Poetik des Rap? Gernespezifische Merkmale französischer Rap-Lyrics


Examensarbeit, 2009

93 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlagen der Arbeit
2.1. Abgrenzung Populärkultur - Hochkultur
2.2. Begriffserklärung Rap
2.2.1. Genreerläuterung des Raps
2.3. Rap als Forschungsgegenstand
2.3.1. Erläuterung der Cultural Studies
2.3.1.1. Rap als Forschungsgegenstand der Cultural Studies
2.3.2. Erläuterung des Neopragmatismus
2.3.2.1. Neopragmatismus und Rap
2.3.1. Rap- Lyrics als Beispiel postmoderner Poesie
2.4. Erläuterungen zum Poetikbegriff
2.4.1. Begriffserklärung Poetik
2.4.2. Entstehung der Poetik
2.4.3. Entwicklung des Poetikbegriffs
2.4.3.1. Poetikauffassung im Mittelalter
2.4.3.2. Poetikauffassung in der Renaissance
2.4.3.3. Poetikauffassung im 17. Jahrhundert
2.4.3.4. Poetikauffassung während der Aufklärung
2.4.3.5. Poetikauffassung in der Moderne
2.4.3.6. Poetikauffassung im 20. Jahrhundert
2.4.3.7. Poetikauffassung in der Postmoderne

3. Untersuchungsgegenstand französische Rap-
3.1. Begriffserklärung Hip Hop- Kultur
3.2. Entstehung und Entwicklung des Raps
3.2.1. Entstehung des Raps in den USA
3.2.2. Entwicklung des Raps in Frankreich
3.3. Subgenres des französischen Raps
3.3.1. Commercial- Rap und Underground- Rap
3.3.2. Cool- Rap und Hardcore- Rap
3.3.3. Gangsta- Rap
3.3.4. Frauen- Rap

4. Auswertung von Interviews mit Rap- Künstlern und Textanalyse verschiedener Rap- Lyrics
4.1. Auswertung der Interviews
4.1.1. Thematik
4.1.1.1. Integrität
4.1.1.2. Eigene Kultur, Herkunft
4.1.1.3. Banlieue, Urbanismus
4.1.1.4. Globalisierung, Politik
4.1.1.5. Sozialkritik
4.1.1.6. „Egotrip“
4.1.1.7. „Rap de droite“ - „Rap de gauche”
4.1.2. „Flow“
4.1.3. Rhetorische Mittel
4.1.4. Linguistische Auffälligkeiten
4.1.5. Ermittelte Kriterien
4.2. Textanalyse verschiedener Rap- Lyrics
4.2.1. Thematik
4.2.1.1. Bezug zur Hip Hop- bzw. Populärkultur
4.2.1.2. „Egotrip“
4.2.1.3. Soziales Umfeld
4.2.1.4. Sozialkritik
4.2.1.5. Ursprungskultur
4.2.1.6. Drogen
4.2.2. Rhetorische Mittel
4.2.2.1. Tripelreime
4.2.2.2. Paarreim
4.2.2.3. Kreuzreim
4.2.2.4. Haufenreim
4.2.2.5. Umarmender Reim
4.2.2.6. Assonanz und Alliteration
4.2.3. Weitere literarische Stilmittel
4.2.3.1. Metapher
4.2.3.2. Personifikation
4.2.3.3. Vergleich
4.2.3.4. Wiederholung
4.2.4. Linguistische Auffälligkeiten
4.2.4.1. Argot
4.2.4.2. Populär- bzw. hip hop- kulturelle Referenz
4.2.4.3. Verlan
4.2.4.4. Code- Switching
4.2.5. Einfluss der Stilmittel auf den „Flow“
4.2.6. Ermittelte Kriterien der Lyric- Analyse und Vergleich mit den ermittelten Kriterien der Interview- Analyse

5. Schlussfolgerung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Qui veux m'enseigner mon art

Va te renseigner moi j'ai tout vu et entendu Du haut de mon arbre

Le rap c'est mon art

Tu finiras par remarquer1

Ziel dieser Arbeit ist es, eine Poetik des Raps zu erstellen. D. h., genrespezifische Merkmale französischer Rap- Lyrics zusammenfassend darzustellen, die es ermöglichen ein Rap- Lied zu bewerten.

Dies bedeutet, dass die Möglichkeit einer Verbindung von französischem Rap, verfasst von jugendlichen Angehörigen der Hip Hop- Kultur, die meist aus einem sozial schwächeren Umfeld mit Migrationshintergrund stammen, mit dem Poetikbegriff, der in der Vergangenheit ausschließlich in Zusammenhang mit literarischer Kunst der Hochkulturen gesetzt wurde, aufgewiesen werden soll.

Auch angesichts der Tatsache, dass sich das PopulärkulturForschungsfeld und im speziellen die Rap- Forschung in den Anfängen bzw. im Etablierungsprozess befindet, ist es eine besondere Herausforderung, den seit der Antike in der Elitekultur und in der Forschung etablierten Forschungsgegenstand der Poetik in der Art einer Poetik des Raps mit dem Rap zu verbinden.

Hierzu werden zunächst in Kapitel zwei die theoretischen Grundlagen dieser Arbeit erläutert, die die Erstellung einer Poetik des Raps rechtfertigen. Zunächst wird der Gegensatz der Populärkultur und der Hochkultur dargestellt.

