Eine ungewöhnliche Beziehung

Ludwig II. und Richard Wagner bis zum Ende des Krieges von 1866


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

34 Seiten, Note: 1.4


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die frühen Jahre Ludwigs II.
2.1 Kindheit und Jugend
2.2 Amtsantritt und Selbstverständnis

3. Die Beziehung zu Richard Wagner
3.1 Die Person Richard Wagner
3.2 Berufung und tiefe Verbundenheit
3.3 Richard Wagners Zeit in München
3.4 Der Bruch Ende 1865

4. Der Krieg von 1866 und der Einfluss Richard Wagners auf Ludwig II.
4.1 Ursachen, Verlauf und Wirkung des Krieges
4.2 Richard Wagners Einfluss auf Ludwigs Verhalten

5. Abschließende Gedanken

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Ludwig II., der „Märchenkönig“ von Bayern, kann wohl als eine der ungewöhnlichsten Herrscherpersönlichkeiten in der Geschichte Bayerns, wenn nicht Europas bezeichnet werden. Er ist heute eine Ikone für die verschiedensten Gruppierungen, vom bayerischen Heimatverein bis zur Homosexuellenbewegung im amerikanischen San Francisco. Die Werbung nutzt seine Figur, um Schönheit und Traditionsbewusstsein zu suggerieren und die historische Forschung zu seiner Person hat sich, wie man den zahlreichen, immer noch erscheinenden Werken sehen kann, auch 120 Jahre nach seinem Tod immer noch nicht erschöpft. Seine Bauten und Schlösser gehören jedes Jahr für Millionen von Touristen zum Pflichtprogramm und sein geliebtes Schloss Neuschwanstein diente gar zur Vorlage für den amerikanischen Zeichentrickkonzern Walt Disney und dessen Markenzeichen. Der König, der im zarten Alter von nur 18 Jahren den bayerischen Thron bestieg, hat jedoch kaum ein politisches oder staatsmännisches Erbe hinterlassen, denn dafür konnte er sich nur schwer begeistern. Viel gegenwärtiger sind die bis heute ungeklärten mysteriösen Umstände seines Todes im Starnberger See 1886.

Weit weniger berühmt als für die oben genannten Leistungen und Umstände ist Ludwig für seine außergewöhnliche Beziehung zu dem berühmten Komponisten Richard Wagner, obwohl seine erste wichtige Amtshandlung als König darin bestand, den 30 Jahre älteren Musiker als persönlichen Vertrauten an seinen Hof zu holen. Obwohl die in enger Freundschaft verbundenen ungleichen Männer nur weniger als zwei Jahre zusammen in München und Umgebung verbrachten, hatte ihre Verbindung bis zum Tod des Künstlers 1883 bestand.

Diese Arbeit macht sich zur Aufgabe, die Art dieser Freundschaft in den frühen Regierungsjahren Ludwigs bis zum Ende des deutschen Bruderkrieges von 1866 zu betrachten. Weshalb klammerte sich Ludwig so sehr an seinen väterlichen Freund? Wie wirkte das ungewöhnliche Verhalten auf die öffentliche Meinung im bayerischen Volk und wie handelten die politischen Feinde Wagners während seiner Zeit in München? Die interessanteste Frage aber ist, welcher Art der Einfluss der erfahrenen Mannes Richard Wagner auf den Bayernkönig war. Bestand lediglich ein Mäzenatentum zwischen den beiden, oder hatte Wagner auch Einfluss auf die politischen Entscheidungen des Königs und damit auf Bayern?

