Maßnahmen zur vertieften Berufsorientierung für Hauptschüler in der Regionaldirektion Nord


Bachelorarbeit, 2009

60 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Einleitung
1.1 Ziel der Arbeit

2 Berufsorientierung – eine Begriffserklärung
2.1 Herausforderungen an die Berufsorientierung angesichts eines Strukturwandels der Erwerbsarbeit und des demographischen Wandels

3 Berufsorientierung für Hauptschüler
3.1 Die Notwendigkeit einer vertieften Berufsorientierung in der Hauptschule
3.2 Anforderungen an die schulische Berufsorientierung
3.3 Die Rolle der Bundesagentur für Arbeit in Zusammenarbeit mit den Schulen hinsichtlich einer Berufsorientierung für Hauptschüler

4 Maßnahmen zur angebotsorientierten Berufsorientierung der Agentur für Arbeit am Beispiel der Agentur für Arbeit Lübeck
4.1 Schulbesprechungen
4.1.1 Themen und Inhalte
4.2 Elternabende
4.2.1 Themen und Inhalte
4.3 Kooperationen und weitere Aktivitäten

5 Maßnahmen zur vertieften Berufsorientierung in Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit
5.1 Berufseinstiegsbegleitung in der Agentur für Arbeit Bad Oldesloe in Zusammenarbeit mit der Rackow Schule gGmbH
5.1.1 Vorbetrachtungen
5.1.2 Ziel und Zielgruppe
5.1.3 Exemplarischer Verlauf der Berufsorientierung als Teilbereich der Berufseinstiegsbegleitung
5.1.3.1 Einbindung der Akteure
5.1.3.2 Erlangung der Berufswahlkompetenz
5.2 Maßnahmen zur vertieften Berufsorientierung des Landes Hamburg in Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit Hamburg am Beispiel des „Hamburger Hauptschulmodells“
5.2.1 Das Konzept
5.2.2 Ziele
5.2.3 Das Drei-Pfeiler-Modell
5.2.4 Vertiefte Berufsorientierung und ein verbessertes Entscheidungsverhalten
5.2.5 Erste Ergebnisse
5.3 Maßnahmen zur vertieften Berufsorientierung des Landes Mecklenburg/Vorpommern in Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit Schwerin am Beispiel der „Werkstatt West“
5.3.1 Die Zielgruppe
5.3.2 Die Wirkungsziele
5.3.2.1 Die Wirkungsziele bezogen auf die Teilnehmer
5.3.2.2 Die Wirkungsziele auf struktureller Ebene
5.3.3 Handlungsfelder des Projekts
5.3.3.1 Berufsorientierung
5.3.4 Das soziale Training
5.3.5 Zeitplan und Kosten
5.3.6 Die Betreuung
5.4 Maßnahmen zur vertieften Berufsorientierung der Universität Lüneburg in Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit Flensburg am Beispiel der „Leuphana Sommerakademie“ auf Sylt
5.4.1 Vorüberlegungen
5.4.2 Das Konzept
5.4.3 Die Finanzierung
5.4.4 Erste Erfolge

6 Maßnahmen zur vertieften Berufsorientierung des Landes Schleswig/Holstein am Beispiel des „Handlungskonzeptes Schule & Arbeitswelt“
6.1 Sinn und Zweck der Maßnahme
6.2 Handlungsfelder des Konzepts
6.2.1 Coaching
6.2.2 Assessments / Potenzialanalyse
6.2.2.1 Besuch eines Assessments am 11.02
6.2.3 Berufsfelderprobungen
6.3 Der organisatorische Rahmen à die FlexPhase

7 Eine bundesweite Maßnahme: Der Berufswahlpass
7.1 Aufbau und Inhalt
7.2 Verbreitung

8 Vergleich

9 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Vorwort

Für die vorliegende Arbeit, hat zum Ziel, die Maßnahmen zur vertieften Berufsorientierung in der Regionaldirektion Nord systematisch aufzulisten und miteinander zu vergleichen. Dabei war ich unter anderem auf die Mithilfe der verschiedenen Agenturen für Arbeit in der Regionaldirektion Nord und den drei Landesregierungen angewiesen, welche Material und Informationen bereitstellten.

An dieser Stelle möchte ich ganz besonders Frau Andrea Biercher von der Regionaldirektion Nord in Kiel danken, die mir einen ersten großen Überblick über alle laufenden Maßnahmen verschaffte und mir tiefer gehende Informationen zur Verfügung stellte.

