Tabakkonsum im Kontext des Selbstkonzepts

Eine salutogenetische Analyse zum Phänomen notorischer Rückfälligkeit


Magisterarbeit, 2007

93 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Gliederung

1. Einleitung und Problemstellung

2. Tabakentwöhnung und Rückfälligkeit - Eine Bestandsaufnahme
2.1 Sucht-, Abhängigkeitsforschung und Tabakentwöhnung aus salutogenetischer Perspektive

3. Das Salutogenesemodell in Gesundheitspsychologie und Suchtforschung

4. Risikoverhalten im Kontext von Lebensphasen und Selbstkonzept
4.1 Risikoverhalten im Kontext der Entwicklungsaufgaben der Lebensphasen Jugend und frühes Erwachsenenalter
4.2 Risikoverhalten im Spiegel von Identität und Kohärenzgefühl

5. Risikoverhalten 'Tabakkonsum' als Teil des Selbstkonzepts und resultierende Konsequenzen für die Gesundheitsberatung
5.1 Wenn identitätsrelevante Ressourcen zu Stressoren werden
5.2 Konsequenzen für die Gesundheitsberatung von Rauchern

6. Zusammenfassung

7. Literaturverzeichnis

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

1: Phasen der Änderungsbereitschaft im Transtheoretischen Modell

Abbildung

1: Integratives Modell der Salutogenese und der subjektiven/sozialen Konstruktion von Gesundheit (Faltermaier, 2005)

2: Grafische Zusammenfassung der Prozesse der Vorbereitung von Coping nach Antonovsky (1997, S.123-138)

3: Modell der Identitätsarbeit (Höfer, 2002)

4: Kontinuum der Affinität zum Objekt Zigarette bzw. dem Stoff Nikotin mit zunehmendem Grad der Abhängigkeitsproblematik

5: Prozess der Bewusstseinsbildung in Abhängigkeit der unterstützenden Vorgehensweise innerhalb der Raucherentwöhnung

1. Einleitung und Problemstellung

Warum fällt es einigen Rauchern schwerer als anderen ihr gesundheitsriskantes Verhalten zu ändern? Warum werden einige Ex-Raucher (wiederholt) rückfällig und andere nicht? Diese Grundfragen beschäftigt Suchtforschung und Raucher schon lange. Eine salutogenetische Perspektive auf das Problem kann meines Erachtens etwas Licht ins Dunkel bringen und mögliche neue Impulse liefern.

Der Konsum suchtinduzierender Substanzen ist gesellschaftlich weit verbreitet, obwohl sie als gesundheitsschädlich identifiziert sind. Ihr angemessener Gebrauch wird gesellschaftlich toleriert und ist politisch in gewisser Weise erwünscht - man denke an die dringend benötigten Einnahmen aus der Genußmittelsteuer. So stellt z.B. die Tabaksteuer nach der Mineralölsteuer die zweitwichtigste Einnahmequelle unter den Verbrauchssteuern für den Bundeshaushalt dar (DHS, 2006). Durch die Einführung der industriellen Massenanfertigung der Zigarette im 20. Jahr- hundert erlebte das Rauchen als gesellschaftliches Phänomen einen enormen Zuwachs, in dessen Zuge die damit verbundenen Gesundheitsrisiken erst erforscht und nachgewiesen wurden. Immer mehr Staaten ergreifen - zumindest seitens der Gesundheitsbehörden - Maßnahmen zur Einschränkung des Tabakkonsums (Kröger, Heppekausen und Ebenhoch, 2002; DHS, 2006), da er als der Risikofaktor Nr.1 für koronare Herzerkrankungen und Krebsleiden genannt wird, die als die häufigsten Todesursachen in heutiger Zeit beschrieben werden (BMGS, 2003; Robert Koch Institut, 2006). Bundesregierung und Suchtforschung warnen intensiv vor dem Kon- sum von Tabak und entwickeln zahlreiche Präventionsstrategien speziell für Kinder und Jugendliche. Es gilt als erwiesen, dass das Risiko für eine spätere Abhängigkeit bzw. ein missbräuchliches Konsumverhalten wächst, je früher der Einstieg in den Konsum stattfindet (BMGS, 20051 ). Da das Jugendalter als die kritischste Phase für langjährige Nikotinabhängigkeit angesehen wird (BMGS, 2005), werden besonders an den Schulen Primärpräventionsprogramme angeboten.

Des Weiteren hat das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherheit (BMGS) zusätzlich gesetzliche Verschärfungen im Jugendschutzgesetz und in der Arbeitsstättenverordnung umgesetzt und über die deutliche Anhebung des Steuer- anteils an Tabakwaren einen klaren Rückgang im Kauf- und Konsumverhalten, vor allem unter den Jugendlichen, erreicht (BZgA, 2005; BMGS, 2005 2 ). Eine Evaluationsstudie des BMGS zeigt, dass die vierstufige Erhöhung der Tabaksteuer von Januar 2002 bis Dezember 2004 bei Rauchern zu positiven kognitiven und behavioralen Effekten bezüglich ihres Konsums geführt hat: Vor der letzten Steuererhöhung hatten rund 10,6% der befragten Raucher angegeben, mit dem Rauchen aufzuhören, wenn der Preisanstieg kommt. 7,5% haben dann ihr Vorhaben umgesetzt. 33,6% gaben an, ihren Konsum zu beschränken, was von 16,2% der Befragten realisiert wurde (BMGS, 2005 ). Für rauchende Personen, die durch die finanzielle Hürde nicht die hinreichende Motivation erfahren, wird eine Vielzahl von Ausstiegshilfen über Aufklärungsbroschüren und Entwöhnungsprogramme zur Selbsthilfe oder mit professioneller Leitung angeboten (ausführlich dazu: Kröger, Sonntag und Shaw, 2000).

Trotz aller Interventionen und Kampagnen wird jedoch eine - im Vergleich zu anderen europäischen Ländern und den USA - hohe Zahl abstinenzunmotivierter Raucher in der Bundesrepublik beklagt (Ulbricht et al., 2004; Caspers-Merk, 2005). Es scheint, als ob Raucher, trotz der räumlichen Einschränkung durch Rauchverbote in öffentlichen Einrichtungen, Hotels, Gaststätten und am Arbeitsplatz sowie der finanziellen Mehrbelastung durch die Steuererhöhungen und trotz der über die Warnhinweise auf den Verpackungen provozierten Stigmatisierung als 'schlechte Menschen', nahezu unbeeindruckt bleiben.

Ein großer Teil der Raucher wird offenbar weder von Abschreckungs- noch von Aufklärungsansätzen erreicht, so dass Wehmhöner (2005) die Fragen aufwirft, ob Raucher Neurotiker, willenlos und schwach, gestörte Persönlichkeiten oder der Sucht verfallene Kranke seien. Die klassische Medizin hat den Tabakkonsum mittlerweile pathologisiert und als chronische Krankheit deklariert. Die mikrobiologische Forschung sucht intensiv nach dem 'Rauchergen' während die Pharmaindustrie zahlreiche Nikotinersatzpräparate mit zum Teil nicht unerheblichen Nebenwirkungen entwickelt (Batra, 2005; Fiore et al., 2000). Aber nur wer sich krank fühlt, sucht Unterstützung bei Ansprechpartnern im professionellen System (vgl. Faltermaier, Kühnlein und Burda-Viering, 1998), was offensichtlich bei Rauchern weniger der Fall ist und das ausgeprägte Non-Compliance-Verhalten verursacht.