Die Sekundärliteratur und die Quellenlage bieten zu diesen Fragen eine Fülle von Antworten, so dass hier eine Auswahl getroffen werden muss. Diese Arbeit nutzt daher eine Auswahl von Biografien, von denen diejenigen von Gottfried von Böhm[1] und Werner Richter[2] besonders erwähnt werden sollten. Diese Werke stellen eine solide Grundlage dar, besonders das schon 1924 erschienene Werk von Böhms, des damaligen Leiters des Geheimen Hausarchivs, der selbst noch Augenzeuge war, hatte großen Einfluss auf alle seine Nachfolger. Als modernere Bearbeitungen des Themas habe ich die Werke von Felix Sommer[3], Christof Botzenhart[4] und vor allem von Verena Naegele[5] herangezogen, die die Beziehung zwischen Ludwig und Richard Wagner in ihrer Dissertation auf außergewöhnlich detaillierte und präzise Art und Weise neu ergründet hat. Besonders hervorzuheben ist außerdem die Arbeit von Rupert Hacker[6], der in seiner Biografie in Augenzeugenberichten fast alle für diese Arbeit relevanten Quellen ediert hat. Durch seine großartige Arbeit konnte auf das Heranziehen von anderen Quellenbänden verzichtet werden. Dennoch sollen die beiden wichtigsten Quelleneditionen zu diesem Thema, die eine von Otto Strobel[7], die andere von Martha Schad[8], an dieser Stelle erwähnt werden.

Letztlich sind hier noch die Beträge von Herrmann Rumschöttel[9] und Andreas Kraus[10] zu erwähnen, die einen dankenswerten Überblick über die zeitlichen Umstände der Regierungszeit Ludwigs II. boten. Die übrigen Arbeiten, die Eingang ins Literaturverzeichnis gefunden haben, waren ebenfalls sehr hilfreich, aber hier soll es genügen, die wichtigsten vorzustellen.

Zunächst sollen nun die Kindheit und Jugend Ludwigs II. dargestellt werden.

2. Die frühen Jahre Ludwigs II.

Um der Beziehung des jungen Bayernkönigs zu dem gut 30 Jahre älteren Komponisten Richard Wagner zu ergründen ist es zu allererst notwendig, die Jugend und Erziehung Ludwigs zu betrachten und seine psychische Disposition zu erklären. Ebenso ist es trotz der in dieser Arbeit gebotenen Kürze wichtig, die Person Richard Wagner verstehen zu lernen und zu erörtern, wie ein Rädelsführer der Revolution von 1848 zum absolut einzigen Freund und zur Vaterfigur für einen Monarchen werden konnte, der in seinem Selbstverständnis noch in der Zeit absolutistischer französischer Könige lebte. Auch auf die politische Situation, die in Bayern im Inneren beim Regierungsantritt Ludwigs vorherrschte, soll in diesem ersten Abschnitt kurz eingegangen werden.

2.1. Kindheit und Jugend

Ludwig II. von Bayern wurde am 25. August 1845 im Schloss Nymphenburg in München geboren. Er war der erste Sohn seiner Eltern, König Maximilians II. von Bayern und dessen Frau, Prinzessin Marie von Preußen und wurde anlässlich des Geburtstages seines Großvaters, des damaligen bayerischen Monarchen Ludwig I., auf dessen Namen getauft. Drei Jahre später folgte sein Bruder Otto als zweiter Prinz Bayerns, sein Großvater musste als Regent abdanken, und Ludwig wurde durch die Herrschaftsübernahme seines Vaters Kronprinz.[11]

Sein Vater Maximilian war ein Intellektueller von dem man behaupten kann, dass „wäre er nicht in die Königswiege hineingeboren, so wäre er Universitätsprofessor geworden.“ Neben dem Vater erscheint Ludwigs Mutter als Gegensatz, denn ihre Hauptmerkmale waren ein hausmütterlicher Instinkt und ihre Leidenschaft für die einsamen Gegenden der bayerischen Gebirgslandschaften, die ihr erster Sohn von ihr erben sollte.[12]

Bereits auf die zu Ende seiner Herrschaft fragwürdig diagnostizierte Geisteskrankheit vorausschauend, bewertet Ludwigs Biograf Werner Richter neben den eben genannten Beschreibungen auch die mögliche Erbschädigung des ‚Märchenkönigs’, und kommt zu dem Schluss, dass von Marie „gefährliche Erbanlagen des hohenzollernschen und vor allem des welfischen Hauses“ mitgebracht wurden, und dass „auch König Maximilian leise Züge von Überzüchtung“ zeigte.[13] Darüber hinaus litt der junge Prinz bereits im Alter von wenigen Monaten an einer Hirnhautentzündung[14], so dass man von Glück sagen kann, dass er seine ersten Jahre heil überstand und sich im weiteren Verlauf seiner Jugend zu einem gut aussehenden und zumindest eingeschränkt regierungsfähigen jungen Mann entwickelte.