Anschließend wird der Begriff Rap erläutert, um im Unterkapitel 2.3. auf den Rap als Forschungsgegenstand eingehen zu können. Dabei werden die Cultural Studies erläutert, die sich mit der Sub- und Populärkulturforschung befassen und Pioniere in der Rap- Forschung sind. Des Weiteren wird der neopragmatische Ansatz dargelegt, der sich mit den Demokratisierungsprozessen von Kunst und Kultur in der Postmoderne befasst und Grundlagen zur Rechtfertigung der Anerkennung von subkulturellen Erzeugnissen, speziell des Raps, als Kunst bildet. Daraufhin werden Rap- Lyrics als Beispiel postmoderner Poesie dargestellt.

Abschließend wird der Poetikbegriff erklärt, und seine wesentlichen Charakteristika beschrieben. Um die Veränderungen der Auffassung des Poetikbegriffs in der Gesellschaft und die damit verbundene Möglichkeit der Anwendung des Begriffs auf subkulturelle literarische Phänomene und nicht mehr nur auf hochkulturelle literarische Erzeugnisse aufzuweisen, wird anschließend auf die Entstehung des Begriffs in der Antike und seine weitere Entwicklung und gesellschaftliche Rezeption bis in die Postmoderne eingegangen.

In Kapitel 3 wird der Forschungsgegenstand Rap untersucht. Da der Begriff Rap bereits in Kapitel zwei erläutert wurde, wird zunächst der Begriff Hip Hop- Kultur und dessen Komponenten erläutert und schließlich auf die Entstehung des Raps in den USA und seine Entstehung und Entwicklung in Frankreich eingegangen. Ergänzend dazu wird eine Übersicht über die verschiedenen Rap- Arten gegeben, die sich in Frankreich als eigenständige Subgenres entwickelt und etabliert haben.

In Kapitel 4 werden zunächst verschiedene Interviews französischer Rapper und Rapperinnen ausgewertet. Das Ziel hierbei liegt darin, die Relevanz verschiedener Kriterien für die Erstellung eines guten Rap- Liedes, dem Urteil der Künstler selbst folgend, ausfindig zu machen. Dabei wird der Schwerpunkt auf die Thematik der Lieder, die rhetorischen Mittel, den „Flow“ und die linguistischen Auffälligkeiten gelegt.

Anschließend folgt eine vergleichende Textanalyse verschiedener Rap- Lyrics. Der Analyse- Corpus besteht aus 30 Liedern. Es wurden 5 Lieder pro Gruppe bzw. Rapperin willkürlich ausgewählt. Insgesamt wurden Rap- Lyrics von drei Rap- Gruppen und drei Rapperinnen analysiert. Hierbei wurde der Schwerpunkt wie in der Interviewauswertung auf die Thematik der Lyrics, die rhetorischen Mittel, den „Flow“ und die linguistischen Auffälligkeiten geleg, um Merkmale festzustellen, die sehr häufig angewandt wurden und zu einer Poetizität der Lyrics beitragen.

Abschließend werden die ermittelten Merkmale der Interviewanalyse und der Textanalyse verglichen, um die prägnantesten Kriterien in einer Poetik des Raps festzuhalten.

2. Theoretische Grundlagen der Arbeit

In diesem Kapitel werden die theoretischen Grundlagen dieser Arbeit vorgestellt, die die Legitimation des Raps als Forschungsgegenstand liefern sollen und gleichzeitig die Eingrenzung des Rap- Begriffs als postmoderne Lyrik ermöglichen, um die Verbindung des Poetikbegriffs mit dem des Raps zu rechtfertigen.

Hierzu wird zunächst der Begriff Rap erläutert und anschließend die Cultural Studies vorgestellt, die Raum für die Forschung im Hip Hop- und Rap- Bereich bieten. Des Weiteren wird der Neopragmatismus erläutert, der die Basis zur Einordnung des Raps in die Kunstkategorie schafft, um daraufhin Rap als postmoderne Poesie darstellen zu können. Schließlich wird der Poetikbegriff erläutert und, für die Erstellung einer Poetik des Raps relevante, Aspekte einer Poetik vorgestellt. Um die Veränderungen der Rezeption des Poetikbegriffs und die vermehrte Akzeptanz subkultureller Phänomene in hochkulturellen Bereichen aufzuweisen, werden die Entstehung und die Entwicklung der Poetik, im Hinblick auf Demokratisierungsprozesse erläutert, die die Verbindung von Poetik und Rap legitimieren. Abschließend wird die Textanalysemethode vorgestellt, mit deren Hilfe die Interviews und französischen Rap- Lyrics bearbeitet werden, mit dem Ziel genrespezifische Merkmale aufweisen zu können, die es ermöglichen einen qualitativ hochwertigen Rap- Song zu verfassen.

2.1. Abgrenzung Populärkultur- Hochkultur

War der Zugang zur Codierung des abendländischen Weltbildes über Jahrhunderte hinweg durch Bildungsschranken bzw. Schrift- wie Bildexegese geregelt und gesichert, so stehen die Fragmente dieser Vor- und Darstellungen inzwischen jedem und überall zur eigenen Bedeutung zur Verfügung. Werbung, Alltags-, Pop- und Subkulturen nutzen nicht nur zentrale christologische Metaphern, sondern greifen auch tief in die Kiste magisch mythologischer Zeichen und Rituale. ( Kimminich 2007: 10)

Bereits in der Antike entstand ein Kulturverständnis, das sich vom Naturbegriff abhebt. Es setzte sich die Denkweise durch, dass das Wilde und Primitive durch Kultur gebändigt werden muss und dass das Unkultivierte dem Kultivierten unterliegt. Kultur stand stets mit Bildung und Wissen in Verbindung, und wurde mit dem Begriff der Hochkultur gleichgesetzt, der die Kultur der führenden Gesellschaftsschicht, beispielsweise des Adels, bezeichnet von der Polarisierung und Normierung ausgeht. Polarisierung in dem Sinne, dass dem Kultivierten das Unkultivierte, der oberflächlichen Zivilisation die wahre Kultur und der gehobenen Bildung die seichte Unterhaltung gegenübergestellt wird. Normierung in dem Sinne, dass die führende Gesellschaftsschicht vorgibt, was erlaubt und angesehen ist.

