Operation Walküre - Claus Schenk Graf von Stauffenberg

Der 20. Juli 1944


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2008

68 Seiten

Stefan Erminger (Autor:in)


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort
<<Für Deutschland>>

Einleitung

Der Umsturzversuch
Attentatsvorbereitungen und —versuch
Der 20. Juli 1944

Walkiire
Walkiire — Alarmbefehle
Walkiire am 15. und 20. Juli 1944

Verfolgung und Terror
Chronik der Ereignisse

Epilog

Nachwort

Dank

Literaturverzeichnis

Bildverzeichnis

VORWORT

«Für Deutschland»

Brillanter Generalstabsoffizier und charismatischer Kopf des militarischen Widerstands gegen das NS-Regime. Mit dem Umsturzversuch von 1944 wollte Stauffenberg eine Volkserhebung auslosen wie sein Vorfahr Gneisenau 1809 und 1813.

Seit Herbst 1941 war Hitler nicht nur Staatsoberhaupt und „Oberster Kriegsheer", sondern auch Reichskriegsminister und damit Oberbefehlshaber der Wehrmacht, zugleich auch Oberbefehlshaber des Heeres. Den Krieg an der Ostfront fiihrte das Oberkommando der Wehrmacht. Die Zustandigkeiten für den Personalersatz, Riistung und Sicherheit im Inneren waren vielfaltig verteilt, eifersiichtig abgegrenzt und standig umstritten.

In der Organisationsabteilung des Oberkommandos des Heeres gab es einen Major im Generalstab, der pflegte Vortrage iiber diese Kriegesspitzengliederung mit der Bemerkung einzuleiten, „die Kriegsspitzengliederung der deutschen Wehrmacht sei noch bloder, als die befahigtsten Generalstabsoffiziere sie erfinden konnten, wenn sie den Auftrag bekamen, die unsinnigste Kriegsspitzengliederung zu erfinden." Der scharfsinnige Major hieB Claus Schenk Graf von Stauffenberg, er war geboren am 15. November 1907 und wiirde in diesen Tagen 100 Jahre alt.

Die deutsche Offentlichkeit kennt Stauffenberg, als den Hitler-Attentater, besser Informierte kennen ihn als Kopf der Staatsstreichorganisation vom 20. Juli 1944. In vielen Reden, Aufsatzen und Biichern iiber Stauffenberg finden sich Hinweise auf sein charismatisches Wesen, auf seine Verbundenheit mit dem Dichter Stefan George, auf Stauffenbergs moralische und christliche Grundhaltung. Dazu, dass Stauffenberg einer der Spitzen-Generalstabsoffiziere seiner Generation war, erfahren wir in der Regel wenig. Stauffenberg war Oberst, vielleicht der jiingste Oberst des Heeres. Was hat er eigentlich tagsiiber gemacht? In machen Biichern scheint es, als sei er zur Durchfiihrung einer Verschworung vom Dienst freigestellt gewesen, aber so war es ja nicht. Was machte er als Chef des Stabes beim Befehlshaber des Ersatzheeres, und hatte das irgendwie mit dem Entschluss zum Staatstreich zu tun? Soldaten diirfen ihre ganz spezifischen Fragen an die Biographien Stauffenbergs richten.

Stauffenberg, Oberst Albrecht Mertz von Quirnheim, Generaloberst Friedrich Olbricht und Stauffenbergs Adjutant, Oberleutnant Werner von Haeften, wurden in den friihen Morgenstunden des 21. Juli im Hof des Bendlerblocks erschossen. Stauffenberg starb mit dem Ruf „Es lebe das geheime Deutschland" — ein letzter Bezug zu der Reichsidee des Dichters Stefan George, den er so verehrt hatte, ein letzter Hinweis auf seine Motive.

Stauffenberg hatte nicht aus Ehrgeiz oder Feigheit gehandelt. Ware er nur ehrgeizig gewesen, hatte er auf seinem Dienstposten abwarten miissen und ware unweigerlich General geworden. Und Feigheit? Stauffenberg wusste, dass er sein Leben riskiert: „Das Furchtbarste ist, zu wissen, dass es nicht gelingen kann und dass man es dennoch für unser Land und unsere Kinder tun muss." Nein, Stauffenberg war ein Nationalkonservativer. Ihm ging es um die Erhaltung Deutschlands und der Armee, wie er es nannte, und um ein Ende der unsaglichen Verbrechen die von Deutschen und an Deutschen begangen wurden. Das macht ihn zum Vorbild für jeden Soldaten.

