Rausch, Wahn und Dogma

Der Einsatz von Dogmakonventionen in "Das weisse Rauschen" von Hans Weingartner


Hausarbeit, 2009

14 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Dogmakonventionen in „Das weisse Rauschen“

3. Sequenzanalyse des Pilzkonsums

4. Sequenzanalyse des schizophrenen Wahns

5. Fazit

6. Literatur

1. Einleitung

Lukas, gespielt von Daniel Brühl, zieht nach Köln zu seiner Schwester Kati (Anabelle Lachatte) und ihrem oftmals zugedröhntem Freund Jochen (Patrick Joswig). Die Umstellung vom Leben in einem kleinen „Kaff“ zu dem in der Großstadt und der Einstieg in das Studentenleben bereiten ihm Probleme. Nach dem Konsum halluzinogener Pilze bekommt Lukas schizophrene Schübe und hört Stimmen. Diese befehligen, beleidigen und hetzen ihn gegen seine Mitmenschen auf. Nach einem Sprung aus dem Fenster wird Lukas in eine Psychatrie eingewiesen, wo ein Arzt ihm Schizophrenie diagnostiziert. Von nun an stellen ihn Tabletten ruhig. Nachdem er sie eigenmächtig abgesetzt hat, beginnt der Wahn von Neuem: Der Protagonist stürzt sich von einer Rheinbrücke, wird jedoch von einer Hippie-Kommune gerettet und fährt mit ihr nach Spanien, wo der Film Das weisse Rauschen von Hans Weingartner endet.

Der 1970 in Voralberg in Österreich geborene Regisseur drehte diesen Film 2001 als Abschlussarbeit an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Während dieser Zeit interessierte er sich vermehrt für Dogma 95 und wollte auch seinem Film eine Dogmaästhetik verleihen, um die psychischen Zustände Lukas' physisch spürbar zu machen. Dies führt zu meiner ersten These, wonach der Dogma-Stil Rausch, aber auch psychotische Zustände für den Zuschauer fass- und nach erlebbar macht.

Bei dem Krankheitsbild einer Schizophrenie kommt es gelegentlich vor, dass die Ursachen toxikologischen, aber auch biologischem oder psychosozialen Ursprungs sind. Schizophrene nehmen ihre Umgebung wie aus dem Zusammenhang gerissen wahr, ihre Gedanken erscheinen ihnen fremdbestimmt und in den meisten Fällen hören sie Stimmen , welche nur in ihrer Vorstellung existieren. Es kommt also zu Sinnestäuschungen, aber auch die Motorik und der Gedankenfluss arbeiten eingeschränkt.

Somit weist eine schizophrene Psychose also gleiche Merkmale wie manch ein durch Drogen indizierter Rausch auf. Auch Lukas' Schizophrenie wurde durch Drogenkonsum ausgelöst. Folglich soll auf den folgenden Seiten anhand Das weisse Rauschen nachgewiesen werden, dass psychotischer Wahn und Rauschzustände in ihrer filmischen Darstellung in gleicher Weise erfolgen können.

2. Dogmakonventionen in „Das weisse Rauschen“

Dogma 95 entstand, als das amerikanische Kino reihenweise Filme herausbrachte, welche mit ihren exorbitanten Special Effects begannen „[...] to collapse down under their own weight.“1 Es kam vermehrt dazu, dass Zuschauer die Kinos während der Vorstellungen verließen oder ihr Geld zurück verlangten. Die Filmindustrie produzierte Filme wie am Fließband ohne viel Kreativität oder Kunst darin einfließen zu lassen. Die Antwort der Dänen Lars von Trier, Thomas Vinterberg, Søren Kragh-Jacobsen und Kristian Levring darauf war der Vow of Chasity, welchen sie am 20.März 1995 in Paris zum 100.Geburtstag des Mediums Film verteilten.

Mit zehn Regeln wollten Sie davon abkommen Filme nach den begrenzten Vorstellungen des bisherigen Business herzustellen und wieder zum puren, reinen Filme machen zurück kehren. Die erzählte Geschichte sollte nicht durch aufwendige Effekte oder Szenerien überblendet werden, sondern in dokumentarischem Stil realistisch dargestellt werden.

Zwar hielten sich die Dogma 95 Regisseure in fast keinem Film tatsächlich an alle aufgestellten Regeln, jedoch lohnt es sich Hans Weingartners Das weisse Rauschen mit dem Vow of Chasity zu vergleichen, um den tatsächlichen Anteil an Dogmakonventionen und -ästhetik in seinem Werk einschätzen zu können.2

1. Shooting must be done on location. Props and sets must not be brought in. Diesen Punkt erfüllte Weingartner hundertprozentig. Die sechswöchigen Dreharbeiten fanden überwiegend in seiner eigenen Wohnung statt, wo das gesamte Team und der Cast wohnten. Alle Schauplätze wurden ohne Drehgenehmigung aufgesucht und bei den Komparsen handelt es sich um ahnungslose Passanten.

2. The sound must never be produced apart from the image or vice versa.[...] Offiziell ist Das weisse Rauschen frei von Filmmusik, um dem Zuschauer keine Emotionen aufzudrängen, jedoch wurden einige Stücke eigens für den Film komponiert. An vielen Stellen gibt es jedoch keinen extradigetischen Ton und Musik dringt aus im Bild erkennbaren Quellen. Allerdings arbeitet Weingartner an den Stellen, welche Lukas' schizophrenen Wahn zeigen immer mit einer akustischen Collage von verschiedenen Stimmen, was ganz klar gegen die Dogmakonventionen verstößt.