Neben der Hochkultur prägte sich erst im 20. Jahrhundert die Populärkultur aus, die als Kultur der Arbeiterklasse beschrieben werden kann, die sich mit populären Formen der Unterhaltung wie Trivialliteratur, Varietétheater, Musicals und TV-Serien und symbolische Praktiken der Jugendkultur darstellt. Populärkultur steht im 20. und 21. Jahrhundert folglich im Gegensatz zum Bildungsbürgertum. (Vgl. Sommer 2003:15)

Jahrhunderte lang herrschte folglich die Dominanz einer kleinen gesellschaftlichen Elite über die Entfaltung der Kreativität und das Schaffen von Kunst, was nur eben dieser gestattet war. Kunst und Kultur bekommen jedoch in unserer heutigen Zeit eine gänzlich neue Wertzuschreibung. Dienten sie einstmals der Zivilisierung von Natur und Mensch und spiegelten die Herrschaftsverhältnisse der Gesellschaft wieder, bieten sie heute Raum zur Entfaltung individueller Kreativität.

Der Zugang zu Wissen ist in der Zeit der Massenmedien jedem möglich und die Ausprägung von Sub-, Jugend- und Populärkulturen, und die von ihnen produzierte Kunst, ist heute stärker als je zuvor und verdeutlicht den gesellschaftlichen Demokratisierungsprozess, der die lange Zeit herrschende Dominanz der gesellschaftlichen Elite durchbricht. (Kimminich, 2007: 10)

Kultur und die damit verbundene Kunst vermittelt, aufgrund der mit ihr stark in Verbindung stehenden menschlichen Kommunikation, individuelles und soziales Wissen. Dies bedeutet, dass auch Subkulturen wie die Hip Hop- Bewegung diese Wissensvermittlung praktizieren. Im speziellen Fall der Hip Hop- Kultur werden die technologischen und medialen Möglichkeiten der Postmoderne in idealster Weise genutzt, wobei der Körper und die Interaktivität im Mittelpunkt stehen.

Dass sich Subkulturen wie die Hip Hop- Bewegung in unserer Zeit so weit verbreitet vorfinden und solch große Popularität genießen liegt an den sich seit dem 2. Weltkrieg veränderten Sozialstrukturen.

Die jeweils nachwachsende Generation ist eine wichtige Zielgruppe der Gesellschaft. Sie unterlag in Mitteleuropa seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert verschiedenen Konzeptualisierungen, die die jeweiligen Erwartungen, Persönlichkeitsraster, Körperkonzepte, Geschlechterrollen sowie pädagogischen Zielsetzungen und Bildungsmethoden prägten. […] Seit dem 2. Weltkrieg haben sich durch politische, gesellschaftliche und ökonomische Umbrüche sowie durch technologische Entwicklungen Lebens- und Lernbedingungen sowie Sozialstrukturen grundlegend verändert. (Kimminich 2007: 11)

Jugendliche verbringen heute viel mehr Zeit mit Freunden als mit der Familie. Sie bilden häufig Gruppen und ringen in diesen Gemeinschaften nach Anerkennung, indem sie sich als besonders kreativ, flexibel oder einzigartig erweisen. „Zur Selbsterhaltung tritt Selbstgestaltung.“ (Kimminich 2007:11) Diese Selbstgestaltung treibt Jugendliche oftmals dazu, bereits vergessen geglaubtes Wissen verschiedener Kulturen der Aktualität anzupassen und ihm neuen Charakter zu verleihen, dieses Phänomen nennt man kulturelles Recycling, das in der Postmoderne große Ausmaße annimmt. Ideen und Vorstellungen werden schließlich mit Hilfe von Medien festgelegt und sind auf diese Weise für jeden zugänglich und interaktiv nutzbar. Erneute Veränderungen des kreativen Konsumenten sind nicht auszuschließen, die einen großen Teil der postmodernen Populär-, Sub- und Jugendkultur und deren interne Veränderungen beeinflussen können.

Das macht auch deutlich warum sich Elite- von Populär-, Sub- und Jugendkulturen differenzieren bzw. dieselben vereinnahmen und Anspruch auf ein Vorrecht auf Kreativität bzw. Bewertung von Kreativität erheben müssen, obwohl sie sich dabei seit jeher an den Innovationen anonymisierter Populär- und Subkulturen inspirier(t)en. (Kimminich 2007: 12)

Wie bereits erwähnt hatten die gesellschaftlichen Demokratisierungsprozesse der letzten Jahrhunderte im Bereich der Kultur die Ausprägung und Entwicklung von Jugend-, Sub- und Populärkulturen zur Folge und eröffneten folglich neue Forschungsbereiche. Im Folgenden wird eine Komponente der Hip Hop- Kultur näher betrachtet, der Rap, der nun erläutert wird.

2.2. Begriffserklärung Rap

„To rap heißt übersetzt nichts anderes als „schwatzen“, „quatschen“.“ (Hüser 2004: 3)

Es handelt sich hierbei um die populärste, die sprachliche Komponente der Hip Hop- Kultur. Bei dieser Kultur handelt es sich um ein populärkulturelles Phänomen, welches vier Bestandteile umfasst, worauf im Folgenden näher eingegangen werden soll.