Weiterhin gilt mein besonderer Dank Frau Brigitte Döring vom Ministerium für Bildung und Frauen in Kiel, die sich fast einen ganzen Vormittag Zeit nahm, und mir bestimmte Maßnahmen in ihren Abläufen und Zusammenhängen erklärte und mir Infomaterial zur Verfügung stellte.

Nicht zuletzt möchte ich Frau Anja Röhr danken, die es mir ermöglichte, einen Tag im Jugendaufbauwerk in Bad Oldesloe zu verbringen um beobachtend an einem Assessement teilnehmen zu können, aus welchem ich viele Eindrücke aus der Praxis gewinnen konnte.

1 Einleitung

„Es sind nicht weniger als 80000 Jugendliche, die in Deutschland Jahr für Jahr die Schule ohne Abschluss verlassen. (…)Seit´ an Seit´ mit den Abbrechern marschieren schließlich jedes Jahr noch einmal rund 140000 Jugendliche in die Perspektivlosigkeit, die zwar ein Zeugnis besitzen, aber für den Ausbildungsmarkt nichts taugen (…). Die Reparatur von Defiziten aus der Schulzeit kostet Deutschland jedes Jahr 3,4 Milliarden Euro. (…)Keiner darf die Schule verlassen, ohne fit genug zu sein, eine Bewerbung zu schreiben und den Anschluss zu schaffen. Ansonsten entscheiden sich Ausbildungsbetriebe weiterhin lieber für den Abiturienten Achim als für den Hauptschüler Ahmed.“ (Otto 2007)

Dieses Zitat verdeutlicht, das Maßnahmen zur vertieften Berufsorientierung heute wichtiger sind denn je, um Jugendlichen, und dabei vor allem Hauptschülern, die Berufswahlentscheidungskompetenz zu vermitteln. Die alarmierenden Ergebnisse der PISA-Studie und die hohe Anzahl an Jugendlichen, die arbeitslos sind, führten auch in der Bundesagentur für Arbeit seit 2007 verstärkt dazu, in Maßnahmen zur vertieften Berufsorientierung zu investieren. Denn Deutschland kann sich angesichts des drohenden Fachkräftemangels in Verbindung mit den Auswirkungen des demographischen Wandels nicht leisten, gering qualifizierte Jugendliche, die nicht ausbildungsreif sind, auf der Strecke zu lassen.

Nicht nur die Schulen und die Berufsberatung der Arbeitsagenturen haben die Berufsorientierung als Aufgabe angenommen. Auch Landesregierungen, Unternehmen und externe Bildungsträger führen seit geraumer Zeit Maßnahmen zur vertieften Berufsorientierung durch, um Jugendlichen für den Prozess der Berufswahlentscheidung Hilfen an die Hand zu geben.

Inwieweit dabei eine Zusammenarbeit mit den Schulen und der Agentur für Arbeit stattfindet, soll im Hautteil dieser Arbeit herausgestellt werden. Doch zunächst wird eine Begriffserklärung vorgenommen. Dabei wird die Notwendigkeit der Berufsorientierung für Hauptschüler und die Rolle der Bundesagentur für Arbeit und der Schulen herausgestellt.

Die im Hauptteil der Arbeit dargestellten Maßnahmen werden dann nach bestimmten Kriterien miteinander verglichen.

Abschließend wird ein Fazit gezogen und alle wichtigen Erkenntnisse der Arbeit werden zusammengefasst.

1.1 Ziel der Arbeit

Das Ziel der Arbeit soll es sein, verschiedene Maßnahmen zur vertieften Berufsorientierung in der Regionaldirektion Nord systematisch darzustellen und, je nach Fülle der zur Verfügung gestellten Informationen, zu beschreiben und miteinander zu vergleichen. Dabei wird danach unterschieden, bei welchen Maßnahmen die Bundesagentur für Arbeit mitwirkt und wie genau die Arbeit der BA dabei aussieht, oder ob es sich um Maßnahmen handelt, die von externen Bildungsträgern oder einer Landesregierung in Eigenregie durchgeführt werden.

