Al-Ġazālī und der theologisch-philosophische Diskurs im mittelalterlichen Islam


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

18 Seiten, Note: 1.7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Die Voraussetzungen für den Einzug der Philosophie in das islamische Denken
Der historische Hintergrund und die Wurzeln des philosophischen Denkens im Islam
Die Schlüsselrolle der Mu tazila
Die Übersetzungsbewegung

Islamische Denker zwischen Rationalismus, Orthodoxie und Religionskritik
Al-Farabi und die gesellschaftlichen Umbrüche des 10. Jahrhunderts
Mu ammad al- Gazali
Die politischen Entwicklungen im islamischen Spanien und das Denken Ibn Rušds

Die Auferstehung des Leibes - Gegenüberstellung phil. und theol. Standpunkte

Fazit

Bibliographie

1) Einleitung

Die Philosophie beschäftigt sich mit dem Streben des menschlichen Geistes, die Zusammenhänge des Seins und die Grundsätze der Lebensführung und Daseinsgestaltung zu erkennen. Dass diese Wissenschaft nicht nur im antiken Griechenland betrieben wurde, deren herausragende Vertreter bei der Lehre der Philosophie hervortraten, sondern auch der islamische Kulturkreis große Denker und facettenreiche Beiträge hervorgebracht hat, fand lange Zeit keine Würdigung. Man wies ihr wegen der Übersetzung wichtiger Werke aus dem Griechischen ins Arabische eher eine „Brückenfunktion“1 zu, die die Weitergabe des antiken Wissens an das lateinische Mittelalter ermöglicht hatte. Davon abgesehen sah man die philosophische Bewegung eher untergeordnet als eine Besonderheit in der islamischen Religion und Kultur an denn als eigenständigen Teil der Geschichte der Philosophie. Die oben genannten Übersetzertätigkeiten und damit auch die Anfänge der intensiven Rezeption der antiken Wissenschaften und der Entwicklung einer eigenständigen Philosophie begannen im 8./9. Jahrhundert n. Chr.2 unter der Herrschaft der Abbasiden. Im umayyadischen Spanien dagegen verzögerte sich dieser Prozess aufgrund der Feindschaft zu den abbasidischen Herrschern im Osten und entwickelte sich erst zeitversetzt im 12./13. Jahrhundert.3 Durch die abbasidischen Eroberungen wurden Syrien, Ägypten und Persien zu Teilen des Reiches, die vorher lange unter griechischem Einfluss gestanden hatten. Neues Wissen in den verschiedenen Gebieten war wichtig und begehrt, da die Vergrößerung des Reiches neue Herausforderungen, beispielsweise in Sachen der Steuerberechnung (Mathematik), der Gebetsrichtung (Astronomie) oder der Kartierung neuer Gebiete (Geographie), bereit hielt. Der Kalif al-Ma m n förderte diesen Bedarf, indem er 832 unter anderem das bayt al- ikma (Haus der Weisheit) gründete, um die Übersetzung griechischer Texte, auch aus dem Bereich der Philosophie, ins Arabische voranzutreiben.5 Philosophisches Wissen wurde ebenso in den Bereich der Politik eingebunden. Um dies zu beleuchten soll in dieser Arbeit auch auf Al-Farabi eingegangen werden, der Werke wie r ahl al-mad na al-f ila (Ansichten der Bürger der tugendhaften Stadt) oder As-siy sa al-madaniyya (Über die Staatsleitung) der politischen Philosophie widmete und statt der religiösen Grundlage die Tradition einer rationalistischen Sichtweise begründete. Er war bemüht, Islam und Philosophie miteinander in Einklang zu bringen, räumte der Sakraljurisprudenz (Fiqh) und der Theologie (Kal m) aber gleichzeitig einen geringeren Stellenwert ein als der Philosophie.6 Bei al-Farabi (9. Jhd.) und später unter anderem auch bei Ibn Rušd aus Cordoba (12. Jhd.) wurde die Vernunft in den Mittelpunkt gerückt und damit das religiöse Wissen und die Heilige Schrift als alleinige Grundlage des Denkens verlassen. Hier kollidierten die Philosophen mit den Rechtsgelehrten, die die Religion als Grundlage allen Denkens verteidigten. Ein bedeutender Verfechter der Religion als oberste Autorität war Mu ammad al- Gazali , der sich ausgiebig mit der Philosophie und dem Herausfinden ihrer Schwachpunkte beschäftigt hatte. Al- Gazali war sowohl in Hinblick auf seine spirituelle Entwicklung als auch in Bezug auf die Beurteilung der Philosophie ein besonderer Denker in seinen Reihen. Daher soll hier - wie im Titel angedeutet - auf sein Wirken und seine Methode besonders eingegangen werden. Außerdem werden sein Angriff auf die Philosophen und Ibn Rušds direkte Verteidigung derselben repräsentativ für den Konflikt dieser beiden Lager einander gegenübergestellt. Als spezielle Veranschaulichung der Meinungsverschiedenheiten dient der Disput über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Auferstehung des Leibes. Der Austausch, der in diesem großen Rahmen stattgefunden hat, gibt Aufschluss über Details seiner Akteure, wie Hintergrund sowie Art und Weise ihrer Argumentation. Ebenso macht er lokale Unterschiede und Wendepunkte in der gesellschaftlichen Entwicklung sichtbar. Das Tauziehen von Religion und Philosophie um die Prävalenz als ideelle Basis des Denkens wurde zum Mittelpunkt des intellektuellen Diskurses im islamischen Mittelalter. Seine gedankliche Strömungen und deren Vertreter bilden den Kern dieser Arbeit.