Unbestritten ist das hohe Suchtpotential von Tabakprodukten, deren psychotrope Wirkung innerhalb weniger Sekunden eintritt und nach relativ kurzer Zeit bereits wieder abklingt. Durch klassische Konditionierungsprozesse werden im Verlauf des Konsums bestimmte Situationen, Tätigkeiten und Schlüsselreize an die Nikotinzufuhr gekoppelt, so dass viele Tabakkonsumenten nicht in der Lage sind, auf den täglichen Konsum zu verzichten (DHS, 2006). Abstinenzmotivierte Raucher benötigen in der Regel mehrere Anlaufversuche, bevor sie ganz mit dem Rauchen aufhören. 70-80% aller Raucher haben nach Farke (2004) mindestens einen Entwöhnungsversuch während ihrer Raucherkarriere gestartet. Während Kraus und Augustin (1991 zit. in Farke, 2004) in ihrer Untersuchung aufzeigen, dass 87% aller Personen, denen es gelang, mit dem Rauchen aufzuhören, keine Hilfsmittel zur Abstinenz benötigten, berichtet Balfour (2005), daß es die meisten Raucher ohne Hilfe therapeutischer Interventionen mittels Verhaltens- und medikamentöser Therapie nicht schaffen.

Das Phänomen der Rückfälligkeit wird seit vielen Jahren in der Suchtforschung untersucht. Anfang der 1970er Jahre wurden in diesem Zusammenhang von diversen Autoren der Begriff Sucht- bzw. Körpergedächtnis geprägt (Böning, 1994; Wolffgramm und Heyne, 2005), welches eine hochgradig bessere Erinnerungskraft hätte als das 'übrige' Gehirn, wo alle anderen Erinnerungen gespeichert sind. So interpretiert Böning 'Suchtgedächtnis' als eine personale, individualspezifisch erworbene Software-Störung auf Lauerstellung, die für die Konstituierung von Rückfällen mitentscheidend ist, und resümiert, dass einem derartigen, von der molekularen Trägerebene über die neuronale Musterebene bis zur psychologischen Bedeutungsebene zum Bestandteil der Persönlichkeit geworden 'Suchtgedächtnis' therapeutisch auch so schwer beizukommen ist (Böning, 1994).

Wenn Verhaltensgewohnheiten erst einmal etabliert sind, erweisen sie sich als äußerst resistent gegenüber Veränderungen, und es bedarf starker Motive für die Veränderung der habitualisierten Alltagspraxis (Faltermaier, 2005). Eine Umfrage bei mehrfach rückfälligen langjährigen Raucherinnen und Rauchern in meinem Umfeld bestätigt diese Resistenz: Die 12 von mir befragten Personen - beruflich erfolgreich und sozial solide eingebettet - sind zwischen 35 und 54 Jahre alt, hatten im Alter von etwa 14 Jahren mit dem Rauchen begonnen und bisher drei bis fünf Abstinenz- versuche hinter sich. Auf] die Frage nach dem Begriff 'Risikoverhalten' folgte jeweils eine kognitiv klare Definition, die - etwas gezielter und bezugnehmend auf die eigene Person nachgefragt - ein doch erhebliches Unbehagen bei den betroffenen Personen provozierte. Besonders diejenigen Befragten, die nach längerer Abstinenzphase (> 1 Jahr) wieder rückfällig geworden sind, ziehen es vor, sich mit dem Thema nicht weiter auseinander zu setzen, da sie sich selbst ihr Verhalten nicht erklären können und auch über professionell angebotene Unterstützungswege keine für sie plausiblen Erklärungsansätze bekommen haben. Dabei stört sie die Tatsache der Abhängigkeit von dem Glimmstengel an sich mehr als das potentielle Gesundheitsrisiko, welches mit der Wiederaufnahme des Verhaltens einhergeht, und sie lehnen daher auch medikamentöse Ersatztherapien ab ("Da komm ich ja vom Regen in die Traufe"). Ein sie 'fremdsteuerndes Suchtgedächtnis' als Erklärungsansatz wird von den Befragten nur bedingt akzeptiert, "da es andere ehemals starke Raucher ja auch geschafft haben". Verhaltensorientierte Methoden kennen sie zu Genüge und würden sie wieder betreiben, wenn sie wüßten wo und wie bei ihnen 'der Hase im Pfeffer liegt' ("Ich kann ja nicht nur noch joggen gehen und auch nicht allen kritischen Situationen ausweichen - die kommen ja eh' aus dem Nichts -, nur um nicht wieder an Zigaretten zu denken"). So wird als Schutz vor sich wiederholender Frustration über einen potentiellen Rückfall, trotz umfangreichen Wissens um die Gesundheitsschädlichkeit und des daher auch nur schlecht auszuhaltenden Unbehagens das Risikoverhalten aufrechterhalten. Die Befragten würden sich aus ihrer aktuellen Situation heraus durchaus als 'notorische Rückfaller' bezeichnen, wenn sie wieder einen weiteren Abstinenzversuch starten würden.

Was steckt dahinter, dass sie nicht die nötige Motivation aufbringen, ihr Verhalten zu ändern? Die geringen Erfolgsquoten der Raucherentwöhnungsprogramme (Fiore et al., 2000) weisen darauf hin, dass möglicherweise wichtige Aspekte nicht hinreichend genug oder gar keine Berücksichtigung finden. Es scheint auch, dass viele Raucher ihr Verhalten umso stoischer weiter betreiben, je mehr Druck und Einschränkungen von Außen kommen. Jedes angeführte Argument gegen das Rauchen, sei es aus medizinisch-biologischer Sicht oder aus der verhaltensorientierten Forschung heraus, findet auf individueller Ebene stets ein Gegenbeispiel, was möglicherweise auch die geringe Motivation zur Änderung des Verhaltens bedingt.

Der klassisch dichotome und ausgeprägt defizitäre Blick der üblichen Perspektive auf die Problematik Tabakkonsum ist meines Erachtens eher eine Sackgasse. Im Zuge dieser Arbeit werden die Phänomene 'Rauchen' und 'Rückfälligkeit' daher aus einer anderen Perspektive heraus untersucht:

Das von Aaron Antonovsky (1997) entwickelte und von Faltermaier (2005) erweiterte Konzept der Salutogenese bietet dafür den theoretischen Rahmen. Es steht in der Tradition von Lazarus' transaktionaler Stresstheorie, welche keine spezifischen Copingstile abbildet, sondern ihnen zu Grunde liegende Faktoren bzw. übergreifende Strukturen beschreibt, um Antworten darauf zu finden, wie Menschen mit Stress umgehen (Franke, 1997). Aus dem Modell heraus sind disziplinübergreifende Überlegungen möglich, welche die Entwicklung motivationsfördernder Ansätze für prinzipiell aufhörwillige, aber akut noch unmotivierte Raucher - die notorischen Rückfaller - zulassen.

