Lebensverlängernde Maßnahmen bei Sterbenden und Patienten mit infauster Prognose auf der Intensivstation


Seminararbeit, 2009

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Problemstellung

2. Historischer Wandel im Umgang mit schwerkranken Patienten

3. Die passive Sterbehilfe
3.1 Die infauste Prognose
3.2 Definition passive Sterbehilfe
3.3 Rechtliche Aspekte des ärztlichen Handelns in Zusammenhang mit lebensverlängernden Maßnahmen
3.4 Wirtschaftliche Aspekte
3.5 Problem der Abgrenzung zwischen aktiver, passiver und indirekter Sterbehilfe

4. Beispiel aus der Praxis

5. Die ethische Entscheidungssituation
5.1 Das moralische Dilemma
5.2 Die Entscheidung über Abbruch oder Weiterführung von lebenserhaltenden Maßnahmen
5.2.1 Der mutmaßliche Wille des Patienten ist bekannt
5.2.2 Der Wille des Patienten ist nicht bekannt
5.3 Die ethische Entscheidung des Arztes

6. Fazit

Quellen:

1. Problemstellung

Mit dem Ausbau der Intensivmedizin besitzen wir immer weitreichendere Möglichkeiten zur Behandlung von Schwerstkranken, Schwerstverletzten und Schwerstvergifteten.

Patienten mit lebensbedrohlichen Störungen vitaler Körperfunktionen befinden sich an der Grenze ihrer Existenzmöglichkeit und bedürfen daher einer fortlaufenden Überwachung, Pflege und Behandlung. Durch die Verfügbarkeit eines vielfältigen, für den Laien kaum vorstellbaren personellen und materiellen Aufwands lassen sich so Erfolge erzielen, an die man noch vor zwei Jahrzehnten kaum zu denken wagte. Die Lebenserwartung ist so in den letzten 120 Jahren um das Doppelte angestiegen.1

Angesichts der Apparatemedizin haben jedoch viele Patienten Angst vor Verlängerung des Lebens um jeden Preis. Typische Fragen, die sich an dieser Stelle ergeben, sind etwa:

Sollte eine Lebensverlängerung mit allen Mitteln und Konsequenzen durchgeführt werden?

Und werden neben Prinzipien der medizinischen Wissenschaft Dimensionen wie Würde der Person, Selbstbestimmungsrecht, Gemeinwohl und Individualität überhaupt genügend Beachtung geschenkt?

Diese Fragen spiegeln sich in einer veränderten Einstellung der Menschen zum Tode wieder. War die klassische große Sorge eines jeden Menschen, unvorbereitet und überraschend zu sterben, so überwiegt bei vielen heute die Angst vor einem lange dauernden Leiden, das sinnlos scheint.2

Bei der Untersuchung dieser Fragen soll es jedoch nicht um das Thema aktive Sterbehilfe gehen, sondern darum, wann eine Fortführung bestimmter Therapien das Leiden eines Menschen unnötig verlängert und deshalb eingestellt werden sollte.

Ich werde mich an dieser Stelle einzig auf lebensverlängernde Maßnahmen im intensivmedizinischen Bereich beziehen, also:

- Beatmungstherapie
- Kreislaufregulierende und aufrechterhaltende Medikamente
- Hämofiltration (CVVH bzw. CVVHD), also kontinuierliche Blutwäsche bei Nierenversagen
- Reanimation bei Herz- Kreislaufstillstand

Die Themen Neonatologie und Pädiatrie werde ich ausklammern, da diese Themen meiner Ansicht nach gesondert diskutiert werden sollten. Die Frage, ob bei Neugeborenen und Kindern im späteren Alter auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet werden sollte oder nicht ist besonders schwierig und konfliktreich, weil bei ihnen die Kompensations- und Regenerationsmöglichkeiten natürlich grösser sind.

Ich möchte herausarbeiten, ob es ethisch vertretbar ist, in allen Fällen alle medizinisch- technischen Möglichkeiten auszuschöpfen und so das Leben eines Menschen zu erhalten. Gibt es Situationen, in denen man einen Menschen sterben lassen darf oder sogar muss?

Wann und unter welchen Umständen darf und soll der Mediziner die Behandlung etwa mit Operationen, intensivmedizinischen Maßnahmen oder Medikamenten einstellen oder beschränken, wenn ein Aufhalten des Sterbens nicht zu erwarten ist?3

Es gibt kein Patentrezept zur Sicherung der Menschenrechte in der medizinischen Versorgung. Ziel dieser Arbeit soll sein, den Weg der Entscheidungsfindung für oder gegen passive Sterbehilfe unter ethischen Gesichtspunkten zu beleuchten.