Rap ist Sprechgesang, der Ende der 1970er-Jahre in der Discoszene New Yorks entstand. Zunächst als Ansagetechnik der Discjockeys, die schnelles Sprechen mit dem Scratching2 verbanden3, schnell entwickelte sich jedoch ein eigener Musikstil daraus, der für gewöhnlich aus einem Beat, einem monotonen Rhythmus im 4/4 Takt und einem darüber gesprochenen - gerappten -Text [besteht]. Während der Disc Jockey (DJ) den Beat per Platte abspielt, trägt der Rapper seinen Text vor. Instrumente außer dem Mund und dem Plattenspieler sind nicht üblich.“ (Peters 2002: 3)

2.2.1. Genreerläuterung des Raps

Im Laufe der Zeit entwickelten sich mehrere Subgenres in die sich der Rap unterteilen lässt. Je nach Thematik, die der Rapper bzw. die Rapperin aufgreift, kann es sich hierbei um Battle-Rap4, Freestyle-Rap5, Storytelling-Rap6, Gangster-Rap7, Frauen-Rap oder Message -Rap8 handeln. Werden jugendfreie Themen aufgegriffen handelt es sich hierbei um den so genannten „coolen“ Rap, werden Themen unverblümter behandelt nennt man dies „hardcore“ Rap.

Im Allgemeinen ist der Rap sehr komplex, die musikalische Komponente, der Vortrag und die Lyrics sind eng miteinander verbunden und die Fähigkeiten eines Rappers messen sich an eben diesen. Jedes Lied beinhaltet eine bestimmte Art des Vortrags, der Sprechgeschwindigkeit, der Pausen und der Betonungen. Im Gegensatz zur Lyrik ist im Rap stets der Verfasser und der Interpret die gleiche Person, um die Authentizität zu gewähren. (Vgl. Peters 2002: 4) Da es zu komplex wäre auf jede Komponente des Raps einzugehen beschränkt sich der folgende Text auf die Lyrics.

2.3. Rap als Forschungsgegenstand

Im Vergleich zu den Veröffentlichungen und der Forschungsentwicklung im Bereich der amerikanischen Rap-Szene, steht die Forschungsentwicklung im Bereich der französischen Rap- Szene noch in den Anfangszügen, in den letzten Jahren nahm sie jedoch stark zu. (Vgl. Hüser 2004: 4-5) Auch die deutschsprachige Forschung im Bereich der französischen Rap-Musik ist noch nicht sehr weit fortgeschritten, nimmt jedoch stetig zu und es gibt auch hier bereits zahlreiche Veröffentlichungen zu diesem Thema, die dazu beitragen, die Rap-Musik als ernstzunehmendes Forschungsfeld zu etablieren. Demnach wächst auch ständig die Nachfrage seitens Lernender und Lehrender. (Vgl. Hüser 2004: 7)

Die deutschsprachige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit französischen Rap-Lyrics befindet sich wie oben erwähnt noch in den Anfängen und im Etablierungsprozess, Die Einrichtung der Cultural Studies, die die Sub-und Populärkultur- Forschung etablierte bietet Aktionsraum für die Rap-Forschung und treibt sie somit voran. Sie soll im Folgenden vorgestellt werden um die Legitimation der Untersuchung dieses Bereichs in dieser Arbeit zu liefern und den wissenschaftlichen Rahmen zu bilden. Anschließend soll der Neopragmatismus erläutert werden, der die Möglichkeit und die Relevanz der Einordnung von Rap als Kunst bzw. Poesie fundiert, um somit die Grundlage der Erstellung einer Poetik des Raps zu schaffen.

2.3.1. Erläuterung der Cultural Studies

Die Ausprägung von Populär- und Subkulturen, die bereits in Abschnitt 2.1. angesprochen wurden, forderten die Etablierung neuer Forschungsbereiche und -methoden im wissenschaftlichen Sektor. Hierfür wurde das „Birmingham Center for Contemporary Cultural Studies“ (CCCS) im Jahre 1964 gegründet. Zunächst nur in England vertreten, breitete sich dieser Wissenschaftszweig in den 1980er Jahren auch in Amerika und anderen englischsprachigen Ländern wie Australien und Kanada aus. Auch im restlichen Europa fanden die Cultural Studies ihre Anhänger, in den 1990er Jahren waren sie zunächst vermehrt in Österreich, dann auch in Deutschland angekommen.

Der Schwerpunkt der Forschung wird im CCCS auf die proletarische (Alltags-) Kultur und deren politische und soziale Auswirkungen gelegt, da die Populär- und Subkulturen in der heutigen Gesellschaft hohe Relevanz haben. "Es ist den Cultural Studies zu verdanken, dass die Analyse der Populärkultur ein wichtiges und ernst zu nehmendes Thema geworden ist.“ (Winter 2001: 7)

In den Cultural Studies werden neue Herangehensweisen an Probleme verschiedenster Disziplinen entwickelt, darunter finden sich die Bereiche Soziologie, Philosophie, Ethnologie, Medien- und Kommunikationswissenschaft, Germanistik, Sportwissenschaft, Erziehungswissenschaft, kritische Theorie und Kulturwissenschaft. Bei Problemen in diesen Disziplinen, die aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen nicht mit traditionellen Verfahren gelöst werden können, bieten Cultural Studies adäquate Lösungsvorschläge durch das Analysieren von kulturellen Praktiken und Machtverhältnissen innerhalb der Kulturen, mit dem Verständnis, dass der Populärkultur die Rolle der determinierten Instanz zugeschrieben wird, die im Spannungsverhältnis zur determinierenden Hochkultur steht und sich im Kampf um Demokratisierung befindet.