Schon im frühen Alter entwickelte Ludwig ein großes Interesse an Kunst und Religion und liebte es ebenso, sich mit Bautätigkeiten zu befassen, wobei hier allerdings eher die übliche Faszination eines die Welt entdeckenden Kindes, und weniger ein Vorgeschmack auf die Bauwut seiner späten Regierungsjahre, gesehen werden muss, wie Felix Sommer in seiner Arbeit über die psychiatrischen Probleme Ludwigs festhält.[15] Ebenso berichtet er von der „Tatsache, daß [manche] Verhaltensweisen, die sich Ludwig im Kindesalter aneignete, bis zu seinem Tod erhalten blieben.“[16] Dieser letzte Punkt wird sich später noch als interessanter Nebenaspekt bei seiner Erwählung Richard Wagners zum Seelenverwandten erweisen, doch zunächst soll bei der Jugend und Erziehung des Bayernkönigs verblieben werden. Die wichtigsten Aspekte der Zeit bis zum Thronantritt scheinen erstens die Liebe zum Theater und besonders das Interesse an Richard Wagners Werken zu sein, zweitens das gespannte und lieblose Verhältnis zu seinem Vater, und drittens eine daraus folgende Tendenz, sich in Einsamkeit und Isolation zurückzuziehen, die Ludwig Zeit seines Lebens nicht loswerden sollte.

Schon früh war er ein ungewöhnlich fantasievolles Kind gewesen, bei seinen Biografen wird immer wieder ein Bericht seines Erziehers Ignaz von Döllinger aufgegriffen, der ihn während einer Krankheit in einem abgedunkelten Raum völlig allein antraf und fragte, ob er sich nicht langweile, und darauf die Antwort erhielt: „Oh, ich langweile mich gar nicht, ich denke mir verschiedene Dinge aus und unterhalte mich sehr gut dabei.“[17] Solche Anlagen attestiert man heute begabten und intelligenten Kindern – was Ludwig ohne Zweifel war –, aber er vermisste in seiner Jugend verschiedene Dinge, wie die richtige Ausbildung zur Vorbereitung auf die Regentschaft und ein respekt- und liebevolles Verhältnis zu seinen Eltern. Anstatt sich der Erziehung des jungen Thronfolgers selbst anzunehmen, wahrte vor allem König Maximilian II. eine große, sachliche Distanz zu seinem Sohn. Er war auf äußerste Strenge und Disziplin bedacht, führte den Briefwechsel mit seinem Sohn auf Französisch, hielt die Mahlzeiten des Jungen so knapp, dass ihm bisweilen die Bediensteten heimlich etwas zu Essen zustecken mussten, und seine Erziehungsgrundsätze tendierten grundsätzlich darauf, „allzugrosse Willenskraft und jeglichen Eigensinn rigoros zu bestrafen“.[18] Maximilian II. ließ sich zu übertriebenen Züchtigungen hinreißen, die sehr schlimm für den sensiblen Ludwig gewesen sein müssen und hielt auch das Taschengeld seiner Söhne sehr knapp. Aus den letzten Monaten seines Lebens ist von Max II. die Klage überliefert, es gebe nichts, worüber er sich mit seinem Sohn unterhalten könne, denn diesen interessiere ohnehin nichts, was er anrege[19], während Ludwig noch als Dreißigjähriger leidvoll anmerkte, dass ihn der Vater von vorne herein nur von oben herab behandelt habe.[20] Auch die Mutter vermochte es nicht, ihren Söhnen ausreichend Liebe und Wärme zu schenken, sie „besuchte sie zwar häufiger in ihren Zimmern, wußte sich aber nicht mit ihnen abzugeben, wie Kinder es eben verlangen.“[21] Von dieser Strenge abgesehen, überließen die Eltern die Erziehung von Otto und Ludwig dem Personal.[22]