3. The camera must be handheld.

4. The film must be in color. Special lighting is not acceptable.

Der Film wurde gleichzeitig mit 3 digitalen Kameras gedreht, wobei eine davon sogar nur ein Panasonic Camcorder war, welche die Schauspieler teilweise selbst innerhalb des Films benutzten. Somit wurden keine Aufnahmen mit Stativ, Dolly oder Kran gemacht.

Da ausschließlich an Originalschauplätzen und meist ohne verschiedene Takes gedreht wurde, nutzte das Team nur die vorhandenen natürlichen Lichtquellen und hatte keine Beleuchter.

Diese beiden befolgten Konventionen sorgten wohl hauptsächlich für den wackelig dokumentarischen Dogmastil des Films.

5. Optical work and filters are forbidden.

Diesem Punkt schenkte Weingartner keinesfalls Beachtung, auch wenn nicht genau nachvollziehbar ist, an welchen Stellen Filter genutzt wurden. Es gibt offensichtliche Farbfilter, wie bei Lukas' Pilzrausch, bei welchem das Bild plötzlich blau wird. An anderen Stellen ist nicht zu erkennen, ob ein Bildrauschen oder die hohen Kontraste den digitalen Kameras oder einer Nachbearbeitung zu verdanken sind.

6. The film must contain superficial action.

7. Temporal and geographical alienation are forbidden.

8. Genre movies are not acceptable.

Die Geschichte um den schizophrenen Lukas ist sehr realistisch angelegt und könnte sich theoretisch genauso ereignen. Anfangs dachte der Regisseur darüber nach seine Hauptrolle mit einem echten Schizophreniepatienten zu besetzen, verwarf die Idee dann aber wegen Uneinigkeiten mit diesem.

9. Film format must be Academy 35 mm.

10. The director must not be credited.

An die letzten beiden Regeln wurde sich von Seiten der Dogmaregisseure äußerst selten gehalten und auch Das weisse Rauschen verzichtete aus Finanzierungs- und Mobilitätsgründen auf Zelluloidaufnahmen.

Weingartnervmusste außerdem genannt werden, da es sich um seinen Abschlussfilm an der KHM handelte.

Durch den Vergleich mit dem Dogma 95-Schwur wird deutlich, dass Hans Weingartner sich zwar nicht an jede Konvention hielt, die wichtigsten jedoch erfüllte. In dem Zusammenhang, dass die dänischen Dogma-Väter selbst nur einigen Regeln in ihren Filmen Beachtung schenkten, könnte man Das weisse Rauschen als einen Dogma 95-Film bezeichnen.

3. Sequenzanalyse des Pilzkonsums

In Das weisse Rauschen werden zwar auch Alkohol und Marihuana konsumiert, der Pilzkonsum (00.20.45 - 00.27.05) jedoch ist am intensivsten in seiner Darstellung. Die Schauspieler und das Team standen beim Dreh tatsächlich unter dem Einfluss von halluzinogenen Pilzen. Ob dadurch die Sichtweise eines Berauschten erfahrbarer gemacht wird, ist allerdings fragwürdig.

Die Szene beginnt mit einer Halbnahen von Kati und Lukas, welche auf einem Autodach liegen, im Hintergrund steht Jochen mit einer lächerlich wirkenden Brille unmotiviert herum. Die Kamera vollführt eine sanfte,und gleichzeitig leicht holprige Fahrt von einer leichten Aufsicht näher heran nach links in eine Untersicht. Die drei Darsteller wirken apathisch, wodurch diese ungewöhnliche Kamerabewegung gewissermaßen die einzige Bewegung ist. Es sind laute Windgeräusche, welche eine subjektive Akustik ausdrücken könnten, zu hören und seichte italienische Musik erklingt höchstwahrscheinlich aus dem Autoradio, wird allerdings nach einem Schnitt noch lauter, obwohl kein Auto mehr im Bild ist. Dieser Ausdruck berauschter Leichtigkeit wird daher nicht durch Dogmakonventionen hervorgerufen.

[...]


1 Horsley 2005, S.259.

2 Punkte des Vow of Chasity sind dem Nachdruck auf der ersten Seite von Hallberg 2001 entnommen

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Rausch, Wahn und Dogma
Untertitel
Der Einsatz von Dogmakonventionen in "Das weisse Rauschen" von Hans Weingartner
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Filmwissenschaft)
Veranstaltung
Das Kino und der Rausch
Note
2,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
14
Katalognummer
V145494
ISBN (eBook)
9783640565788
ISBN (Buch)
9783640566181
Dateigröße
479 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Dogmakonventionen in "Das weisse Rauschen" Sequenzanalyse des Pilzkonsums Sequenzanalyse des schizophrenen Wahns
Schlagworte
Film, Kino, dogma, 95, lars, von, trier, hans weingartner, daniel, brühl, schizo, schizophrenie, drogen, rausch, wahn, sequenz, analyse, rauschen, konventionen, ästhetik, pilze, halluzigen
Arbeit zitieren
Diana Weschke (Autor:in), 2009, Rausch, Wahn und Dogma, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/145494

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