Die Europarechtswidrigkeit des VW-Gesetzes


Seminararbeit, 2008

23 Seiten, Note: vollbefriedigend


Leseprobe


Gliederung

A. Einführung

B. Das VW-Gesetz

C. Europarechtswidrigkeit
I. Verstoß gegen Art. 56 EGV
1. Schutzbereich des Art. 56 EGV
a) Eingriff in den Schutzbereiches des Art. 56 EGV durch 4 § 4 Abs. 1 VWGmbHÜG
b) Eingriff in den Schutzbereich des Art. 56 EGV durch 11 § 2 Abs. 1, 4 Abs. 3 VWGmbHÜG
2. Rechtfertigung der Eingriffs. 16 II. Verstoß gegen Art. 43 EGV

D. Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes

A. Einführung

Diese Seminararbeit beschäftigt sich mit der Feststellung über die Europarechtswidrigkeit des VW-Gesetzes.

Es ist allgemein bekannt, dass der EuGH das VW-Gesetz am 23. Oktober 2007 für europarechtswidrig befunden hat (Az C-112/05). Dieses wird im Folgenden thematisiert, soll aber nicht eine grundlegende Aufarbeitung der Rechtsproblematik präjudizieren, weshalb die Entscheidung unter D. am Ende erläutert wird. Zunächst wird unter B. das VW-Gesetz und seine Geschichte in Umrissen vorgestellt, wonach dann unter C. die Vorlage einer Europarechtwidrigkeit thematisiert und analysiert wird.

B. Das VW-Gesetz

Das VWGmbHÜG, genannt „VW-Gesetz“, trat am 21. Juli 1960 in Kraft. Es überführte die Volkswagen GmbH in eine Aktiengesellschaft und regelte die Eigentumsverhältnisse an derselben.

Nach dem 2. Weltkrieg waren die Eigentumsverhältnisse an der Volkswagen GmbH strittig. Die Volkswagen GmbH nahm ihre Produktion im Mai 1945 (nach schwerer Beschädigung durch Bombardements) wieder auf. Sie wurde zunächst von der britischen Verwaltung geleitet.

Die britische Verwaltung versuchte vergeblich, die Volkswagen GmbH an ausländische Investoren zu verkaufen. Nach Anerkenntnis der Unverkäuflichkeit übergab die britische Bezirksverwaltung die Aufsicht über die Volkswagen GmbH „unter Weisung und auf Rechnung der Bundesrepublik“ an das Land Niedersachsen im Jahre 1949. In der Folgezeit entbrannte ein erbittert geführter Streit über die Eigentumszuordnung der Volkswagen GmbH. Das Land Niedersachsen, der Bund, die Gewerkschaften und Kriegsspareinzahler machten Eigentumsansprüche geltend.

Um den Streit zu beenden, schloss das Land Niedersachsen mit der Bundesrepublik Deutschland einen Staatsvertrag, welcher die Zuordnung des Eigentums regelte. Diese Übereinkunft wurde durch das VWGmbHÜG umgesetzt.

Das Ziel der Öffentlichen Hand war damals, die Kontrolle über das Unternehmen zu behalten und eine breite Aktionärsstruktur aufzubauen. Das Land Niedersachsen erhielt zwanzig Prozent der Anteile an der nunmehr lautenden Volkswagen AG. Ebenso erhielt die Bundesrepublik einen Anteil von zwanzig Prozent. Die restlichen sechzig Prozent der Anteile wurden in die neugegründete Volkwagenstiftung eingebracht, welche diese zu günstigen Konditionen an Kleinaktionäre verkaufte. Der daraus erzielte Erlös, wurde dem Bund in der Form eines Darlehens für die Dauer von zwanzig Jahren entgeltlich zur Verfügung gestellt. Die aus der Darlehnsgabe und von den durch das Land Niedersachsen gehaltenen Anteilen erzielten Erlöse sollten der Forschung und Lehre zu Verfügung gestellt werden. Insbesondere sollten dem Land Niedersachsen Mittelzuflüsse mit dieser Zweckrichtung zustehen. Im Jahre 2001 machten die Mittelzuflüsse des Obengenannten in dem Land Niedersachsen sechzig Prozent des zur Verfügung stehenden Forschung- und Lehretats aus.

Die Europäische Kommission forderte die Bundesrepublik in dem Jahr 2003 auf, das VWGmbHÜG zurückzuführen und den Volkswagen Konzern dem AktG zu unterstellen, da sie dieses als Beschränkung des Kapitalverkehrs erachtete.

Als die Bundesrepublik auch unter Fristsetzung diesem nicht nachkam, erhob die Kommission am 4. März 2005 Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Bundesrepublik Deutschland.