2 Berufsorientierung – eine Begriffserklärung

Berufsorientierung wird von Bert Butz „als Unterstützung bei der Entwicklung und Umsetzung eigener berufsbiographischer Lebensentwürfe angesehen.“ (Butz 2008, S. 105) Ausführlicher kann nach Butz festgehalten werden, dass Berufsorientierung als ein lebenslanger Prozess der Abstimmung zwischen den eigenen Wünschen, Interessen und Fähigkeiten auf der einen und den Möglichkeiten und Anforderungen der Arbeits- und Berufswelt auf der anderen Seite verstanden werden muss. Beide Seiten sind dabei dem gesellschaftlichen Wandel und den technologischen und sozialen Entwicklungen des Wirtschaftssystems unterworfen. Butz stellt nachfolgend vier wesentliche Punkte der Definition von Berufsorientierung heraus:

- Berufsorientierung ist als ein lebenslanger Prozess zu verstehen
- und beinhaltet die Annäherung und die Abstimmung zwischen dem Individuum und der Arbeitswelt.
- Der gesellschaftliche Wandel in allen Bereichen macht immer wieder ein neues Abstimmen und Annähern notwendig.
- Berufsorientierung muss als eine individuelle Lernleistung angesehen werden, die unabhängig vom Lernort erfolgt. Die Schule kann und muss hierbei jedoch eine große Rolle spielen (vgl. Butz 2008, S. 50).

Als drei große Ziele der Berufsorientierung nennt Gert.-E. Famulla:

- die Persönlichkeitsbildung,
- die Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe und
- die Vorbereitung auf die berufliche Arbeitswelt. (vgl. Famulla 2008, S. 40)

2.1 Herausforderungen an die Berufsorientierung angesichts eines Strukturwandels der Erwerbsarbeit und des demographischen Wandels

Das wohl wichtigste Kriterium für einen erfolgreichen Übergang von der Schule in die Arbeitswelt ist zweifelsohne die Aufnahme einer Berufsausbildung. Dieser erste Schritt in das Arbeits- und Berufsleben ist für die Jugendlichen von kaum zu überschätzender Wichtigkeit, da die Beschäftigungssicherheit im Vergleich zu Jugendlichen ohne Berufsausbildung erhöht wird und sich hinsichtlich der individuellen Arbeits- und Berufsbiographie deutlich mehr Gestaltungsoptionen bieten. Jedoch ist die Entwicklung der Ausbildungszahlen stark konjunkturabhängig, und somit bleiben fast die Hälfte der Schulabsolventen eines Jahrgangs ohne Ausbildung, da es entweder nicht genügend Lehrstellen gibt, oder die Jugendlichen nicht ausbildungsreif sind. Weiterhin bricht in jedem Jahr eine erhebliche Anzahl von Auszubildenden ihre Berufslehre vorzeitig ab. Arbeitsmarkt- und Berufsforscher sind sich angesichts dieser Entwicklungen einig, dass ohne eine nachhaltige Verbesserung der Berufsorientierung, und somit der Ausbildungsreife, schon im Jahr 2015 ein erheblicher Mangel an Fachkräften die Folge sein wird. Bereits heute ist laut einer Erhebung des Instituts der deutschen Wirtschaft von einem Fachkräftemangel die Rede. (vgl. Famulla 2008, S. 27f.) „Diese Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt rückt in Verbindung mit dem demographischen Wandel, der mit einer sinkenden Bevölkerungszahl und einer steigenden Zahl von Älteren und nicht mehr Erwerbstätigen einhergeht, das Augenmerk auf das Problem eines bisher in Deutschland nur unzureichend genutzten bzw. geförderten Qualifikationspotenzials.“ (Famulla 2008, S. 28) Die Welt-online vom 23. Dezember 2008 zitierte dazu den Vorsitzenden der Regionaldirektion Nord, Jürgen Goecke. „Der steigende Fachkräftebedarf und die gleichzeitig abnehmende Erwerbsbevölkerung lenke (…) den Blick auf bisher wenig beachtete Gruppen und deren Beschäftigungspotentiale.“ Goecke dazu: „Insbesondere Kinder und Jugendliche mit schlechteren Startchancen bieten ein Potenzial, das noch stärker erschlossen werden kann. Denn speziell sie benötigen bereits während der Schulzeit Lern-, Förder- und Beratungsangebote, die sich noch intensiver auf die Themen Arbeitsmarkt, Berufsorientierung und Berufswahl konzentrieren müssen.“ (Welt online; 23.12.2008)