Es ist heute unumstritten, dass der gesamte Widerstand auch der des 20. Juli 1944, zum verpflichtenden historischen Erbe und zum kulturellen Gedachtnis der gesamten Nation gehort. Das war nicht immer so. Es war ein weiter Weg von der ersten Wiirdigung durch Bundesprasident Theodor Heuss am 19. Juli 1959 bis zur Bewertung seitens der franzosischen Verteidigungsministerin Michele Alliot-Marie am 20. Juli 2004 vor zum Gelobnis angetretenen Rekruten der Bundeswehr.

Die dramatischen Ablaufe in Rastenburg und Berlin machten deutlich, dass es schwierig war, diesen Umsturz zu planen und durchzufiihren. Hier waren allen Stammtischgesprachen zum trotz keine Dilettanten am Werk. Unter den Bedingungen des NS-Staates handelte es sich vielmehr um eine sehr erfolgversprechende und auch realistische Vorbereitung eines Umsturzes. Die Tragodie der Verfolgung vollzog sich in Berlin, in den VerfolgungsmaBnahmen, Verurteilungen und Hinrichtungen, die nach dem 20. Juli 1944 folgten. Wenige der Beteiligten iiberlebten. Der Triumph des Bosen war nicht gestoppt, aber es war sichtbar geworden, dass es Vertreter eines anderen Deutschland gab, keine willigen Vollstrecker, sondern Menschen, die dem Regime widerstanden und ihnen vor Gericht nur noch eingeschUchtert und unter dem Galgen die Wahrheit sagen konnten.

Daher lässt sich die Tat des 20. Juli 1944 nur begreifen als Ausdruck eines Willens und Schaffens des gesamten Widerstands. Das bedeutet, dass der 20. Juli 1944 nicht tagespolitischen Bewertungen und Vereinnahmungen ausgesetzt werden darf. Es ging dabei um Prinzipien von Politik, Ethik und Moral, die auf der Grundlage politischen Vertrauens der Beteiligten, die politische, soziale und kulturelle Unterschiede Uberwanden und sich vertrauten.

LUneburg, 30. Januar 2008

20. JULI 1944

„Wer aber vor Furcht zittert, der ist ein Knecht, und wer aus Furcht etwas tut, ein niedriges Tier.

Es sind viele Laster schändlich zu nennen, doch das schändlichste von allen ist ein knechtischer Sinn.“

ERNST MORITZ ARNDT

Einleitung

Die in dieser Studie präsentierten Erklärungen und Ergänzungen machen deutlich, das es nicht darum geht, Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Mitverschwörer auf ein unangreifbares, hoch herausgehobenes Heldenpodest zu stellen oder zu glorifizieren. Sie vermögen allerdings einen Beitrag zu leisten, das Attentat gegen Hitler vom 20. Juli 1944 im Rahmen des Kampfes gegen den Nationalsozialismus als verbrecherisches Herrschaftssystem in die groBe Breite und Vielfalt des deutschen Widerstandes einzuordnen und zugleich als sichtbares Zeichen des „anständigen Deutschlands" mitten im Krieg besonders zu werten. Es war zweifellos „der entscheidende Wurf" unter Einsatz des Lebens „vor der Welt und vor der Geschichte", wie es Generalmajor Henning von Tresckow und Generaloberst Ludwig Beck formulierten, um zu zeigen, dass das „andere Deutschland" sich am 20. Juli 1944 gegen Hitler auflehnte.

Diese Studie soll angesichts der schon lange umfassend ausgewerteten Quellen zum Widerstand keine neue Forschungsinterpretation bieten oder eine neue Biographie iiber Claus Schenk Graf von Stauffenberg präsentieren. Dazu liegen bereits fundierte Studien vor. Schwerpunkt dieses Buchs ist es, den Hintergrund des 20. Juli 1944 zu beleuchten und ergänzende Erklärungen zum Ablauf des Sprengstoffanschlags und Staatsstreichversuchs zu geben. Was war der Kern von Hitlers zwanghafter, intensiver und letztlich iibergeordneter Beziehung zu seinen Soldaten?

