebene umfasst die Spielleistung und die Spielwirksamkeit, die zusammen das Wettkampfverhalten bilden. Diese Ebene bildet die Oberflächenstruktur, in ihr be- finden sich alle sichtbaren Handlungen die das Spiel beeinflussen. Die Spielwirksam- keit wird in der zweiten Erklärungsebene durch die Spielfähigkeit gekennzeichnet, wel- che die Hierarchisierung der zweiten Ebene bildet. Die Grundpfeiler der Spielfähigkeit stellen die im Sportspiel indirekt Leistungsbestimmenden Faktoren der Kondition, Technik und Taktik dar. Neben der Spielfähigkeit besitz die komplexe Sportspielleistung weitere psychische, physische und soziale Leistungsvorrausetzungen die Grundlage des Wettkampfverhaltens sind und als solche indirekt auf die Spielleistung wirken. Die psychomoralisch-volitiven, sensorisch-kognitiven, psychischen und sozialen Faktoren bilden unter der Hierarchisierung der Leistungsvoraussetzungen die dritte Erklärungs- ebene. „(…) ihr leistungsbestimmender Einfluss im Sportspiel beruht auf einer zweifa- chen Transformation über die Spielfähigkeit und Spielwirksamkeit.“ (ebd., 8) Man könn- te noch auf einer weiteren Erklärungsebene externe Faktoren formulieren, die Einfluss auf die Spielleistung haben. Diese externen Faktoren beziehen sich auf das Spielum- feld und -binnenfeld. Solche Faktoren wären zum Beispiel das Schiedsrichter- oder Zuschauerverhalten. (ebd., 8ff)

2.2 Leistungsstrukturmodelle im Fußball

Die Leistungsdiagnostik in den Sportspielen, zu denen Fußball auch zu zählen ist, be- deutet die Identifizierung der Struktur die für die komplexe Sportspielleistung typisch ist. (HOHMANN 1985, 52) Es wird davon ausgegangen, dass Sportler über mehr oder weni- ger ausgeprägte komplexe Spielfähigkeiten verfügen, die die Grundlage für ihre beob- achtbaren Leistungen, hier für die komplexe Sportspielleistung, bilden. (ROTH 1989, 22) Das Modell von HOHMANN/ BRACK (Abb. 2) zeigt neben vielen anderen Einflussfaktoren vor allem die wichtige Stellung der Taktik im Bezug auf die Spielfähigkeit. Die weiteren Elemente, die die Leistungsfähigkeit des Spielers bestimmen, sind neben der Koordina- tion, die Kondition und die Technik. In der Folge werden nun die drei „Hauptkategorien oder Grundpfeiler“ (ROTH 1989, 22) der Spielfähigkeit Kondition, Technik und Taktik näher betrachtet, da sie in der „Sportspiel-Literatur fast durchgängig verwendet“ (ebd.) werden. Besonderes Augenmerk wird dabei aufgrund des Themas dieser Arbeit auf den Aspekt der Taktik gelegt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Pyramidenmodell von Hohmann/ Brack (H OHMANN 1994, 49)

2.2.1 Kondition

HOHMANN/ BRACK stellen in ihrem Modell (Abb. 2) die Kondition als den Überbegriff für alle konditionellen und koordinativen Fähigkeiten dar, welche sie als allgemeine sportmotorische Fähigkeiten bezeichnen. Unter dem Begriff koordinative Fähigkeiten werden informationsaufnehmende- und informationsverarbeitende Prozesse zur Realisierung von Bewegungshandlungen verstanden, zum Beispiel Gleichgewichts-, Reaktionsfähigkeit, usw. (o.A. in: RÖTHIG 2003 7, 308) Konditionelle Fähigkeiten bezeichnen überwiegend „energetisch determinierte motori- sche Eigenschaften, die Voraussetzung zum Vollzug körperlicher Tätigkeiten und ins- besondere sportlicher Bewegungshandlungen sind.“ (o.A. in: RÖTHIG 2003 7, 300) Im Bereich der Kondition liegen, aufgrund umgehender Forschungen in der Trainingswis- senschaft, eine Vielzahl von Arbeiten vor. Aus diesem Grund wird an dieser Stelle nicht weiter auf die Kondition, ihre Erscheinungsweisen oder fußballspezifische Belastungen eingegangen.

2.2.2 Technik

Unter Technik wird allgemein „eine spezifische Abfolge von Bewegungen oder Teilbe- wegungen beim Lösen von Bewegungsaufgaben in Sportsituationen“ (MECHLING/ CARL 2003 7) verstanden. Unter Fußballtechnik verstehen BISANZ/ GERISCH (1988, 147) „alle fußballspezifischen Bewegungsabläufe (…), die zielgerichtet und regelgerechte Spiel- handlungen ermöglichen.“ Dabei stellen die Vielfalt und Komplexität der technischen Bewegungsabläufe große Anforderungen an die Spieler, da gerade das Spielen mit dem Fuß eine gewisse Unsicherheit bedeutet. Da die technischen Fertigkeiten die Grundlage für die erfolgreiche Durchführung des taktischen Spielkonzepts bilden, kann durch ein Techniktraining eine Verbesserung der Spielfähigkeit erzielt werden. (ebd., 148ff) Eine weiterführende detaillierte Beschreibung der einzelnen Fußballtechniken würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten, deshalb werden an dieser Stelle nur die Fußballtechniken nach BISANZ/ GERISCH (ebd.) genannt. Sie unterscheiden in Be- wegungsformen mit Ball: Dribbling, Pass bzw. Schuss, Ballkontrolle, Torschuss, Kopf- ball und Flanke; und Bewegungsformen ohne Ball: Laufen, Rempeln, Abblocken des Balles, Tackling und Springen. Die einzelnen Techniken kann man noch weiter nach ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen untergliedern, so zum Beispiel den Pass in Innenseitstoß und Spannstoß welcher abermals zu untergliedern wäre. Außerdem kann eine Unterteilung in die Techniken der einzelnen Positionen erfolgen, so zum Bei- spiel in Torhüter-, Abwehrtechniken, usw. (ebd.)

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Technik wie im Pyramidenmodell nach HOHMANN/ BRACK (Abb. 2) im Zusammenspiel mit der Kondition die Grundlage für die taktische Handlung und damit für die Spielfähigkeit und die komplexe Spielleistung bildet.

2.2.3 Strategie und Taktik

Unter Strategie und Taktik versteht man planvolles, kluges und berechnendes Handeln und Verhalten sowohl in gesellschaftlichen Bereichen (Militär, Politik) und Wissensge- bieten (Psychologie, Kybernetik, Mathematik) als auch im Sport. So gehörte schon im alten Griechenland die Ausbildung in der „Taktika“, welche die Art und Weise darstellte, wie im Gefecht eine Waffe geführt wird, zur Jugenderziehung. Im umgangssprachlichen Sinn hat „Taktik“ oder „taktieren“ oft einen negativen Bezug hin zu Verschlagenheit oder nicht offenem Verhalten. In trainingswissenschaftlichen Standardwerken wird Taktik sehr allgemein als „(…) die Lehre von der Führung des sportlichen Kampfes“ (HARRE 1979, 219), oder als „(…) die vollkommene Kunst der Führung des sportlichen Kamp- fes“ (MATEJEW 1981, 124) bezeichnet.

