Wohlfahrtsregime als Genderregime

Europäische Sozialstaaten im Vergleich


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

22 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Wohlfahrtsstaaten
2.1 Allgemeine Betrachtungen
2.1.1 De-Kommodifizierung
2.1.2 Stratifizierung
2.2 Wohlfahrtsstaatliche Regime
2.2.1 Der „liberale“ Wohlfahrtsstaat
2.2.2 Der „korporatistische“ Wohlfahrtsstaat
2.2.3 Der „sozialdemokratische“ Wohlfahrtsstaat

3. Sozialpolitik und Geschlecht
3.1 Freiheit und Individualisierung
3.2 Geschlechterarrangements
3.2.1 Nationale Geschlechterordnungen
3.2.2 Ernährermodelle
3.2.2.1 Das „starke“ Ernährermodell
3.2.2.2 Das „schwache“ Ernährermodell
3.2.2.3 Das „moderate“ Ernährermodell

4. Familiale Arbeitsteilung

5. Familienpolitik
5.1 Staatliche Ausgaben
5.2 Verwendung
5.2.1 Monetäre Leistungen und Fiskalpolitik
5.2.2 Zeitwerte Anrechte
5.2.3 Betreuungsangebot

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Europäische Staaten sollen unter dem Aspekt ihrer Wohlfahrtsstaatlichkeit betrachtet, untersucht und verglichen werden, denn „Wirtschafts- und sozialpolitische Probleme lassen sich zudem nicht mehr allein auf nationaler Ebene analysieren und bewältigen. Die zunehmende Verflechtung regionaler Wirtschaftsräume, die Globalisierung der Finanzmärkte, das erstarkende Bewußtsein von der ökologischen Einheit der Welt und das wachsende Migrationsgefälle zwischen armen und reichen bzw. konfliktgeschüttelten und friedlichen Regionen der Welt fördern in Europa den Fortgang der institutionellen Integration, trotz im einzelnen unterschiedlicher kultureller und sozialer Voraussetzungen.“[1]

Diese unterschiedlichen Voraussetzungen haben verschiedene Modelle von Wohlfahrtsstaatlichkeit zur Folge, deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet werden sollen, weil „die fortschreitende europäische Integration ... die unterschiedlichsten institutionellen Lösungen ähnlicher sozialer Probleme in weitreichende Wechselwirkungen“ bringt.[2]

Es ist wegen der unterschiedlichen Entwicklungen und Gewichtungen sinnvoll, sich den Bereichen der Sozialpolitik und ihren Institutionen getrennt voneinander zu nähern, also in diesem Falle der Familienpolitik unter dem Aspekt, ob die jeweiligen Wohlfahrtsregime Genderegime sind, d.h. hier, ob Familienpolitik auch Gleichstellungspolitik ist, oder eben die traditionellen Strukturen, wie die des starken Ernährermodells begünstigt und damit Frauen eine untergeordnete Position zuschreibt.

Um dieser Frage nachzugehen, bietet sich ein Vergleich zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und Schweden an, weil diese drei Staaten Familienpolitik ganz unterschiedlich verstehen und das Auswirkungen sowohl auf die Berufstätigkeit der Mütter, als auch auf die Geburtenrate hat. So fehlt in Schweden die Bezeichnung Familienpolitik, statt dessen gibt es den Begriff der Gleichstellungspolitik

Darüber hinaus wäre noch zu untersuchen, ob eine höhere Quote der bezahlten Müttererwerbstätigkeit Auswirkungen auf die unbezahlte Hausarbeit hat, also ob die Politik dazu beiträgt, dass Familie, Kinderbetreuung und Haushalt nicht mehr nur als „Frauensache“ angesehen werden oder ob hier noch Handlungsbedarf besteht , um das traditionelle Rollenbild zu durchbrechen.

2. Wohlfahrtsstaaten

2.1 Allgemeine Betrachtungen

Um sich dem Bereich der Familienpolitik zu nähern, ist es zunächst nötig, sich mit der Definition von Wohlfahrtsstaatlichkeit zu beschäftigen. „Eine gängige Lehrbuchdefinition bezieht sich auf die Verantwortung des Staates für die Sicherung eines Mindestmaßes an Wohlfahrt für seine Bürger“[3], Esping-Andersen schließt aber sogleich seine sich daraus ergebenen Fragen an, „ob Sozialpolitik emanzipatorisch ist oder nicht; ob sie zur Legitimation des Systems beiträgt oder nicht; ob sie den Marktmechanismen zuwiderläuft oder diese unterstützt; und was heißt überhaupt „ein Mindestmaß“?“[4]