2. Historischer Wandel im Umgang mit schwerkranken Patienten

Nach den wissenschaftstheoretischen Schriften des englischen Philosophen Francis Bacon (1561-1626) gab es drei Aufgaben der Medizin:

- Die Gesundheit erhalten
- Krankheiten heilen
- Leben verlängern

Unter Lebensverlängerung verstand Bacon ein längeres Leben in Gesundheit und nicht ein Hinauszögern des Sterbens. In seiner Arbeit über das Leben nach dem Tod erteilte er Ratschläge zur Lebensverlängerung. Er empfahl hierzu regelmäßigen Aderlass, Salpeter und die Einhaltung einer Diät.4

In seinem Universal- Lexikon von 1746 beschreibt Johann Heinrich Zedler den Sterbenden als einen, dem der Tod auf der Zunge sitze.[ &] Einem solchen Menschen könne man nichts besseres als einen sanften Tod wünschen.[ &] Angesichts eines solch elenden Zustandes habe man aber alle Mittel einzusetzen, wodurch der Tod erleichtert, beschleunigt und der Qual ein Ende gemacht werde .5

Die Anfänge der Intensivmedizin fanden im Jahr 1947 statt. Damals wurden 105 Polymyelitis- Patienten in einem Altonaer Krankenhaus in der sogenannten Eisernen Lunge beatmet.

Seitdem ist die Intensivmedizin immer weiter vorangeschritten. Anfang der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurden erfolgreich Techniken zur Wiederbelebung entwickelt. Überholte, eher empirische Verfahren wie die Beatmung durch Druck auf den Rücken wurden durch moderne, wissenschaftlich begründete Vorgehensweisen wie die Herzdruckmassage und Mund- zu- Mund- Beatmung ersetzt.6

Inzwischen hat sich die Intensivmedizin sehr weit entwickelt und perfektioniert. Die Erfolgsquote und Bandbreite der Erkrankungen, die heute behandelt werden können, ist stark gestiegen.

3. Die passive Sterbehilfe

3.1 Die inf auste Prognose

Bei Patienten mit infauster Prognose handelt es sich um Patienten, deren Prognose für ihren weiteren Handlungsverlauf sehr ungünstig ausfällt (lat.infaustus = ungünstig). Dies bedeutet, dass bei ihnen laut ärztlicher Erkenntnis trotz Therapie keine Aussicht auf Heilung besteht und sie aller Voraussicht nach in absehbarer Zeit sterben werden. Die Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sich für den Patienten hoffnungslos darstellt, alle weiteren Bemühungen, seine unheilbare Krankheit zu besiegen, werden definitiv zum Scheitern verurteilt sein.7

Es besteht immer eine minimale Möglichkeit, dass es sich um eine Fehlprognose handelt, deshalb darf niemals leichtfertig mit einer solchen Vorhersage umgegangen werden:

Ein unumkehrbarer Sterbeprozess ist durch ein fortschreitendes Versagen der lebenswichtigen Funktionen gekennzeichnet. Für die Feststellung des beginnenden Sterbeprozesses ist ein Konsens mehrerer behandelnder Ärzte und Pflegender zu treffen, gegebenenfalls aus verschiedenen Abteilungen.8

Nur wenn zuvor alles medizinisch mögliche für den Patienten getan wurde und seine Erkrankung dennoch einen tödlichen Verlauf nimmt, hat ein Therapieverzicht den Charakter der passiven Sterbehilfe.

3.2 Definition passive Sterbehilfe

Es geht bei der passiven Sterbehilfe um das Problem, ob stets alle technisch möglichen Maßnahmen zur Lebensverlängerung eingesetzt werden müssen, oder ob und in welchen Grenzen es erlaubte Passivität beim Sterben von Menschen gibt.

Wird eine lebensverlängernde Maßnahme abgebrochen, spricht man von passiver Sterbehilfe :

Es handelt sich hierbei um den Verzicht auf lebensverlängernde Behandlungsmaßnahmen, insbesondere auf die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung vitaler Funktionen durch intensivmedizinische Verfahren, bei progredienten Erkrankungen mit infauster Prognose.9

Die passive Sterbehilfe bezieht sich also sowohl auf den Abbruch begonnener Maßnahmen (wie etwa Beatmung oder Hämodialyse) als auch auf das Nicht- Beginnen einer lebensverlängernden Therapie. Allerdings ist es immer schwerer, eine einmal begonnene Behandlung zu beenden, als sie gar nicht erst zu beginnen.

