Über Gottlob Freges Verständnis von Sinn und Bedeutung und über Begriff und Gegenstand


Essay, 2009

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


1. Über Sinn und Bedeutung

Teil I

Mit dem Begriff des „ Linguistic Turn “ wird ein wissenschaftlicher Paradigmenwechsel bezeichnet, der im 20. Jahrhundert eine exponierte Bedeutung für die Geistes- und Sozialwissenschaften hatte. Der Begriff entstammt dem Titel einer berühmten Anthologie von Richard Rorty mit dem Titel „The Linguistic Turn. Essays in Philosophical Method“ aus dem Jahre 1967. In gewisser Weise stellt diese „Wende zur Sprache“ eine Radikalisierung der Kant´schen Fragestellung nach den Bedingungen der Möglichkeiten von Erkenntnis dar, die sich auf die Vorstellung stützt, dass Sprache wirklichkeitstragend und wirklichkeitsstiftend wirkt. „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“, so Ludwig Wittgenstein. Damit drückt er aus, dass das, was sprachlich nicht repräsentiert werden kann, der Erkenntnis und auch der Wahrnehmung verschlossen bleibt. Im umgekehrten Fall formt die Sprache unser Denken so, dass eine Reduktion der Komplexität durch sprachliche Muster stattfindet. Im Gegenzug dazu, stützt sich das linguistische Paradigma auf die Überzeugung, dass sich alle Erfahrung nur sprachlich vermitteln lässt.

Die Anfänge der Sprachphilosophie entwickelten sich bereits im 18. Jahrhundert durch Wilhelm von Humboldt und Johann Gottfried Herder. Gottlob Frege, Ludwig Wittgenstein und Bertrand Russell prägten dann, daran anknüpfend, die „Analytische Philosophie“ Anfang des 20. Jahrhunderts und versuchten dabei, Sprache systematisch zu analysieren. In diesem Zusammenhang bildeten sich zwei Richtungen der analytischen Sprachphilosophie heraus: Die „Philosophie der Idealsprache“, u.a. vertreten durch Frege und Russell und die „Philosophie der Normalsprache“ mit G.E. Moore als ein Begründer (auf diesen Zweig werde ich hier nicht weiter eingehen). Frege und Russell folgten der Idee aus der sog. „Normalsprache“, mittels logischer Analyse, eine „Idealsprache“ zu entwickeln, die all das ausdrücken kann, was die Normalsprache ausdrückt, aber präzise und logisch eindeutig und immer mit der Orientierung an Logik und Standards. So kommen in diesem Kontext zwei essentielle Effekte zum Tragen, zum einen ist die analytische Philosophie Darstellungsmedium für Gedanken, und zum anderen dient sie als Instrument zur Begriffsanalyse und kritischen Analyse von Argumenten.

Gottlob Frege (1848-1925), Mathematiker und Logiker, gilt, wie bereits erwähnt, als einer der Begründer der modernen Logik und versuchte diese als eine eigene Disziplin zwischen der Mathematik und der Philosophie zu etablieren. 1892 erscheint sein Aufsatz „Über Sinn und Bedeutung“, welcher im Rahmen der Seminarsitzung vom 27.04., zumindest in einer ersten Diskussion, zum Gegenstand gemacht wurde.