Es werden zunächst folgende Aspekte untersucht:

- Worauf gründen sich die aktuellen Raucherentwöhnungsprogramme, und was könnte fehlen, um die Personengruppe der 'notorischen Rückfaller' zu erreichen? (Kapitel 2)
- Kann ein Wechsel von einer defizitär ausgerichteten pathogenen Sichtweise hin zu einer salutogenetischen Perspektive neue Impulse liefern? (Kapitel 2.1)
- Ist das Konzept der Salutogenese mit seinem zentralen Konstrukt des Kohärenzgefühls stringent, um Sucht- und Abhängigkeitsphänomene zu erfassen und zu beschreiben? (Kapitel 3)

Aus diesem Kontext heraus wird anschließend im Kapitel 4 das Risikoverhalten im Kontext von Lebensphasen und Selbstkonzept mit folgenden Fragen untersucht:

- Vor welchem Hintergrund entwickelt und etabliert sich Rauchen als Verhalten? (Kapitel 4.1)
- Welche inneren Vorgänge bedingen, dass einige Ex-Raucher (notorisch) rückfällig werden, während andere abstinent bleiben? (Kapitel 4.2)

Kapitel 5 fasst dann die Ergebnisse zusammen und hinterfragt die resultierenden Konsequenzen für die Gesundheitsberatung von Rauchern.

- Können Aspekte herausgearbeitet werden, die wichtig wären, aber in Entwöhn- ungskursen unter Umständen wenig Berücksichtigung finden, damit sich eine Verhaltensänderung nachhaltiger etabliert, um das Rückfallrisiko zu minimieren? (Kapitel 5.1)
- Kann Gesundheitsberatung dabei entsprechende Unterstützung bieten oder sind die Betroffenen auf 'spontane Selbstheilung' oder spezielle z.B. psychotherapeutische Settings angewiesen? (Kapitel 5.2)

2. Tabakentwöhnung und Rückfälligkeit - Eine Bestandsaufnahme

Tabakentwöhnung ist ein Prozess, an dessen Ende sich der Konsument zum Rauchstopp entscheidet. Die Stadien dieses Prozesses sind in dem von Prochaska und DiClemente bereits in den 1980er Jahren formulierten und über die Jahre weiterentwickelten Transtheoretischen Modell zur Veränderungsbereitschaft (TTM) beschrieben (Prochaska und DiClemente, 1984; Prochaska und Velicer 1997). "Das TTM ist heute zum Goldstandard für die Psychologie der Tabakkontrolle avanciert" (Schwarzer, 2004, S. 326) und somit Grundlage nahezu aller Raucherentwöhnungs- programme. Die Kernannahme besteht darin, dass Gesundheitsverhalten über eine sechsstufige Stadienabfolge erreicht wird (siehe Tabelle 1). Der Prozess der Ver- haltensänderung wird durch das Fortschreiten innerhalb der Stufen sichtbar und erfolgt über ein Abwägen der Pros und Contras (Entscheidungsbalance) bezüglich des Problemverhaltens, indem über die Auseinandersetzung mit dem praktizierten Risikoverhalten schrittweise die Selbstwirksamkeitserwartungen der Person hinsichtlich der bevorstehenden Verhaltensänderung steigen.

Tabelle 1: Phasen der Ä nderungsbereitschaft im Transtheoretischen Modell

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Demnach durchlaufen Raucher verschiedene Phasen der Änderungsbereitschaft bis der Schritt zum Rauchstopp vollzogen wird. In jeder Phase besteht ein individuell unterschiedliches Motivationsniveau der Raucher, das mit jeder Stufe zunimmt. Der überwiegende Teil der Tabakkonsumenten befindet sich in den Stufen 1 (Sorglosig- keit) und 2 (Bewußtwerdung). Die in dieser Arbeit als notorische Rückfaller bezeich- neten Personen halten sich in der Stufe 2 auf. Sie wissen um ihr Problem und leben damit, da die Erfahrung erlebter Rückfälle sie offenbar mehr belastet als das akut praktizierte Problemverhalten. Erfolgt eine Absichtsbildung zur Verhaltensänderung, so befindet sich die Raucher in Stufe 3. Der Schritt von Stufe 3 zu 4 ist abhängig von der persönlichen Ergebniserwartung, auf die die persönliche Kompetenzerwartung einwirkt (Schritt von Stufe 4 zu 5). Das Maß an Ergebnis- und Kompetenzerwartung ist flexibel, rekursiv und ausbaufähig (Schwarzer, 2004). Hier setzen Entwöhnungs- programme an, um den Betroffenen entsprechende Unterstützung zur Verhaltens- änderung zu geben. Die eingesetzten Methoden zum Erreichen der Rauchfreiheit können sehr unterschiedlich sein. Sie basieren in der Regel auf kognitiv-verhaltens- therapeutischen Interventionen, die je nach dem, in welcher Stufe sich der Betroffene befindet, individuell anpassbar sind.

Notorische Rückfaller, d.h. Raucher die aufhören wollten und mehrfach rückfällig geworden sind, sind demnach auf Grundlage der ihnen zur Verfügung stehenden Information, die sie ein rauchfreies Leben antizipieren lassen, wenig von einem positiven Ergebnis überzeugt und bewerten ihre persönlichen Kompetenzen bezüglich eines erneuten Rauchstopps als nicht ausreichend (vgl. Schwarzer, 2004). Mit großer Wahrscheinlichkeit bilden sie einen nicht unerheblichen Teil der Gruppe der abstinenzunmotivierten Raucher von der Ulbricht et al. (2004) und Caspers-Merk (2005) berichten.

Neben der Stufenabfolge zur Änderungsbereitschaft bildet das Konstrukt 'Prozesse der Verhaltensänderung' das zweite Kernstück des TTM. Es umfasst Faktoren, die problematische Verhaltensweisen und damit verbundene Kognitionen und Emotionen der Betroffenen beeinflussen und modifizieren sollen und somit das Voranschreiten in nachfolgende Stadien der Verhaltensänderung bewirken. Die in den Entwöhnungs- kursen eingesetzten Methoden fördern die einzelnen Prozesse unterschiedlich stark. Faktoren, die für kognitiv-affektive Ver ä nderungsprozesse genannt werden, sind:

- Steigerung des Problembewu ß tseins (consciousness raising) - Erhöhung der Wahrnehmung von Ursachen, Konsequenzen und möglichen Lösungswegen für das Problemverhalten.
- Aspekte des emotionalen Erlebens (dramatic relief) - Intensivierung von negativen Gefühlen bezüglich des Problemverhaltens, um eine emotionale Erleichterung im Falle einer Verhaltensänderung zu erzeugen.
- Neubewertung der pers önlichen Umwelt (environmental reevaluation) - Veränderung der Wahrnehmung des eigenen Problemverhaltens auf die Umwelt.
- Wahrnehmung förderlicher Umweltbedingungen (social liberation) - Erhöhung der Alternativen für Nicht-Problemverhalten in der sozialen Umwelt.
- Selbstneubewertung (self-reevaluation) - Veränderung der affektiven und kognitiven Bewertung des Selbstbilds und des Problemverhaltens.