Empirische Untersuchungen werden mit theoretischen Reflexionen verbunden.

Cultural Studies kann als intellektuelle Praxis benannt werden, die beschreibt wie das alltägliche Leben von Menschen (everyday life) durch und mit Kultur definiert wird, und die Strategien für eine Bewältigung seiner Veränderungen anbietet. (Lutter, Reisenleitner 2002: 9)

D.h., es werden hier soziale Auseinandersetzungen, Konflikte und Alltagsprobleme im 21. Jahrhundert behandelt, wobei Kultur als Alltagspraxis angesehen wird und nicht als Bezeichnung alles Wahren und Schönen. Unter Berücksichtigung von Strukturen und der Dynamik wird der Alltag, was den historischen, kulturellen, politischen und ökonomischen Hintergrund betrifft, hier erforscht.

Cultural Studies sind ein Beispiel dafür, dass Forschungsfragen, Forschungsmethodologien und Forschungsinteressen durch soziale, politische und historische Gegebenheiten beeinflusst werden. Die Forschung ist ein Teil der Realität und wird von ihr erzeugt. Dass man die dominante Kultur und die Sub- bzw. Populärkulturen mit ihren aktuellen Konflikten und Spannungen thematisiert und somit als Forschungsgegenstand und relevantes gesellschaftliches Thema hervorhebt, ist den Mitgliedern der Cultural Studies durchaus bewusst und erwünscht.

Ihre Perspektive ist immer auch die „von unten“, die das Leiden an der Gesellschaft, das Elend der Welt, registriert, analysiert, gleichzeitig aber auch Möglichkeiten von Utopie und gesellschaftlicher Transformation aufzeigen möchte. (Kimminich 2007: 23)

Cultural Studies möchte also eine Kritik der Macht mit Möglichkeiten der Intervention verbinden und sie finden gerade im politisch linken Bereich großen Anklang: „John Fiske begreift also Cultural Studies als kritische Theorie, deren Ziel ein gesellschaftlicher Wandel zu mehr Demokratie und Gerechtigkeit ist.“ (Winter 2001: 14)

Dieses, von John Fiske erwähnte Ziel, erklärt sich auf die Weise, dass die beginnende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Alltagskulturen eben diesen einen, der Hochkultur ebenbürtigen, Status verleiht. Somit könnten hochkulturelle Instanzen geschwächt werden und Subkulturen gestärkt werden. Und durch die damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen werden Demokratisierungsprozesse verstärkt, da die Subkulturen nicht nur die Macht der Hochkultur in Frage stellen könnten sondern die ganze gesellschaftliche Situation und Struktur.

Der demokratische Ansatz wird auch in folgendem Zitat deutlich:

Jedermann sollte als Produzent und Konsument von Kultur gleichermaßen ernst genommen werden, und der Wissenschaftsbetrieb musste sich populärkultureller Formen ebenso annehmen wie hochkultureller. (Winter 2001: 12)

2.3.1.1. Rap als Forschungsgegenstand der Cultural Studies

Eine wichtige Komponente der Populärkultur ist die populäre Musik, welche zentraler Forschungsgegenstand der Cultural Studies seit ihren Anfängen ist. Dementsprechend ist die Hip Hop- Kultur und die damit verbundene Rapmusik ein Bestandteil ihrer Forschung. „Rapmusik und die Praktiken der Hip Hop- Kultur können eingesetzt werden, um eine eigene Identität zu entwickeln und der dominanten sozialen Ordnung zu widerstehen.“(Androutsopoulos 2003: 7) In den frühen Anfängen der Hip Hop- Bewegung waren es junge Afroamerikaner, die die Rapmusik als Sprachrohr nutzten und mit deren Hilfe sie auf ihre meist desolate soziale Situation aufmerksam machten und machen und gleichzeitig gegen soziale Missstände, wie Rassismus und Unterdrückung, protestieren. Die Verbreitung des Hip Hop in andere Länder bot auch dort sozial Schwächeren eine Plattform um ihre Gefühle und Anliegen zum Ausdruck zu bringen. „Ergänzend kritisieren Rap- Künstlerinnen Sexismus, appellieren an die weibliche Solidarität und entwerfen Bilder von Frauen, die ihre eigene Sexualität kontrollieren.“(Androutsopoulos 2003: 7) Im Allgemeinen bietet Hip Hop Menschen der ganzen Welt die Möglichkeit miteinander zu kommunizieren und sich über die gemeinsam erlebten Situationen, beispielsweise die Machtverhältnisse unter postkolonialen Bedingungen, auszutauschen. Zusätzlich bietet er Raum indem diese Machtverhältnisse offen kritisiert werden können und Widerstand thematisiert wird.

Hip Hop schließt an Schlüsselthemen der Cultural Studies an: Die Herausbildung jugendlicher Subkulturen, die Rolle von Medien in der kulturellen Entwicklung, das Verhältnis von Globalisierung und Lokalität in der Erforschung von Medienaneignung. (Androutsopoulos 2003: 13)

Dass Hip Hop sich auch außerhalb der USA sehr weit verbreitete zeigt, dass die Medienaneignung die Entwicklung von Jugend- und Subkulturen entscheidend antreibt und folglich diesbezüglich besondere Relevanz beinhaltet. „Tonträger, Filme, Musikfernsehen und andere Medien waren die Auslöser für die produktive Aneignung der Kultur in neuen Kontexten […] “ (Androutsopoulos 2003:13) und bringen die Forschungsrelevanz in diesem Bereich mit sich.

