Der Mythos des deutschen Waldes von Tacitus bis in den Nationalsozialismus


Studienarbeit, 2006

21 Seiten, Note: 2,2


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Der Wald und der Ursprungsmythos der Deutschen

III. Der Einfluß aus der Romantik

IV. Der Waldideologe Riehl

V. Symbolität - der Wald als Symbol
V.1 Die deutsche Eiche
V.2 Hitlerbäume
V.3 Hakenkreuzwälder

VI. Der Wald als Pädagoge

VII. Blut und Boden

VIII. Das Ahnenerbe - Das Wald- und Baumprojekt

IX. Zusammenfassung

X. Literaturverzeichniss

I. Einleitung

Das Phänomen des Nationalsozialismus steht bis heute im Mittelpunkt des historischen Interesses, der wissenschaftlichen Forschung und Diskussion.

Noch nie wurde ein Volk so umfassend manipuliert und geprägt wie das deutsche unter der nationalsozialistischen Herrschaft. Anstatt ihre Ideologie durch wissenschaftliche Ekenntnisse und fachliche Erläuterungen zu begründen, beeinflußte die geistige Elite des Dritten Reichs das Volk durch Gleichschaltung und Propaganda. Die Ideologie des Nationalsozialismus „setzte sich aus einer Anzahl von halbdurchdachten Ideen zusammen und war letztlich nichts anderes als ein Instrument der Herrschaftsentfaltung und -erhaltung.“1

Da alle Bereiche des Staates mit nationalsozialistischer Ideologie infiziert wurden, blieb auch die Forstwirtschaft und -wissenschaft nicht davon verschont, einer Gleichschaltung unterzogen zu werden und sich der Gesinnung der Machthabenden zu beugen. Der Aspekt des Natur- und Waldverständnisses im Nationalsozialismus ist somit nicht als isoliertes Faktum zu betrachten. Vielmehr muss das Thema im Kontext der gesamten nationalsozialistischen Ideologie angesiedelt und untersucht werden. So lässt sich aus dem Weltbild der Nationalsozialisten explizit auch auf deren Naturverständnis schließen. Es zeigt sich, daß der deutsche Wald dem deutschen Volk gleichgesetzt wurde, in dem es galt, die Ideologie gleich durchzusetzen wie im Volk selbst. Die Mythologie der Germanen und nordischen Völker fand im esoterisch veranlagten Nationalsozialismus ebenso Anklang, wie die rigorose Durchsetzung des Rassengedankens, der „das Kernstück der politischen Weltanschauung Hitlers war“2 und die entscheidende geistige Grundlage des Nationalsozialismus bildete.

Ziel meiner Arbeit ist zu zeigen, wie es vom ursprünglichen Mythos des deutschen Waldes zur ideologischen Gedankenübernahme im Nationalsozialismus kam und welches Verhältniß zwischen Wald und der Ideologie des Dritten Reichs bestand.

Zunächst werde ich darstellen, wie es zu der starken Identifikation der Deutschen mit ihrem Wald und zu den Sagen und Mythen über die alten Germanen kam. Daraufhin werde ich erläutern, inwiefern die Epoche der Romantik starken Einfluß auf die Waldästhetik im Nationalsozialismus hatte. Anschließend werde ich auf die Argumentationen des Vordenkers oder Begründers der deutschen Volkskunde, Wilhelm Heinrich Riehl, und dessen Wissenschaft vom Volke eingehen. Riehls Gedanken wurden Jahre später von den Nationalsozialisten aufgenommen und zu deren ideologischen Zwecken interpretiert.

Daraufhin werde ich mich auf den Symbolcharakter von Wald und Baum sowie auf dereren politische Intrumentalisierung beziehen, wobei im Speziellen die deutsche Eiche als starkes Element hervortreten wird. Im folgenden Kapitel werde ich mich näher mit der nationalsozialistischen Forschungseinrichtung des Ahnenerbes befassen, deren Aufgabe primär darin bestand, die Fusion von Wald, Germanen und Ariern wissenschaftlich nachzuweisen um die sogenannte Überlegenheit der arischen Rasse zu beweisen. In dem Kapitel „Der Wald als Pädagoge“ werde ich den Vorbildcharakter des deutschen Waldes für die deutsche Gesellschaft und Kultur erläutern und auf die damaligen Naturschutzkonzepte eingehen. Im letzten Kapitel vor meinem Fazit soll anhand der einzelnen Sachbereiche Naturschutz, Agrar- und Forstpolitik klargestellt werden, wie der Nationalsozialismus mit seiner Umwelt umging.

II. Der Wald und der Ursprungsmythos der Deutschen

Kaum ein anderes Volk indentifiziert sich so stark mit dem Wald wie die Deutschen. Nichtsdestotrotz ist das eigentliche Wissen über unseren Wald verhältnissmässig gering. Woher kommt also diese starke Identifikation der Deutschen mit dem Wald?