Die Erzieher und Lehrer des Kronprinzen waren bestenfalls durchschnittliche Persönlichkeiten. Franz Herre urteilt in seiner Biografie folgendermaßen: In Anlehnung an Luise von Kobells Bericht erzählt er, Ludwigs Amme habe ihn angebetet und aus reiner Zuneigung sein Selbstgefühl gehegt und gepflegt. Seine Erzieherin Sybille Meinhaus, mit der er auch nach deren Heirat mit dem Freiherrn von Leonrod noch viel Briefkontakt pflegte, habe ihn verhätschelt.[23] Der Erzieher Theodor Basselet de la Rosée „förderte den Hang Ludwigs zur Selbstherrlichkeit [und] erklärte ihm, daß ein König stets Distanz zu gewöhnlich Sterblichen zu wahren habe“.[24] Hierin mag man die Wurzel für Ludwigs mittelalterlich und absolutistisch anmutendes Herrschaftsverständnis sehen, welches ihn während seiner Regentschaft wie aus einer anderen Zeit wirken lässt. Dieser Umstand wird in dieser Arbeit noch eine Rolle spielen, wenn es um Richard Wagner gehen wird. Es mangelte ihm schlicht an einer persönlichen Beziehung zu seinen Lehrern, die Ludwig nach eigener Aussage alle gehasst hat, wie Felix Dahn in seinen Aufzeichnungen darstellt, als er mit diesem über Professor Steininger sprach.[25]

Ludwigs schulische Bildung war, obwohl er nach dem Bericht seiner Mutter schnell lernte und Dinge auffasste[26], nicht ausreichend um einen guten Monarchen abzugeben. Dies lag vor allem daran, dass er nur sehr kurze Zeit nach dem Beginn seines Universitätsstudiums den bayerischen Thron besteigen musste, und daher große Teile seiner Bildung unfertig blieben.[27]

Werner Richter spricht im Zusammenhang von Ludwigs Umfeld ebenfalls von „gutwilliger, doch unzweifelhafter Mittelmäßigkeit“, und führt weiter aus, es habe dort nur „eine einzige Persönlichkeit von Niveau“ gegeben, und das war sein Religionslehrer, „der gelehrte und feinsinnige Theologe“ Ignaz von Döllinger.[28]

Es ist nicht verwunderlich, dass sich der fantasievolle, und aufgrund seiner strengen Lebensumstände vereinsamte Junge in die bereits erwähnten Traumwelten zurückzog. Diese Traumwelten präsentierten dem jungen Prinzen ohne Zweifel auch das Theater, aber vor allem die Welt der Sagen und Mythen. Diese Welt fand Ludwig bei den Sommeraufenthalten seiner Familie auf Schloss Hohenschwangau und in den Bergen, und seine Liebe zu den einsamen Orten, die ihm die Natur des Oberlandes bot, sollte ihm den Rest seines Lebens erhalten bleiben.[29] Dieser abgelegene Ort sollte zusammen mit Schloss Berg am Starnberger See sein wichtigster Rückzug werden.

Durch diesen romantischen Hang zur Welt der Mythen und Sagen, kam Ludwig auch zum ersten Mal mit den Schriften und Werken Richard Wagners in Kontakt. Bereits im Alter von 13 Jahren lernte er dessen Arbeiten kennen, nachdem er von de la Rosée die Schrift „Oper und Drama“ geschenkt bekommen hatte, und im Jahr 1861 durfte er zum ersten Mal die Aufführung eines von Wagners Werken, nämlich „Lohengrin“, selbst sehen.[30] Ludwig, so lässt uns sein früher Biograf Gottfried von Böhm wissen, „vergoß darüber Tränen höchsten Entzückens, lernte in der Einsamkeit seines Zimmers und des Parkes das Textbuch und die übrigen Dramen Wagners auswendig, und las ‚mit brennender Begier’ auch die Prosaschriften Wagners“.[31] Felix Sommer analysiert, dass schon zu dieser Zeit der Grundstein für Ludwigs gemeinsamen Weg mit Wagner am Beginn seiner Regierungszeit gelegt wurde.[32]