2.3.2. Erläuterung des Neopragmatismus

Der Neopragmatismus ist eine Philosophie, die Denkweisen des Pragmatismus fortsetzt, wobei man den Pragmatismus als Philosophie beschreiben kann, die Ende des 19. Jahrhunderts bis Mitte des 20. Jahrhunderts in den USA weit verbreitet war und das Handeln und dessen Ergebnis als wichtiger als das Denken einstuft. (Vgl. Bünting 1996: 883)

Das Wissen bezieht sich hier auf handelnde Menschen und ist von ihnen und durch praktische Experimente ableitbar.

Der Neopragmatismus hat viele Vertreter, die verschiedene Richtungen einschlagen, verallgemeinert kann festgestellt werden, dass sie den Pragmatismus am Ende des 20. Jahrhunderts und im beginnenden 21. Jahrhundert weiterführen und dabei stets das Handeln in den Mittelpunkt stellen. Gesellschaftliche und politische Aspekte werden reflektiert und somit neue Erkenntnisse erreicht. Dabei darf nie die Realität aus den Augen verloren werden. Sich in Vorstellungen von möglichen Ereignissen zu verlieren, wie es früher in der Philosophie üblich war, ist exakt das, was der Neopragmatismus nicht beabsichtigt. (Vgl. Hickman 2007: 59)

Folglich ist auch die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Subkulturen und der Hochkultur und den damit verbundenen Demokratisierungsprozessen einer Gesellschaft ein Teilbereich des Neopragmatsimus, da sich gerade in der Ausprägung von Sub-, Jugend- und Populärkulturen neue Verhaltensweisen und Veränderungen der Gesellschaft bemerkbar machen, aus denen neues Wissen erlangt werden kann.

Die neopragmatische Auseinandersetzung mit der Hip Hop- Kultur, und deren Teilbereich des Raps, war folglich zu erwarten, der Versuch des Neopragmatikers Richard Shusterman Rap als postmoderne Kunst zu bezeichnen erscheint nicht sofort als einleuchtend und soll im Folgenden erläutert werden um die Verbindung von Rap und Poetik und die Bezeichnung von Rap als postmoderne Poesie (d.h. literarische Kunst) zu fundieren.

2.3.2.1. Neopragmatismus und Rap

Im Allgemeinen hat Rap den Ruf oberflächlich, monoton und anspruchslos zu sein, was auf einige Künstler zutreffen mag, wenn man jedoch den Focus auf bestimmte Interpreten legt erkennt man, dass hier ein großes künstlerisches Potential vorhanden ist. Dafür sprechen die linguistischen Feinheiten und die zahlreichen verschiedenen Bedeutungsebenen mit hoher Komplexität, Zweideutigkeit und Intertextualität, die der so genannten hohen Kunst Konkurrenz machen können und auch die häufige Verwendung von Ausdrücken, die nur von zur Szene gehörenden Hörern entziffert werden können. Die Tatsache, dass beim Rap durch das Schneiden, das Mixen, das Scratchen und das Sampeln aus alten Liedern neue Hits entwickelt werden, statten diese Musikrichtung mit einer Vielfalt von Appropriationsformen9 aus, die genauso vielschichtig und einfallsreich sind wie die Gestaltungsformen der hohen Kunst. Mit der Methode des Sampelns beispielsweise macht der Rapkünstler deutlich, dass die Glaubwürdigkeit eines Kunstwerks niemals die Möglichkeiten der Wieder- und Weiterentwicklung dieses Werks ausschließt. Rap beinhaltet auch zahlreiche andere recycelte Kulturgegenstände, darunter findet sich klassische Musik, Titellieder von TV Sendungen, Titelmusik von Computerspielen, Ausschnitte aus aktuellen Nachrichten oder aus öffentlichen Reden bekannter Persönlichkeiten wie z.B. Melcolm X und Martin Luther King.

Diese Appropriationsformen des Rap sind vergleichbar mit postmodernem künstlerischem Schaffen eines Andy Warhol der Werbebilder druckt oder eines Duchamp, der die postmoderne Mona Lisa mit Schnurrbart schuf. Die Konstruktionsprinzipien des Rap beruhen folglich auf dem Prinzip der Wiederverwertung und Rapmusik erscheint zuerst einmal als eine weitere Form des Kulturrecyclings, wie sie für postmodernes Kunstschaffen - Richard Shusterman setzt voraus, dass es ein solches gibt - kennzeichnend ist.

Rap, als postmoderne Kunst, mit seinen vielen Gestaltungsformen verdeutlicht auch die Unterschiede, die zwischen Moderne und Postmoderne vorliegen. Kunst musste in der Moderne original und einzigartig sein, die Mitglieder der Avantgarde10 glaubten, dass radikale Neuheit das essentielle an Kunst sei, obwohl Künstler seit jeher kopierten, was zu dieser Zeit jedoch außer Acht gelassen wurde. Die postmoderne Kunst, wie der Rap, beweisen jedoch, dass das Ausleihen sowie das Kopieren und das Kreieren sowie das Erschaffen sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern dass sie sogar miteinander vereinbar sind und sich ergänzen. In der Postmoderne gibt es keine ultimativen, unerreichbaren Originale, es gibt nur Appropriationen von Appropriationen. In der Postmoderne ist es folglich möglich, dass sich Künstler mit bekannten Kreationen auseinandersetzen, sie wiederverwerten oder sich davon inspirieren lassen, ohne dabei befürchten zu müssen, dass ihr Werk als unkreativ und nicht kunsttauglich anerkannt wird, einzig aus dem Grund, dass es sich nicht mit einem neuen, originalen Thema befasst.