Für die verhaltensorientierten Ver ä nderungsprozesse werden folgende Faktoren beschrieben:

- Strategien der Gegenkonditionierung (counterconditioning) - Ersetzen des Problemverhaltens durch alternative Verhaltensweisen.
- Nutzung hilfreicher Beziehungen (helping relationships) - Nutzung von vertrauensvollen Beziehungen zur Unterstützung bei der Verhaltensänderung.
- Selbstverst ä rkung (reinforcement management) - Sich selbst für erfolgreiche Veränderung belohnen oder für Rückfälle bestrafen.
- Kontrolle der pers önlichen Umwelt (stimulus control) - Reizkontrolle, Vermeidung von Reizen, die das Problemverhalten auslösen, und Schaffung von Reizen für alternative Verhaltensweisen.
- Selbstbefreiung/-verpflichtung (self-liberation) - Erhöhung der Verpflichtung zu Handeln und die Schaffung neuer Alternativen für das Selbst.

Das TTM erhebt für sich den Anspruch, eine Basis für die Entwicklung effektiver und effizienter Interventionen zur Gesundheitsverhaltensänderung zu sein, besonders jedoch für den Bereich der Raucherentwöhnung, an dem die wesentlichen Grundzüge des Modells entwickelt worden sind (Keller, 2004). Rückfälle werden in diesem Modell als normale Schwierigkeiten im Veränderungsprozess verstanden (Faltermaier, 2005) und sind Teil des Prozesses. Dieser Sachverhalt kann für viele vor allem erstmalige Abstinenzler entspannend wirken und sie in dem Wunsch nach Rauchstopp stärken. Für mehrfach Rückfällige ist die Erfahrung eines erneuten Rückfalls jedoch eher eine Belastung, so dass diese sich durch die Unterlassung eines weiteren Abstinenzversuchs vermutlich bereits im Vorfeld davor schützen.

Vor diesem Hintergrund weist Keller (2004) darauf hin, dass zum genaueren Ver- ständnis und zur Verbesserung der Stufeneinteilung vor allem mehr Längsschnitt- studien notwendig sind, da die weitere Differenzierung des Stadienkonzeptes dazu beitragen könnte, konkretere zielführende Interventionen zu konzipieren. Ulbricht et al. (2004) untersuchten die TTM-Prozessfaktoren der Verhaltensänderung bei Rauchern in Abhängigkeit von ihrem Lebensalter. Der überwiegende Teil der nach 30 Monaten wieder befragten Probanden befand sich in den Stadien Absichts- losigkeit (Stufe 1; 76,7%) und Absichtsbildung (Stufe 2; 13,2%). Die Forschergruppe hat signifikante Unterschiede bezüglich der Prozessfaktoren und der Altersstruktur herausarbeiten können: Innerhalb der Stufe 2 (Absichtsbildung) wurde die Nutzung kognitiv-affektiver Prozesse von den älteren Probanden (zwei Gruppen: >36 Jahre und >51 Jahre) signifikant häufiger angegeben als von denjenigen der Gruppe bis 35 Jahre. In der Gruppe der Absichtslosen (Stufe 1) wurden signifikante Unterschiede zwischen der jüngeren Gruppe (< 35 Jahre) und der Gruppe der über 50jährigen ermittelt. Auf der Basis dieser Ergebnisse empfehlen Ulbricht et al. für die Raucher- beratung, dass bei jüngeren Rauchern verstärkt auf die Nutzung der Prozesse fokussiert werden sollte, während bei älteren Raucher die Anwendung der Prozesse diskussionsfähig ist und eher als Gesprächsgrundlage für die thematische Ausein- andersetzung herangezogen werden kann. Dieses Ergebnis unterstreicht die Situation der notorischen Rückfaller: Durch intensive individuell ausgerichtete Gespräche kann unter Umständen der Betroffene für sich mehr persönlich valide Informationen generieren, die seine Ergebnis- und Kompetenzerwartungen hinsichtlich eines neuen Abstinenzanlaufs steigen lässt.

Es gibt zahlreiche 'plausible' Gründe für Menschen sich aus medizinischer und/oder psychologischer Sicht gesundheitsriskant zu verhalten: Beispielsweise sind nahezu alle stofflichen Risikofaktoren wie auch Risikoverhaltensweisen ganz wesentlich Mittel und Formen des Genusses und haben zumindest kurzfristig oft ausgesprochen positive und verstärkende Wirkungen (Faltermaier, 2005). Die Verstärkung beruht vorrangig auf einer positiven Stimulation wie Lustbefriedigung, Entspannung und Spaß. Des Weiteren werden derartige Verhaltensweisen oft auch sozial geteilt, was Gefühle von Zugehörigkeit und Akzeptanz (persönliche Anerkennung) hervorruft. Aus diesem Sachverhalt heraus kann sich sukzessive eine immer höhere Toleranz gegenüber dem Risikoverhalten und/oder dem Suchtstoff entwickeln, aus der heraus eine spätere Abhängigkeit resultiert.

Der Einfluss der sozialen Umweltkomponente innerhalb des TTM wird meines Erachtens unterschätzt, da Umwelt nicht losgelöst 'da draußen' stattfindet, sondern vielfältig emotional mit der eigenen Person eng verbunden ist. Adler und Matthews (1994 zit. in Faltermaier 2005) zeigen, dass Menschen unter Stress und speziell nach Verlustereignissen vermehrt zu gesundheitsriskanten Verhalten wie Rauchen und exzessivem Alkoholkonsum neigen und stellen heraus, dass Personen mit guter sozialer Unterstützung in derartigen Stresssituationen weniger riskantes Verhalten aufweisen. Faltermaier resümiert, dass Risikoverhalten häufig als Mittel zur Bewältigung von psychischen Belastungen fungiert, es jedoch unter Bedingungen von sozialer Unterstützung weniger wahrscheinlich ist (ebd., 2005). Dem Zusammen- hang ist generell zu folgen, solange die Verhaltensweise selbst nicht das zentrale Problem ist: Wo sonst, wenn nicht in der 'Raucherecke', in der die alten Freunde in der Regel ja noch verweilen, ist im Falle eines Rückfalls Verständnis und soziale Auf- und Anteilnahme für den Betroffenen zu finden? Über soziale Unterstützung im Zusammenhang mit der Bedeutung der Kompetenzerwartung berichtet Schwarzer (2004), dass, wer die Anforderungen allein bewältigt, mehr Vertrauen in die eigene Kompetenz haben wird, als jemand, der auf fremde Hilfe angewiesen ist. Zur konstruktiven Bewältigung eines Rückfalls erscheint in diesem Zusammenhang die Interpretation des Rückfalls in Bezug auf das Selbst verständnis des Betroffenen zu seiner Abhängigkeit wichtig, also die kognitiv-affektive Auseinandersetzung mit der schwierigen Lebenslage 'Rückfall', was die Studienergebnisse der Gruppe um Ulbricht (2004) zumindest für die Gruppen der älteren Raucher bestätigen.