Neben dem Schaden, den dieses ungenutzte Qualifikationspotenzial der Gesellschaft verursacht, sind die Folgen, die jeder einzelne Jugendliche ohne Ausbildungsplatz davonträgt, nicht zu vernachlässigen. Nach Ulrich Beck garantiert der Beruf grundlegende Sozialerfahrungen, denn er „ist ein Ort, an dem soziale Wirklichkeit in der Teilnahme, sozusagen aus erster Hand, erfahren werden kann.“ (Beck 1986, S. 221f.) Erst über den Beruf definieren wir uns, d.h. unser Einkommen, unseren Status, die Fähigkeiten und Fertigkeiten und nicht zuletzt die Sozialkontakte. So ist nach Beck der Verlust des Berufs gleichzusetzen mit dem Verlust des Rückgrats der Lebensführung. (vgl. Beck 1986, S. 221f.) Jugendlichen, die erst gar keinen Ausbildungsplatz bekommen, fehlt diese „Identifikationsschablone“ (Beck 1986, S. 221) demnach von Beginn an.

Betrachtet man die derzeitige Situation auf dem Arbeitsmarkt, so ist nicht nur ein Wandel hin zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft zu beobachten, sondern ebenso ein Sinken der Zahl von Beschäftigten in einem „Normalarbeitsverhältnis“. Atypische und flexible Beschäftigungsformen nehmen zu. (vgl. Famulla 2008, S. 26) Dementsprechend müssen auch die Begriffe „Ausbildungsfähigkeit und Ausbildungsreife neu definiert werden. Obwohl der Lebensberuf längst nicht mehr die Regel ist, hat das Berufskonzept von Arbeit (…) nach wie vor zentrale Bedeutung, auch und besonders für den Abstimmungsprozess zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem.“ (Famulla 2008, S. 26)

„Die Arbeitswelt hat sich dramatisch verändert und stellt vor allem junge Menschen vor neue Herausforderungen (…). An die Stelle des früher nahtlosen Übergangs von der Schule in die Arbeitswelt ist eine Kluft getreten. (…) Orientierungsprogramme für junge Arbeitsuchende, die teuer sind und jährlich in die Millionen gehen, erübrigten sich, wenn es eine bessere Berufsorientierung gäbe.“ (Thoma 2003, S. 2) Der Wandel des Beschäftigungssystems, und somit auch der Qualifikationsanforderungen, müssen mit den Ansprüchen der Menschen, insbesondere der Jugendlichen, an Bildung, Arbeit und Leben abgestimmt werden. Dieser Prozess der Abstimmung kann für die Jugendlichen in hohem Maße durch eine vertiefte Berufsorientierung erfolgen. (vgl. Famulla 2008, S. 35) „In diesem Sinne gehört zur Berufsorientierung, sich für die erste Stufe in seiner Berufsbiographie entscheiden zu können und darüber hinaus zu einer permanenten Erweiterung und Vertiefung der einmal erworbenen fachlichen und überfachlichen Kompetenzen, im Sinne eines lebensbegleitenden Lernens, befähigt zu sein.“ (Famulla 2008, S. 40)

3 Berufsorientierung für Hauptschüler

3.1 Die Notwendigkeit einer vertieften Berufsorientierung in der Hauptschule

Von zehn Jugendlichen eines Jahrgangs mit Hauptschulabschluss oder gar keinem Abschluss haben vier zweieinhalb Jahre nach dem Verlassen der Schule noch keinen Ausbildungsplatz finden können. Weiterhin ist jeder vierte Jugendliche eines Jahrgangs nicht ausbildungsfähig. Dies sind laut „SPIEGEL“ online die alarmierenden Ergebnisse des Bildungsberichts 2008. (vgl. Spiegel online 12.06.2008) Der „FOCUS“ urteilt in einem Online-Artikel über eben diesen Bildungsbericht in einer noch härteren Gangart: „Das deutsche Schulsystem ist ungerecht und schafft eine wachsende Gruppe an Bildungsverlierern, die in der Gesellschaft nur schwer Platz finden.“ (Focus online 11.06.2008)