If Rap’s freewheeling eclecticism violates high modernist conventions of aesthetic purity and integrity, its belligerent insistence on the deeply political dimension of culture challenges one of the most fundamental artistic conventions of modernity: aesthetic autonomy. (Shusterman 2000: 72)

Des Weiteren ist Rapmusik stark mit der Kommerzialisierung verbunden, die ein zentraler Aspekt des Postmodernismus ist, und bedient sich an zeitgenössischen Technologien, wie Kassetten, CDs, Plattenspielern, Verstärkern und Mischpulten und besonders den Massenmedien. Nur mit deren Hilfe konnte Rap entstehen, sich entfalten und verbreiten. Die Massenkultur des 21. Jahrhunderts beeinflusst folglich stark die Themen mit denen sich Rapsongs auseinandersetzten, häufig beinhalten sie zeitgenössische Themen wie Fernsehsendungen, bekannte Persönlichkeiten aus kulturellen Bereichen wie Sport, Musik, Politik etc., Computerspiele und Kleidermarken. Rap ist ein Element der postmodernen Kultur der Massenmedien, das der Gesellschaft, der hohe Kultur weitestgehend unbekannt und unzugänglich ist, hilft, den gemeinsamen kulturellen Hintergrund, der notwendig für künstlerisches Schaffen und Kommunikation ist, zu verbreiten.

Many rap songs are explicitly devoted to raising black political consciousness, pride, and revolutionary impulses; some make the powerful point that aesthetic judgments, and particularly the question of what counts as art, involve political issues of legitimation and social struggle, which rap, as progressive praxis, advances by its very selfassertion as art. …Finally we should note that rap has been used effectively to teach writing and reading skills and black history in the ghetto classroom. (Shusterman 2000: 73)

2.3.1. Rap- Lyrics als Beispiel postmoderner Poesie

Wie bereits in Kapitel 2.1. erläutert, weist die Postmoderne verschiedene neue Verhaltensweisen und gesellschaftliche Phänomene auf, beispielsweise das Streben nach Individualisierung, die politische Correctness des Sprechens, den globalen und einsamen Konsum von medialen Erzeugnissen, die Interaktivität, die Spiellust, den Voyeurismus und die Exhibition im Internet etc. Diese Situation bringt ein ganz neues Kunstverständnis mit sich, das vor allem undogmatisch ist. Zu den Haupteigenschaften, die die postmoderne literarische Kunst charakterisieren, gehören die starke Präsenz von Gattungen und Medien, die die einfache und vergnügliche Konsumierbarkeit von Kunst versprechen, wie z.B. Krimi, Science Fiction, Western, Pornographie,Pop, Rap u. a.. Diese Entwicklung steht im Kontrast zur Moderne, in der Unterhaltungskunst und- literatur weitgehend abgelehnt wurde.

Modern sind alle künstlerischen Ausdrucksformen und lyrischen Sprechweisen, die im Anschluss an Modelle der historischen Avantgarden dominant auf Entpragmatisierung, Autoreferentialität und ästhetische Autonomie zielen. Als postmodern kann man dagegen eine sich von diesem Anspruch lösende Form und Funktionspluralisierung bezeichnen, die sich am deutlichsten in der Revalorisierung der Unterhaltungskunst manifestiert. (Penzkofer 2007: 8)

Das Gedicht ist Ende des 20. Jahrhunderts endgültig zu einem multimedialen Ort geworden, an dem der Kreativität keine Grenzen gesetzt werden, was die Vielseitigkeit und Vielgestaltigkeit von postmoderner Lyrik mit sich bringt.

„[…] der Rap ist eine nicht vom Medium der Musik zu trennende eigene Form von Lyrik, die als Ausdrucksform einer multikulturellen Jugendbewegung die traditionelle poetische Sprache wesentlich zu bereichern vermag.“(Febel, Grote 2003: 16)

Es gibt zusätzlich einige greifbare Argumente die dafür sprechen, dass Rap postmoderne Poesie ist. Als besonders einleuchtend scheint, dass Rapper diese Zuordnung selbst vornehmen. Sie nennen sich Poeten oder Lyriker, ihre Werke titulieren sie als Dichtung oder Lyrik, da sie Reime und Verse enthalten. Auch die Namensgebung der Rapgruppen sprechen dafür, sie nennen sich beispielsweise „La Brigade“ oder „Psy4 de la rime“. Dieses ausdifferenzierte System des Rollenspiels gilt als besonders postmodern. Die Künstler agieren zum einen grundsätzlich immer unter Rollennamen, zum anderen können sie innerhalb des Rahmens der Rollenvorgabe verschiedene Aspekte verkörpern, wie etwa den „Pimp“ oder den „Player“.

Neben den äußerlichen Umständen spricht für die Einordnung des Rap als Lyrik auch die Tatsache, dass er entsprechende strukturelle Züge aufweist, wie die Nutzung von Reimen, die in Versen angeordnet werden, und die Wiederkehr gleicher oder ähnlicher Formen. Außerdem „[…] weist Rap ein hohes Maß an Rhetorizität auf - er ist regelrecht figuren- und tropenschwanger.“ (Sokol 2007: 279)

2.4. Erläuterungen zum Poetikbegriff

Nachdem in Kapitel 2.3.1. die Einordnung des Raps als postmoderne Poesie legitimiert und begründet wurde und somit die Grundlage für die Erstellung einer Poetik des Raps geschaffen wurde, soll nun zunächst der Poetikbegriff erläutert werden und anschließend anhand der Darstellung der Geschichte der Poetik gezeigt werden, dass die bereits erwähnten gesellschaftlichen Demokratisierungsprozesse der letzten Jahrhunderte auch im Poetikbereich spürbar sind und folglich die Verbindung von Rap und Poetik nahe liegt.