2) Die Voraussetzungen für den Einzug der Philosophie in das islamische Denken

a) Der historische Hintergrund und die Wurzeln des philosophischen Denkens im Islam

Nach der islamischen Religionsstiftung im 7. Jahrhundert vergrößerte sich das Herrschaftsgebiet rasant. Es waren viele verschiedene Völker, die nun in der neuen islamischen Gemeinschaft aufgingen. Zwar gehörten sie alle offiziell zu „der Umma “, die Unterschiede zwischen den heterogenen Bevölkerungsgruppen verschwanden allein durch diese Deklaration jedoch nicht. Wie Bernard Lewis es treffend formulierte, ließ sich die Umma als „zweiseitiges Wesen“7 beschreiben mit ihrer politischen und ihrer religiösen Seite. Politische Herrschaft und Autorität ließ sich nur mit ihrer Kopplung an die religiöse Botschaft legitimieren. Jenes warf in dieser neuen, sich rasant entwickelnden Religion, die noch in der Entwicklung einer eigenen Dogmatik (u l ad-d n) und Theologie (kal m) steckte, grundlegende Fragen auf, die öffentlich, beispielsweise am Kalifenhof, diskutiert wurden.8 Diese Praxis des offenen Diskurses und Austausches verbesserte die Argumentation und mündete immer wieder in einer Fragestellung: Wie war es möglich, im Einklang mit der Botschaft des Islam zu regieren? Diese fundamentale Frage nach der Art und Weise der Vereinbarkeit der Gesetze des Islam und der Ausübung politischer Gewalt war der Ausgangspunkt für die darauf folgenden sakraljuristischen Debatten und theologischen Kontroversen. Den Theologen ging es um das Verhältnis zwischen Glauben und Wissen, zwischen menschlicher Vernunft und dem Offenbarungstext, um die Frage der Vorherbestimmung und der göttlichen Gerechtigkeit, um das Verhältnis von göttlicher Allmacht und menschlicher Handlungsfreiheit9 - all das sind Themen, mit denen sich später auch die Philosophen beschäftigten. Man kann der islamischen Philosophie also die Kal m als Paten zur Seite stellen.10