Um zu den Wurzeln dieses Mythos zu gelangen ist es notwendig, weit zurück zu denken. Es beginnt mit dem altrömischen Historiker und Ethnografen Tacitus welcher im Jahr 100 n. Chr. ein Schriftstück verfaßt hatte, die erst im 15. Jahrhundert wieder auftauchen sollte. Das Werk mit dem Titel Germania sollte später zum ältesten deutschen Geschichtsbuch erkoren werden. Tacitus beschreibt darin die großen Wälder der Germanen sowie deren Angst, sich in bestimmten Gegenden dieser Wälder aufzuhalten. Fundamental jedoch ging es darum, den Ursprung der germanischen Stämme mit den riesigen dunklen Wäldern zu verknüpfen. Die Erzählungen dienten einerseits der Unterhaltung und tatsächlich war die zivilisierte römische Stadtbevölkerung von den rauhen Sitten der Germanen und derem wilden Lebensraum begeistert. Zugleich wollte der Autor jedoch eine Art gesellschaftliches Gegenmodell schaffen, das auf römischer Seite identitätsstiftend wirken sollte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde Tacitus’ Schriftstück von deutschen Romantikern wie etwa Jacob Grimm als wahrhaftig angenommen. Die römische Quelle mit propagandistischen Zügen wurde als eine umfassend ernstzunehmende historische Quelle eingestuft und zum „ersten Geschichtsbuch über die Deutschen deklariert“3. In deutschen Lehranstalten wurde dessen

Inhalt gelehrt, wodurch der Inhalt von Tacitus’ Germania offiziell zum Ursprungsmythos der Deutschen wurde.

Auf diesen Ursprungsmythos wurden fortan zahlreiche Facetten des deutschen Wesens zurückgeführt. Historische Entwicklungen wie Kriege, technische Revolutionen oder gesellschaftliche Veränderungen wurden häufig in Zusammenhang mit den alten Germanen gebracht.

1918 schrieb der Volkskundler und Germanist Eugen Mogk: „Wir erfahren von Tacitus, mit welch heiliger Scheu die Germanen ihre Wälder betraten. Noch heute wirkt die Stille oder das Rauschen der Bäume tief auf das Gefühl des Volkes ein".4

In den Wald- und Feldkulten des Mythologen Wilhelm Mannhardt manifestierte sich der deutsche Ursprungsmythos schließlich im 19. Jahrhundert. Auch im 20. Jahrhundert wurde er wissenschaftlich vertreten und instrumentalisiert.

Der Germanist Friedrich von der Leyen brachte den angeblichen germanischen Baumkult gar in Verbindung mit Fürst Bismarck. Der Staatsmann kannte bereits die „leitenden Tendenzen aus den Waldforschungen der Germanisten seiner Zeit und nutze diese für seine politischen Zwecke“5, indem er beispielsweise gegen seinen Nachfolger Graf Leo von Caprivi polemisierte. Jener hatte nach seinem Amtsantritt die Bäume vor seinem Palais entfernen lassen woraufhin Bismarck wie folgt reagierte:

“Aus dieser Baumvertilgung spricht nicht ein Deutscher, sondern ein slavischer Characterzug. Die Slaven und die Celten, beide ohne Zweifel stammverwandter als jeder von ihnen mit den Germanen, sind keine Baumfreunde, wie jeder weiß, der in Polen und in Frankreich gewesen ist, ihre Dörfer und Städte stehen baumlos auf der Ackerfläche, wie ein Nürnberger Spielzeug auf dem Tische.“6

Von der Leyen’s These entstammt der romantischen Tradition und verfolgt keine weiteren politischen Ziele. Am Beispiel Bismarcks jedoch ist die ideologische Brisanz kulturhistorischer Thesen über die gesellschaftliche Bedeutung des Waldes klar erkennbar.

III. Der Einfluß aus der Romantik

Wenngleich sich die Intellektuellen des 19. Jahrhunderts zunächst kaum geistig mit Natur und Wald auseinandersetzten, entstammen sowohl die politischen Waldmythologien als auch die kulturellen Muster des gegenwärtigen Waldbewußteins der Epoche der Romantik. Die Romantisierung der Natur geschah erst, nachdem man sich in den eigenen Stadtmauern wohl fühlte und von Zeit zu Zeit begann die Natur in häufig nostalgischer Weise zu vermissen. Ein äußerst wichtiger Gesichtspunkt ist hierbei das Gefühl des Verlustes. Viele Maler und Dichter der Romantik sahen den Wald als Erinnerungsort ihrer Kindheit oder eine Seelenlandschaft, welche ihnen als Wohnort verloren gegangen war.

Bereits im 18. und 19. Jahrhundert wurde der Wald intensiv wirtschaftlich genutzt. Diese Nutzung war zumeist nicht nachhaltig und hatte verheerende ökologische Auswirkungen, die nicht mit den Folgen der heutigen Wladwirtschaft zu vergleichen sind. Der in Waldnähe lebenden dörflichen Bevölkerung und den Bauern diente der Wald zunächst als Existenzhilfe und somit als Ressouce für Brenn- und Bauholz. Desweiteren gab es Imkereien, Weidebetreibungen sowie das Pflücken von Beeren und Zapfen von Harz, welches subsistentielle] Tätigkeiten darstellten.