Es ist nicht angesichts der vielen emotionalen Enttäuschungen die Ludwig durch seinen Vater und seine Erzieher erfahren musste nicht verwunderlich, dass sich der junge Mann nach anderen Vaterfiguren umzusehen begann. Diesen Platz in seinem Leben, so scheint es, hat er Richard Wagner zugedacht, wobei von Beginn an das Problem bestand, dass Ludwig der Herrscher und Mäzen für den mehr als 30 Jahre älteren Wagner sein sollte, und diesen an Macht und Einfluss bei weitem übertraf.

Ein weiterer Beleg für die Suche des jungen Mannes nach Vaterfiguren ist sein Verhältnis zum preußischen Reichskanzler Otto von Bismarck, welches, obwohl beide in ihrem Leben nur ein einziges Mal persönlich trafen[33], ebenfalls als väterlich bezeichnet werden kann. Laut Dieter Albrecht ist Ludwig auf „der Suche nach Vorbild und freundschaftlicher Stützung“ gewesen, und in „der überragenden Gestalt des Kanzlers [habe] der weiche, impressionable junge König das Vermißte gefunden – ganz ähnlich wie er es in den Jahren zuvor bei Richard Wagner zu finden glaubte.“ Laut Bismarck selbst habe der bayrische König nur auf zwei Menschen etwas gegeben, nämliche Wagner und eben ihn selbst. Und wie wir noch sehen werden, hat Ludwig die politische Haltung seiner Vorbilder wenig interessiert, denn obwohl Bismarcks Politik sein Verständnis von monarchischer Souveränität verletzte und nach dem Bruderkrieg von 1866 die bayerische Souveränität zerstörte, hat er über die Jahre hinweg an seinem positiven Bild des Preußen festgehalten.[34] Bevor sich diese Arbeit mit der frühen Beziehung der beiden ungleichen Männer beschäftigt, soll allerdings noch ein Blick auf die äußere Form von Ludwigs Herrschaft und auf sein mittelalterliches Selbstverständnis geworfen werden.

Um diesen ersten Abschnitt abzuschließen, lässt sich zusammenfassend über die Kindheit und Jugend des „Märchenkönigs“ sagen, dass er den ihm auferlegten Mangel an Wärme, an Vorbildern und an Freunden durch eine Flucht in die Welten des Theaters und seiner Träume kompensierte. Als er plötzlich König wurde, war Ludwig durch seine verschlossene Persönlichkeit und seine mangelhafte Ausbildung nicht im Mindesten bereit, seinem Volk ein guter, konstitutioneller Monarch zu sein. Und trotzdem schlug er sich, und das ist einigermaßen verwunderlich, zunächst nicht schlecht.

2.2 Amtsantritt und Selbstverständnis

Nachdem er im Alter von nur 18 Jahren am 10. März 1864 zum König proklamiert worden war, hatte Ludwig eigentlich gut begonnen. „An Amtseifer fehlte es ihm nicht“[35], so Franz Herre, der damit den Grundtenor der meisten anderen Biografen trifft. Er trat seine Regierung mit den besten Vorsätzen an, in einem Brief an Sybille von Leonrod schreibt er: „[I]ch bringe ein Herz mit auf den Thron, das in väterlicher Liebe für sein Volk schlägt(…)! Was immer in meinen Kräften steht, will ich tun, um mein Volk zu beglücken“[36]. Auch seine Amtsaufgaben erledigte er zunächst vorbildlich, wie aus einem ebenfalls an Leonrod gerichteten Bericht wenige Wochen später hervorgeht.