b) Die Schlüsselrolle der Mu tazila

Eine wichtige Gruppe innerhalb der theologischen Dogmatiker (mutakallim n) war die Mu tazila Der Name leitet sich als Partizip vom Verb i tazala ab und kann als „die sich Absondernden“ übersetzt werden.11 Sie entstand schon im 7. Jahrhundert und hatte ihre Blütezeit im 1. Jhd. nach der Machtübernahme durch die Abbasiden.12 Die Anhängerschaft kam nicht nur aus dem traditionell theologischen Bereich, sondern war breit gefächert. Ein berühmter Vertreter der Mu tazila war al-i , der vermutlich zwischen 775 und 868 gelebt und unter al-Ma m n in Bagdad gewirkt hat. Er stand an der Spitze der abbasidischen Literatur und war gleichzeitig aller zu seiner Zeit bekannten Wissenschaften (zum Beispiel Biologie, Geschichte, Theologie) kundig. Seine Intelligenz und Bildung verschafften ihm Zugang in die Kreise der Mu tazila, wo theologische und politische Aspekte diskutiert wurden.13 Er ist der Verfasser vieler Werke wie unter anderem einer Tierenzyklopädie (Kit b al- ayaw n), in der er auch andere Gebiete wie Theologie, Metaphysik und Soziologie mit einbezieht und einem Werk über die Legitimität der ersten drei Kalifen (Kit b al- U m niyya).14

Was die Mu tazila von anderen theologischen Konzepten unterschied, war die Überzeugung, dass der Glaube und die Eigenständigkeit der Vernunft sich nicht ausschließen. Sie nutzten das hellenistische Denken, um den Glauben zu rationalisieren und mit Argumentation auf theologischer Ebene eine Erweiterung des Handlungsspielraums des Menschen zu begründen. Denn die Vernunft, mit der der gerechte Gott die Menschen ausgestattet hat, macht sie für ihr Handeln selbst verantwortlich.15 In die gleiche Kerbe schlägt das Argument, die Strafe durch das Schmoren in der Hölle sei nur dann gerecht, wenn der Mensch nach seinem freien Willen handeln könne. Wer die Verantwortlichkeit der Menschen für ihre Taten leugne, glaube in letzter Konsequenz an einen willkürlich handelnden, nicht gerechten Gott, der für das Böse auf der Welt verantwortlich sein muss. Nach dieser rationalistischen Argumentationsmethode hatte die Vernunft des Menschen das letzte Wort, nicht der Offenbarungstext, was eine Abkehr von der strikten Schriftgläubigkeit bedeutete und den Anhängern der Mu tazila schnell das Misstrauen und die Feindschaft der orthodoxen Gelehrten zutrug. Gleichzeitig wurde durch die Entstehung der Rechtsschulen die Šar a rigider und die Forderung nach absoluter Unterwerfung unter den Willen Gottes, der sich in seinen Gesetzen ausdrückt, lauter. Trotzdem hatte dieses theologische Denken einen großen Einfluss auf die Philosophie und förderte das Interesse an den Originaltexten der griechischen Philosophen. Der Bedarf löste die Übersetzungstätigkeit aus, die speziell unter dem Kalifen al-Ma m n, einem Sohn von ar n ar-Ra d, seinen Aufschwung genoss.

c) Die Übersetzungsbewegung

Eine eigene Philosophie in der islamischen Zivilisation wäre ohne den Zugang zu den Erkenntnissen der altgriechischen Philosophen nicht möglich gewesen. Die Durchsetzung des Hocharabischen als gemeinsame Umgangs- und vor allem Schriftsprache schaffte positive Voraussetzungen. Die Übersetzungen, die unter der abbasidischen Herrschaft entstanden, waren sowohl quantitativ als auch qualitativ überragend.16 Wichtig ist aber nicht nur, dass übersetzt wurde, sondern dass viele der Übersetzer auch selbst große Denker waren und dem Übersetzten den entsprechenden Stellenwert zumessen konnten. Um den in der Einleitung bereits erwähnten neuen Herausforderungen, die die Vergrößerung des Reiches mit sich brachte, zu begegnen, und aufgrund des Interesses der Intellektuellen an griechischen philosophischen Originaltexten, entstand auf Veranlassung von al-Ma m n im Jahr 832 das bayt al- ikma und viele andere Übersetzungseinrichtungen sowie zahlreiche Bibliotheken Dies verbesserte die Übersetzungsmethoden im Laufe der Zeit. usayn Ibn Is q leitete eine der Übersetzerschulen.17 Er trug zum Fortkommen der Arbeiten bei, indem er stets mehrere Manuskripte eines Textes heranzog, um diese zu vergleichen und somit auf einer soliden Grundlage für die Übersetzung aufbauen zu können. Er sorgte außerdem für ein breites Spektrum an Texten zur Übertragung ins Arabische. Dabei entstand ein umfangreiches technisches Vokabular und spezifische Übersetzungsmuster, was für die genaue Übertragung der Inhalte unabdingbar war.18 Bis Mitte des 10. Jahrhunderts war fast die gesamte wissenschaftliche Literatur der Antike, sei es Medizin, Philosophie (allen voran die Texte des Aristoteles), Mathematik, Astronomie, Musiktheorie oder auch Agrikultur, ins Arabische übersetzt.19 Das neu zugängliche Wissen beantwortete aber nicht nur Fragen, sondern warf selbstverständlich auch immer wieder neue Fragen auf. Dies hielt zum einen den Übersetzungsprozess dynamisch. Zum anderen führte es dazu, dass eigene neue Fragestellungen sich aufdrängten und die islamischen Intellektuellen damit weg von der bloßen Rezeption anderer Denker hin zur Anwendung und Weiterentwicklung des Wissens und zur eigenen Gedankenproduktion gelenkt wurden: Die Anfänge einer eigenen charakteristischen islamischen Philosophie.