In einem Abschnitt wird die Rolle von General Adolf Heusinger1 beleuchtet. Der erste Generalinspekteur der Bundeswehr wurde am 23. Juli 1944 verhaftet, aber nicht vor Gericht gestellt, obwohl die Untersuchung dokumentarisch ergeben hatte, dass er seit 1943 von den Attentatsvorbereitungen wusste. Während seiner zweimonatigen Haft verfasste er eine Denkschrift iiber Hintergriinde und Vorgeschichte des 20. Juli. Nach Heusingers eigenen Worten sagte Hitler zu ihm: „Es hat mir leid getan, dass auch Sie in die Untersuchungen verwickelt waren ... Ich habe Ihre Denkschrift aus der Haftzeit studiert. Ich danke Ihnen dafür".2 Der Verlauf der Ereignisse am 20. Juli und in der Folgezeit hat bewiesen, dass die Machthaber des Regimes jeden umbrachten, der nur irgendwie Mitwisser war und ihnen in die Hände fiel. Aber der Mitwisser Adolf Heusinger iiberlebte...

Warum richteten die nationalsozialistischen Machthaber skrupellos nur die anderen Mitwisser und er blieb verschont?

Warum wurde Adolf Heusinger aus dem Prozess ausgeklammert und wurde bis nach dem Tode seiner ehemaligen Kameraden bei der Geheimen Staatspolizei versteckt?

Warum empfing ihn Hitler Ende September 1944 in persönlicher Audienz im Fiihrerhauptquartier in Rastenburg? Warum bedankte sich Hitler bei ihm für seine Denkschrift? Auf diese Fragen gibt es nur eine Antwort: Heusinger ist ein Verräter der mutigen Männer des 20. Juli 1944. Ob er nun im Auftrage sich als Spitzel an die Verschwörer heranmachen musste, oder ob er sie alle durch seine „Denkschrift" dem Regime auslieferte, das ist und bleibt belanglos.3

DER UMSTURZVTERSUCH

Attentatsvorbereitungen und —versuche

Ende 1943 hatte sich die militärisch-politische Lage Deutschlands auf allen Gebieten weiter verschärft. Nach dem in der Schlacht bei Kursk im Sommer 1943 keine Entscheidung zugunsten der Deutschen fiel, ging die militärische Initiative endgiiltig an die Rote Armee iiber. Trotz der Mobilisierung aller Kräfte war die Stärke des Ostheeres von 3.100.000 Mann am 1. November 1942 auf 2.850.000 Mann am 1. November 1943 abgesunken. Der grundlegende Umschwung im gesamten Kriegsverlauf hatte sich vollendet. Für die Verschwörer war die Verschlechterung der militärischen Lage Anlass, ihre Attentatsvorbereitungen zu beschleunigen. Wenden wir uns nunmehr diesen Vorbereitungen zu, wobei im Interesse einer besseren Übersichtlichkeit die Vorbereitungen und Versuche der Jahre 1943/44 zusammenhängend dargestellt werden.

Die militärischen Vorbereitungen zur Beseitigung Hitlers griindeten sich auf einen Plan unter dem Decknamen „Walkiire", der MaBnahmen für den Fall innerer Unruhen vorsah. Bereits im Winter 1941/42 hatte Olbricht vorgeschlagen, einen solchen Plan auszuarbeiten. Hitler hatte den Vorschlag angesichts der groBen Zahl ausländischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter in Deutschland und der Gefahr feindlicher Luftlandungen zugestimmt. Im Verlauf der Jahre 1942/43 war der „Walkiire"-Plan ausgearbeitet und mehrfach ergänzt worden. In seiner Endfassung sah er vor, im Falle innerer Unruhen die Einheiten des Ersatzheeres — das waren etwa 2,5 Millionen Mann — zu alarmieren und zu einsatzfähigen Kampfgruppen zusammenzustellen. Die Kampfgruppen sollten unter dem Befehl der Wehrkreiskommandeure wichtige Objekte, militärische und wirtschaftliche Anlagen, Nachrichtenzentren und —verbindungen, Transportanlagen usw. sichern und dann auf Grund weiterer Anweisungen den auftretenden Gegner bekämpfen. Alle Wehrkreiskommandos waren im Besitz des Planes, der auf das Stichwort „Walkiire" in Kraft treten sollte. Zur Auslösung von „Walkiire" war im Auftrage Hitlers nur der Befehlshaber des Ersatzheeres Generaloberst Fromm, berechtigt.