C. Europarechtswidrigkeit

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft erhob, nachdem sie die Bundesrepublik Deutschland zu der Beseitigung des ihrer Meinung nach europarechtswidrigen VWGmbHÜG aufgefordert hatte und die von ihr gesetzte Frist fruchtlos verlief, Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland gem. Art. 226 EGV vor dem Europäischen Gerichtshof. Sie rügt in der Klage die Verletzung der Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit aus Art. 56, 43 EGV durch die Bundesrepublik, in dem diese das VWGmbHÜG erlassen habe.

I. Verstoß gegen Art. 56 EGV

Die Kommission stützte ihre Klage zunächst auf einer Verletzung des Art. 56 EGV, welcher die Kapitalverkehrsfreiheit feststellt. Sie richtete sich in ihrer Klage gegen die §§ 2, 4 I, III VWGmbHÜG. Sie erkannte in den vorgenannten Regelungen staatliche Maßnahmen, welche dazu geeignet seien, einen potentiellen Investor von der Akquisition möglicher Anteile an der Volkswagen AG abzuhalten.

Hierin stellte sie eine Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit fest.

1. Schutzbereich des Art. 56 EGV

Zunächst ist für die Bewertung der aufgeworfene Frage der Verletzung des Art. 56 EGV dessen Schutzbereich zu ermitteln. Die Definition der Kapitalverkehrsfreiheit, welche benötigt wird, um den Schutzbereich ermitteln zu können, ist nicht primärrechtlich normiert. Über die konkrete Ausformung haben sich verschiedene Ansichten herausgebildet. Im Allgemeinen wird unter Kapitalverkehr jeder grenzüberschreitende Transfer von Geld- oder Sachkapital verstanden, der primär zu Anlagezwecken erfolgt.1

Für die weitere Konkretisierung des Schutzbereiches der Kapitalverkehrsfreiheit greift der EuGH2 auf den Anhang 1 der RL 88/361/EWG zurück. Diese stelle zwar nach EuGH keine abschließende und verbindliche Aufzählung der Einzelnen von der Kapitalverkehrsfreiheit umfassten Tatbestände dar, jedoch sei der Anhang als sekundärrechtliche Konkretisierung ein Indiz für deren Vorliegen.3 Als Substrat dieser Einordnung lässt sich der Kapitalverkehr als eine Wertübertragung in Form von Sachkapital oder in Form von Geldkapital über die Grenzen zweier Staaten definieren, der regelmäßig eine Vermögensanlage darstellt.4 Die Direktinvestition in der Form einer Beteiligung an einem Unternehmen durch den Erwerb von Aktien stellt einen Vermögenstransfer im Sinne der Kapitalverkehrsfreiheit durch den einseitigen Mittelzufluss von einem Mitgliedsland zu einem Anderen dar.5

Teil des Schutzbereiches ist insbesondere, dass die erworbenen Anteile seinem Inhaber nach den nationalen aktienrechtlichen Vorschriften oder aus anderen Gründen die Möglichkeit geben, sich effektiv an der Verwaltung der Gesellschaft oder an deren Kontrolle zu beteiligen.6

Eine insoweit zutreffende Überschneidung mit der Niederlassungsfreiheit lässt diese hinsichtlich des konkreten Vermögenstransfers als subsidiär zurücktreten.7

a) Eingriff in den Schutzbereiches des Art. 56 EGV durch § 4 Abs. 1 VWGmbHÜG

Die Kommission erachtete § 4 Abs. 1 VWGmbHÜG mit der Maßgabe für europarechtswidrig, insofern das gesetzlich festgelegte Entsenderecht von je zwei Aufsichtsratsmitgliedern durch die Bundesrepublik und das Land Niedersachsen eine Übervorteilung anderer Investoren (durch die Beschneidung deren Rechte zur Teilnahme an einer effektiven Verwaltung) darstelle.8

„§ 4 VWGmbHÜG

Verfassung der Gesellschaft

(1) Die Bundesrepublik Deutschland und das Land Niedersachsen sind

berechtigt, je zwei Aufsichtsratsmitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden, solange ihnen Aktien der Gesellschaft gehören.“

In § 4 Abs. 1 VWGmbHÜG wird den Körperschaften das Recht eingeräumt, jeweils zwei Aufsichtsratsmitglieder zu entsenden, solange jeweils Aktien in unbestimmter Höhe - folglich reicht eine einzige - gehalten werden.

Diese Regelung stellt eine einmalige Durchbrechung des Grundsatzes über die Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern im deutschen Aktienrecht gem. § 101 AktG dar.