Gleich zu Beginn des Aufsatzes müssen wir uns mit den Begriffen „Identitätssätze“ und „Identitätsaussagen“ auseinandersetzen, sowie mit der Frage: Was sind denn Identitätssätze und Identitätsaussagen? Frege unterscheidet hierbei zwei Arten von Identitätssätzen, nämlich Sätze der Form „a = a“ und Sätze der Form „a = b“. Aber worin liegt nun der genaue Unterschied? Nach Frege haben beide Sätze einen unterschiedlichen Erkenntnis- und Informationswert. Nehmen wir als Beispiel a = a, „der Morgenstern ist der Morgenstern“, und a = b, „der Morgenstern ist der Abendstern“. Sätze der Form a = a, was so viel bedeutet wie etwas ist gleich dem anderen, kann jeder als wahr erkennen, beide Begriffe sind identisch. Solche Sätze gelten „a priori“ und sind analytisch immer wahr. Allerdings haben sie keinerlei Erkenntnis- und Informationswert, sind sog. Tautologien. Sätze der Form a = b enthalten dagegen wichtige Erweiterungen unserer Erkenntnis und sind a priori nicht immer zu begründen. Diese Art von Identitätssätzen müssen durch Erfahrung im nachhinein überprüft werden, können wahr oder falsch sein und gelten daher „a posteriori“. Sie enthalten infolgedessen einen Erkenntnis- und Informationswert. An dieser Stelle möchte ich als erstes Resultat festhalten, dass wenn alle Erkenntnis auf Erfahrung beruht, Identitätssätze sind entweder analytisch a priori oder synthetisch a posteriori, was bedeutet, dass man Erfahrung braucht, um solche Identitätsaussagen treffen zu können.

Im nächsten Schritt geht es um die Frage, was ist der Sinn und was ist die Bedeutung von Begriffen und Sätzen und worin liegt der Unterschied? Mit Rückbezug auf die Sätze der Form a = a und a = b wurde im Rahmen der Seminarsitzung mit folgendem Beispiel versucht, Sinn und Bedeutung im Sinne Freges herauszuarbeiten:

a) Joseph Ratzinger ist Joseph Ratzinger. (a = a)
b) Joseph Ratzinger ist der gegenwärtige Papst. (a = b)

Beide Sätze unterscheiden sich auch hier in ihrem Erkenntnis- bzw. Informationswert; a.) ist nicht informativ, b.) enthält zusätzliche Informationen und ist somit informativ. Beide Sätze sind dabei wahr.
Daran schließt sich Freges erstes Rätsel an, das lautet: „Wie können wir den unterschiedlichen Erkenntniswert zwischen Sätzen der Form a = a und solchen der Form a = b, wenn beide wahr sind, verstehen?“

Zum ersten Verständnis wurde geklärt, dass „Joseph Ratzinger“ als Eigenname gesetzt wird, was in Freges Sinne bedeutet, dass Eigennamen die Bezeichnung eines bestimmten Gegenstandes oder einer bestimmten Gegebenheit vertreten. Eigennamen sind Kennzeichnungen und haben nur eine Bedeutung im Sinne der Referenztheorie. Zwei Eigennamen „a“ und „b“ haben genau dann dieselbe Bedeutung, wenn „a“ identisch ist mit „b“. Frege selbst schreibt dazu: „Was man mit a = b sagen will, scheint zu sein, dass die Zeichen oder Namen „a“ und „b“ dasselbe bedeuten.[1]. Als „Zeichen“ bezeichnet er Namen, Wortverbindungen, Schriftzeichen. In unserem ersten Satz, „Joseph Ratzinger ist Joseph Ratzinger (a = a)“, ist der Gegenstand, die Person identisch, und dieser Gegen-stand macht die Bedeutung des Eigennamen aus. Im zweiten Satz, „Joseph Ratzinger ist der gegenwärtige Papst (a = b)“, ist die Bedeutung im Sinne des Referenzgegenstandes dieselbe, aber mit unterschiedlicher Referenz und einem Erkenntniswert. Als zweites Resultat halte ich hier fest, dass die Bedeutung eines Eigennamen / Begriffes der Referenzgegenstand selbst ist.

