Herman Bang: Am Weg

Eine erzähltheoretische Analyse der Hoffnungslosigkeit


Seminararbeit, 2009

13 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Narrative Instanz

2. Fokalisierungswechsel

3. Redeformen
3.1 Bai
3.2 Huus
3.3 Dialoge Katinka - Huus
3.4 Katinka

Schlusswort

Bibliographie

Einleitung

Herman Bangs Roman „Am Weg“ zeichnet die Geschichte Katinka Bais, ein von Eintönigkeit und Einsamkeit gezeichnetes Leben. Der fiktive Leser1 erfährt die zunehmende Beklemmung und Hoffnungslosigkeit der Hauptfigur als wäre es seine eigene. Es drängt sich die Frage auf, mit welchen Mitteln Herman Bang das Gefühl der Beklemmung derart stark transportieren kann. Diese Arbeit möchte den Roman dahingehend erzähltheoretisch untersuchen. Als Analysewerkzeug dient Gerard Genettes Werk „Die Erzählung“.

Genette unterscheidet drei Dimensionen anhand derer eine Erzählung analysiert werden kann:

1. Zeit, 2. Modus und 3. Stimme. Obwohl alle drei Komponenten im vorliegenden Roman zur Etablierung einer depressiven Grundstimmung beitragen, ist es, wie gezeigt werden soll, der Modus, respektive sind es die Redeformen, welche den Ausschlag geben. Aus diesem Grund wird im Hauptteil nur kurz auf die Dimensionen Zeit (Analepse) und Stimme (Narrative Instanz) eingegangen. Der Fokus wird in der Betrachtung der Redeformen auf den Hauptfiguren (Katinka, Bai, Huus) liegen. Im Schlussteil wird besprochen, wie die einzelnen Stilmittel Beklemmung und Hoffnungslosigkeit im fiktiven Leser derart zu steigern vermögen.

1. Narrative Instanz

Der Roman „Am Weg“ ist durch einen heterodiegetisch, nullfokalisierten Erzähler dominiert, durch welchen der fiktive Leser die Geschichte Katinkas erfährt. Gleich zu Beginn wird man mit einer verwirrlichen Anzahl Charaktere konfrontiert. Durch das Getümmel von eingeführtem Personal führt der Erzähler mit distanzierter um nicht zu sagen überheblich anmutender Beobachtungen. Die den Roman durchziehende, relative Handlungsarmut und die weitgehend belanglosen Konversationsfetzen der Figuren machen den fiktiven Leser zu Beginn umso abhängiger von den impliziten2 Charakterisierungen des Erzählers. Der wertende Unterton mit welchem der Erzähler die Figuren allesamt als eindeutig provinziell entlarvt erhebt die narrative Instanz zum grossstädtisch überlegenen Beobachter und macht den fiktiven Leser mangels einer Identifikationsfigur zu seinem Verbündeten. Wichtig ist festzuhalten, dass die Charakterisierungen der Figuren nicht offensichtlich einem malignen Erzähler angelastet werden können sondern vielmehr aus den Figuren selbst hervorgehen. Der Erzähler lässt die Figuren sich selbst darstellen via deren Aussagen, Handlungen und Verhalten, anstatt eingehende psychologisierende Erklärungen über deren Charakter vorzulegen. Auf der ersten Narrationsebene manipuliert der Erzähler den fiktiven Leser durch eine selektive Fokalisation des Personals, welche eine Distanz zwischen Leser und vorgestelltem Personal schafft.3 Diese Vorgehensweise macht die Wertung von Handlungen und Aussagen der Figuren, welche der fiktive Leser mit dem Erzähler nahezu teilen muss, subtil und als solche praktisch unkenntlich. Selbst wenn der fiktive Leser sich von Anfang an der Beeinflussung durch den Erzähler bewusst ist, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich vom Erzähler an der Hand führen zu lassen und sämtlichen Figuren gegenüber vorgenannte Distanz zu bewahren. Beispielhaft für die implizierten Charakterisierungen seitens des Erzählers, ist die Einführung des Stationsführers Bai, welcher sich zu einem späteren Zeitpunkt im Erzählverlauf durch eigene Aussagen oder Handlungen weiter disqualifizieren wird: Wenn sich der Stationsvorsteher «auf dem Bahnsteig» aufhielt, konversierte er in dem Ton, den er in alten Tagen auf den Clubbällen der Kavallerie in Næstved gepflegt hatte. (S. 6) Auch Fräulein Jensens Schwächen werden evident: Fräulein Jensen Sprach unglaublich korrekt, besonders wenn sie sich mit der Tochter des Pastors unterhielt [...] «Das ist nicht der Umgangston meiner Eleven», sagte sie zur Witwe. Fräulein Jensen war bei Fremdwörtern nicht allzu sattelfest. (S. 9) Die Beschreibungen der Pastorentochter haben gar einen parodistischen Anstrich: Sie vollführte seltsam Schlenkernde Gesten, wenn sie sprach; als hätte sie die Absicht, den, mit dem sie sich unterhielt, zu schlagen. (S. 6) An anderer Stelle heisst es: Wenn das Pastorenfräulein herzlich grüsste, sah es wie ein gewaltsamer Überfall aus. (S. 9) Ähnliche parodistische Elemente, welche die grundsätzliche Distanz zwischen fiktivem Leser und dem Personal aufrechterhalten finden sich durch den Roman hindurch. So geben zum Beispiel diverse Szenen zu Frau Jensens Hund Bel-Ami Anlass zur Belustigung. Aber auch die Kirchenszene zu Weihnachten lässt den grossstädtisch, intellektuell-distanzierten Erzähler durchblicken: Der alte Linde sprach in schlichten, bescheidenen Worten von den Hirten auf dem Felde und den Menschen, denen heute ein Erlöser geboren war, so dass sich der Friede der Einfalt auf dessen Kirche herabsenkte. (S. 57)

