Die Darstellung der Frau im "Wigalois" des Wirnt von Grafenberg im Vergleich mit Hartmanns von Aue "Erec"


Seminararbeit, 2007

17 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Die Darstellung der Frau im klassischen Artusroman am Beispiel des „Erec“ Hartmanns von Aue
1. Die Jungfrauen und Witwen als weibliche Randfiguren
2. Ênîte als positive weibliche Hauptfigur

III. Die Darstellung der Frau im ‚nachklassischen Artusroman‘ am Beispiel des „Wigalois“ Wirnts von Grafenberg
1. Die Darstellung der weiblichen Randfiguren
2. Die Darstellung der positiven weiblichen Hauptfiguren
a) Flôrîe und Lârîe
b) Marîne
3. Die Darstellung der negativen weiblichen Hauptfiguren
a) Waldweib Ruel
b) Die Heidin Japhîte

IV. Fazit:

V. Literaturverzeichnis

Anhang: Erklärung

I. Einleitung

Im Folgenden soll die Rolle und die Bedeutung der Frauen im klassischen und im ‚nachklassischen‘ Artusroman anhand einiger Beispiele erörtert werden. Hierbei beschränkt sich die folgende Darstellung auf zwei Werke, stellvertretend für die Zeit des klassischen sowie die des ‚nachklassischen‘ Artusromans. Den klassischen Artusroman vertritt Hartmanns von Aue ‚Erec‘[1], den ‚nachklassischen‘ Wirnts von Grafenberg ‚Wigalois‘[2]. Es soll in erster Linie auf die weiblichen Hauptfiguren eingegangen werden, bei denen sich das Augenmerk sowohl auf die positiven als auch auf die negativen richtet. Die Randfiguren werden kürzer abgehandelt. So soll, nach der Erörterung der Positionen der Frauen im klassischen sowie im ‚nachklassischen‘ Artusroman, ein Vergleich zwischen beiden angestellt werden, um herauszuarbeiten, ob und was sich in der Darstellung von Frauen im höfischen Roman auf welche Weise verändert hat.

Die Rolle der Frau beschränkte sich im gesamten Mittelalter allein auf die häusliche Ebene. Wirkliche Machtpositionen im öffentlichen Leben kamen Frauen nicht zu.[3] Ebenso stand in der deutschen Dichtung bis ins 12. Jahrhundert der Mann im Mittelpunkt des Geschehens, während Frauen gar nicht oder allenfalls als Nebenfiguren auftauchten.[4] In der hochmittelalterlichen Epik hingegen kommt den Frauen eine scheinbar positivere Wertung zu.[5] Es wird im Folgenden zu klären sein, inwiefern die Position der weiblichen Figuren in den genannten Werken wirklich als positiv oder negativ zu bezeichnen ist. Einige Fragen sollen hierbei in Bezug auf die einzelnen, beispielhaft herausgegriffenen Frauen der beiden höfischen Romane geklärt werden: Werden die Frauen durch die Dichter generell als charakterlich gute oder schlechte Menschen dargestellt? Was kann die Darstellung der Frauen über die Einstellung der Dichter gegenüber deren Rechten aussagen? Haben die Frauen gewisse Handlungsspielräume und dadurch Möglichkeiten, Einfluss zu üben?

II. Die Darstellung der Frau im klassischen Artusroman am Beispiel des „Erec“ Hartmanns von Aue

1. Die Jungfrauen und Witwen als weibliche Randfiguren

Sowohl bei der Jungfrau, deren Mann von zwei Riesen geraubt wurde, als auch bei den Witwen der Männer, die der Ritter Mabonagrin getötet hat, handelt es sich um trauernde, leidende Frauen.

Die Jungfrau ist im Gegensatz zu den Witwen in ihrer Not auf sich allein gestellt. So klagt sie laut über den Verlust ihres Gatten und fügt sich selbst Schmerzen zu, vor Kummer wahnsinnig geworden:

ir riuwigen hende
hâten daz gebende
unschône abe gestroufet:
zekratzet und zeroufet
hete sich daz lîplôse wîp,
daz ir diu wât und der lîp
mit bluote was berunnen. (‚Erec‘, V.5320-5326)

Dieses Verhalten geht über gewöhnliche Formen tiefer Trauer um den Tod eines geliebten Menschen hinaus und deutet somit darauf hin, dass der Dichter die Frau ohne ihren Mann als hilflos ansieht. Sie scheint allein für ihren Mann gelebt zu haben und nun, nach dessen Tod, in ihrem Leben keinen Sinn mehr zu sehen: Ein Frauenbild also, geprägt von der Abhängigkeit der Frau vom Mann.