Die stiefmütterliche Behandlung der „Taktik“ in bewegungs- und trainingswissenschaft- licher Literatur wird deutlich, so liegt nach ROTH (1989, 2) die Relation in den Textum- fängen zwischen Kondition und Taktik bei etwa 13:1. Weiterhin sind inhaltliche Diffe- renzen und Meinungsvielfalt zu erkennen. Auch wenn nach diesen Äußerungen ROTHs, die Zahl der Publikationen über Taktik anstieg und somit der wachsende Stel- lenwert dieses Bereichs dokumentiert wurde, blieb das Verhältnis nahezu bestehen. (BARTH 1994, 4)

2.2.3.1 Gegenstandsbereich von Strategie und Taktik

Den strategisch-taktischen Leistungskomponenten werden, im vielfältigen Wettkampf- geschehen nahezu aller Sportarten, zunehmend an Bedeutung beigemessen. Selbst Sportarten die vorher eine Beeinflussung durch strategisch-taktische Maßnahmen aus- schlossen, wenden sich nun derartigen Fragen zu. Man versucht hier vorhandene mo- torische Fähigkeiten und Fertigkeiten optimal einzusetzen. Dieser Optimierungsprozess bezieht sich auf alle Leistungsebenen, vom Leistungssport bis hin zum Breiten- und Schulsport. Trotz der stark zunehmenden Bedeutung ist Strategie und Taktik im Ver- gleich zu den Begriffen Kondition und Technik stark unterrepräsentiert. (BARTH 1994, 4) Die Taktik wird oft beim Suchen nach einer Erklärung für das Zustandekommen einer Wettkampfleistung oder von Misserfolg herangezogen, wobei der Einfluss von Taktik nicht exakt nachgewiesen werden kann. Taktik und Strategie werden stark beeinflusst durch individuelle „Meisterlehren“ der einzelnen Trainer. So übernehmen ehemalige Spieler, die später als Trainer tätig sind, häufig im Wettkampf selbst erfahrene Hand- lungsweisen.

Die unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen kommen dabei zu verschiedenen theoretischen Modellen, wobei es zu terminologischen Unterschieden kommt und zwi- schen beiden Begriffe teils unterschieden wird und teilweise beide synonym verwendet werden. BARTH (1994, 4) definiert Taktik als die „(…) Gesamtheit der individuellen und kollektiven Verhaltensweisen, Handlungen und Operationen von Sportlern und Mann- schaften, die unter Beachtung der Wettkampfregeln, des Partner- und Gegnerverhal- tens sowie der äußeren Bedingungen auf die volle Nutzung der eigenen Leistungsvor- aussetzungen im Sinne eines bestmöglichen Wettkampfergebnisses oder einer optima- len Leistung gerichtet sind.“ Hierbei werden die Begriffe Strategie und Taktik weitestge- hend synonym verwendet.

In einem anderen Modell wird zwischen Strategie und Taktik unterschieden. Bei dieser Sichtweise wird die Strategie als „Verhaltensplan, mit dem unter Beachtung der Wett- kampfregeln, der eigenen Stärken und Schwächen und möglichen Verhaltensweisen der oder des Gegners und der erwarteten Wettkampfhandlungen, Entscheidungen zum Wettkampfverhalten und zu einzelnen Wettkampfhandlungen vorgedacht und festge- legt werden“ (BARTH 1997, 81) angesehen. Strategie wird hier als eine Vorbereitung des Wettkampfes verstanden. Taktik wird in diesem Zusammenhang als „die Gesamt- heit der individuellen und kollektiven Verhaltensweisen, Handlungen und Operationen von Sportlern, mit denen unter Beachtung der Wettkampfregeln, des Partner- und Gegnerverhaltens sowie der äußeren Einflussmöglichkeiten die Bedingungen, die für eigene Vorteile nützlich sind beeinflusst werden“ (ebd., 82), definiert. Hier wird bei der Verhaltensplanung das Gegnerverhalten zwar berücksichtigt aber nicht beeinflusst, die Taktik bezieht sich mehr auf die gezielte Anwendung der vorbereiteten Handlung zur Durchführung der Strategie. Taktik zielt demnach eher auf die Beeinflussung des Geg- ners in Wettkampfsituationen durch täuschende oder beeinflussende Maßnahmen und beinhaltet das dafür nötige Wissen und Können. (ebd. 1994, 4) ROTH (1989, 6f) sieht in der Strategie „(…) die organisatorischen Aspekte, die auf die übergreifenden Aufgaben innerhalb eines Spieljahres gerichtet sind“ und den Kernbereich der Taktik als „die kurz- fristigen, situationsbedingten Problemlösungsprozesse, die die Athleten während der Wettkämpfe zu bewältigen haben.“

Zusammenfassend kann man unter dem Begriff Strategie Verhaltenspläne und Verhal- tensweisen mit längerfristiger Gültigkeit zur Bewältigung der vielfältigen Aufgaben im Wettkampfgeschehen verstehen. Die Strategie leistet Vorarbeit im Vorfeld des Wett- kampfs, wodurch unter Beachtung der Regeln, den Bedingungen und den wahrschein- lichen Verhaltensweisen der Beteiligten, Entscheidungen und persönliche Verhaltensweisen und Handlungen geplant werden. Nach BARTH (1980, 134) kann Strategie somit als „inneres Modell über den Kampfverlauf“ gesehen werden.

Taktik hingegen ist ein eher kurzfristiger Prozess, der sich auf konkrete Verhaltensweisen im Wettkampf bezieht. Mit der Taktik wird versucht günstigere Ausgangsbedingungen für die eigene Handlungssituation zu schaffen und somit die im Vorfeld geplante Strategie in bestmöglicher Weise zu nutzen und umzusetzen. Taktik beinhaltet damit auch Möglichkeiten zur Verunsicherung des Gegners durch Fehlinformation oder Informationsvermeidung. BARTH (1994, 12) nennt das „Theorie der Ausforschung, Verschleierung und Täuschung.“ Die Taktik bezieht im Gegensatz zur Strategie das Gegnerverhalten mit ein und berücksichtigt es und wird unter Umständen im Wettkampf auf den Gegner oder die Spielstandsituation angepasst.

2.2.3.2 Abgrenzung unterschiedlicher Autoren von Strategie und Taktik

Unterschiedliche Autorengruppen grenzen die Begriffe Strategie und Taktik in unterschiedlicher Weise voneinander ab. ROTH (1989, 8) hat einige davon in einer Tabelle zusammengestellt. Diese werden im Folgenden hier kurz vorgestellt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1:Terminologische Abgrenzung der Gegenstandsbereiche von Strategie und Taktik (R OTH 1989, 8)

Die erste Autorengruppe HARRE; SCHMIDT; STÖBER; LETZELTER verwendet den Begriff der Taktik sehr weit. Bei ihnen wird er von der langfristigen Planung über die allgemeine Wettkampfvorbereitung, spezielle Wettkampfvorbereitung, Wettkampf- betreuung bis hin zu den konkreten Spielhandlungen für alle Bereiche des Wettkamp- fes verwendet. KOBERLE/ NEUBERG dagegen benennen die langfristige Planung mit Strategie und den restlichen gesamten Bereich der Wettkampfplanung, -vorbereitung und -realisierung mit dem Begriff der Taktik. Die Autoren BAUER/ ÜBERLE; DOCHER- TY; BOMPA sehen die langfristige und allgemeine Wettkampfvorbereitung als Strategie an. Die spezielle Wettkampfvorbereitung sowie Maßnahmen während des Wettkamp- fes stehen bei ihnen unter dem Taktikbegriff. Die Autorengruppen IWOILOW; KON- ZAG; BEISNER/ BIROD; THIESS u. a. sowie die Gruppe BARTH; TRAPP sehen die Taktik nur in der direkten Spielhandlung. Alle anderen Bereiche der Planung und Betreuung sehen sie als Strategie an.

2.2.3.3 Taktik im Sportspiel

Nach der recht allgemeinen Betrachtung der unterschiedlichen Sichtweisen der Begriffe Strategie und Taktik wird in diesem Kapitel eine praktische und trainingswissenschaftli- che Beschreibung der verschiedenen Handlungsweisen folgen. Dabei wird aufgrund ihrer Bedeutung für diese Arbeit speziell auf die taktischen Modelle im Sportspiel ein- gegangen. Die Strategie als Verhaltensplan wird dagegen nicht weiter betrachtet wer- den.