Morgens kommen die Sekretäre um ½ 9 – ½ 10 oder 10 Uhr. Zweimal in der Woche kommt Hofmann [ der Hofsekretär ], dieser um 10-11; um 11 jeden Tag ein Minister (…) und [ich] erteile gewöhnlich um 12 Audienzen (…) um 4 Uhr ist die Tafel, um 6 Uhr kommt abwechselnd je einer von den Sekretären (…) was bis 9 Uhr dauert.[37]

Zum Verständnis der Regierungsaufgaben des bayerischen König ist es an dieser Stelle nötig, die Aufgaben und das Regierungssystem der damaligen Zeit kurz zu erklären.

Christof Botzenhart hat die Verhältnisse in der Zeit von Ludwig II. in seinem Buch „’Ein Schattenkönig ohne Macht will ich nicht sein’. Die Regierungstätigkeit König Ludwigs II. von Bayern“ zusammengefasst. Es war das wichtigste Recht des Königs, die Staatsminister nach seinem Ermessen zu berufen und zu entlassen. Diese Minister hatten ihre verschiedenen Staatsministerien unter sich. Als Ludwig II. an die Macht kam, gab es die Staatsministerien, des Königlichen Hauses und des Äußeren, der Justiz, des Innern, des Innern für Kirchen – und Schulangelegenheiten, der Finanzen, das Kriegsministerium und das Staatsministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten. Aus diesen setzte sich das Gesamtstaatsministerium zusammen, und gleichzeitig bildeten die Staatsminister den Ministerrat, der unter der Leitung des Königs stand, und sich nur auf seinen Befehl versammelte. Dazu hatte Maximilian II. das Amt des „Vorsitzenden im Ministerrate“ geschaffen, mit dem seit 1849 Ludwig Freiherr von der Pfordten ausgestattet war. Einen Ministerpräsidenten gab es offiziell noch nicht, aber der Vorsitzende im Ministerrat wurde landläufig so bezeichnet. Dieser Ministerrat sollte zur Behandlung von verschiedenen Gegenständen zusammenkommen, wenn es dem König geeignet erschien. Wichtig für das monarchische Prinzip ist dabei, dass der Rat nur beratende Funktion hatte, und nur mit dem Monarchen gemeinsam handeln konnte. Allerdings muss gesagt werden, dass aufgrund des „immer stärker zu beobachtenden Zurücktretens des Monarchen von der Tagespolitik die tatsächlichen Machtverhältnisse sich dementsprechend zu Gunsten der Minister entwickelten“. Die Tendenz ging also langsam weg von der Alleinherrschaft des Königs, hin zu einer Art inoffizieller Oligarchie. Da Ludwig in seiner Regierungszeit weitgehend auf den Kontakt mit seinen Ministern verzichtete, begünstigte er diese Entwicklung sogar noch.[38]

Herrmann Rumschöttel schreibt in seinem Beitrag in Alois Schmids und Katharina Weigands Band „Die Herrscher Bayerns“, dass die Verfassung eine „starke Herrscherpersönlichkeit“ voraussetzte, da ansonsten der Staatsrat Regierungsaufgaben erhielte, die ihm eigentlich nicht zustünden. Das Problem an der Sache waren lediglich die „Vorstellungen Ludwigs vom Königtum“, denn diese waren „vorkonstitutionell“, und orientierten „sich an den absolutistischen Herrschaftsformen des französischen 17. und 18. Jahrhunderts.“[39]

Hier taucht die große Diskrepanz in der Herrschaft Ludwigs II. auf. „Ein Schattenkönig ohne Macht“[40] wollte er nicht sein, aber von den alltäglichen Regierungsgeschäften behelligt werden wollte der weltfremde Mann auch nicht. Rumschöttel spricht dabei von einem „Leiden am Reich“, denn zum einen konnte der „sachlich unvorbereitete, politisch schwache und sehr junge Monarch die von der Verfassung eingeräumten Kompetenzen nicht nützen.“ Zum anderen aber widersprach es seinem Selbstverständnis, wenn er in seiner Herrschaft Kompromisse machen musste, seine Geldmittel begrenzt waren und das Volk durch Kammer und Presse näher an ihn heranrückte.[41]