„(…) Jugendliche, die eine Hauptschule besuchen, sind nicht nur während ihrer Schulzeit einer Benachteiligung gegenüber den Schülern der anderen Schulformen ausgesetzt, sondern auch und vor allem nach Beendigung ihrer Schulzeit beim Übergang ins Berufsleben. Denn gerade, wenn es darum geht, eine passende Lehrstelle zu finden, sind die Absolventen der Hauptschule diejenigen, die in der Hierarchie der Schulabgänger an unterster Stelle stehen und somit als Letztes berücksichtigt werden.“ (Effenberger 2006, S. 9) „Häufig entscheidet allein der Schulabschluss, ob sich ein Berufswunsch erfüllen lässt. In vielen Ausbildungsberufen haben Hauptschüler kaum Chancen. Stattdessen bestimmen Absolventen von Realschulen und Abiturienten das Bild.“ (Holzapfel, Sueddeutsche.de, 30.05.2006) Dabei ist zu beachten, dass sich das Risiko der Ausgrenzung von Bildung, Ausbildung und Erwerbsarbeit sowie von der Teilhabe an der Gesellschaft für Jugendliche ohne Ausbildung erhöht. (vgl. Reißig/Gaupp 2007, S.1)

Wie ist es tatsächlich um die Hauptschule und ihre Absolventen bestellt? Spätestens seit der PISA-Studie hat Deutschland die endgültige Gewissheit über die schulischen Defizite der Hauptschüler. In dieser Studie wurde in fünf Kompetenzstufen aus den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften beurteilt. Im Ergebnis der PISA-Studie besitzen 56% der Hauptschüler zum Ende ihrer schulischen Laufbahn keine ausreichende Lesekompetenz. Somit könnten sie nach Auffassung der Studie einen Aufnahmetest für eine Ausbildung erst gar nicht bestehen und sich somit nicht in die Arbeits-, Berufs- und Wirtschaftswelt der Gesellschaft integrieren. (vgl. Krugmann 2004, S. 18) Auch Untersuchungen des Psychologischen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit bestätigen die schlechten Ergebnisse der PISA-Studie. „Demnach haben die Leistungen der Jugendlichen [auch] in den Bereichen Rechtschreibung und Rechnen tatsächlich abgenommen.“ (Eberhard 2006, S. 47)

Trotz dieser schlechten Ergebnisse der PISA-Studie und den immer geringer qualifizierten Jugendlichen mit oder ohne Hauptschulabschluss stellt die Wirtschaft immer höhere Erwartungen an zukünftige Auszubildende. Um Jugendliche mit und ohne Hauptschulabschluss in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt integrieren zu können, müssen daher besondere Anstrengungen unternommen werden, da dies immer schwieriger wird. Als Gründe hierfür können genannt werden:

- einfache Tätigkeiten fallen der Rationalisierung zum Opfer. Die Anzahl der Stellen für ungelernte Arbeitskräfte nimmt so immer mehr ab.
- Es erfolgt eine Verdrängung der Geringqualifizierten durch die besser Qualifizierten.
- Dadurch, dass Geringqualifizierte, wie der Name es sagt, keine höheren Bildungsabschlüsse haben, sind sie von Anfang an von einer Mehrzahl der (Ausbildungs-)Stellen ausgeschlossen. (vgl. Thoma 2003, S. 7)

Betriebe haben trotz eines hohen Angebots an Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt größte Mühe, geeignete Mitarbeiter zu finden. Auch diejenigen Arbeitnehmer, die eher einfache Tätigkeiten im Betrieb ausführen, müssen zukünftig damit rechnen, dass ihr Anforderungsprofil erweitert wird. Der Trend auf dem Arbeitsmarkt geht zum „generalistischen Arbeiter“ (Krugmann 2004, S.32), der universell und im gesamten Arbeitsumfeld einsetzbar ist. Das heißt auch Fachleute müssen ihr Wissen ständig neuen Gegebenheiten anpassen, um in der Arbeitswelt bestehen zu können. Es entsteht eine klaffende Lücke zwischen diesen Anforderungen der Wirtschaft an die zukünftigen Auszubildenden und den Defiziten, die die Hauptschulabsolventen mitbringen. (vgl. Krugmann 2004, S. 31f.)

Schüler mit und ohne Hauptschulabschluss brauchen heute nach Sven Krugmann mehr Hilfestellungen denn je zur eigenen Gestaltung und Planung des (Berufs-)Lebens, „denn die Wirtschafts-, Arbeits- und Gesellschaftswelt empfängt sie nicht mit offenen Armen. Ihnen müssen Mittel und Möglichkeiten an die Hand gegeben werden, um in dieser Umwelt bestehen zu können.“ (Krugmann 2004, S. 6) Hier zeigt sich die Notwendigkeit einer vertieften Berufsorientierung, die bereits frühzeitig in der Hauptschule einsetzen soll, um den Jugendlichen den Übergang von der Schule in die Arbeitswelt zu erleichtern, damit der Gang durch die Hauptschule nicht, wie es der Soziologe Ulrich Beck bereits 1986 beschrieb, „zur Einbahnstraße in die berufliche Chancenlosigkeit“ (Beck 1986, S. 245) wird. Denn „einerseits bietet der Hauptschulabschluss als solcher kaum noch Einstiegschancen in das Beschäftigungssystem. Andererseits stellt er immer noch den notwendigen Zipfel einer Chance dar, vielleicht doch noch eine der knappen Lehrstellen zu ergattern.“ (Beck 1986, S. 247)