Die 80 Witwen in der Burg Brandigan befinden sich ebenfalls in tiefer Trauer um ihre toten Gatten. Jedoch liegt ihr Verlust schon längere Zeit zurück. Sie verhalten sich völlig anders als die Jungfrau. Sie alle tragen schwarze Kleidung und es wird betont: wan in durch ir triuwe / der jâmer was als niuwe / als dô sîn begunden. (‚Erec‘, V.8340ff). So zeigt hier schon ihre anhaltende Trauer welchen Wert ihre Männer für sie hatten und wie sehr sie unter dem Verlust leiden. Doch es scheint, als gebe ihnen die Gemeinschaft Kraft, denn einen anderen Grund hätten sie nicht, nach dem Tod ihrer Männer so lange Zeit in dieser Burg zu verweilen und nicht in ihre jeweilige Heimat zurückzukehren.

So kann anhand dieser Beispiele bereits Einiges bezüglich der Einstellung Hartmanns von Aue gegenüber Frauen festgehalten werden. Er will zeigen: Das Leben einer Frau ist ohne einen Mann an ihrer Seite völlig trostlos. Eine einzelne Frau in dieser Situation erscheint verletzlich und schutzlos, in der Gemeinschaft sind diese Frauen stärker und geschützter.[6]

2. Ênîte als positive weibliche Hauptfigur

Das Äußere der weiblichen Hauptfigur des ‚Erec‘, Ênîte, wird ausführlich beschrieben:

der megede lîp was lobelich.
der roc was grüener varwe,
gezerret begarwe,
abehaere über al.
dar under was ir hemde sal
und ouch zebrochen eteswâ:
sô schein diu lîch dâ
durch wîz alsam ein swan.
man saget daz nie kint gewan
einen lîp sô gar dem wunsche gelîch: (‚Erec‘, V.323-332)

[...]

ich waene got sînen vlîz

an sî hâte geleit

von schoene und von saelekeit. (‚Erec‘, V.339ff)

Sie wird also als Schönheit dargestellt. In der höfisch-klassischen Tradition bedeutet die äußere Schönheit einer höfischen Dame zugleich auch deren hohen inneren seelischen Status.[7] So scheint Hartmann von Aue nicht generell schlecht über Frauen gedacht zu haben, seine weibliche Hauptfigur im ‚Erec‘ stellt er als „guten“ Menschen dar.

Doch welche Rolle innerhalb des Geschehens kommt Ênîte zu?

Zunächst nimmt sie selbst keinen Einfluss auf die Handlung: Der Ritter Erec und Ênîtes Vater verhandeln über sie und ihre Zukunft. Schließlich entscheiden die beiden Männer, dass Erec Ênîte zur Frau nehmen wird: sô nim ich si ze wîbe (‚Erec‘, V.515). Allein die Art der Formulierung drückt schon Ênîtes Passivität aus: sie heiratet nicht (aktiv), sondern wird (passiv) ver- bzw. geheiratet. Auch im weiteren Handlungsverlauf bleibt Ênîte ihrem Mann gegenüber unterwürfig: So gibt sie sich selbst allein die Schuld am verligen ihres Gatten und nimmt auf der darauffolgenden Reise wehrlos Erecs unter Androhung der Todesstrafe gegebenen Befehl hin, zu schweigen, obwohl er ihr weder für die Reise, noch für diese Anordnung einen Grund nennt.[8] Doch im weiteren Geschehen beginnt Ênîte, selbstständig Entscheidungen zu treffen. So verstößt sie zweimal gegen sein Verbot und warnt ihren Mann vor Gefahren, was dessen Leben rettet. Sie handelt hier also nicht mehr völlig unterwürfig, wenn auch ihre Entscheidung, sich dem Befehl des Mannes zu widersetzen, darin begründet liegt, dass sie sich selbst für einen weniger wertvollen Menschen hält als er es ist:

warne ich mînen lieben man,
dâ genim ich schaden an,
wan sô hân ich den lîp verlorn.
wirt aber diu warnunge verborn,
daz ist mîns gesellen tôt. (‚Erec‘, V.3160-3164)

[...]

‚bezzer ist verlorn mîn lîp,
ein als unklagebaere wîp,
dan ein alsô vorder man,
wan dâ verlür maneger an.
erst edel unde rîche:
wir wegen ungelîche.
vür in will ich sterben
ê ich in sihe verderben, (‚Erec‘, V.3168-3175)

[...]