2.4.1. Begriffserklärung Poetik

„Poetik bedeutet wörtlich: Dichtungslehre. Sie ist ein Teil der Dichtungswissenschaft innerhalb der Literaturwissenschaft.“(Braak 1990: 37)

Von der Antike bis hin zur Aufklärung wurde Poetik mit der Lehre der Dichtungstechnik gleichgesetzt, die erlernbare Regeln beinhaltet. Diese Anschauung wurde Ende des 18. Jahrhunderts überwunden, man begann Poetik nicht mehr als Lehre mit festen Regeln anzusehen sondern als Hilfsmittel, das dazu dienen sollte die Dichtung besser deuten zu können. (Vgl. Braak 1990: 37) Die Poetik verfolgt demnach zweierlei Ziele, zum einen befasst sie sich mit dem Wesen von Dichtung, ihrer Deutung und ihrem ästhetischen Wert. Zum anderen kann sie eine normative oder deskriptive Anleitung zum Dichten geben. Der Einfluss von Poetiken auf die Literatur und die Form der Poetik ist epochenabhängig.

Der Vollständigkeit halber soll hier erwähnt werden, dass auch textimmanente Poetiken existieren, die der Autor in seinem Vor- oder Nachwort formuliert und darin Auskunft über sein persönliches Literaturverständnis gibt. (Vgl. Gröne, Reiser 2007: 22) Im Allgemeinen gibt es zahlreiche Funktionen, die Poetiken erfüllen können, beispielsweise die Frage nach dem Ursprung und dem Wesen der Dichtung und ihre Abgrenzung von den anderen Künsten, eine Auseinandersetzung mit dem „Schönen“ und „Wahren“ in der Literatur (Ästhetik, Literaturphilosophie), die Erörterung richtiger Rede (Grammatik) und kunst- und wirkungsvoll ausformulierte Rede (Rhetorik) […] (Gröne, Reiser 2007: 23)

In dieser Arbeit wird der Schwerpunkt auf die normative Poetik gelegt. Die Entwicklung des Poetikbegriffs wird erläutert, und es wird deutlich gemacht, dass es möglich ist eine normative Poetik zu erstellen, die sich auf ein postmodernes Phänomen, die Rap- Musik, bezieht.

2.4.2. Entstehung der Poetik

Aristoteles hat sich als Erster in der Abhandlung „Über die Poetik“ („Peri Poietikes“), die nur unvollständig überliefert und ab 335 v. Chr. verfasst wurde, systematisch mit den Problemen der Poesie befasst. Er erläuterte die Tragödie und in geringerem Maße die Komödie und gelangte durch die Abhandlung, aus Überlieferung oder eigener Anschauung, bekannter Werke dieser Art an poetologische Grundsätze. (Vgl. Jung 1997: 11)

Von grundlegender Bedeutung für das Literaturverständnis nahezu jeglicher Epoche ist die von Aristoteles thematisierte Verknüpfung von Gattung und kulturellem und sozialen Prestige. So ordnet er der Tragödie und dem Epos die Nachahmung edler Menschen zu, die es für das Publikum wiederum nachzuahmen gilt, während die schlechten Menschen in ihren Lastern von der Komödie aufgegriffen werden, die sie der Lächerlichkeit preisgibt und somit gewissermaßen abschreckend wirkt. (Gröne, Reiser 2007: 24)

Im Gegensatz zu Platon, der Kritik am Abbilden von praktischen Ereignissen in der Dichtung übt „führt Aristoteles die dichterische Schaffenskraft des Menschen auf ein geradezu anthropologisches Bedürfnis zurück, nämlich den Drang zur Nachahmung der Praxis (mimesis)“ (Gröne,Reiser 2007: 24), was ein zentrales Thema seiner Poetik darstellt.

[...]


1 Diam’s : « Mon répertoire » , Album: Brut de femme, 2003, EMI France.

2 Anm.: Erzeugen perkussiver Geräusche, indem man eine Schallplatte auf dem Plattenteller abrupt hin und her bewegt.

3 Vgl. Meyers online Lexikon : http://lexikon.meyers.de/meyers/Rap [Zugriff: 10.09.08]

4 Anm.: Das positive Darstellen von sich selbst und das Niedermachen eines entweder imaginären oder anwesenden Gegners.

5 Anm.: Die Bezeichnung für improvisierten Rap, der Rapper muss sich spontan einen gereimten Text ausdenken und so seine Fähigkeiten unter Beweis stellen.

6 Anm.: Wie der Name bereits vermuten lässt, handelt es sich hierbei um das Erzählen von Geschichten.

7 Anm.: Oft Gewalt verherrlichender Rap, der die Ghettothematik aufgreift.

8 Anm.: Vermittelt eine, bevorzugt politische, Botschaft.

9 Anm.:Das, durch das bewusste Kopieren von Werken anderer Künstler, Erzeugen von Kunst.

10 Anm.:Politische und künstlerische Bewegung des 20. Jahrhunderts, die eine Vorreiterrolle einnahm.

Ende der Leseprobe aus 93 Seiten

Details

Titel
Poetik des Rap? Gernespezifische Merkmale französischer Rap-Lyrics
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
93
Katalognummer
V144958
ISBN (eBook)
9783668208285
Dateigröße
805 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
poetik, gernespezifische, merkmale, rap-lyrics
Arbeit zitieren
Julia Leisinger (Autor:in), 2009, Poetik des Rap? Gernespezifische Merkmale französischer Rap-Lyrics, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144958

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