Im Falle einer Weigerung Fromms, sich am Staatsstreich zu beteiligen, wollte General Olbricht das Stichwort „Walkiire" an die Wehrkreisbefehlshaber geben, was technisch durchaus möglich war, denn bei Fernschreiben oder Funkspriichen war nicht sofort festzustellen, wer wirklich den Befehl unterzeichnet hatte. Der von Hitler bestätigte Alarm- und Einsatzplan stellte die legale Tarnung und den Auftakt für den beabsichtigten Staatsstreich dar. Olbricht, Stauffenberg und — bis Oktober 1943 — Tresckow arbeiteten gemeinsam dazu eine Reihe von Zusatzbefehlen aus, die die Aufgabe hatten, den „Walkiire"-Alarm in einen Staatsstreich zur Beseitigung der Naziherrschaft umzuwandeln.4

Nach dem Attentat auf Hitler und der Alarmierung der Truppen in Berlin und Umgebung sollte der erste Grundbefehl an die Wehrkreiskommandeure und Oberbefehlshaber herausgehen. Er begann mit den Worten: „Der Fiihrer Adolf Hitler ist tot. Eine gewissenlose Clique frontfremder Parteifiihrer hat es unter Ausnutzung dieser Lage versucht der schwer ringenden Front in den Riicken zu fallen und die Macht an sich zu reiBen."5 Die Verschwörer hielten diese Erklärung zunächst für notwendig, weil sie meinten, dass die Autorität Hitlers in der Wehrmacht noch so groB sei, dass man nicht gleich die volle Wahrheit sagen könne. Dies sollte erst geschehen, nachdem die Macht in den Händen der Wehrmacht war. Weiter wurde in dem Grundbefehl dem Feldmarschall, der ihn unterzeichnet hatte (im September 1943 erklärte sich Erwin von Witzleben dazu bereit), der Oberbefehl iiber die Wehrmacht und damit zugleich die vollziehende Gewalt iibertragen. Der Oberbefehlshaber delegierte die vollziehende Gewalt für das Heimatkriegsgebiet an den Befehlshaber des Ersatzheeres, für die besetzten Gebiete an die Oberbefehlshaber West, Siidwest, Siidost, Heeresgruppe Siidukraine, Nordukraine, Mitte, Nord, an die Wehrmachtbefehlshaber Ostland, Dänemark und Norwegen. Diesen Befehlshabern wurden unterstellt: sämtliche Einheiten und Dienststellen der Wehrmacht, der Waffen-SS, des Reichsarbeitsdienstes (RAD), der Organistion Todt (OT), alle öffentlichen Behörden, die gesamte Ordnungs-, Sicherheits- und Verwaltungspolizei, die NSDAP und die Verkehrs- und Versorgungsbetriebe. Die Waffen-SS sollte sofort in das Heer eingegliedert werden. Die Inhaber der vollziehenden Gewalt sollten die Ordnung und öffentliche Sicherheit aufrechterhalten, die Nachrichtenanlagen sichern und den Sicherheitsdienst der SS (SD) ausschalten. Alle militärischen Kommandeure wurden verpflichtet, die Inhaber der vollziehenden Gewalt mit allen Mitteln, auch unter Anwendung von Waffengewalt, zu unterstiitzen. Der Befehl schloss mit den Worten: „Der deutsche Soldat steht vor einer geschichtlichen Aufgabe. Von seiner Tatkraft und Haltung wird es abhängen, ob Deutschland gerettet wird."6

Im zweiten Grundbefehl übertrug der Befehlshaber im Heimatkriegsgebiet die vollziehende Gewalt an die stellvertretenden Kommandierenden Generale und Wehrkreisbefehlshaber. Sie erhielten gleichzeitig die Befugnisse der von Hitler eingesetzten Reichsverteidigungskommissare.