Das Wort passiv soll in diesem Zusammenhang keinesfalls bedeuten, dass der Arzt dem Kranken und seinem Leiden gegenüber eine passive Handlung an den Tag legt, sondern dass es vielmehr um das Sterbenlassen geht.10 Dies bedeutet also nicht nichts tun , sondern nichts mit dem Ziel der Lebensverlängerung tun , dafür aber alles mit dem Ziel der Leidensminderung.

3.3 Rechtliche Aspekte des ärztlichen Handelns in Zusammenhang mit lebensverlängernden Maßnahmen

Aufgabe des Arztes ist es, unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen, wieder herzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen. Die är]ztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung besteht daher nicht unter allen Umständen.11

Liegt weder vom Patienten noch von einem gesetzlichen Vertreter oder einem Bevollmächtigten eine bindende Erklärung vor und kann eine solche nicht - auch nicht durch Bestellung eines Betreuers - rechtzeitig eingeholt werden, so hat der Arzt so zu handeln, wie es dem mutmaßlichen Willen des Patienten in der konkreten Situation entspricht. Der Arzt hat den mutmaßlichen Willen aus den Gesamtumständen zu ermitteln. Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen des Patienten können neben früheren Äußerungen seine Lebenseinstellung, seine religiöse Überzeugung, seine Haltung zu Schmerzen und zu schweren Schäden in der ihm verbleibenden Lebenszeit sein. In die Ermittlung des mutmaßlichen Willens sollen auch Angehörige oder nahe stehende Personen als Auskunftspersonen einbezogen werden, wenn angenommen werden kann, dass dies dem Willen des Patienten entspricht.12

Bei bereits Sterbenden, meint der Deutsche Ärztetag, dürfe ein Arzt auf mögliche Maßnahmen der Lebensverlängerung verzichten, um damit einen sicher bevorstehenden Tod nicht hinauszuzögern, wenn er nach gewissenhafter Abwägung sicher sein kann, dass diese Entscheidung dem erklärten oder aus der Gesamtheit der Umstände zu entnehmenden Willen des Kranken entspricht.

Rechtlich gesehen handelt es sich hierbei um passive oder indirekte Sterbehilfe, die keine juristischen Sanktionen nach sich zieht. Jedoch ist die Grenze zu unterlassener Hilfeleistung mitunter schwer zu ziehen.

Der anerkannte Intensivmediziner und Universitätsprofessor Gunter Kleinberger zieht sie zwischen passiven Maßnahmen und einer aktiven Lebensverkürzung: Diese Grenze darf der Mensch niemals überschreiten , sagt er.

Allerdings verschwimmt diese Grenze des Erlaubten zwangsläufig auf Intensivstationen, wo das Leben von Maschinen überantwortet wird. Denn wurden die Apparate, die Herz oder Lunge ersetzen, einmal eingeschaltet, müsste man sie bewusst wieder abschalten.13

Fragen im Zusammenhang mit der Beendigung bzw. Nichteinleitung lebenserhaltender Maßnahmen sind für die an der Entscheidung beteiligten Ärzte häufig mit erheblicher Unsicherheit verbunden. Eine gesetzliche Regelung, wie sie vom Bundesjustizministerium angestrebt wird, könnte für mehr Klarheit und Rechtssicherheit aller Beteiligten führen.

[...]


1 Fritsche, S. 5

2 Bischof Küng (2008)

3 Bottke/Fritsche/Huber

4 Organ, S. 25- 26

5 Baumgarten, S. 138

6 Kettler/ Mohr, S. 1

7 Conradi, S. 145

8 www.divi-org.de/.../DIVI-Stellungnahme_20Versorgun g_20Sterbender.pdf

9 http://www.palliativ-celle.de/fv-hp-grenzen.htm#grenzen

10 Baumgarten, S. 152

11 Auszug aus den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.7.47.3230

12 Auszug aus den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.7.47.3230

13 Langbein/ Skalnik, S. 65

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Lebensverlängernde Maßnahmen bei Sterbenden und Patienten mit infauster Prognose auf der Intensivstation
Hochschule
Evangelische Hochschule Berlin
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
17
Katalognummer
V145155
ISBN (eBook)
9783640614851
ISBN (Buch)
9783640615483
Dateigröße
528 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lebensverlängernde, Maßnahmen, Sterbenden, Patienten, Prognose, Intensivstation
Arbeit zitieren
Saskia Horn (Autor:in), 2009, Lebensverlängernde Maßnahmen bei Sterbenden und Patienten mit infauster Prognose auf der Intensivstation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/145155

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