Um Freges Rätsel, also den unterschiedlichen Erkenntniswert von Sätzen, verstehen zu können, reicht die Bedeutung von Begriffen und Sätzen (darauf gehe ich später ein) nicht aus. Die zweite wichtige Komponente, die die Erkenntnis braucht, ist der Sinn von Begriffen und Sätzen (auch darauf gehe ich später ein), sowie das Verstehen des Unterschiedes zwischen Sinn und Bedeutung. Da der Sinn eines Begriffs und sein Unterschied zur Bedeutung nicht ganz leicht zu verstehen ist, was auch in der Seminardiskussion deutlich wurde, möchte ich versuchen, das ganze an einem Beispiel Freges zu erläutern. Die Ausdrücke „Morgenstern“ und „Abendstern“ haben dieselbe Bedeutung, nämlich in Sinne des Referenzgegenstandes Planet Venus, aber sie haben nicht denselben Sinn, da zum einen die Sichtbarkeit des Sterns am Morgen und zum anderen seine Sichtbarkeit am Abend manifestiert wird. Mit dem Sinn wird also die „ Weise des Gegebenseins “ eines Ausdrucks ausgedrückt, im Beispiel hier präsentiert sich der Planet aus unterschiedlichen Perspektiven (am Morgen und am Abend) und somit ist auch seine Weise des Gegenseins eine andere. Ein weiteres Beispiel von Frege wäre ein Dreieck, das aus den Geraden a, b und c besteht. Auf der Mitte der jeweiligen Geraden wird eine weitere Gerade im rechten Winkel gezeichnet. Danach fällt man das Lot auf a, b und c und erkennt, dass die drei entstandenen Geraden sich in einem Punkt treffen. Der Schnittpunkt von a / b ist derselbe wie der von b / c. Damit gibt es also verschiedene Bezeichnungen für denselben Punkt. Frege erklärt dazu, dass auch in diesem Fall die Bedeutung die gleiche ist, nämlich der Schnittpunkt der Geraden. Der Sinn jedoch, also die Art des Gegebenseins, ist hier völlig unterschiedlich. Es sind verschiedene Geraden, die den Schnittpunkt ausmachen, sie sind nicht gleich, sondern anders gegeben. Zudem enthält der Satz eine wirkliche Erkenntnis. So lässt sich an dieser Stelle schon begreifen, dass der Erkenntniswert eines Satzes sich aus dem Sinn und seiner Bedeutung zusammensetzt, aber das hier erst einmal nur am Rande. Als drittes Ergebnis halte ich fest, dass der Sinn eines Eigennamens den Gegenstand bestimmt, er bestimmt die „Weise des Gegebenseins“.

[...]


[1] Frege: Funktion, Begriff, Bedeutung, S. 23

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Über Gottlob Freges Verständnis von Sinn und Bedeutung und über Begriff und Gegenstand
Hochschule
Technische Universität Darmstadt  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Proseminar
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
15
Katalognummer
V144343
ISBN (eBook)
9783640800599
ISBN (Buch)
9783640800674
Dateigröße
467 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Frege, Sprachphilosophie, Linguistic turn, Idealsprache, Identitätsaussagen, Sinn und Bedeutung, Aussagesätze, Einstellungsbericht, Begriff und Gegenstand, grammatisches Prädikat, Kopula
Arbeit zitieren
Dipl.-Ing. Dipl.-Wirtschaftsing. Karin Ulrich (Autor:in), 2009, Über Gottlob Freges Verständnis von Sinn und Bedeutung und über Begriff und Gegenstand, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144343

Kommentare

  • Gast am 7.11.2015

    Gut, dass es diese veröffentlichte Auseinandersetzung mit dem Verständnis von Gottlob Frege gibt. Doch sollte sie vor allem eine mit dessen Verständnis von Begriff und Gegenstand sein, um zu verstehen, was er mit den Wörtern `Gedanke` und `Wahrheitswert` bezeichnet, welches unterschiedlich Begriffene mit diesen Wörtern zum Ausdruck kommt.

    Gottlob Frege erläuterte in seiner Schrift „Begriff und Gegenstand“: „Als ich meine Grundlagen der Arithmetik schrieb, hatte ich den Unterschied zwischen Sinn und Bedeutung noch nicht gemacht und daher unter dem Ausdrucke `beurteilbarer Inhalt` noch das zusammengefaßt, was ich jetzt mit den Wörtern `Gedanke` und `Wahrheitswert` unterscheidend bezeichne.“

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