Die kognitiv-taktischen und psychischen Leistungsvoraussetzungen sind die hierarchisch wichtigsten Komponenten. In schwierigen Wettkampfsituationen entscheiden sie häufig über Sieg und Niederlage. (HOHMANN/ LAMES/ LETZELTER 2003 3 123)

ROTH (1989, 9) spricht hier vom Kernbereich der Taktik, in der Praxis ist dieser weiter untergliedert worden. Ein erster wesentlicher Gesichtspunkt orientiert sich an der „Art und Charakteristika der möglichen Problemlösungshandlung, aus denen ein Sportler in konkreten Spielsituationen wählen kann.“ (ebd.) So gibt es taktische Handlungen, die ohne direkte Einbeziehung der Mitspieler ausgeführt werden können, diese Aktionen (1:1 oder 1:X) werden Grundsituationen genannt. Beispiele aus den Sportspielen sind Torschüsse, Täuschungen oder auf den Gegenstand dieser Arbeit bezogen, das Ab- wehren eines Torschusses. Diesen Sachverhalt bezeichnet man als Individualtaktik. Alle anderen Situationen an denen zwei oder mehr Personen, aber weniger als die ganze Mannschaft beteiligt, sind fallen unter den Begriff der Gruppentaktik. Dabei wird in den Entscheidungsprozessen immer die Aktion mindestens eines weiteren Spielers mit einbezogen. Im Fußball wären dies Aktionen vom 2:1 bis zum 10:10. Taktische Anordnung, die sich auf die gesamte Mannschaft beziehen, so wird diese Maßnahme in den Bereich der Mannschaftstaktik eingeordnet, bei der die Einzelhandlung immer vor dem Hintergrund des mannschaftlichen Konzepts erfolgen muss.

Die doppelseitige Zielsetzung der Mannschaftsspiele - Tore, Körbe, Punkte zu erzielen und zu verhindern - führt zum zweiten häufig verwendeten Einteilungskriterium bei der Einteilung der Verhaltensweisen und Handlungsselektionen. Entsprechend dieser Intentionen in der Wettkampfhandlung wird zwischen Offensiv- und Defensivtaktik unterschieden. Weiterhin kann eine Unterteilung in die Taktik der Spielposition, Kontertaktik oder Taktik der Standardsituationen erfolgen.

2.3 Strukturierung taktischer Leistungsfaktoren

2.3.1 Die taktische Handlung

Spielfähigkeit ist die Fähigkeit an einer bestimmten kollektiven Tätigkeit teilzunehmen, der Spieltätigkeit. Jede Tätigkeit stellt einen komplexen Zusammenhang sinnvoller Handlungen dar, die durch das gleiche Motiv verbunden sind. Dabei ist die Handlung die kleinste Einheit der Tätigkeit. Um die Spielfähigkeit zu kennzeichnen, muss man daher von der kleinsten Einheit der Handlung ausgehen. (MAHLO 1974a, 550f) MAHLO (1974b) gliedert die Handlung in drei aufeinander folgende Phasen:

1. Handlungsantizipationsphase
2. Handlungsrealisationsphase
3. Handlungsinterpretationsphase

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Die Ablaufphasen der taktischen Handlung im Sportspiel nach M AHLO (1974b). (H OHMANN / L AMES / L ETZELTER 2003 3,124)

Es kann davon ausgegangen werden, dass in realen Handlungssituationen die zentralen Prozesse der Situationsantizipation bzw. -wahrnehmung sowie die Handlungsentscheidung bei der Handlungsausführung untrennbar miteinander verbunden sind und somit die taktische Handlung ganzheitlich reguliert wird. Taktische Handlungen bestehen sowohl aus mentalen als auch aus motorischen Prozessen, die sich im Laufe des taktischen Lernens ebenso wie die taktischen Lösungsmuster immer weiter differenzieren. (HOHMANN/ LAMES/ LETZELTER 2003 3 124)

RIEPE (1994, 238) verwendet den Begriff Schema. Ein Schema ist ein Erwartungsmus- ter, welches im Gehirn millionenfach vorliegt. Sie sind aufeinander bezogen und nicht notwendiger Weise bewusst. Sie dienen dazu die Realität zu ordnen. Sie werden in motorische und mentale Schemata unterschieden. Mentale Schemata stellen allgemein nach RIEPE (ebd.) raum-zeitliche Repräsentationen von Situationen und Aktionen dar. Kennzeichen sind die Abstraktion bei der Wahrnehmung und Antizipation, selbst wenn die Handlung nur unvollständig ist. Die wesentliche Fähigkeit eines Schemas besteht darin Unvollständiges zu vervollständigen und Unwesentliches zu Gunsten des We- sentlichen wegzulassen. Nur so ist es möglich mit einer Finte den Gegner zu täuschen. Bei ihm liegt ein Schema der angetäuschten Bewegung vor. Der Verteidiger reagiert auf die antizipierte Fortsetzung. Da der Angreifer darauf spekuliert, ist die Reaktion falsch.

Ein motorisches Schema stellt ein motorisches Programm dar, welches dauerhaft im Gehirn abgelegt ist. Sie gelten für ganze Bewegungsklassen. Für Bewegungsprogram- me ist eine Aufeinanderfolge von bestimmten Teilbewegungen sowie ihre zeitliche Re- lation bei der Gesamtbewegung typisch. (HOHMANN/ LAMES/ LETZELTER 2003 3, 125)

Es wird davon ausgegangen, dass ein Sportler in der Handlungsantizipationsphase verschiedene Entscheidungen treffen muss.

Zuerst muss der Sportler eine Was-Entscheidung, eine Entscheidung erster Art, treffen, bei welcher über die Auswahl eines situationsangemessenen motorischen Programms entschieden wird. Nach ROTH (1991, 229ff) wird die Auswahl des entsprechenden Pro- gramms auf der Grundlage von Erwartungs- und Wert-Kenngrößen getroffen. Der Spie- ler bevorzugt in der Entscheidungssituation jene Handlung, die für ihn die höchste situ- ative Wertigkeit besitzt. Bei der Wie-Entscheidung (Entscheidung zweiter Art) werden dann die konkreten Ausführungsparameter festgelegt, die Bewegung wird dabei voll- ständig programmiert und zentral gesteuert. (HOHMANN/ LAMES/ LETZELTER 2003 3, 125f)

„Die Entscheidungen 1. und 2. Art sind (zeitlich) hierarchisch geordnet. Die Inhalte 2. Art können nicht vor den Inhalten 1. Art determiniert werden.“ (ROTH 1989, 32)

2.3.2 Taktische Handlungsfähigkeit

Entwickelt wird die taktische Handlungsfähigkeit „durch systematische Lernprozesse im Theorie-Praxis-Bezug.“ (BISANZ/ GERISCH 1980/88, 198) Durch spezielles Taktiktraining wird versucht die taktische Handlungsfähigkeit zu verbessern. Sie setzt sich aus allge- meinen wie auch speziellen individuellen Leistungsfaktoren des Spielers in der entspre- chenden Spielsituation zusammen. Der Spieler hat aus einer Anzahl von Spielen Pläne und Programme, die von äußeren und inneren Faktoren bestimmt werden. In seine Entscheidungen gehen dann sowohl seine taktische Fähigkeiten als auch seine takti- schen Kenntnisse und Fertigkeiten mit ein. Diese Unterscheidung erlaubt einen prakti- schen Zugang zur taktischen Handlungsfähigkeit, auch wenn eine in einer Spielsituati- on getroffene Entscheidung sich nicht in diese Einzelaspekte zerlegen lässt. (SCHOCK 1984, 5) Für die tägliche Trainings- und Spielpraxis ist es dennoch von Vorteil die kom- plexen Handlungen aufzugliedern und somit die Defizite der einzelnen Spieler besser aufzudecken und zu verbessern. (ebd.)