Die grundsätzliche Distanz des fiktiven Lesers zum Personal, welche Bang hier durch die Nullfokalisierung des Erzählers schafft, ist der erste Grundstein, der Nährboden, auf welchem die Hoffnungslosigkeit überhaupt gedeihen kann.

2. Fokalisierungswechsel

Bang schafft darüber hinaus von Anfang an zwei grosse Kontraste, die allerdings erst nach der detaillierten Einführung der Figur Katinkas klar werden. Das Verhältnis der Erzählinstanz zu den Figuren bleibt bis zur eingehenden Beschreibung Katinka Bais auf Seite 19 klar heterodiegetisch und nullfokalisiert. Auf Seite 19 dann stellt sich eine interne Fokalisierung ein. Der fiktive Leser schaut mit Katinkas Augen über Felder, Ackerflächen und Wiesen und hört ihren Gedanken zu. Ganz deutlich wird die interne Fokalisierung an folgender Stelle: Sie schaute nach den Rosen; es fanden sich noch immer einige Knospen. Dieses Jahr hatten sie wahrlich treu geblüht - die ganze Zeit über. Aber jetzt mussten sie bald zugedeckt werden. Wie die Blätter schon fielen! (S. 20) Der fiktive Leser, welcher bislang ohne Erfolg nach einer Hauptfigur oder einem Identifikationspunkt gesucht hat, findet mit diesem Fokalisierungswechsel beides. Die aufgebaute Distanz zum Personal bricht mit dem Sich-in-Katinkas-Innerstes-hineinversetzen-können komplett zusammen. Umso offener ist der fiktive Leser nun für Katinkas unglückliche Disposition. Der erste Kontrast gibt sich also aufgrund unterschiedlicher Fokalisierung: Katinka vs. den Rest des vorgestellten Personals. Katinka und später streckenweise auch Huus in Verbindung mit Katinka sind intern bis sogar streckenweise extern, der Rest des Personals nullfokalisiert.