Bisherige komperatistische Untersuchungen gingen davon aus, dass „das Niveau der Sozialausgaben das Wohlfahrtsengagement eines Staates hinlänglich widerspiegelt.“[5], die seiner Meinung nach aber „nur Begleiterscheinungen dessen (sind), was die theoretische Substanz des Wohlfahrtsstaates ausmacht.“[6]

Er stellt nun drei Prinzipien auf, die mit der „Gewährung sozialer Rechte“ einhergehen, nämlich die De-Kommodifizierung des Individuums dem Markt gegenüber, die Stratifizierung, also der Status als Bürger und das Verständnis von Wohlfahrtsstaatlichkeit als Schnittstelle zwischen Markt, Staat und Familie.[7]

2.1.1 De-Kommodifizierung

De-Kommodifizierung bedeutet die Entkoppelung von Verteilung und Markt: dass nicht der Wert der Arbeitskraft die wohlfahrtsstaatlichen Leistungen bedingt, sondern dass die Wohlfahrtsproduktion alternative Mittel zur Verfügung stellt. In der Bundesrepublik Deutschland sind soziale Leistungen von „vorherigen Beträgen – und damit von Arbeit und Beschäftigung – abhängig“, hier kann also nicht von de-kommodifizierenden Tendenzen gesprochen werden, zumal „völlig marktabhängige Arbeiter schwer für solidarisches Handeln zu gewinnen sind. Da die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen unmittelbar Marktungleichheiten widerspiegeln, entstehen Spaltungen zwischen „Insidern“ und „Outsidern“, was die Bildung einer Arbeiterbewegung erschwert. De-Kommodifizierung stärkt den Arbeiter und schwächt die absolute Autorität des Arbeitgebers. Eben deshalb haben sich letztere immer gegen die De-Kommodifizierung gesträubt.“[8]

Eine mögliche Definition für de-kommodifizierende Wohlfahrtsstaaten wäre nach Esping-Andersen, dass „ihre Bürger ungehindert und ohne drohenden Verlust des Arbeitsplatzes, ihres Einkommens oder überhaupt ihres Wohlergehens ihr Arbeitsverhältnis verlassen können, wann immer sie selbst dies aus gesundheitlichen familiären oder altersbedingten Gründen oder auch solchen der eigenen Weiterbildung für notwendig erachten; sprich: wenn sie dies für geboten halten, um in angemessener Weise an der sozialen Gemeinschaft teilzuhaben.“[9]

Danach „würden die skandinavischen Wohlfahrtsstaaten am meisten, die angelsächsischen hingegen am wenigsten de-kommodifizieren.“[10]

2.1.2 Stratifizierung

Esping-Andersen stellt die These auf, dass ein Wohlfahrtsstaat nicht nur die Ungleichheiten eines Systems ausgleiche, sondern ein eigenes schaffe, indem er „in aktiver und direkter Weise soziale Beziehungsmuster“ ordne.[11]

So wäre sowohl die frühere Armenhilfe als auch ein konservatives Sozialversicherungsmodell wie das von Bismarck „ausdrückliche Form von Klassenpolitik“. Zweck sei die Spaltung der Gruppen der Lohnabhängigen einerseits und die Loyalität und Bindung an Monarchie und Staat andererseits. Hier ist besonders die Gruppe der Beamten herauszuheben, deren „Loyalität gegenüber dem Staat belohnt (wurde) und ihr einzigartig hervorgehobener Status zementiert (wurde).“

Dem gegenüber stehe ein „universalistisches System“ zur Förderung der Statusgleichheit, das allen Bürgern gleiche Rechte zugestehe, „unabhängig von ihrer Klassenzugehörigkeit oder Marktstellung“. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass die „große Mehrheit der Bevölkerung von „kleinen Leuten“gestellt wird“, weil nur so eine „Solidarität der Nation“ möglich sei.[12]

Trotzdem bestehe die Gefahr von sozialer Schichtung, weil wachsender Wohlstand dazu veranlasse, private Vorsorge zu treffen, um die „bescheidene Gleichheit“ zu ergänzen und wenn diese Entwicklung einsetze, „schlägt der wunderbar egalitäre Geist des Universalismus in einen dem Sozialfürsorgestaat nicht unähnlichen Dualismus um: Die Armen verlassen sich auf den Staat, alle anderen auf den Markt.“[13]

2.2 Wohlfahrtsstaatliche Regime

Esping-Andersen unterscheidet anhand seiner aufgestellten Prinzipien drei „Regime-Typen“, in denen „qualitativ verschiedene Arrangements zwischen Staat, Markt und Familie“ herrschen.