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Tab. 2: Systematisierung der sportlichen Taktik nach H OHMANN (H OHMANN / L AMES / L ETZELTER 2003 3 , 129)

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2.3.2.1 Taktische Kenntnisse

„Taktische Kenntnisse beziehen sich auf moralische Regeln des Wettkämpfens, die offiziellen Wettkampfregeln sowie strategisch-taktische Regeln.“ (HOHMANN/ LAMES/ LETZELTER 2003 3, 129) Es geht dabei um die optimale Ausnutzung der Spielregeln zur Lösung taktischer Aufgaben, Kenntnisse der Spielsysteme und ihrer Varianten, Beherr- schung des eigenen Systems und Maßnahmen zur Überwindung des gegnerischen Systems, Kenntnis von taktischen Regeln sowie um Kenntnis der Wechselbeziehung zwischen Kondition, Technik, Taktik und den Willenseigenschaften. (SCHOCK, 1984, 5) Nach ROTH (1989,23) wäre ein Sportler ohne ein System solcher Kenntnisse den Anforderungen des Spiels nicht einmal in der Theorie gewachsen. Solche „Erfolgsregeln“ (HOHMANN/ LAMES/ LETZELTER 2003 3, 129) sind von entscheidender Bedeutung für die taktische Entwicklung von Nachwuchssportlern. Daher darf der Erwerb der strategischen und taktischen Leitsätze nicht dem Zufall überlassen werden, sondern sollte gezielt durch theoretisch-taktisches Training vermittelt werden. (ebd.)

2.3.2.2 Taktische Fähigkeiten

Taktische Fähigkeiten beziehen sich nach BISANZ (1985, 8) allgemein „auf die Befähigung eines Spielers, sich Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen und sie anzuwenden.“ Der Spieler muss demnach „in der Lage sein, physische Fähigkeiten, psychische Eigenschaften, seine Bewegungsfertigkeiten und seine taktischen Fertigkeiten entsprechend der Wettkampfsituation für die Lösung individueller, gruppentaktischer und mannschaftstaktischer Aufgaben anzuwenden.“ (ebd.) Insbesondere spiegeln sich die taktischen Fähigkeiten in der „Qualität von Handlungsentscheidung und Handlungsausführung“ (HOHMANN/ LAMES/ LETZELTER 2003 3, 129) wider. In Tabelle 2 werden Wahrnehmung, Antizipation, taktisches Gedächtnis, Reaktionsschnelligkeit sowie Konzentration als taktische Fähigkeiten aufgeführt. Diese Punkte stellen allesamt allgemeine Fähigkeiten dar. Trotzdem herrscht „große Unklarheit in Bezug auf (…) den Grad ihrer Unabhängigkeit von einer konkreten Sportart.“ (ebd, 130)

2.3.2.3 Taktische Fertigkeiten

Unter taktischen Fertigkeiten versteht ROTH (1989, 25) „praktisch ausgebildete, automa- tisierte Antworthandlungen auf typische Situationskonstellationen.“ Dazu gehören indi- vidual-, gruppen- sowie mannschaftstaktische Lösungsformen. Die taktischen Fertigkei- ten unterscheiden sich von den taktischen Fähigkeiten dadurch, dass sie nicht von si- tuationsübergreifender Wirksamkeit sind, also nur für die entsprechende Sportart gel- ten. (ebd.) HOHMANN/ LAMES/ LETZELTER (2003 3, 132) gehen bei den taktischen Fertig- keiten von einem höheren Grad an spielpraktischer Verfestigung aus, wohingegen die taktischen Fähigkeiten dabei nur im Hintergrund wirken. Nach ROTH (1989, 25) zeich- nen sich taktische Fertigkeiten im Wettkampf durch Sicherheit, Präzision und einem der Sportart entsprechendem Rhythmus aus. Barth (1994, 4ff) geht davon aus, dass bei taktischen Fähigkeiten die situationsbedingte Wahrnehmung assoziativ eine Hand- lungstendenz für bestimmte bevorzugte Handlungstendenzen für bevorzugte taktische

Fertigkeiten auslöst. Daraus folgt nach HOHMANN/ LAMES/ LETZELTER (2003 3, 132), „dass taktische Fertigkeiten sich in individuellen Verhaltensgewohnheiten manifestieren.“ Da- bei stellt im Anfängerstadium nicht die korrekte Ausführung des technomotorischen Handlungsablaufs das Problem dar, sondern eher zunächst eine günstige Anwen- dungssituation zu erkennen und die erforderliche Handlung erfolgreich umzusetzen. (ebd.)

2.4 Zur Struktur des modernen Fußballspiels

In diesem Kapitel wird speziell auf die Aspekte des modernen Fußballspiels eingegan- gen. Besonderes Augenmerk wird dabei aufgrund der Bedeutung für diese Arbeit auf das moderne Torwartspiel gelegt. Die Taktik und Strategie änderte sich im Laufe der Zeit. Was vor 20 oder 30 Jahren für modernes oder erfolgreiches Spiel stand, hat sich geändert, dementsprechend muss Strategie und Taktik angepasst werden. Das Spiel ist im Vergleich zu früher wesentlich schneller und dynamischer geworden. So hatten die Spieler zu Zeiten von Netzer oder Beckenbauer viel Platz im Mittelfeld, konnten den Ball in Ruhe annehmen und dann das Spiel fortführen. Heutzutage haben die Spieler durch die Verteidigung im Raum und das sehr ballorientierte Spiel kaum Zeit, ihnen steht sozusagen direkt ein Gegenspieler „auf den Füßen“. Aber auch durch Regelände- rungen haben sich das Spiel und die Anforderungen an die Spieler verändert. Zu nen- nen ist hier die auch für den Gegenstand dieser Arbeit relevante Einführung der „Rück- passregel“. Sie besagt, dass ein absichtlich zum Torhüter gespielter Ball nicht mehr mit den Händen aufgenommen werden darf, ein Vergehen hat einen indirekten Freistoß zur Folge. Wie sich dies auf das Spiel und insbesondere auf die Anforderungen an die Torhüter ausgewirkt hat, wird in der Folge aufgezeigt.