Generell wird angenommen, dass negative Emotionen als persönliche Disposition den Erwerb und die Aufrechterhaltung von riskanten Gewohnheiten begünstigen (Schwarzer, 2004; Faltermaier, 2005). Innerhalb der kognitiv-affektiven Veränder- ungsprozesse des TTM sollen Aspekte des emotionalen Erlebens des Problem- verhaltens mit negativen Gefühlen belegt und intensiviert werden, um eine emotio- nale Erleichterung bei der Verhaltensänderung zu erzeugen. Eine antrainierte Aversion zur Stärkung der Motivation als Ausstiegshilfe aus einem alten Verhaltens- muster kann den Prozess sicherlich hilfreich unterstützen. Schwierig wird es jedoch in krisenhaften Situationen, wenn plötzlich aufwallende starke Emotionen, die in der Vergangenheit durch das einstige Problemverhalten 'Rauchen' abgefangen wurden, mit einer mehr oder weniger jüngst kognitiv erlernten Negativeinstellung bezüglich des Problemverhaltens kompensiert werden sollen. Krisen zeichnen sich durch den Überwältigung s charakter der Emotion aus, der neben Stärke und Intensität auch die Dauer der Erregung entscheidend mitbestimmt und die betroffene Person für mehr oder minder längere Zeit aus der 'Alltagsroutine' bringt. Die Komplexität und Fülle subjektiver und sozialer Motive lassen daher Veränderungen alter Gewohnheiten und tief verankerter Verhaltensmuster schwierig erscheinen (Faltermaier, 1994).

Stumpfe et al. (1992) benennen zahlreiche Gründe für das Scheitern von Abstinenzversuchen wie Entzugssymptome, Willensschwäche, Fehlen einer eindeutigen Motivation, psychosomatische Beschwerden, Belastungen durch äußere Faktoren, Unvernunft und Unwissen, Gewichtszunahme, Verführung durch andere Raucher und fehlende Unterstützung, und weisen auf die Berücksichtigung all dieser Variablen bei einer Rückfallprävention hin. Eine umfangreiche Rückfallprophylaxe in diesem Sinne ist Bestandteil der in Praxis befindlichen Entwöhnungsprogramme und umfasst vorwiegend verhaltensorientierten Module, deren Inhalte Kröger, Sonntag und Shaw (2000) wie folgt zusammenfassen:

- Übungen zur Verbesserung der Selbstwahrnehmung und der Selbstbeurteilung von Kontrollüberzeugungen und Kompetenzerwartungen,
- Antizipation von Versuchungssituationen,
- Analyse des Umgangs mit früheren und zukünftigen Rückfällen sowie
- Aufbau von kognitiven und verhaltensorientierten Bewältigungsstrategien (z.B. Problemlösefähigkeiten, selbstsicheres Verhalten).

Für langjährige Raucher mit mehrmaliger Rückfallerfahrung sind diese verhaltensorientierten Vorgehensweisen für ihre Problemlösung offensichtlich nicht (mehr) hinreichend. Stigmatisierungen wie 'willensschwach' und 'unvernünftig' untergraben vielfach auch den letzten Funken Motivation für einen raschen neuen Anlauf in die Abstinenz, da die Betroffenen selbst keine Erklärung für ihr Verhalten haben. Das Verständnis für den Rückfall fehlt auf beiden Seiten.

Farke (2004) resümiert in seiner Analyse, dass es für abstinenzmotivierte Raucher schwierig ist, im unüberschaubaren Angebot an Entwöhnungsmaßnahmen die individuell adäquate Methode zu finden. Interessierte müssen erst unterschiedlichste Methoden ausprobieren, die vielfach nicht zum erwünschten Ziel führen. Er befragte Raucherinnen und Raucher aus Selbsthilfegruppen für Sucht-, Krebs-, Herz- Kreislauf- und anderen Erkrankungen, die sich zu 83% aus Personen mit Rauch- stopps in Eigenregie, also ohne professionelle Unterstützung im Rahmen von Einzel- oder Gruppensettings, zusammensetzte. Das mittlere Alter der befragten Gruppe betrug 49,5 Jahre. Der in der Studie am häufigsten benannte Grund für Rückfälligkeit war mit 45% das ständige Verlangen nach einer Zigarette, was Farke mit mangelnder Kenntnis der individuellen Tabakabhängigkeit in Zusammenhang bringt. So ist für abstinenzmotivierte Raucher zunächst eine gründliche Aufarbeitung der Ursachen der individuellen Tabakabhängigkeit wichtig, um dann wirkungsvolle individuelle Strategien zur persönlichen Rückfallprophylaxe entwickeln zu können. Zweithäufigste Ursache für Rückfälligkeit mit jeweils 32% waren beruflicher und/oder privater Stress, woraus Farke (2004) schließt, dass die Betroffenen offenbar nicht über adäquate Copingstrategien verfügen, die es ihnen ermöglichen, stressvolle Situationen ohne Tabakkonsum zu bewältigen, sondern im Gegenteil, der Tabak- konsum an sich Teil der bewährten Copingstrategie ist. Rund 80% der von Farke befragten Personen haben ihre Rauchstopps in Eigenregie durchgeführt, was die Vermutung nahe legt, dass sie sich nicht hinreichend mit Verhaltensalternativen in stressvollen Alltagssituationen auseinandergesetzt haben. In professionell geleiteten Programmen wird dieser Aspekt dagegen intensiv bearbeitet, was die Auswertungen von Fiore et al. (2000) über höhere Erfolgsquoten bei Profiprogrammen bestätigen. Zwei Drittel der von Farke befragten Raucher würden an einem Angebot zur Tabakentwöhnung im Rahmen der Selbsthilfe teilnehmen, was die grundsätzliche Einstellung und den Wunsch nach einem rauchfreien Leben der (Noch)Raucher unterstreicht. Raucherentwöhnung bedeutet nicht nur Nikotinentwöhnung, es müssen auch die psychologischen Faktoren, die zur Tabakabhängigkeit führten, im weitesten Sinne behandelt werden (vgl. auch Balfour, 2005).

Im Gegensatz zu den Ergebnissen von Kraus und Augustin (1991 zit. in Farke, 2004), kommen Balfour und Fragerström zu dem Schluss, dass die meisten Raucher, die den Ausstieg ohne Hilfe durch therapeutische Intervention versuchen, es nicht schaffen und daher die Erfolgsraten von Entwöhnungsprogrammen mit verhaltens- therapeutischen Elementen oder medikamentöser Therapie signifikant höher sind (Balfour, 2005). Die Untersuchung der Effektivität von Entwöhnungsprogrammen ist in den letzten Jahren zum Fokus der wissenschaftlichen Forschung geworden.