Es waren folgende SofortmaBnahmen durchzuführen:

1. Militarische Besetzung und Sicherung der Anlagen des Nachrichtennetzes der Post und der Wehrmacht, einschlieBlich Funk.
2. Amtsenthebung und Verhaftung samtlicher NSDAP-Gauleiter, Reichsstaathalter, Minister, Oberprasidenten, Polizeiprasidenten, höherer SS- und Polizeiführer, GeStaPo-Leiter, Leiter der SS-Dienststellen, Leiter der Propagandaamter und NSDAP-Kreisleiter,
3. Besetzung der Konzentrationslager, Verhaftung ihrer Kommandanten, Entwaffnung und Kasernierung der Wachmannschaften,
4. Verhaftung der sich widersetzenden oder ungeeigneten Führer der Waffen-SS, Entwaffnung der Widerstand leistenden Verbande („Energisches Zugreifen mit überlegenen Kraften, damit starkeres BlutvergieBen vermieden wird),7
5. Besetzung der SD- und GeStaPo-Dienststellen, Heranziehung der Ordnungspolizei zur Mithilfe,
6. Herstellung der Verbindung zur Marine und Luftwaffe und gemeinsames Handeln.

Da Fromm seine Mitwirkung an der Aktion verweigerte, sollte Generaloberst Erich Hoepner Befehlshaber des Ersatzheeres und damit des Heimatkriegsgebietes werden. Als Oberbefehlshaber der Wehrmacht war, wie schon erwahnt, Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben vorgesehen und hierzu auch bereit.

Schwerpunkt für den Einsatz der Truppen im Rahmen des „Walküre"-Planes war zunachst die Reichshauptstadt. Die hier verfügbaren Truppen — das Wachbataillon, die Feuerwerker- und Waffenmeisterschule, die Panzertruppenschulen Krampnitz und GroB-Glienicke, die Infanterieschule Döberitz, die Fahnenjunkerschule Potsdam, die Unteroffizierschule Potsdam und als zweite Welle die Panzertruppenschule Wünsdorf und die Artillerieschule Jüterbog — sollten das Regierungsviertel absperren, Goebbels festnehmen, das Propagandaministerium und das Reichssicherheitshauptamt besonders bewachen und alle anderen wichtigen Objekte besetzen. Eine Aufstellung umfasste 29 vordringlich zu besetzende Objekte: zehn SS-Objekte, zehn Regierungsstellen und neun Parteidienststellen. Spater sollten 32 weitere Objekte besetzt werden. Einige Einheiten sollten den Auftrag erhalten, die Rundfunksender Königs Wusterhausen, Zeesen und Tegel sowie das Funkhaus in der Masurenallee zu besetzen. Es war vorgesehen, Aufrufe an die Wehrmacht und an das Volk über den Rundfunk zu verbreiten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Es gab ferner Plane, um das Nachrichtennetz der Post und der Wehrmacht in die Hand zu bekommen. General Erich Fellgiebel, der Chef des Nachrichtenwesens im OKH und aller Wehrmachtsnachrichtenverbindungen, war zusammen mit seinen Mitarbeitern General Thiele und Oberst Hahn bereit, nach dem Attentat alle Nachrichtenverbindungen vom Führerhauptquartier zu sperren.

Die von Olbricht und Stauffenberg unter strenger Geheimhaltung vorgenommenen Planungsarbeiten waren sehr sorgfaltig und gründlich. Die schriftlichen Arbeiten an den „Walküre"-Zusatzbefehlen wurden von Frau von Tresckow und Fraulein von Oven, spater verheiratete Grafin Hardenberg, erledigt. Stauffenbergs Arbeit erfreute sich bei seinen Kameraden groBer Wertschatzung. Fritz-Dietlof von der Schulenburg bezeichnete sie als geradezu „klassisch": „Wir waren schon weiter, wenn sich Stauffenberg eher entschlossen hatte", bemerkte er zu seiner Frau.8

Die Tochter des Grafen Uxküll, Olga von Saucken, gibt folgende AuBerung ihres Vaters wieder: „Wenn diese ganze Verschwörung überhaupt noch eine winzige Chance hat, dann erst, seit Claus dazugestoBen ist. Er ist jetzt die treibende Kraft, die Kraft, die überhaupt erst all unseren jahrelangen Bemühungen eine Form gegeben hat. Er ist jetzt auch der Finger am Drücker. Ich bin schon alt, ich sehe im Moment meine Hauptaufgabe in der Sorge für Claus. Denn ohne ihn hat die ganze Sache kein Herz und (keinen) Kopf".9