2.4.1 Modernes Abwehrverhalten

Schon BREMER/ SCHNEIDER/ STAUDT (1987, 6) stellten im Bezug auf die Abwehrorgani- sation fest, dass sich keine Spitzenmannschaft erlauben kann einen Spieler gänzlich von Defensivaufgaben zu befreien. Bei gegnerischem Ballbesitz sind alle 11 Spieler in die Defensive eingebunden. LOCHMANN (2000b, 11) sagt dazu, dass man bei Mann- schaften, die zeitgemäßes Abwehrverhalten präsentieren, nicht mehr von klassischen Verteidigern sprechen kann. Solche Mannschaften besitzen keine Verteidiger mehr, sondern nur verteidigende Spieler. Im Angriff bleibt die Mannschaft so positioniert, dass ständig ein gewisser Organisationsgrad in der Abwehr erhalten bleibt. Diese Maßnah- me soll die Anfälligkeit gegenüber gegnerischen Angriffen verhindern. So besteht im Moment des Ballverlusts eine funktionsfähige ballorientierte Abwehrformation. Diese Spielweise führt zu einer Spielermassierung im Mittelfeld, so dass besonders die Räu- me zwischen Ball und Tor besonders wirksam abgesichert werden. (AUGUSTIN 1992, 51) Die Feldspieler sind dabei in mehreren Reihen in Breite und Tiefe gestaffelt und die Spitze der Formation ist auf den Ball gerichtet. BREMER/ SCHNEIDER/ STAUDT (1987, 6) sprechen in diesem Zusammenhang von „Ballorientierter Breiten- und Tiefenstaffelung“ als moderne und effektive Abwehrorganisation. PETER/ STEMMANN (2002, 22) beschrei- ben in ihrer Analyse der Verteidigungssysteme der WM 2002 den Trend weg vom Libe- ro hin zur ballorientierten Raumdeckung. „Fast alle Nationen agierten mit einer Dreier- oder Viererkette im Abwehrverband.“ (ebd.) Grundlegend für das Abwehrverhalten ist die 1 gegen 1 Situation, da sich aus ihr heraus alle individualtaktischen Aspekte des Verhaltens der verteidigenden Spieler ergeben. Dabei stellen die individualtaktischen Vorraussetzungen der einzelnen Spieler die Grundlage für ein mannschaftstaktisches Verteidigen dar. Spielt ein verteidigender Spieler gegen einen Angreifer in Ballbesitz, so befindet er sich in einer direkten verteidigenden Situation. Spielt ein Spieler gegen ei- nen Angreifer, der sich nicht in direktem Ballbesitz befindet, so ist der verteidigende Spieler in einer indirekten verteidigenden Situation. Allgemein ist das Abwehrverhalten in Ballnähe durch eine höhere Dynamik geprägt als in ballentfernten Räumen. Die Akti- onen werden demnach dynamischer, je näher er sich am Ball befindet. (LOCHMANN 2002b, 11f)

2.4.2 Modernes Angriffsverhalten

Offensiv spielen bedeutet heutzutage nach BISANZ (1992, 49), „immer dann, wenn eine Mannschaft in Ballbesitz ist, alles zu unternehmen um ihn so oft wie möglich im gegne- rischen Tor unter zu bringen.“ Zeitgemäßes Angriffsspiel orientiert sich seiner Meinung nach an den erfolgreichen Mannschaften, da diese Teams auf Angriffsfußball ausgelegt sind und diesen erfolgreich praktizieren. Das Ziel, Tore zu erzielen, kann nur gelingen, wenn den Abwehrspielern mindestens eine gleiche Zahl an Angreifern gegenüber ge- stellt wird. Da, wie im vorherigen Kapitel erläutert, im modernen Abwehrspiel alle Spie- ler an der Verteidigung beteiligt sind, ergibt sich der Schluss, dass sich auch am An- griffsspiel alle Spieler beteiligen müssen.

Bisanz gliedert die Forderungen, die an ein erfolgreiches Angriffsspiel gestellt werden von den Spielhandlungen her in zwei Ausgangssituationen. (ebd., 50)

Die erste Situation ist das Angriffsspiel gegen eine nicht oder noch nicht formierte Abwehr. Die normale Situation kommt zu Stande, wenn die gegnerische Abwehr bis zur Mittellinie aufgerückt ist und dort wenig Staffelung aufweist. Kommt es dann zu einem Fehlpass des Gegners oder zu einem Abfangen des Balles sollte nach BISANZ (ebd.) der Angriff wie folgt gestaltet werden:

- Spiel in hohem Tempo auf das gegnerische Tor
- Schnelle Kombinationen, wenig Stationen
- Tempodribblings, Gegenspieler binden, Hinterlaufen
- Personelle Überzahl erreichen durch Einschalten mehrerer Spieler
- Druck ausüben, im Tempo nicht nachlassen und schnell zum Abschluss kommen

Diese Mittel des schnellen Angriffs müssen nach BISANZ (ebd.) unbedingt nach gegnerischen Standardsituationen, bei denen die Abwehrspieler mit in den Angriff aufrücken, Anwendung finden. Die gegnerische Abwehr ist nicht in ihrer besten Besetzung formiert, was ein Ausspielen der verteidigenden Spieler erleichtern könnte.

Wird ein langsamer Spielaufbau praktiziert, kann sich die Abwehr besonders gut for- mieren. In diesem Fall kommt es zu einem Angriff gegen eine formierte Abwehr. Nach Bisanz (ebd.) kann man gegen eine formierte Abwehr mit folgenden Mitteln trotzdem erfolgreich sein:

- Sicherer Spielaufbau, Ausnutzen von Chancen durch Tempowechsel im Dribbling oder Passspiel
- Verlagerung des Spiels von einer auf die andere Seite; Angriffsaufbau über eine Sei- te mit kurzen Pässen und viel Bewegung ohne Ball und dann ein schneller Seiten- wechsel
- Spiel über die Flügel, Doppelpässe, Hinterlaufen, Übergeben, Übernehmen mit dem Ziel bis zur Torlinie durchzuspielen und von dort mit einem Rückpass in die Straf- raummitte Chancen zu erlangen
- Tempodribblings mit Abspiel auf Mitspieler mit dem Ziel zum Abschluss zu kommen

Der Angriff gegen eine formierte Abwehr kann nur erfolgreich sein, wenn die Spieler Durchsetzungsvermögen und Willenseigenschaften mitbringen. Nach AUGUSTIN (1992, 52) sind die Hauptmerkmale eines zeitgemäßen Angriffspiels:

- eine Massierung im Aufbauraum
- Nominell nicht mehr Angreifer
- Offensive nicht um jeden Preis
- Angriff ist die beste Verteidigung

Dabei sollten die Abwehrschwächen durch Variation und Variabilität, Schnelligkeit, Risi- kobereitschaft und Einfachheit genutzt werden. Die Hauptmerkmale wurden von Augus- tin zu Prinzipien der Angriffsgestaltung ausgebaut. Das Prinzip der Variation gilt für alle Angriffsphasen und setzt sich aus verschiedenen Aspekten zusammen. Wichtig sind unter anderem eine gute räumliche und zeitliche Abstimmung, eine optimale Orientie- rung und Antizipation, der variable Gebrauch der unterschiedlichen individuellen und gruppentaktischen Mittel, konsequente Ausnutzung der freien Räume, Richtungs- und Tempoänderungen im Passspiel, ständige Wechsel in den angewendeten Aktionen und der situationsangepasste Wechsel zwischen allen genannten Möglichkeiten. Eine sol- che Variabilität im Angriffsaufbau ist für den Gegner stets überraschend, nicht zu durchschauen und bringt daher immer eine psychische und physische Belastung mit sich. Die fortwährenden Verschiebungen in Breite und Tiefe führen zu einer schnelleren Ermüdung des Gegners. Das Prinzip der Schnelligkeit, Risikobereitschaft und Einfach- heit sollte die Hauptphase des Angriffs dominieren. Nach variabler Vorbereitung sollte die Abwehr mit Risiko überspielt und der Angriff erfolgreich abgeschlossen werden. Dies bedeutet ein einfach strukturiertes Angriffsspiel, da Einfachheit Schnelligkeit er- möglicht und dafür sorgt, dass die Mitspieler zur gegenseitigen Abstimmung einfach zu interpretierende Signale erhalten. (ebd.)