Grundsätzlich wählt gem. § 101 Abs. 1 S.1 AktG die Hauptversammlung in freier Wahl die Aufsichtsratsmitglieder. Absatz zwei des § 101 AktG sieht zwar die Möglichkeit eines Entsenderechtes einzelner Aktionäre oder Inhaber bestimmter Aktien vor, stellt hierfür jedoch besondere Regelungen auf.9 Zunächst muss das Entsenderecht in der Satzung der Aktiengesellschaft festgehalten werden, dieses erfordert eine Übereinkunft der Aktionäre über die Aufnahme einer solchen Regelung mit satzungsändernder Mehrheit gem. § 179 Abs. 2 AktG. Der Beschluss stellt dann eine zweckgerichtete Ausformung einer mentalen Willensbildung der Aktionäre im Wege einer privatrechtlichen Übereinkunft dar. Sodann stellt der Gesetzgeber mit § 101 Abs. 2 S. 3 AktG klar, dass die Bestellung eines Entsenderechts, welches mehr als ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder umfasst, nicht in Betracht kommt.

Der Gesetzgeber hat in dem VWGmbHÜG einen Sonderweg gewählt, welchem er explizit in § 101 Abs. 2 S. 5 AktG Spezialität eingeräumt hat. Die Spezialität wird auch gegenüber dem, seit dem KonTraG 1998,10 bestehenden Ausschluss des Entsenderechts für börsennotierte Unternehmen gewahrt.11

Das Recht des Bundes und des Landes auf Entsendung von jeweils zwei Aufsichtsratsmitgliedern wird nicht über die Hauptversammlung ausgeübt, sondern durch Erklärung der Berechtigten. Diese Berechtigung ist nicht durch privatrechtliche Übereinkunft zustande gekommen, sondern wurde per Gesetz begründet. Ein Parteienausgleich im Vorfeld der Bestellung dieser Berechtigung, um Belastungen der weiteren Anteilseigner auszugleichen, fand somit nicht statt. Die Volkswagen AG wird von einem Aufsichtsrat mit zwanzig Mitgliedern gem. § 11 Abs. 1 VW-Satzung kontrolliert. Von dieser Gesamtzahl werden zehn Mitglieder von der Arbeitnehmerseite entsandt. Somit beaufsichtigen zehn Aufsichtratsmitglieder den Konzern aus der Kapitaleignersphäre. Die Zuweisung eines Entsenderechts von jeweils zwei Mitgliedern für den Bund und das Land auf dem Wege des Privatrechts gem. § 101 Abs. 2 S. 4 AktG wäre, durch die Überschreitung der Bestellungsgrenze für Aufsichtsräte, folglich unzulässig.12 Aufgrund der Gesetzesspezialität des VWGmbHÜG ist dieses jedoch ohne Belang.

Die Nichtausübung des Entsenderechts durch die Bundesrepublik ist für die rechtliche Wertung des Entsenderechts unbeachtlich, da eine Änderung jederzeit eintreten kann und ein Vertrauensverlust der Kapitalseite in den Organisationszustand nicht nur bedingt auf den Eintritt sondern durch die Existenz des potentiellen Rechtes begründet wird.

Erwägenswert ist jedoch der Einfluss des Anerkennens und Festhaltens des EGV an den einzelstaatlichen Eigentumsordnungen, folgend aus Art. 295 EGV, auf den Beurteilungsmaßstab des Art. 56 EGV.

[...]


1 Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf, EGV, Art. 56 Rn. 32.

2 EuGH, Slg. 1984, S. 377 Rn. 20 - Luisi und Carbone; EuGH, Slg. 1999, S. I- 1661 Rn. 21 - Trummer.

3 EuGH, Slg. 2001, S. I-173 Rn. 5 - Stefan; EuGH, Slg. 1984, S. 377 Rn. 20 - Luisi und Carbone.

4 Haratsch, EurR, Rn. 897; Streinz, EurR, Rn. 895.

5 EuGH, Slg. 2002, S. I-4809 Rn. 38 - Goldene Aktien III; Schwenke, IStR 2006, 748, 749.

6 EuGH, C-446/04, Rn. 182 - Test Claimants in the FII Group Litigation; EuGH, C-157/05, Rn. 35 - Holböck.

7 Schlussantrag Generalanwalt Colomer, C-112/05, Rn. 39; Krause, NJW 2002, 2474, 2478.

8 Klageerhebung Kommission/Deutschland, C-112/05 v. 4. März 2005; Pießkalla, WiRO 2007, 193, 194.

9 Schmidt, GesellR, § 28 III 3. b).

10 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich v. 27. 4. 1998, BGBl I, 786.

11 Wellige, EuZW 2003, 427, 427.

12 Sander, EuZW 2005, 106, 109.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Europarechtswidrigkeit des VW-Gesetzes
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen
Veranstaltung
Deutsches und Europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht
Note
vollbefriedigend
Autor
Jahr
2008
Seiten
23
Katalognummer
V145362
ISBN (eBook)
9783640563463
ISBN (Buch)
9783640563739
Dateigröße
482 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Europarechtswidrigkeit, VW-Gesetzes
Arbeit zitieren
Ref. iur. Nikolas Hecht (Autor:in), 2008, Die Europarechtswidrigkeit des VW-Gesetzes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/145362

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