Auch weiterhin handelt Ênîte selbstständig, da Erec keine Bereitschaft zeigt, ihr zu Hilfe zu kommen. So wendet sie eine geschickte List an und verstößt schließlich erneut gegen die Anordnung ihres Mannes, um einem Grafen, der sie begehrt, zu entkommen.[9] Als sie dann glaubt, Erec sei tot, ist sie völlig auf sich allein gestellt. Sie klagt, gleich der Jungfrau, laut über den Verlust ihres Gatten, misshandelt sich selbst, wünscht sich sogar den eigenen Tod: eine Darstellung die, wie auch schon im Falle der trauernden Jungfrau, impliziert, dass das Leben einer Frau ohne ihren Mann sinnlos ist, sie ohne ihren Mann sozusagen lebensunfähig wird. Aus der nächsten Situation versucht sie, sich selbst zu retten: Graf Oringles will sie zur Frau nehmen. Hier zeigt sich die Einstellung gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht einer Frau nicht nur an der Formulierung daz ich si ze wîbe neme (‚Erec‘, V.6198), sondern auch daran, dass der Graf seine Gefährten um Zustimmung bittet, nicht aber Ênîte selbst nach ihrem Willen fragt: nû bite ich daz ez belîbe / in iuwerm râte âne haz (‚Erec‘, V.6205f). Diesmal widersetzt sich diese allerdings den Heiratsplänen, wenn auch erfolglos, denn Graf Oringles ist durchaus bereit, sie mit Gewalt in die Ehe zu zwingen. Aus dieser Situation rettet sie schließlich doch der aus seiner Ohnmacht erwachte Erec.

Zu Beginn ist Ênîte unselbstständig und unterwürfig, sie verkörpert eine Frau, die blind gehorcht, was man ihr auch zu tun befiehlt und sich immer passiv verhält. Doch im Verlauf der Handlung entdeckt sie Möglichkeiten, durch eigene Entscheidungen und eigene aktive Handlungen Einfluss zu üben. Sie ist zwar weiterhin ihrem Mann treu ergeben und auch teilweise noch immer abhängig von ihm, es bleibt also größtenteils bei der damals vorherrschenden Geschlechterrollenverteilung, sie hat aber gelernt, ihren Verstand zu nutzen.[10]

[...]


[1] Hartmann von Aue: Erec. Mittelhochdeutscher Text u. Übertragung v. Thomas Cramer. 26. Aufl. Frankfurt a. M. 2005.

[2] Wirnt von Grafenberg: Wigalois. Text der Ausg. v. J.M.N. Kapteyn. Übers., erl. u. m. einem Nachwort versehen v. Sabine Seelbach u. Ulrich Seelbach. Berlin / New York 2005.

[3] Vgl. Giloy-Hirtz, Petra: Frauen unter sich. Weibliche Beziehungsmuster im höfischen Roman. In: Personenbeziehungen in der mittelalterlichen Literatur. Hgg.: Helmut Brall, Barbara Haupt u. Urban Küsters. Düsseldorf 1994 (Studia humaniora. Düsseldorfer Studien zu Mittelalter und Renaissance, 25), S.62.

[4] Vgl. Carne, Eva-Maria: Die Frauengestalten bei Hartmann von Aue. Ihre Bedeutung im Aufbau und Gehalt der Epen. Marburg 1970, S.3.

[5] Vgl. Rössener, W.: Art. „Frau“ C. Die Frau in der mittelalterlichen Welt II. Die höfische Dame. In: LexMA IV (2003), Sp.863.

[6] Vgl. Giloy-Hirtz, Frauen unter sich, S.69.

[7] Vgl. Schirmer, Karl-Heinz: Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle. Tübingen 1969, S.18f.

[8] Vgl. Haupt, Barbara: ... ein vrouwe hab niht vil list. Zu Dido und Lavinia, Enite und Isolde in der höfischen Epik. In: Die Macht der Frauen. Hg.: Heinz Finger. Düsseldorf 2004 (Studia humaniora. Düsseldorfer Studien zu Mittelalter und Renaissance, 36), S.154f.

[9] Vgl. ebd. S.157.

[10] Vgl. ebd. S.158.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Darstellung der Frau im "Wigalois" des Wirnt von Grafenberg im Vergleich mit Hartmanns von Aue "Erec"
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen  (Germanistisches Institut, Lehrstuhl für Ältere Deutsche Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Wirnt von Grafenberg – Wigalois
Note
2,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V144714
ISBN (eBook)
9783640541034
ISBN (Buch)
9783640541553
Dateigröße
411 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Frau, Wigalois, Wirnt von Grafenberg, Grafenberg, Erec, Hartmann von Aue, Aue, Artusroman, klassischer Artusroman, nachklassischer Artusroman, höfisch, höfischer Roman, Mittelalter, mittelhochdeutsch, Dichtung, Epik, Hochmittelalter, Dichter
Arbeit zitieren
Hanna Rasch (Autor:in), 2007, Die Darstellung der Frau im "Wigalois" des Wirnt von Grafenberg im Vergleich mit Hartmanns von Aue "Erec", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144714

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