[...]


1 Rudolph, Ulrich: Islamische Philosophie, München 2004, S. 7.

2 Jahreszahlen gebe ich in der christlichen Zeitrechnung an.

3 Vgl. Tibi, Bassam: Politisches Denken im klassischen und mittelalterlichen Islam, in: Pipers Handbuch der politischen Ideen II, herausgegeben von Fetcher, Iring und Münkler, Herfried, München 1993, S. 118/119.

4 Bei Namen, Eigennamen, Titeln u.a. Wörtern, die keine gängige deutsche Version haben, halte ich mich an das Umschriftssystem der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft.

5 Vgl. Leaman, Oliver, An Introduction to Classical Islamic Philosophy, Cambridge 2002, S. 6.

6 Vgl. Rudolph 2004, S. 29.

7 zitiert nach Hendrich, Geert: Arabisch-islamische Philosophie, Frankfurt/Main 2005, S. 15.

8 Vgl. Krämer, Gudrun: Geschichte des Islam, Bonn 2005, S. 94.

9 Vgl. Radtke, Bernd: Der sunnitische Islam: „Theologie“, in: Ende, W. und Steinbach, U.: Der Islam in der Gegenwart, Bonn 2005, S. 58.

10 Vgl. Hendrich 2005, S. 17.

11 Vgl. Halm, Heinz: Der Islam, München 2000, S. 34.

12 Vgl. Gimaret, D.: Mu tazila, in: EI II, Vol. VII, S. 783.

13 Vgl. Pellat, Ch.: Al-Dj i , in: EI II, Vol. II, Leiden/London 1960, S. 385.

14 Vgl. Ebenda, S. 386.

15 Vgl. Radtke 2005, S. 60.

16 Vgl. Hendrich 2005, S. 27.

17 Vgl. Hodgson, Marshall G. S.: The Venture of Islam, Band 1, Chicago & London 1974, S. 412/413.

18 Vgl. Ebenda.

19 Vgl. Rudolph 2004, S. 12.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Al-Ġazālī und der theologisch-philosophische Diskurs im mittelalterlichen Islam
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Institut für Arabistik)
Veranstaltung
Intellektuelle Kurse im Islam
Note
1.7
Autor
Jahr
2009
Seiten
18
Katalognummer
V144079
ISBN (eBook)
9783640530557
ISBN (Buch)
9783640530182
Dateigröße
528 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Im Allgemeinen geht es um die Entstehung der islamischen Philosophie und ihre Verbindungenen zur klassischen Philosophie. Im Speziellen um Algazel (Al-Ġazālī) und Averroes (Ibn Rušd) in Verbindung mit Aristoteles und Platon in der Frage um die Möglichkeit der Auferstehung. Dozent: "Klare und interessante Darstellung, gut recherchiert."
Schlagworte
Philosophie, Islamische Philosophie, Orthodoxie
Arbeit zitieren
M.A. Britta Werner (Autor:in), 2009, Al-Ġazālī und der theologisch-philosophische Diskurs im mittelalterlichen Islam, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144079

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