3.2 Anforderungen an die schulische Berufsorientierung

Seit der Verschlechterung der Situation auf dem Arbeitsmarkt und spätestens seit den Ergebnissen der PISA-Studien gewinnt das Thema Berufsorientierung immer mehr an öffentlichem Interesse. Die Vorbereitung auf die Arbeitswelt hat vielfach Einzug in die Schul- und Lehrprogramme gehalten, und durch engagierte Lehrkräfte sind zahlreiche Maßnahmen zur Berufsorientierung ins Leben gerufen worden. Oftmals sind solche Unternehmungen jedoch zum Scheitern verurteilt, weil ihre Durchführung zu sehr vom Engagement Einzelner abhängig ist. Zwar ist den Akteuren die Wichtigkeit des Themas durchaus bekannt, jedoch hapert es vielfach an der Umsetzung. (vgl. Butz 2008, S. 46f.)

Um den Anforderungen an eine vertiefte Berufsorientierung an den Schulen gerecht werden zu können, wird ein einheitliches Konzept mit Richtlinien benötigt.

Bert Butz schlägt dazu sechs wesentliche Punkte vor, die die Anforderungen an berufsorientierenden Unterricht beschreiben:

- möglichst alle Klassenstufen der Sekundarstufe 1 sollen mit einbezogen werden, da der Prozess der Berufsorientierung lebenslang läuft und bereits in frühester Kindheit beginnen soll
- als Ausgangspunkt sollen die Stärken eines jeden Jugendlichen hinsichtlich der Arbeits- und Berufswelt gelten
- Zentrierung der Eigenverantwortlichkeit und Selbständigkeit des Jugendlichen
- nicht nur die Entscheidung für einen bestimmten Beruf in den Mittelpunkt rücken, sondern die Fähigkeit, die gesamte Berufsbiographie und Lebenswegplanung gestalten zu können
- weg vom „Lebensberuf“ als einzige Arbeitsform hin zur flexiblen Arbeits- und Berufsgestaltung
- Berufsorientierung muss als Aufgabe der gesamten Schule und von allen Schulen verstanden werden (vgl. Butz 2008, S. 46)

Bei Krugmann können nach Jörg Schudy drei Minimalanforderungen an berufsorientierenden Unterricht nachgelesen werden:

1. die systematische Auseinandersetzung mit Problemen und Fragen zur Berufswahl von der Primarstufe an
2. Identitätsbildung und veränderte Norm- und Wertevorstellungen in einer sich ständig verändernden Berufs- und Arbeitswelt müssen stärker berücksichtigt werden
3. fächerübergreifender Unterricht, das heißt alle Fächer sollen zur Berufsorientierung beitragen (vgl. Krugmann 2004, S. 33f.)

Finden all diese Punkte Berücksichtigung, dann kann nach Krugmann „die Berufsorientierung als ganz gewichtiger Bestandteil der Hauptschulbildung gesehen werden (…).“ (Krugmann 2004, S. 36)

3.3 Die Rolle der Bundesagentur für Arbeit in Zusammenarbeit mit den Schulen hinsichtlich einer Berufsorientierung für Hauptschüler

„(…) Je früher die richtigen Weichen für eine erfolgreiche Erwerbsbiographie gestellt werden, umso größer wird der individuelle und gesellschaftliche Nutzen. Die Verbesserung der Ausbildungs- und Beschäftigungsfähigkeit legt den Grundstein zur Prävention von Arbeitslosigkeit. (…) [Hier] möchte die BA durch neue Maßnahmen der erweiterten vertieften Berufsorientierung aufzeigen, wie der Übergang von der Schule in den Beruf besser gemeistert werden kann. Denn insbesondere (…) Abgänger von Hauptschulen bleiben oft, trotz Berufsorientierung und Beratung, ohne Ausbildungsplatz.“ (Weise, Dialog 5/2008, S. 40)

Wie den Worten des Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, entnommen werden kann, hat auch die BA das Thema Berufsorientierung in seiner Wichtigkeit für Jugendliche erkannt und sich zur Aufgabe gemacht. Gesetzlich verankert ist die Beauftragung der BA mit der Berufsorientierung in § 33 in Verbindung mit § 421q SGB III. Während im § 33 SGB III die Aufgaben der BA beschrieben sind (näher erläutert im Praktikumsauftrag, siehe Anhang ab S. 55), ist im § 421q SGB III der zeitliche Rahmen von Maßnahmen zur Berufsorientierung geregelt.