2.4.3 Modernes Torwartspiel

Das Torwartspiel hat sich in den letzten Jahren aufgrund von Regeländerungen, Mate- rialverbesserungen und den heute gespielten Systemen stark verändert. Früher stand der Torwart auf der Linie und verteidigte das eigene Tor. Das Tor wurde nur zum Ab- fangen von Flanken oder im 1 gegen 1 gegen einen Angreifer verlassen. Hatte der Torwart den Ball gefangen, wurde der Ball entweder nach vorne geschossen oder zu einem Mitspieler geworfen. In die Offensive wurde der Torwart früher nicht mit einbezo- gen. So schreibt noch HOEK (1983, 116) „Die ganze Tätigkeit des Torwarts ist auf das Verhindern von Gegentoren ausgerichtet.“ Eine große Änderung für das Torwartspiel brachte 1992 die Einführung der Rückpassregel, die es dem Torwart nicht mehr er- laubt, einen vom eigenen Mitspieler mit dem Fuß oder Knie absichtlich gespielten oder eingeworfenen Ball mit den Händen aufzunehmen. Vor Einführung der Regel konnte so das Spiel langsam gemacht und Zeit „geschunden“ werden, da der Torwart den Ball sechs Sekunden in den Händen halten durfte. Mit der Einführung der Rückpassregel wurde aber nicht nur das Spiel schneller gemacht, die Torhüter werden seitdem auch fußballtechnisch mehr gefordert. Sie müssen jetzt auch fußballerische Fähigkeiten be- sitzen. Durch die heute gespielten taktischen Systeme, bei denen die Abwehr auf einer Linie agiert, hat der Torwart die Aufgaben übernommen, die früher der Libero innehat- te. Durch diese Systemänderungen ist auch das Torwartspiel ballorientierter geworden. „Dem ballorientierten Spiel liegt zu Grunde, dass alle Spieler sowohl bei eigenem und als auch bei gegnerischem Ballbesitz mit ständiger Angriffsbereitschaft agieren.“ (THA- LER 2005, 6) Der Torwart wartet bei gegnerischem Ballbesitz nicht darauf, Chancen des Gegners zu vereiteln, sondern er übernimmt „aktiv die Organisation, Führung und An- weisung seiner Mannschaft.“ (BANGSBO/ PEITERSEN 2000b, 166) Der Torwart hat als hinterster Abwehrspieler die Möglichkeit seine Mitspieler zu führen, da er das gesamte Spiel vor sich hat. So kann er seine Verteidiger über Bewegungen des Gegners oder über unsichtbare Gegenspieler informieren und mit seinen Anweisungen die Abwehr- spieler richtig positionieren oder eine Orientierung geben. Wie schon oben erwähnt, ist das Spiel ballorientierter geworden. So muss auch der Torwart seine Position immer abhängig vom Ball anpassen. Er muss zum Beispiel außerhalb seines Strafraums ste- hen, wenn sich der Ball in der gegnerischen Hälfte befindet um lange Bälle abzufangen und eine Funktion einzunehmen, wie sie früher der Libero hatte. Er „sichert diese Reihe beim Ballgewinn ab und vermittelt ihr spielerische Sicherheit. Er läuft Pässe und weite Bälle ab, die der Gegner in den Rücken der Abwehr spielt.“ (THALER 2005, 7) Der Tor- wart muss dabei seine Mitspieler informieren, wenn er aus dem Tor läuft, so dass der Abwehrspieler nicht auch zum Ball geht, sondern sich für ein Anspiel anbietet. Aller- dings muss er auch darauf achten, nicht zu weit vor seinem Tor zu stehen, um nicht selbst mit einem Lupfer oder langen Ball überspielt zu werden. Bei Standardsituationen ist es die Aufgabe des Torwarts seine Abwehr zu positionieren und dabei möglichst den Raum vor seinem Tor von Spielern frei zu halten. (BANGSBO/ PEITERSEN 2000b, 166f)

Nach der Ballannahme ist der Torwart der erste Angreifer, der durch sein Zuspiel dar- über entscheidet, wo der Aufbau des Angriffs beginnt. Dabei ist es oft auch vom Spiel- stil der Mannschaft abhängig, ob der Ball mit einem langen oder kurzen Pass ins Spiel gebracht wird. Auch ist dies abhängig von der jeweiligen Spielsituation. So können wei- te Abschläge Erfolg versprechend sein, wenn die Mannschaft über einen Spieler ver- fügt, der kopfballstark ist und so im Angriff ein Ziel darstellt, um lange Bälle weiter in den Lauf der Mitspieler zu verlängern oder selbst zu sichern. Ebenso stellen weite Bälle bei Lücken des Gegners zwischen Abwehr und Mittelfeld eine gute Möglichkeit dar. Wird eine Mannschaft ständig unter Druck gesetzt, kann sich die Mannschaft so etwas Zeit und Luft verschaffen, um sich neu zu formieren. (ebd. 2000b, 129)

Durch die eingangs erwähnte Einführung der Rückpassregel erhielt der Torwart eine weitere anspruchsvolle Funktion. Die fußballtechnischen Anforderungen sind enorm gestiegen, da seine Position dicht am Tor bei einem Zuspiel immer Duck bedeutet. (ebd. 129f) Dabei soll er sich nach THALER (2005, 7) außerhalb des Strafraums wie ein Feldspieler verhalten, das Spiel von hinten heraus eröffnen, sich anbieten, um den Ball zu sichern, das Spiel auf die andere Seite zu verlagern oder den Ball ins Mittelfeld zu spielen.

Der württembergische Fußballverband geht, aufgrund der neuen Aufgaben die in den letzten Jahren zum Torwartspiel hinzugekommen sind, sogar so weit, nicht mehr vom Torwart oder Torhüter zu sprechen. Sie haben für sich die Bezeichnung Torspieler ein- geführt, da heutzutage Torhüter und Feldspieler in einem gefordert ist. (ebd., 6f)

2.5 Taktik im Fußball

Nachdem in den vorhergehenden Kapiteln eine allgemeine Betrachtung des Begriffs Taktik vorgenommen wurde, sollen jetzt die fußballspezifischen Merkmale der Taktik Beachtung finden. Die Grundidee des Fußballspiels liegt in der Zielsetzung, Tore zu schießen und Torerfolge des Gegners zu verhindern. „Aus dieser Polarität entwickelt sich das Spielgeschehen.“ (BISANZ/ GERISCH 1980/88, 195) Den Intentionen des Spiels entsprechend, gliedert sich die Taktik, in taktische Maßnahmen der Abwehr und des Angriffs. Grundlage aller taktischen Maßnahmen bilden die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten der einzelnen Spieler sowie spielbezogene, kooperative Verhaltens- weisen der Spieler untereinander. Weiterhin wird dahingehend wie viele Spieler an den Taktischen Maßnahmen beteiligt sind, in Individual-, Gruppen- und Mannschaftstaktik unterschieden. Der Schwerpunkt der nachfolgenden Betrachtung liegt aufgrund der Bedeutung für diese Arbeit auf der Individualtaktik. Auf gruppen- und mannschaftstaktische Maßnahmen wird nur kurz eingegangen.

2.5.1 Individualtaktik

„Unter Individualtaktik versteht man die zielgerichteten und planvoll aufeinander abge- stimmten Angriffs- und Abwehrhandlungen eines Spielers, die er - unabhängig von den speziellen Aufgaben seiner Spielposition - ausführt, um typische Spielsituationen er- folgreich zu lösen.“ (BAUER 1994, 109) Die Individualtaktik umfasst demnach alle takti- schen Maßnahmen eines einzelnen Spielers, die sich aus dem Spielverlauf ergeben. Für eine effektive Gruppen- und Mannschaftstaktik bildet das Beherrschen von indivi- dualtaktischen Maßnahmen im 1 gegen 1 die Grundlage. Untergliedert wird die Indivi- dualtaktik in Individualtaktik des Angriffs und Individualtaktik der Abwehr. Die unter- schiedlichen Positionen stellen unterschiedliche und spezifische Anforderungen an die Spieler, somit unterscheiden BAUER (ebd., 119ff) sowie BISANZ/ GERISCH (1980/88, 235ff) in die Individualtaktik der Spielpositionen. Diese Differenzierung enthält zu den für alle Positionen gültigen Maßnahmen zusätzliche Aufgaben und spezielle taktische Maßnahmen in Abhängigkeit der Spielposition. Es wird somit dann in die Individualtak- tik des Torwarts, der Abwehr, des Mittelfelds und des Angriffs unterschieden, wobei der Übergang von den allgemeinen zu den speziellen taktischen Handlungen fließend ist. (ebd., 202) Weiterhin werden die Handlungen der Spieler in Handlungen mit und ohne Ball unterschieden.