Zentrale Kenngrößen zur Wirksamkeit von Entwöhnungsprogrammen sind von Fiore und Mitarbeitern im Auftrag des US Department of Health and Human Services in Form einer Metaanalyse entwickelt worden (Fiore et al., 2000). Die Auswertung der Ergebnisse von rd. 6000 zusammengetragenen Einzelstudien der Jahre 1976-1999 mündete in einer amerikanischen Praxisleitlinie (Clinical Practice Guideline), und gilt als die umfangreichste Zusammenstellung des internationalen Kenntnisstands der wissenschaftlichen Forschung auf diesem Gebiet (Kröger, Sonntag und Shaw, 2000).

Die Ergebnisse dieser Metaanalyse zeigen, dass die Aufhörwahrscheinlichkeit mit Interventionsmaßnahmen deutlich höher ist als ohne, und zwar ansteigend mit der Intensität der Intervention (durch Selbsthilfe mit medialer Unterstützung wie Bücher, Videos, Kassetten etc. oder via Telefonberatung bzw. Einzel- oder Gruppensetting). Sie ernüchtern jedoch bei der Betrachtung der geschätzten Aufhörquote nach sechs Monaten Abstinenz, die je nach Interventionsformat bei maximal 16,8% für Individualberatung (95% Konfidenzintervall; Spanne: 14,7 - 19,1%) liegt. Weitere Ergebnisse zeigen signifikant positive Korrelationen mit zunehmender Dauer pro Kontakt (> 90 min) und der Dauer der Gesamtintervention (> 8 Wochen) bezüglich der Erfolgsraten, die dann rund drei Mal höher sind als bei den Kontrollgruppen, was die Wichtigkeit von Interventionsmaßnahmen deutlich unterstreicht. Außerdem wird deutlich, dass die Erfolgsquote zunimmt, je vielfältiger die Interventionen gestaltet werden (diverse Interventionsebenen von kognitiv-behavioralem Training über psychosozialen Maßnahmen, körperliche Fitness und Gewichtskontrolle sowie der Methodenmix im Setting an sich). Als Faktoren, die geringe Abstinenzraten bedingen, werden genannt: Hohe Tabakabhängigkeit (> 20 Zigaretten pro Tag), ein junges Eintrittsalter, psychische Leiden und Alkohol- bzw. Drogenkonsum als Ko- Morbidität sowie hohe alltägliche Stressanforderungen bzw. erlebte oder antizipierte biografisch Ereignisse. Zusammenfassend verweisen Fiore et al. (2000) darauf, dass Tabakabhängigkeit ähnlich wie chronische Krankheit einer konstanten Überwachung, wiederholter Intervention und einer pharmakologischen Unterstützung bedarf. Auch Balfour (2005) berichtet, dass die Erfolgsquote durch den Einsatz von Nikotinersatz- mitteln verdoppelt wurde, zeigt sich aber enttäuscht über den geringen Anteil von Rauchern, die diese Hilfsmittel in Anspruch nehmen.

Tabakabhängigkeit mit chronischer Krankheit gleichzusetzen und den Einsatz von Pharmaprodukten und Nikotinersatzstoffen zur Raucherentwöhnung zu fördern ist aus medizinischer Sicht und bedingt durch die geringen Erfolgsquoten der aktuellen verhaltenstherapeutischen Interventionsmaßnahmen naheliegend, lässt allerdings auch auf eine gewisse Resignationsneigung seitens des 'therapeutischen Lagers' schließen. Aus gesellschaftspolitischer Sicht schafft die Substituierung Entlastung, die Betroffenen selbst wechseln jedoch lediglich die eine Abhängigkeit gegen die andere aus. Die geringe Annahme dieser Therapieform seitens der Betroffenen unterstreicht den Sachverhalt, dass es dem Raucher nicht nur darum geht, nicht mehr zu 'qualmen', sondern sich aus einer Abhängigkeit zu lösen.

So führt die aktuelle Diskussion, ob Rauchen nun eine Krankheit ist oder nicht, einerseits zu der pathogenen, wenig subjektbezogenen und somit Verantwortlichkeit entziehenden Dichotomisierung in 'krank = Raucher' und 'gesund = Nichtraucher' und andererseits auf einer rein kognitiven Grundsatzdiskussionsebene weg von den ursächlichen Zusammenhängen und somit den eigentlichen Wurzeln des Verhaltens. Die Einstufung in chronisch krank kann aus medizinischer Sicht gegenüber Kranken- und Rentenversicherungsträgern hilfreich sein, sie gibt aber auch die Verantwortung des Rauchers für sein Verhalten ab (Kuntz, 2000). Durch die damit einhergehende Stigmatisierung in 'willenlos' oder 'charakterschwach' bewirkt sie weniger, dass sich die Betroffenen ändern, als dass sie ihr Verhalten dann eher in Heimlichkeit weiter ausüben. Sucht ist vor allem ein Symptom, hinter dem sich etwas Tieferes verbirgt und ist durchaus "... direkt bei Krankheit beheimatet. Aber sie ist in keinem Falle selbst die originäre Krankheit" (ebd., S.104).

2.1 Sucht-, Abhängigkeitsforschung und Tabakentwöhnung aus salutogenetischer Perspektive

Im Gegensatz zu Tabakkonsum gilt moderater Alkoholkonsum innerhalb der Gesell- schaft als akzeptiert und normal. Wellbrink und Franke (2002) proklamieren, dass gerade im Bereich der Suchtforschung ein salutogenetischer Perspektivenwechsel besonders geeignet erscheint, denn im Vergleich zu anderen Bereichen der Medizin, wird speziell in der Sucht- und Abhängigkeitsforschung die traditionelle Dichotomi- sierung in gesunde und kranke Menschen noch recht konsequent eingehalten, was bedeutet, dass "Menschen abstinent oder abhängig [sind] und auch ein einmaliger Rückfall die abstinent Gewordenen direkt zurück in die Klasse der Abhängigen versetzt. Abhängigkeit entsteht aber nicht in einem qualitativen Sprung, und ebenso wenig gibt es den Sprung aus der Abhängigkeit zurück in die Abstinenz" (ebd., S. 43). Die scharfe Dichotomisierung bei Tabakkonsumenten in Raucher und Nicht- raucher, resp. krank und gesund, ist bezogen auf Alkoholkonsum weniger deutlich. Dies zeigt sich in der sehr kontrovers geführten Diskussion in der Fachwelt wie im Laiensystem, wenn es darum geht, Gebrauch, Missbrauch, Abhängigkeit und Sucht zu definieren (vgl. z.B. Harten, 1991; Hurrelmann und Bründel, 1997; Kuntz, 2000; Schneider, 2001). Ursächlich dafür ist nach Parnefjord (2001) die stark emotional gefärbte Meinung, die Menschen hinsichtlich des Themas haben.