Da viele Bauern alleine am Rande des Waldes lebten, kam es ohne weiteres vor, daß sie einer sogenannten Waldeinsamkeit unterlagen und daher von Zeit zu Zeit in natürlichen Geräuschen des Waldes die Ursache von Geistern und Dämonen sahen. Außerdem wurde die Waldidylle von vielen Bewohnern keineswegs als erholsam angesehen. Bei Eintreten der Dunkelheit wurde gar von Angszuständen vieler Waldarbeiter berichtet.

Den Sinn für die Schönheit und Inspiration fanden somit also weniger die waldnahen Dorfbewohner als die in der Stadt lebenden Dichter und Maler, welche diesen jedoch im Laufe des 19. Jahrhunderts äußerst rapide in der Bevölkerung verbreiten sollten. Als erstes wurden das romantische Gedankengut vom Fortswesen angenommen, welches mit der wissenschaftlichen Forstästhetik die Landschaftsvorstellungen der romantischen Künstler auf den Waldbau übertrug. Wie auf den Gemälden der Künstler zu sehen war, sollte der Wald nun mit Steinen, Bächen und schönen Baumen ästhetisch geschmückt werden. In der Folge kam es zu einer wahren Waldästhetik in diversen Bereichen. Heinrich von Salisch, einer der Gründer der Forstästhetik, sah den Naturgenuß als gleichwertig mit dem Kunstgenuß an. Der Besuch eines Waldes sollte zum Äquivalent eines Museumsbesuchs werden. Von Salisch entwickelte am Beispiel des Waldes eine Farbenlehre der Landschaft mit feinen Abstufungen der Laub- und Grüntöne, des Wassers, Laubes und Mooses und „(...) auch der Waldgeruch und die Stimmen des Waldes, Windgeräusche und der Vogelgesang gehörten zu seiner Ästhetik des Waldes“7.

Dieses Waldverständnis besteht in der deutschen Bevölkerung bis zum heutigen Tag fort. Es überdauerte somit die Industrialisierungsepoche und verbreitete sich im 19. Jahhundert. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg galt der Wald bei Industriearbeitern als Ort der Muße und Symbol der menschlichen Eintracht mit der Natur und somit als das Natursymbol schlechthin. Untersuchungen zufolge, bei welchen Arbeiter befragt wurden, zeigte sich, daß der Wald mit seinem Zusammenspiel unterschiedlicher Lebensformen, beziehungsweise die gesamte Natur als Modell für eine glückliche Zukunft des Menschen und als Wunschtraum für das menschlich-soziale Zusammenspiel angesehen wurde. Die romantische Kunst, die sich in unseren Wäldern wiederspiegelt, fungiert bis heute als Gegenpol zu unserer Zivilisation.

Die politische Instrumentalisierung des Waldes setzte verstärkt nach der romantischen Bewegung, also gegen Mitte des 19. Jahrhunderts ein. Angesichts eines sich verstärkenden Nationalismus wurde der Wald immer mehr zu einem politischen Symbol. Die enge Verbindung des Deutschen zu seinen schönen wilden Wäldern wurde somit zu einer deutschen Eigenheit und somit auch zu einem Teil des sogenannten deutschen Nationalcharakters. Generell wurden die Deutschen zu dem Waldvolk schlechthin innerhalb Europas.

Die politische Waldsymbolik des 19. Jahrhunderts ging in der Folgezeit Hand in Hand mit den rassistischen Vorstellungen der Nationalsozialisten. Die Kraft und Ursprünglichkeit des Waldvolkes wurde somit auf die angebliche rassische Überlegenheit des Deutschen beziehungsweise der europäischen Völker projiziert.

Jedoch kam mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges auch ein relativ apruptes Ende hinsichtlich des Mythos des Deutschen Waldes.

[...]


1 Gundolf, Rainer-Maria Vogel: Diplomarbeit „Der Wandel der deutschen Forstwirtschaft unter dem Einfluß des Nationalsozialismus“; Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 1989.

2 Gundolf, R.-M.

3 Küster, Hans-Jörg: Die Geschichte des Waldes. München 2003, Seite 25.

4 Lehmann, Albrecht: Von Menschen und Bäumen. Die Deutschen und ihr Wald. Hamburg 1999, Seite 44.

5 Die Geschichte des Waldes, S. 26.

6 Die Geschichte des Waldes, S. 26.

7 Lehmann, Albrecht: Der deutsche Wald. Natur und Kultur begegnen sich im Wald. Aus: http://www.lpb.bwue.de.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Der Mythos des deutschen Waldes von Tacitus bis in den Nationalsozialismus
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Note
2,2
Autor
Jahr
2006
Seiten
21
Katalognummer
V146054
ISBN (eBook)
9783640570744
ISBN (Buch)
9783640570843
Dateigröße
572 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mythos, Waldes, Tacitus, Nationalsozialismus
Arbeit zitieren
Patrick Geiser (Autor:in), 2006, Der Mythos des deutschen Waldes von Tacitus bis in den Nationalsozialismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146054

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