BAUER (1994, 109) gliedert die allgemeinen individuellen Angriffs- und Abwehraktionen wie folgt:

- Angriffstaktik Spieler in Ballbesitz: An- und Mitnahme des Balles in den Lauf; Passen / Zuspielen; Flanken; Torschuss; Dribbling zur Ballsicherung; Dribbling zum Durch- bruch; BISANZ/ GERISCH (1980/88, 201) nennen weiterhin noch das Kopfballspiel.
- Angriffstaktik Spieler nicht in Ballbesitz: Freilaufen; Anbieten.
- Abwehrtaktik, direkter Gegenspieler ist in Ballbesitz: Tackling; Zurückweichen / Ver- zögern; Abdrängen zur Seite; Tor abschirmen; Pässe abblocken.
- Abwehrtaktik, direkter Gegenspieler ist nicht in Ballbesitz: Manndeckung; Raumde- ckung (individuell); Zuspiele abblocken / abfangen; bei Annahme stören.

2.5.2 Gruppentaktik

Unter Gruppentaktik „versteht man die zielgerichteten und planvoll aufeinander abge- stimmten Angriffs- oder Abwehrhandlungen von zwei oder mehreren Spielern zur er- folgreichen Lösung von Spielsituationen.“ (BAUER 1994, 97) Die Strukturierung der ein- zelnen taktischen Maßnahmen erfolgt genau wie bei der Individualtaktik in Angriffs- und Abwehraktionen, sowie Aktionen mit und ohne Ball. „Durch die im Vergleich zum Ein- zelspiel komplexeren Spielsituationen werden zusätzliche Mittel und Fähigkeiten gefor- dert.“ (ebd.) Im Spiel bilden sich häufig Spielgruppen, die miteinander planvoll handeln. So kann es zum Beispiel zum Zusammenspiel von Torwart und Verteidigern, der Vie- rerkette, Abwehr und Mittelfeld, Mittelfeld und Angriff oder Stürmer und Stürmer kom- men. In Abhängigkeit ihrer Spielpositionen, dem Spielsystem, der Mannschaftstaktik oder der Spielweise des Gegners kommt es für diese Gruppen zu unterschiedlichsten Spielsituationen, die verschiedene Spielhandlungen erfordern. Aufgrund des Schwer- punkts dieser Arbeit auf der Individualtaktik werden diese hier jetzt nicht gesondert auf- geführt.2

2.5.3 Mannschaftstaktik

Unter Mannschaftstaktik versteht BAUER (1994, 91) „die zielgerichteten, planvoll aufein- ander abgestimmten Angriffs- oder Abwehrhandlungen aller Spieler einer Mannschaft.“ Im mannschaftstaktischen Rahmen verbinden sich alle technisch-taktischen Mittel vom 1:1 bis zur komplexen Spielhandlung zu einem situationsgerechten, effizienten Spiel. (BISANZ/ GERISCH 1980/88, 292) Wie auch schon bei der Gruppen- und Individualtaktik werden bei der Mannschaftstaktik in Angriffs- und Abwehrtaktik unterschieden, was Mannschaft in bzw. nicht in Ballbesitz entspricht. Aktionen in Ballbesitz sind: Wechsel von Spieltempo und Spielrhythmus; Wechsel des Spielraums; Wechsel der technischen Mittel; Spiel auf Zeit; Konterangriff; Frontalangriff. Mannschaftstaktische Abwehraktio- nen dagegen sind: Spielverzögerung; Manndeckung, Raumdeckung, gemischte De- ckung; Pressing in der gegnerischen Hälfte; Zurückfallen lassen in die eigene Hälfte. (BAUER 1994, 91) BISANZ/ GERISCH (1980/88, 294ff) fügen noch das Verhalten bei Stan- dardsituationen wie zum Beispiel Eckbällen und Freistößen dem mannschaftstakti- schen Verhalten hinzu.

2.5.4 Abwehrtaktik

Spricht man im Fußball von Abwehrverhalten oder Abwehrtaktik, so sind damit alle tak- tischen Maßnahmen gemeint, die eine Mannschaft, einzelne Gruppen oder Spieler durchführen, um den Gegner bei seinen Angriffsbemühungen zu stören. Im modernen Fußball werden bei gegnerischem Ballbesitz alle Spieler zu verteidigenden Spielern. Die Abwehrtaktik nimmt demnach eine immer größere Stellung im modernen Fußball ein. (LOCHMANN 2000b, 10f)

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Abb. 4: Das taktische Anforderungsprofil (G REIBER / F REIS 2001, 33)

2.5.4.1 Individualtaktik in der Abwehr

Unter Individualtaktik in der Abwehr versteht man eine zielgerichtete und planvoll abge- stimmte Abwehrhandlung eines Spielers, die er unabhängig von der speziellen Spielsi- tuation seiner Position ausführt. (BAUER 1994, 109) Weiterhin untergliedert BAUER (ebd. 116ff) das individuelle Abwehrverhalten in „Tackling“, „Zurückweichen und Verzögern“, „zur Seite abdrängen“, „abschirmen des Tores“ und „abblocken von gefährlichen Schüssen und Pässen“. Diese individualtaktischen Maßnahmen sind unabhängig von der Spielposition und gelten für alle Spieler. Die spezifischen Anforderungen der Spielposition beschreibt BAUER (1994, 119ff) in der „Taktik der Spielpositionen“, aufgeschlüsselt nach „Taktik des Torwarts“, „Taktik des Libero“, „Taktik der Verteidiger“, „Taktik der Mittelfeldspieler“ und „Taktik der Sturmspitzen“.

2.5.4.2 Torwarttaktik in der Abwehr

Die Hauptaufgabe des Torwarts besteht darin, in Zusammenarbeit mit den Abwehrspie- lern Torerfolge des Gegners zu verhindern. (BAUER 2001, 84) Da der Torwart regelbe- dingt den Ball im Strafraum mit den Händen spielen darf, nimmt er eine besondere Stellung ein. Diese bringt weiterhin eine spezielle taktische Verhaltensweise mit sich. Somit unterscheidet sich die Taktik des Torwarts markant von der Taktik der Feldspie- ler. (ebd. 1994, 119) „Oft hängen Sieg oder Niederlage eines Spiels allein von seinen physischen Fähigkeiten, dem Niveau seiner technischen und taktischen Fähigkeiten sowie seiner psychischen Stabilität ab.“ (BISANZ/ GERISCH 1980, 244) GREIBER/ FREIS (2001, 32) sagen weiterhin, „(…) dass ein Torhüter in der Regel pro Spiel nur 4 bis 5 wirkliche, dann aber spielentscheidende Prüfungen zu bestehen hat; diese zudem nach längeren Pausen und relativer ‚Beschäftigungslosigkeit’.“ Trotzdem ist ein Torhüter nie wirklich beschäftigungslos, denn er muss immer hoch konzentriert und ständig bereit sein in das Spiel einzugreifen. Grundsätzlich gilt dabei für das taktische Verhalten, „ein Torhüter beobachtet das Spielgeschehen ständig! Geschicktes Stellungsspiel erlaubt es ihm, jede Spielsituation vorteilhaft zu lösen! So früh wie möglich greift er ins Spielge- schehen ein!“ (ebd.) Gefährliche Situationen lassen sich so oft schon im Ansatz ent- schärfen, indem der Torhüter „mitspielt“. BAUER (1994, 119ff) unterscheidet dabei fol- gende Aspekte in der Abwehrtaktik des Torwarts:

- Grundstellung

Grundlegend für die erfolgreiche Ausführung aller taktischen Maßnahmen ist die Grundstellung. Unterscheiden kann man die Grundstellung bei Torschüssen und bei Flanken. Bei Torschüssen sollten in der Grundstellung die Füße etwa schulterbreit aus- einander stehen und mit der Hüfte eine Linie bilden. Bei leicht gebeugten Knien lastet das Körpergewicht auf den Fußballen. Neben dem leicht vorgebeugten Oberkörper sind die Arme leicht angewinkelt, die Ellenbogen etwas vorgeschoben und die Hände geöff- net, wobei die Handflächen nach vorne zum Ball zeigen. Es muss Körperspannung aufgebaut und der Blick auf den Ball gerichtet sein. Je näher sich der Schütze dem Tor nähert und die Gefahr eines Lupfers damit abnimmt, desto tiefer wird die Grundstellung. Der Körperschwerpunkt wird durch Beugen der Knie und der Hüfte weiter abgesenkt. Elementar dabei ist jedoch, dass das gesamte Körpergewicht vorne auf den Fußballen verbleibt. (GREIBER/ FREIS 2001, 16f)

Bei Flanken sind in der Grundstellung die Füße ebenfalls schulterbreit auseinander und bilden mit der Hüfte eine Linie. Die Knie sind leicht gebeugt und das Gewicht lastet auf den Fußballen. Anders als bei der Grundstellung bei Schüssen steht der Torwart bei einer Flanke locker und relativ aufrecht. Die Arme sind angewinkelt seitlich am Körper, die Hände sind geöffnet, die Handflächen können aber, anders als bei zu erwartenden Schüssen, zum Körper zeigen. Die Körperspannung und der auf den Ball gerichtete Blick sind für das Torwartspiel grundsätzlich unerlässlich. (ebd.)

- Selbst-Orientierung im Tor und im Strafraum

Die Orientierung im Tor und im Strafraum beeinflusst wesentlich die Fähigkeit des Stel- lungsspiels. Der Torwart muss seine Position im Tor ständig verändern und sie den wechselnden Spielsituationen anpassen. Dabei orientiert er sich nach dem Ball, um möglicherweise entstehenden Situationen gerecht zu werden. Aus den verschiedensten Stellungen zum Tor muss der Torwart immer wieder, im Rückwärtslauf, zur Mitte seines Tores finden. Dabei muss er voll auf den Ball konzentriert sein und hat zur Orientierung nur die Strafraum- bzw. Torraumlinie, den Strafstoßpunkt sowie je nach Position die Pfosten zur Verfügung. Viele Torhüter ziehen sich eine Hilfslinie von der Mitte des To- res senkrecht ins Spielfeld, dies ist jedoch aus Sicht der Regeln nicht erlaubt. Schwierig ist die Orientierung für den Torhüter auch bei sogenannten Standardsituationen wie Freistößen oder Eckbällen, wenn der Strafraum von Mit- und Gegenspielern dicht be- setzt ist. Hierbei hat der Torwart meist nur den Bruchteil einer Sekunde, um sich zum Herauslaufen zu entschließen und zu dem Punkt zu starten, an dem er den Ball erfolg- reich abfangen kann.

- Stellungsspiel

„Der gute Torwart steht intuitiv immer richtig, d. h. dort, wo er die besten Abwehrchan- cen hat.“ (BAUER 1994, 119) Die entscheidenden Aspekte für die Stellung des Torwarts sind die Entfernung des Balles vom Tor, der Winkel von Ball und Gegner sowie die Po- sitionen der eigenen Abwehrspieler. Ist der Ball in der gegnerische Hälfte, so rückt der Torwart bis an die Strafraumgrenze, auf um Steilpässe abzufangen. Dies ist vor allem beim Spiel mit einer Viererkette entscheidend, da sich hierbei hinter der Abwehr keine

Absicherung mehr befindet, der Torwart ersetzt damit den Libero. Ist der Ball in der ei- genen Hälfte, so bezieht der Torhüter auf der Torlinie Position bis sich der Ball etwa 25 Meter vor dem Tor befindet, um nicht von Fernschüssen mit fallender Flugkurve über- lupft zu werden. Dringt ein Gegenspieler in den Strafraum ein, so muss ihm der Torwart den Winkel verkürzend entgegenkommen und damit seine Torlinie verlassen. Läuft ein Spieler auf den Torwart zu, so positioniert sich dieser auf der Winkelhalbierenden von Ball und den beiden Pfosten. Er steht damit immer auf einer gedachten direkten Linie zwischen Tormitte und Ball. Befindet sich der ballbesitzende Spieler noch in einem Zweikampf mit einem Abwehrspieler, so bleibt der Torwart in seiner Grundposition im Tor. Dabei kann er eventuell etwas in Richtung der offenen Seite des Tors rücken, so- fern der Abwehrspieler durch seine Stellung einen Teil des Tors abdeckt.

- Frontales Aufnehmen flacher Bälle

Beim Aufnehmen flacher Bälle kommt es vornehmlich darauf an, dass der Torwart durch eine schnelle Schrittfolge seinen Körper hinter den Ball bringt und eine tiefe Schrittstellung einnimmt. Die gespreizten Hände sollten bei möglichst gestreckten Ar- men dem Ball entgegengehen, um ihn so früh wie möglich aufzunehmen. Das ballent- fernte Bein dient dabei der Stabilisierung. Der Ball wird mit beiden Händen aufgenom- men und schnellstmöglich zur Brust geführt, wobei die Ellenbogen zur Absicherung ei- nes Durchrutschens des Balles möglichst eng zueinander geführt werden. (GIBHARDT 2005a; 24)

- Seitliches Aufnehmen flacher Bälle im Fallen/Abrollen

Kommt ein Ball flach nur soweit ins Eck, dass der Ball festgehalten werden kann und ein Abwehren zur Seite nicht notwendig ist, so wird diese Technik angewendet. Beim Fallen muss der Torwart dabei seinen Körper schnellstmöglich hinter den Ball bringen. Dabei müssen Hüfte, Oberkörper und Arme gleichzeitig zur Seite nach unten gebracht werden. Der Ellenbogen muss vor dem Körper gehalten werden, um mit den Händen zum Ball zu kommen. Das Abrollen erfolgt über die Hüfte, Körperseite und Schulter. Zunächst muss mit dem ballnahen Fuß ein seitlicher Schritt zum Ball ausgeführt und dabei der Körperschwerpunkt über diesen Fuß gebracht und abgesenkt werden. Der Oberkörper wird dann hinter den Ball geschoben. Beide Hände gehen zum Ball, wobei die untere Hand hinter und die obere Hand auf den Ball greift. Haben die Hände Kon- takt zum Ball, wird dieser am Körper gesichert, indem er zum Bauch gezogen wird. Der Blick ist dabei die ganze Zeit auf den Ball gerichtet. (GREIBER/ FREIS 2001, 18)

[...]


1 Weiterführende Informationen zum Qualifikationsmodus findet man auf http://www.worldcupportal.de/2006/index.htm

2 Weitere Informationen zu den Gruppentaktischen Spielhandlungen findet man u. a. bei BAUER (1994, 97ff) oder BISANZ / GERISCH (1980/88, 261ff)

Ende der Leseprobe aus 132 Seiten

Details

Titel
Taktisches Verhalten weltbester Fußballtorhüter
Untertitel
Eine videogestützte empirische Untersuchung zur individualtaktischen Analyse des Torwartspiels anhand ausgewählter Spielszenen der Spiele vom Viertelfinale bis zum Finale der Fußball Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Sportwissenschaft)
Note
2,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
132
Katalognummer
V146077
ISBN (eBook)
9783640566013
ISBN (Buch)
9783640566433
Dateigröße
1604 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Videoanalyse, Fußball, Torhüter, Individualtaktsches Verhalten, WM 2006
Arbeit zitieren
Markus Schröder (Autor:in), 2007, Taktisches Verhalten weltbester Fußballtorhüter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146077

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