Die Zusammenarbeit von Schulen und der Bundesagentur für Arbeit wurde 1971 von der Kultusministerkonferenz festgelegt. Dabei wurden gemeinsame Ziele und Aufgaben erstmals definiert und festgehalten. Die Aufgaben der BA hinsichtlich der Berufsorientierung sind hiernach:

- die Vorbereitung der Schüler auf die unterschiedlichen Berufsbereiche, die Entwicklungen und Trends am Arbeitsmarkt und die individuellen Gesichtspunkte der Berufswahl und
- die Bereitstellung von Materialien zur Selbstinformation bezüglich der Berufswahl zuzüglich einer konkreten Anleitung zur Nutzung der Medien.
Den Schulen fällt die Aufgabe zu
- den Schülern grundlegende Kenntnisse über die Arbeits- und Berufswelt zu vermitteln,
- die BA bei der Durchführung der Berufsberatung zu unterstützen indem sie z.B.
- den Rahmen zur Durchführung von Gruppen- und Einzelgesprächen zur Verfügung stellt. (vgl. Krugmann 2004, S. 37)

Die BA bietet zahlreiche Angebote rund um die Berufsorientierung an. Am häufigsten werden die Schulbesprechungen, die Einzelberatungen der Schüler in den jeweiligen Sprechstunden der Berufsberatung und die Nutzung des Berufsinformationszentrums (BIZ) in Anspruch genommen. Neben den Informationen zur Berufsorientierung, die per Internet aufgerufen werden können, gibt es zahlreiche Printmedien, die die Schüler nutzen können. „Beruf Aktuell“ und „Studien- und Berufswahl“ sind zwei Beispiele dieser Informationsbroschüren, die regelmäßig erscheinen und von der BA herausgegeben werden. (vgl. Krugmann 2004, S. 37f.)

Um mit der Fülle an Informationen aus dem Internet oder aus den Printmedien umgehen zu können, benötigen die Schüler eine gezielte Anleitung. Diese ist jedoch zeitlich von der Berufsberatung kaum zu gewährleisten. Auch Lehrer können dieser Aufgabe nur dann nachkommen, wenn sie mit den Angeboten hinreichend vertraut sind. (vgl. Krugmann 2004, S. 39)

Nicht nur die BA und die Schulen führen Maßnahmen zur vertieften Berufsorientierung für Hauptschüler durch. Auch externe Bildungsträger bieten zahlreiche Angebote zur Berufsorientierung an, die schulbegleitend, beispielsweise in den Sommerferien, von den Jugendlichen in Anspruch genommen werden können.

Der folgende Hauptteil dieser Arbeit stellt ausgewählte Maßnahmen zur vertieften Berufsorientierung für Hauptschüler in der Regionaldirektion Nord (Mecklenburg/Vorpommern, Schleswig/Holstein und Hamburg) vor. Diese werden, je nach Fülle der Informationen, die zu den einzelnen Maßnahmen gesammelt werden konnten, mit ihren Adressaten und Handlungsfeldern vorgestellt, um anschließend nach verschiedenen Kriterien miteinander verglichen zu werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 60 Seiten

Details

Titel
Maßnahmen zur vertieften Berufsorientierung für Hauptschüler in der Regionaldirektion Nord
Hochschule
Hochschule der Bundesagentur für Arbeit - Mannheim/Schwerin
Note
2,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
60
Katalognummer
V144185
ISBN (eBook)
9783640543939
ISBN (Buch)
9783640544349
Dateigröße
624 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Maßnahmen, Berufsorientierung, Hauptschüler, Regionaldirektion, Nord
Arbeit zitieren
Susanne Glimm (Autor:in), 2009, Maßnahmen zur vertieften Berufsorientierung für Hauptschüler in der Regionaldirektion Nord, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144185

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