Hätte er sich von den politisch gebildeten Staatsmännern und Juristen in seinem Kabinett lenken und ausbilden lassen, hätte er zu gegebener Zeit seine oben zitierten Worte an Sybille Meinhaus in die Tat umgesetzt und einen verfassungskonformen Regierungsstil entwickelt, so wäre die Geschichte Bayerns, und damit Deutschlands und Europas wohl in andere Bahnen gelenkt worden. Denn die Eigenschaft Bayerns als dritter Staat zwischen den Großmächten Preußen und Österreich bedeutete im Sinne des Deutschen Bundes auch die Verantwortung, zur Wahrung des Gleichgewichts beizutragen. Auch Otto von Bismarck bemerkt in seinen Gedanken und Erinnerungen: „Dem Bayernkönig hat ein [tatkräftiger Kanzler] gefehlt, der ihm den Willen festigte und die Stärke eingab, sich selbst und andere zu beherrschen.“[42]

So also sah die politische Konstellation innerhalb Bayerns am Beginn von Ludwigs Herrschaft aus. Auf die außenpolitische Situation soll innerhalb der vorliegenden Arbeit erst im Abschnitt über den Krieg von 1866 und seine Ursachen eingegangen werden.

So kompliziert und interessant diese Zusammenhänge im Blick auf den Regierungsantritt Ludwigs sind, ihm selbst dürften sie nicht allzu wichtig gewesen sein, denn schon wenige Tage nachdem er König geworden war, sandte er seinen Hofrat Pfistermeister aus, um nach seinem Idol Richard Wagner zu suchen und ihn nach München zu holen.[43]

3. Die Beziehung zu Richard Wagner

Ludwig, das werden wir sehen, hatte sich nach Richard Wagners Gesellschaft gesehnt, und war bereit, alles in seiner Macht stehende zu tun, um sein Idol in seiner Nähe zu haben. Wagner, der über diese Zuneigung zunächst verständlicherweise überrascht war, gewöhnte sich sehr schnell an seine Stellung am bayerischen Hof, und begann, diesen Einfluss auszunutzen.

Wie groß bereits an dieser Station seines Lebens der Stellenwert der Person Richard Wagner gewesen sein muss, lässt sich auch an einem der Briefe an den Komponisten erkennen, den Ludwig ihm am letzten Tag seines ersten Regierungsjahres schrieb: „Für mich war das nun bald vergangene Jahr das schönste meines Lebens (…): „Keiner ging, doch Einer kam“.“[44] Hieran lassen sich zwei Dinge erkennen, zum einen das erlösende Glück, dass Ludwig ob der Zuneigung seines väterlichen Freundes empfunden zu haben scheint, und zum anderen die Tatsache, dass er anscheinend über das Kommen Wagners in sein Leben den Tod seines eigenen Vaters anfangs des Jahres völlig vergessen zu haben scheint, denn „keiner ging“.

Nachdem im vorherigen Teil Ludwig betrachtet wurde, muss in dem nun folgenden Abschnitt zunächst die andere Hälfte dieses ungleichen Duos betrachtet werden. Anschließend wird das Verhältnis der beiden bis zum Ende von Richard Wagners Aufenthalt in München Im Dezember des Jahres 1865 betrachtet.

[...]


[1] Gottfried von Böhm. Ludwig II. König von Bayern. Sein Leben und seine Zeit. Berlin 1924.

[2] Werner Richter. Ludwig II. König von Bayern. 15. Aufl., München 2008.

[3] Felix Sommer, Psychiatrie und Macht. Leben und Krankheit König Ludwig II. von Bayern im Spiegel prominenter Zeitzeugen. Frankfurt a. M. 2009.

[4] Christof Botzenhart, Die Regierungstätigkeit König Ludwig II. von Bayern. „ein Schattenkönig ohne Macht will ich nicht sein“. München 2004.

[5]. Verena Naegele, Ludwig II. und Richard Wagner. Real- und kulturpolitische Konsequenzen einer ungewöhnlichen Beziehung. Phil. Diss. Zürich 1995.