2.2.1 Der „liberale“ Wohlfahrtsstaat

Liberale Wohlfahrtsstaaten zeichnen sich dadurch aus, dass „bedarfsgeprüfte Sozialfürsorge, niedrige universelle Transferleistungen und ebenso bescheidene Sozialversicherungsprogramme vorherrschen.“[14]

Die Gewährleistung sozialer Leistungen, die in der Regel minimal seien, gehe mit einer strikten Bedarfsprüfung einher, die stark stigmatisierenden Charakter habe. Durch das Angebot minimaler Leistungen einerseits und die Förderung privater Vorsorge andererseits, stelle sich der Staat in den Dienst des Marktes und habe demzufolge kaum de-kommodifizierende Wirkung.

Dadurch entstehe ein „klassenpolitischer Dualismus“, der „Empfänger(n) öffentlicher Hilfen“ und Bürger, die es zu unterschiedlichem Wohlstand - in Abhängigkeit vom Markt - gebracht haben, verbinde.

Beispiele für diese Form des Wohlfahrtsstaates seien die USA, Kanada und Australien.

2.2.2 Der „korporatistische“ Wohlfahrtsstaat

Solche Regime seien auf den Erhalt von Statusunterschieden bedacht und vom Einfluss der Kirche bestimmt und deswegen spiele die Aufrechterhaltung traditioneller Familienformen eine große Rolle. Vorherrschend sei das Subsidiaritätsprinzip, das den Staat erst dann verpflichtet, wenn die Ressourcen der Familie ausgeschöpft sind.

„Sozialleistungen werden im konservativ-korporatistischen Sozialstaat analog dem erwerbsbezogenen Äquivalenzprinzip vorwiegend als individuelles Anrecht auf Statussicherung erworben; sie sind lohnarbeitszentriert und werden vorrangig aus Beiträgen finanziert. Damit geht eine am Berufsstatus und am Erwerbseinkommen orientierte Selektivität der sozialen Absicherung einher.“[15]

Prototypen dieses Modells seien die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Österreich und Italien.[16]

2.2.3 Der „sozialdemokratische“ Wohlfahrtsstaat

Diese Form der Wohlfahrtsstaatlichkeit erstrebe „Gleichheit auf höchstem Niveau – und nicht wie anderswo, die gleiche Befriedigung von Mindestbedarfen.“ In einem solchen Modell wird der Markt insofern zurückgedrängt, als dass ein universelles Versicherungssystem alle Klassen und Schichten einbeziehe und Solidarität herstelle, denn „jeder profitiert, jeder ist abhängig – und jeder wird sich voraussichtlich zum Zahlen verpflichtet fühlen.“

[...]


[1] Kaufmann, Franz-Xaver: Varianten des Wohlfahrtsstaats, S.10

[2] Ebda. S.12

[3] Esping-Andersen, Gösta: Die drei Welten des Wohlfahrtskapitalismus, S.32

[4] Ebda., S.32

[5] Ebda., S.32

[6] Ebda., S.33

[7] Vgl. Esping-Andersen, S.36

[8] Esping-Andersen, S.37

[9] Ebda. S.38

[10] Ebda., S.39

[11] Ebda.

[12] Vgl. Esping-Andersen: S.41

[13] Esping-Andersen.: S 41

[14] Esping-Andersen.: S.43

[15] Manske, A.: Eigenverantwortung statt wohlfahrtsstaatlicher Absicherung, S.242

[16] Vgl. Esping-Andersen: S.44

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Wohlfahrtsregime als Genderregime
Untertitel
Europäische Sozialstaaten im Vergleich
Hochschule
Technische Universität Berlin  (Institut für Gesellschaftswissenschaften und historisch-politische Bildung)
Veranstaltung
HS: Der Deutsche Sozialstaat im internationalen Vergleich
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
22
Katalognummer
V145375
ISBN (eBook)
9783640563470
ISBN (Buch)
9783640563760
Dateigröße
474 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wohlfahrtsregime, Genderregime, Europäische, Sozialstaaten, Vergleich
Arbeit zitieren
Anja Schroth (Autor:in), 2008, Wohlfahrtsregime als Genderregime, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/145375

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