Bei aller Würdigung von Stauffenbergs und Olbrichts sorgfaltiger Planungsarbeit muss man auch feststellen, dass sie sich ausschlieBlich auf die Vorbereitung eines militarischen Staatstreichs bezog. Es war nicht vorgesehen, das Volk von der ersten Stunde an zum Handeln aufzurufen, im Gegenteil, das Verbot von Kundgebungen, Demonstrationen und Herstellung von Flugblattern zielte darauf ab, revolutionare Aktivitaten zu unterbinden. Der erste Schlag sollte ausschlieBlich von Militars geführt werden.

Stauffenberg und Olbricht stellten die von ihnen vorbereiteten Aktionen ausschlieBlich auf die Grundlage des militärischen Befehlssystems und rechneten sowohl mit dem unabdingbaren Gehorsam der angesprochenen Offiziere als auch mit der korrekten Durchfiihrung der Weisungen. Der Kreis der Wissenden war sehr klein, es gab weder zivile noch militärische politisch zuverlässige Einheiten zur Durchfiihrung der ersten MaBnahmen. Die Truppen, die bisher auf Befehl ihrer Offiziere für den „Fiihrer" marschiert waren, sollten nunmehr auf Befehl der gleichen Offiziere gegen ihn marschieren. Es sollte sich zeigen, dass diese Decke zu diinn sein musste, um ein Unternehmen solcher Gewichtigkeit zu tragen. Wir diirfen annehmen, dass Stauffenberg diesen Mangel spiirte. Er versuchte, ihn zu mildern, indem er mit jedem der kiinftigen Verbindungsoffiziere sprach und ihn in Plan und Aufgabe einfiihrte. Aber das betraf bereits die Zeit nach dem entscheidenden Schlag, der in Berlin erfolgen musste. Stauffenberg und Olbricht bemiihten sich ferner, mit den in und um Berlin stationierten Truppen in näheren Kontakt zu kommen.

Die Liste der Politischen Beauftragten ist eine Ansammlung von Unternehmern, Gutsbesitzern sowie friiheren oder noch aktiven Staatsbeamten, die zumeist den ehemaligen biirgerlichen Parteien, besonders dem Zentrum, angehorten. Wir wissen, dass Stauffenberg, Dr. Julius Leber, Helmuth James Graf von Moltke u.a. gegen die Kandidatur von Dr. Carl Friedrich Goerdeler als Reichskanzler aufgetreten sind und Leber oder Wilhelm Leuschner als neuen Kanzler wollten. Für die Regierung einschlieBlich der den einzelnen Ministerien unterstehenden Staatssekretäre waren folgende Personen vorgesehen:10

Reichspräsident und andere hohe Staatsämter

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Reichsregierung
Reichskabinett

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Staatssekretäre

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Politische Beauftragte

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Poitische Unterbeauftragte

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Militär

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einheitsgewerkschaft

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ein einheitliches Regierungsprogramm existierte nicht. Es gab lediglich die zahlreichen Denkschriften Goerdelers, denen die Kreisauer Dokumente und die sich mit ihnen beriihrenden Ansichten der Gruppe um Stauffenberg gegeniiberstanden. In den von Goerdeler, Josef Wirmer, Stauffenberg u.a. vorbereiteten Rundfunkansprachen spiegelten sich die verschiedenen Ansichten und die Kompromisse wider.

Wenden wir uns nunmehr wieder den konkreten Attentatsversuchen zu, die in der Zeit von Herbst 1943 bis zum 20. Juli 1944 mehrfach unternommen wurden.

In der Frage der Ausschaltung Hitlers gab es verschiedene Auffassungen. Goerdeler lehnte lange Zeit ein Attentat ab, weil er offenkundig fürchtete, dass sich nach dem Tod Hitlers und anderer Paladine, stiirmische demokratisch-revolutionäre Kräfte wie nach 1918 erheben könnten. Dabei rechnete er damit, dass es gelingen wiirde, Hitler zum Riicktritt zu bewegen und ohne wesentliche Konflikte die deutsche Politik in etwas gemäBigtere Bahnen zu lenken.