Es gibt zahlreiche Theorien und Erklärungsansätze für die Psychogenese von süchtigem Verhalten, die alle jeweils Teilaspekte erklären, je nach dem, aus welchem Blickwinkel (z.B. kulturell, soziologisch, lern-, trieb-, ich-, objektbeziehungs- oder sozialpsychologisch, systemisch oder sozialpolitisch) sie das Phänomen betrachten. Für alle gilt, dass keiner dieser Ansätze Allgemeingültigkeit beanspruchen kann (Hurrelmann und Bründel, 1997; Kuntz, 2000). Auch wenn einige naturwissen- schaftliche Disziplinen noch intensiv nach biologisch bedingten Ursachen für Abhängigkeit im menschlichen Genom forschen (Batra und Rieß, 2005), so besteht heutzutage weitgehend Konsens darüber, dass es die Suchtpersönlichkeit nicht gibt (Kuntz, 2000), somit süchtiges Verhalten und eine daraus resultierende Sucht kein Schicksal, sondern eine Wahl ist, für die der Wählende mitverantwortlich ist (Längle und Probst, 1993). Als ursächlich für süchtiges Verhalten bzw. entstehende süchtige Abhängigkeit wird ein aus der individuellen Lebensgeschichte heraus erklärbarer seelischer Bedürfnismangel (Längle und Probst, 1993; Kuntz, 2000) bzw. erhöhten Vulnerabilität (Batra und Rieß, 2005) gesehen, die durch den Konsum psychoaktiver Substanzen kompensiert werden soll. So kann der Substanzkonsum als eine in gewissen Maße hilfreiche und durchaus positiv besetzte, individuelle Copingstrategie betrachtet werden (Hurrelmann und Bründel, 1997; Franke et al., 1998), die, genau wie Krankheit im allgemeinen, Teil der Lebensgeschichte ist und somit aus dem biografischen Kontext, den Lebensbedingungen und den individuellen Ressourcen einer Person resultiert. Dieser Entwicklungsprozess lässt sich durch das prozess- hafte, dynamische Modell der Salutogenese nachvollziehbar beschreiben, so dass es als plausibles Rahmenkonzept für die Abhängigkeitsforschung geeignet ist (Franke et al., 2001).

Die Entwicklung von Abhängigkeit verläuft in der Regel über einen langen Zeitraum, wobei Gebrauch und Mißbrauch ohne scharfe Trennlinie als Kontinuum erscheinen (Hurrelmann und Bründel, 1997). Ausgangspunkt ist zunächst ein mäßiger und unauffälliger Konsum, der auch nur unter Umständen gesteigert wird. Nicht jeder, der suchtinduzierende Substanzen konsumiert, ist gleich auch abhängig. Das geeignete Modell für Suchterkrankungen ist daher nicht die pathogenetische Dichotomie, sondern ein Kontinuum wie es das Salutogenesemodell beschreibt, innerhalb dessen Menschen abstinent sein oder in variierendem Ausmaß mäßigen, auffälligen und hohen Konsum haben können (Welbrink und Franke, 2002). So lautet im Rahmen der Salutogenese für die Abhängigkeitsforschung die Kernfrage nach gesund erhaltenden Bedingungen, "ob sich Variablen finden lassen, hinsichtlich derer sich Menschen, die 'adäquat' konsumieren und solche, die Abhängigkeitsprobleme entwickeln bzw. entwickelt haben, unterscheiden". Dieser Frage sind Franke und Mitarbeiterinnen in zwei umfangreichen Studien nachgegangen (vgl. Franke et. al. 1998; 2001).

Obwohl sich die Studien gezielt mit Alkohol- und Medikamentenkonsum befassen, unterstreichen sie die Beobachtung, dass psychoaktive Substanzen (auch) bei hohem bis sehr hohem Konsum subjektiv erfolgreich zur Bewältigung von Lebens- aufgaben eingesetzt werden: Die Untersuchungsergebnisse von Franke und Mit- arbeiterinnen (2001) ergaben, dass Frauen mit hohem bzw. sehr hohem Alkohol- konsum, die nicht als alkoholabhängig diagnostiziert sind, einer sehr zufriedenen und kompetenten Gruppe zuzuordnen waren: Sie sind mit ihrer finanziellen und beruf- lichen Situation zufrieden. Ihre häuslichen Arbeitsbedingungen werden von ihnen sogar als besser bewertet als von substanzunauffälligen Frauen. Sie fühlen sich gut unterstützt und sozial nicht überlastet, bei gleich stark ausgeprägtem Kohärenzgefühl wie dem der substanzunauffälligen Frauen. Auch bezogen auf die Fähigkeit, sich etwas Gutes zu gönnen und etwas zu genießen, zeigten sich keine Unterschiede. Die substanzauffälligen Frauen reagieren weder depressiver, noch ängstlicher oder wütender in schwierigen Situationen, bewerten ihre Gefühle nicht negativer oder kontrollieren sie stärker als substanzunauffällige Frauen. Es zeigte sich lediglich die Tendenz, in schwierigen Situationen nicht ganz so zuversichtlich zu reagieren und die Neigung dazu, sich eher rational mit Gefühlen auseinander zu setzen. Franke et al. fassen zusammen, dass es sich hier "somit nicht um eine auffällige Gruppe [handelt] - abgesehen eben von dem durchaus bemerkenswerten Alkoholkonsum" (ebd., 2001, S. 191).

Daraus lässt sich schließen, dass das Risikoverhalten seitens der Konsumentinnen rational durchaus wahrgenommen wird, da sie entsprechende Angaben in den Fragebogen äußerten (Franke et al., 2001), es aber offensichtlich zu wenig Motive bzw. Motivation für eine Veränderung des Verhaltens gibt, um zu einem objektiv gesünderen Lebensstil zu gelangen. Offensichtlich werden psychoaktive Substanzen seitens der Konsumenten gezielt als Ressourcen eingesetzt, um die Bewältigung von Problemen zu optimieren und zwar zunächst erstmal ganz unabhängig davon, ob ihr Verhalten als gesundheitlich riskant oder förderlich gewertet wird (vgl. auch Hurrel- mann und Bründel, 1997). Grundsätzlich, so Faltermaier (2005), reagieren Menschen auf Spannungszustände mit entsprechenden Bewältigungsprozessen, sei es nun durch riskante oder die Gesundheit förderliche Aktivitäten, da auch gesundheitlich riskante Verhaltensweisen individuell betrachtet vorübergehende Linderung eines Spannungszustandes bewirken. Die in der Bundesrepublik seitens der Suchtforscher beklagte hohe Zahl von abstinenzunmotivierten Rauchern (Caspers-Merk, 2005, Ulbricht et al., 2004) scheint diesen Sachverhalt auch für Tabakkonsumenten wider- zuspiegeln. Der Frage, wie sich diese Einstellung entwickeln kann und warum sie offensichtlich so hartnäckig in den Verhaltensroutinen der Menschen verankert ist, wird in den folgenden Kapiteln näher nachgegangen.