[6] Rupert Hacker, (Hrsg.). Ludwig II. von Bayern in Augenzeugenberichten. 2.Aufl. Düsseldorf 1966.

[7] Wittelsbacher Ausgleichs-Fonds und Winifred Wagner (Hrsg.), König Ludwig II. und Richard Wagner. Briefwechsel. bearbeitet von Otto Strobel, Karlsruhe 1936

[8] Martha Schad (Hrsg.), Briefe. Cosima Wagner und Ludwig II. von Bayern. Gladbach 1996

[9] Hermann Rumschöttel, Ludwig II. Das Leiden am Reich. In: Schmid, Alois und Katharina Weigand (Hrsg.), Die Herrscher Bayerns. 25 historische Portraits von Tassilo III. bis Ludwig III.. München 2001. S.343-358.

[10] Andreas Kraus, Geschichte Bayerns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. 3 Aufl., München 2004.

[11] Richter, S. 14f.

[12] Richter, S. 16f.

[13] Richter, S. 17f.

[14] Sommer, S. 25.

[15] Sommer, S. 25f.

[16] Sommer, S. 26.

[17] Luise von Kobell, nach Franz Herre, Ludwig von Bayern. Sein Leben - Sein Land – Seine Zeit. Stuttgart 1986 S. 62; ebenso findet sich dieser Bericht bei Rupert Hacker, S. 32.

[18] Naegele, S. 25f.

[19] Pfistermeister, nach Hacker, S. 25f.

[20] Ludwig an Rudolf von Österreich, nach Hacker, S. 26.

[21] Franz von Pfistermeister, Aufzeichnungen, nach Hacker, S. 27.

[22] Herre, S. 62.

[23] Herre, S. 63.

[24] Herre, S. 64.

[25] Felix Dahn, nach Hacker, S. 212: „Ich habe ihn gehaßt, ihn – wie alle meine Lehrer.“

[26] Hacker, 24

[27] Herre, S. 66.

[28] Richter, S. 11.

[29] Ludwig Hüttl, Ludwig II. König von Bayern. Eine Biographie. München 1986, S. 40.

[30] Naegele, S. 30.

[31] Von Böhm, S. 42.

[32] Sommer, S. 29.

[33] Dieter Albrecht, König Ludwig II. und Bismarck, in: Historische Zeitschrift 270 (2000), S. 45.

[34] Albrecht, S. 46.

[35] Herre, S. 81.

[36] Ludwig an Leonrod, 17.03.1864, nach Hacker, S. 45.

[37] Ludwig an Leonrod, April 1864, nach Hacker, S. 45.

[38] Botzenhart, S. 60ff.

[39] Rumschöttel, S. 346f.

[40] 18. Juli 1866 an Wagner, nach Hacker, S. 122.

[41] Rumschöttel, S. 347.

[42] Bismarck, Otto von, Die gesammelten Werke. (Friedrichsruher Ausgabe). 15 Bde. Berlin 1924 – 35, Bd. 15, 472 – 478. nach Albrecht, S. 42.

[43] Richter, S. 32.

[44] Ludwig an Wagner, 31. Dezember 1864, nach Naegele, S. 31.

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Eine ungewöhnliche Beziehung
Untertitel
Ludwig II. und Richard Wagner bis zum Ende des Krieges von 1866
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Historisches Seminar, Bayerische Geschichte)
Veranstaltung
Ludwig II. von Bayern
Note
1.4
Autor
Jahr
2010
Seiten
34
Katalognummer
V146046
ISBN (eBook)
9783640572038
ISBN (Buch)
9783640572335
Dateigröße
527 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine engagierte Arbeit, die sich um Quellenarbeit bemüht, allerdings gelegentlich zu weit ausholt. Dennoch eine noch sehr gute Arbeit.(Kommentar des Professors)
Schlagworte
Ludwig II. von Bayern, Richard Wagner, Krieg 1866, Königreich Bayern, Ludwig von der Pfordten
Arbeit zitieren
Florian Widmann (Autor:in), 2010, Eine ungewöhnliche Beziehung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146046

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