Moltke, Theodor Steltzer und andere Mitglieder des Kreisauer Kreises waren ebenfalls gegen ein Attentat, aber nicht aus Angst vor dem Volk. Sie meinten, dass mit der Beseitigung Hitlers das gesamte Naziregime noch längst nicht beseitigt sei. Eine demokratische Volksbewegung, die das System hätte umstiirzen können, gab es nach ihrer Meinung nicht, und den Generalen trauten sie diese Fähigkeit nicht zu. Darum hielten sie die Befreiung Deutschlands auf dem Wege iiber die militärische Katastrophe für unabwendbar.11

AuBerdem gab es einige Mitglieder der Verschwörung, die ein Attentat aus religiösen Griinden ablehnten, z.B. Werner von Haeften.

Stauffenberg, Olbricht, Tresckow und andere hielten das Attentat auf Hitler für den einzig möglichen Auftakt zu einer Umwälzung. Sie rechneten mit dem Heer und seinen Offizieren als den allein entscheidenden Faktor der ersten Stunde und Tage. Sie wussten aber auch, dass viele Offiziere sich an den Eid gebunden glaubten, dass andere die Eidbindung nutzten, um einer persönlichen Entscheidung gegen die Nazis ausweichen zu können. Und schlieBlich hatte bei dem Kult, der um Hitler getrieben wurde, seine Person wesentliche Bedeutung für den inneren Zusammenhalt und die Festigkeit des gesamten Nazisystems mit Partei, Verbänden, SS, GeStPo usw. Stauffenberg und Olbricht wollten alle diese Probleme durch die klare Tatsache des Todes Hitlers lösen. Darum betrieben sie mit Energie die weiteren Attentatsvorbereitungen.

Ein neuer Attentatsversuch sollte Anfang November 1943 stattfinden. Man hatte sich darauf geeinigt, dass Generalmajor Hellmuth Stieff, der an den Lagebesprechungen im Fiihrerhauptquartier teilnahm, den Anschlag während einer „Fiihrerlage", wie die Besprechungen mit Hitler genannt wurden, ausfiihren sollte. Tresckow hatte neuen englischen Sprengstoff besorgt, den er im Oktober an Stauffenberg weitergab. Stauffenberg iibergab ihn an Stieff, der jedoch nach einiger Zeit erklärte, keine Möglichkeit zu haben, den Sprengstoff unbemerkt in das Beratungszimmer zu bringen. Der mehrfache Sicherheitskordon, der Hitler im Hauptquartier umgab, war in der Tat ein schweres Hindernis für das Gelingen eines Anschlags.

Stauffenberg hatte versucht, den Oberst i.G. Joachim MeichBner für das Attentat zu gewinnen. MeichBner war Mitarbeiter Keitels und hatte Zutritt zu den Lagebesprechungen. Aber MeichBner, obwohl er mit Stauffenberg iibereinstimmte, brachte nicht die Kraft auf, den Anschlag auszufiihren. Daraufhin schlug Tresckow vor, das Attentat während einer Uniformvorfiihrung zu vollziehen. Im November sollten Hitler neue Uniformen vorgefiihrt werden, damit er sie genehmigen konnte. Es galt, einen Offizier zu finden, der bereit war, mit einer in der Uniform versteckten Sprengstoffladung sich Hitler zu nähern und ihn und sich selbst in die Luft zu sprengen. Schulenburg nannte Hauptmann Axel von dem Bussche, mit dem er befreundet war und von dem er wusste, dass er Hitler gliihend hasste. Das Erlebnis der MassenerschieBungen von Männern, Frauen und Kindern in Polen und der Sowjetunion hatte ihn zu einem Feind des Regimes gemacht. Stauffenberg rief Bussche von der Ostfront nach Berlin und fiihrte ihm in Diippel, einem Vorort von Berlin, das entscheidende Gespräch. Bussche war zur Selbstaufopferung bereit. Jedoch wurde die Vorfiihrung der Uniformen mehrmals verschoben, und als sie schlieBlich doch stattfinden sollte, wurde der Eisenbahnwagen mit den Uniformen durch einen Luftangriff in Berlin vernichtet. Inzwischen musste Bussche wieder an die Front zuriick, wo er bald schwer verwundet wurde.