Ein zweiter, eher thematischer Kontrast stärkt das Identifikationsvermögen mit der Figur Katinkas seitens des fiktiven Lesers noch weiter. Ebenfalls auf Seite zwanzig wird darauf hingewiesen, dass Katinka eine Vorliebe für Tauben hat. Dass der Taube als Symbol der Freiheit und des Friedens eine spezielle Stellung zukommt, sei nebenbei festgehalten. Der Kontrast, den diese Vorliebe enthüllt, wird auf Seite einundzwanzig deutlich. Katinka sagt zum Dienstmädchen Marie: «Ein paar werden jetzt für Bais L’hombre geschlachtet.» Tauben sollen also für einen Kartenspielabend, den ihr Mann Bai ausgiebt, geschlachtet werden. Kartenspielabend, ein flüchtiges Vergnügen, kontra Katinkas Vorliebe aus Kindertagen. Erhöht wird dieser offensichtliche Kontrast zwischen den Eheleuten durch die nachfolgende, sich über sieben Seiten erstreckende Analepse, in welcher sich Katharina wehmütig an ihre Kindheit und Jugend erinnert. Wie so oft in diesem Roman, erfährt man nur wenig über das wirklich einschneidende Erlebnis dieser Rückschau, die Beziehung Katinkas zu Bai. Lediglich die Schilderung der jungen Ehe lassen auf die für Katinka unglückliche Wahl schliessen: Da gab es so vieles, das sie sich nicht hatte vorstellen können, und Bai war in vielem so ungestüm, dass sie meistens nur litt und duldete, schreckhaft und unsicher, wie sie war... (S. 28) An einer anderen Stelle äussert sich Katinka zwar bruchstückhaft aber überraschend direkt gegenüber Huus: «Und später - in der neuen Wohnung - mit Mutter - als Vater tot war... Ja, das war eine glückliche Zeit... Aber dann hab’ ich ja geheiratet.» (S. 85) Thematisch ist Katinkas Beklemmung und die grundsätzlich hoffnungslose Situation der unglücklich verheirateten Ehefrau schon früh im Roman angelegt. Katinka, soviel wird klar, findet sich mit der Zeit mit ihrer Rolle ab: Das Jahr verging. Katinka glitt in das Leben mit den Zügen hinein, die kamen und gingen, und mit den Menschen der Gegend, die abreisten und wieder heimkehrten [...] (S. 29) Sie lebt eine verträumte Routine, meistens im Tagtraum über die Vergangenheit: Und sie sass stundenlang vor der herausgezogenen Schublade und tat nichts, wie es ihre Art war. (S. 31) Das richtige Leben findet woanders statt. Davon zeugen auch die an der Station vorbeirauschenden Züge und der ewig surrende Telegraphendraht. Immer wieder wird der fiktive Leser durch die interne Fokalisierung Katinkas in deren Kopf geführt und kann ihr beim denken zuhören: Sie blieb eine Weile vor dem Spiegel sitzen. Sie nahm den Frisiermantel ab und begutachtete ihren Hals. Ja, sie war wirklich mager geworden. Das war so, seit sie im Frühjahr diesen Husten gehabt hatte. (S. 36)

[...]


1 Begriff aus Christine Holligers Das Verschwinden des Erz ä hlers (S. 18f.): „Der implizite Autor kreiert während des Produktionsvorgangs automatisch einen Erzähler, der die Ereignisse, die sich in der narrativen Welt zutragen, berichten kann. [...] In ihr kommunizieren die Figuren miteinander, un der Erzähler [...] als unsichtbarer, omnipräsenter Berichterstatter [...] wählt aus und vermittelt die Begebenheiten an den fiktiven Leser. [...]

2 Implizit deshalb, da vieles ungesagt bleibt und der fiktive Leser selbst die Lücken füllen muss.

3 Christine Holliger meint dazu: „Die kommunikative Interaktion zwischen Erzähler und fiktivem Leser ist die primäre Kommunikationsebene, der Erzähler bildet das einzig mögliche Sprachrohr zwischen der narrativen Welt und dem fiktiven Leser, so dass es in seiner Macht steht, auf den Rezeptionsvorgang durch den fiktiven Leser Einfluss zu üben.“ (S. 18f.)

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Herman Bang: Am Weg
Untertitel
Eine erzähltheoretische Analyse der Hoffnungslosigkeit
Hochschule
Universität Zürich  (Deutsches Seminar)
Veranstaltung
Nervöses Schreiben um 1900
Autor
Jahr
2009
Seiten
13
Katalognummer
V145382
ISBN (eBook)
9783640549429
ISBN (Buch)
9783640551606
Dateigröße
420 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Herman Bang, Am Weg, Erzähltheorie, Skandinavistik
Arbeit zitieren
Elena Holzheu (Autor:in), 2009, Herman Bang: Am Weg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/145382

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