Zahlreiche Personen, die in dieser Arbeit als notorische Rückfaller bezeichnet werden, berichten, dass sie dankbar wären, wenn sie sich aus dem Abhängigkeits- erleben lösen könnten. So ist der vielfach verbreitete Gedanke, dass Rauchen als Verhalten nur als positiv erlebt wird, zumindest hinsichtlich dieser Personengruppe nicht haltbar. Folglich ist es notwendig, wie Lindenmeyer (2000) und Unland (2000) im Lehrbuch der Verhaltenstherapie betonen, nicht nur nach möglichen Ressourcen zur Unterstützung und Gewährleistung des veränderten Gesundheitsverhaltens zu suchen, sondern den Umgang mit ihnen, besonders in kritischen Situationen, zu üben. Darüber hinaus ist es wichtig, die individuellen Umstände zu verstehen, die das Verhaltensmuster begünstigt haben. Eine Analyse des persönlichen Erlebens, um die emotionale Verknüpfung und die ursprüngliche Bedeutungszuschreibung auf- zuspüren, die in Raucherentwöhnungsprogrammen viel zu wenig Berücksichtigung findet, ist somit besonders für 'notorische Rückfaller' eine zentrale Hilfestellung zur Einleitung eines neuen Versuchs zur Änderung ihrer scheinbar resistenten Verhaltensgewohnheit. So erzeugt ein gegenwärtiger Leidensdruck zwar Wunsch und Willen zur Verhaltensänderung. Die möglicherweise einst attribuierte Bedeu- tungszuschreibung, sei es eine erhöhte Vulnerabilität (Batra & Rieß, 2005) oder auch ein Bedürfnismangel (Längle und Probst, 1993; Kuntz, 2000), die durch das Verhalten kompensiert werden sollte, erfolgte jedoch in der Entstehungsphase des Verhaltens, also in der Vergangenheit, und ist über die Jahre bedingt durch die Automatisierung des Verhaltens und den Suchtcharakter des Nikotins vermutlich aus dem Blickfeld des Betroffenen entschwunden. Diese gilt es wieder ins Bewußtsein zu heben und umzudeuten, um einem potentiellen Rückfall sicherer begegnen zu können.

Wenn überhaupt in Entwöhnungsseminaren in diese Richtung interveniert wird, bleibt die Analyse vielfach bei Recherchen über die aktuellen Funktionen der Bedeutung des Risikofaktors im gegenwartsbezogenen Alltagserleben stecken, um den Polen der Ambivalenz zwischen 'Ich rauche gerne' und 'Ich möchte gerne aufhören' (Kröger, 2005) die nötige Gewichtung für den anvisierten Ausstieg zu verschaffen. Individuelle Ursachenforschung für ein tiefgreifenderes Verständnis der ursprüng- lichen Verhaltensmotivation bleibt, vielfach aus zeitlichen Gründen, unberücksichtigt: Je nach Gruppengröße steht in einer 1 -stündigen Sitzung jedem Teilnehmer die moderierende professionelle Leitungsperson nur durchschnittlich sechs bis zehn Minuten für persönliche Anliegen zur Verfügung.

Abhängigkeit, so Kuntz, entsteht im Kopf, und dort muß sie auch wieder gelöst werden. Erst über die Reflexion der eigenen Suchtstrukturen und das Verständnis der individuellen Zusammenhänge können nach überstandener körperlichen Entgiftung kritische Situationen beherrschbar werden (Kuntz, 2000). So lässt die geringe Erfolgsquote von Entwöhnungsseminaren (vgl. Fiore et al., 2000) vermuten, dass die Kurse strukturell und/oder inhaltlich für den einen oder anderen Teilnehmer nicht differenziert genug ausgerichtet sind, um sein individuelles Problemverhalten zu durchdringen. Antonovsky (1997) spricht von der "Dualität von Problemen": Probleme setzen sich jeweils aus instrumentellen sowie emotionalen Parametern zusammen. Leben, so Antonovsky, ist reichlich mit Reizen angefüllt, auf die wir reagieren müssen, auf die wir jedoch nicht automatisch angemessene, adaptive Antworten haben. So geraten Menschen in Situationen, die spürbare Spannungszustände in ihnen wecken. Spannung bedeutet, "... das Erkennen im Gehirn, dass ein Bedürfnis unerfüllt ist, dass man einer Forderung nachkommen muß, dass man etwas tun muß, wenn man ein Ziel realisieren muß" (Antonovsky, 1997, S. 125). Spannung ist ein emotionales Phänomen und die erste (körperlich) spürbare Antwort auf einen Stressor. Die instrumentelle Lösung des durch den Stressor hervorgerufenen Problems bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, dass das Problem der Emotionsregulierung auch automatisch gelöst wird (ebd., S. 138). Der Ausstieg aus dem Tabakkonsum wird von den professionellen Leitungspersonen der Entwöhnungsseminare zwar als ein instrumentelles wie auch emotionales Problem thematisiert, das ursächliche Problem des Tabakkonsumbeginns an sich findet jedoch wenig bis keine Berücksichtigung. Möglicherweise resultiert die geringe Beachtung daher, dass dieses Problem einer Zeit angehört, in der die Betroffenen noch nicht nikotinabhängig waren. Im folgenden Kapitel soll zunächst das Salutogenesemodell mit seinen Komponenten kurz vorgestellt werden, um die komplexe Einbettung des Individuums in seine Umwelt zu verdeutlichen, aus der heraus dann Handlungen als Anwort auf Stimuli erfolgen. Anschließend wird in Kapitel 4 untersucht, welche Motive hinter dem Tabak- konsum stehen und über welche Mechanismen sich Rauchen - vom Suchtpotential des Nikotins einmal abgesehen - als Copingstrategie etabliert.

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Ende der Leseprobe aus 93 Seiten

Details

Titel
Tabakkonsum im Kontext des Selbstkonzepts
Untertitel
Eine salutogenetische Analyse zum Phänomen notorischer Rückfälligkeit
Hochschule
Europa-Universität Flensburg (ehem. Universität Flensburg)  (Institut für Psychologie, Abteilung Gesundheitspsychologie und Gesundheitsbildung)
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
93
Katalognummer
V145217
ISBN (eBook)
9783640557301
ISBN (Buch)
9783640557868
Dateigröße
1223 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tabak, Tabakkonsum, Gesundheit, Krankheit, Risikoverhalten, Sucht, Rauchen, Salutogenese, Kohärenzgefühl, Rückfall, Suchtforschung, Abhängigkeitsforschung, Raucherentwöhnung, Selbstkonzept, Gesundheitspsychologie, Identitätspsychologie, Entwicklungspsychologie, Ressource, Motivation, Stress, Entzugssymptome, Non-Compliance, Gesundheitsberatung
Arbeit zitieren
Birte Erichsen (Autor:in), 2007, Tabakkonsum im Kontext des Selbstkonzepts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/145217

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