Zu dieser Zeit äuBerte Stauffenberg zum ersten Mal den Gedanken, das Attentat selbst auszufiihren. Aber Olbricht und Beck widersprachen dem, weil sie Stauffenberg in Berlin für unersetzbar hielten.

Nach unklaren und nicht eindeutig belegten Darstellungen soll Ende Dezember 1943 ein weiterer vergeblicher Versuch eines Anschlages unternommen worden sein.12 Ein Zufall hätte beinahe zur Entdeckung der Verschwörung gefiihrt. Major Kuhn und Oberleutnant Hagen hatten englischen Sprengstoff im Fiihrerhauptquartier unter einem hölzernen Wachturm verborgen. Auf ungeklärte Weise entziindete sich die Ladung. Die Untersuchung des Vorfalls wurde jedoch von dem Abwehroffizier Oberstleutnant Schrader, der Mitglied der Verschwörung war, gefiihrt. Schrader konnte die Angelegenheit verschleiern und eine Entdeckung verhindern. Es musste jedoch neuer Sprengstoff beschafft werden. Im Januar 1944 ergab sich aufs neue die Möglichkeit, die jetzt beabsichtigte Uniformvorfiihrung für das Vorhaben auszunutzen. Da Bussche verwundet war, musste ein anderer Offizier gefunden werden. Schulenburg schlug Oberleutnant Ewald-Heinrich von Kleist vom Postdamer 9. Infanterie-Regiment vor, der nach Gesprächen mit Stauffenberg und mit seinem Vater, dem pommerschen Gutsbesitzer Ewald von Kleist-Schmenzin, zum Selbstopfer bereit war.13 Doch die für den 11. Februar 1944 angesetzte Vorfiihrung wurde wider abgesagt.

[...]


1 Heusinger wurde am 1.3.1957 erster Generalinspekteur der Bundeswehr und war vom 1.4.1961 bis 20.3.1964 Vorsitzender des Ständigen Militärausschusses der NATO in Washington.

2 A. Heusinger, Befehl im Widerstreit, S. 365/366, 1950 Rainer Wunderlich Verlag

3 s.a. J. Hellwig/ H. Oley, Der 20. Juli 1944 und der Fall Heusinger , Berlin 1959

4 Die Wiedergabe der „Walkiire"-Zusatzbefehle erfolgt so, wie sie am 20. Juli 1944 tatsächlich herausgegangen sind. Veröffentlicht von Julius Mader im „Mitteilungsblatt der AeO" Nr. 11/1968 bis 2/1969

5 Mitteilungsblatt der AeO., Nr. 12/1969, S. 9

6 Ebenda, S. 10

7 Ebenda

8 Charlotte Grafin von der Schulenburg, zitiert in Kramarz, Joachim: Claus Graf Stauffenberg. Das Leben eines Offiziers, Frankfurt (Main) 1965. S. 148

9 Ebenda, S.139

10 Zeller, Eberhardt: Geist der Freiheit, Der 20. Juli 1944, Berlin/Darmstadt/Wien 1965. S. 318

11 Finker, Kurt: Stauffenberg und der 20. Juli 1944, Union Verlag Berlin, 1970, S. 432

12 Kramarz, a.a.O., S. 157

13 Bodo Scheurig: Ewald von Kleist-Schmenzin. Ein Konservativer gegen Hitler, Oldenburg/Hamburg 1968, S. 187

Ende der Leseprobe aus 68 Seiten

Details

Titel
Operation Walküre - Claus Schenk Graf von Stauffenberg
Untertitel
Der 20. Juli 1944
Autor
Jahr
2008
Seiten
68
Katalognummer
V144073
ISBN (eBook)
9783640536962
ISBN (Buch)
9783640537013
Dateigröße
6392 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Stauffenberg, Walküre, Militärischer Widerstand, 20. Juli 1944, Attentat Hitler, Wolfsschanze, Führerbunker
Arbeit zitieren
Stefan Erminger (Autor:in), 2008, Operation Walküre - Claus Schenk Graf von Stauffenberg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144073

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