Mythenrezeption in der Postmoderne


Seminararbeit, 2009

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Mythenrezeption seit der Antike

2. Mythenrezeption in der Postmoderne
2.1.Grundsätzliches zur Mythenrezeption
2.2. Aktuelle Diskussionen um die Mythenrezeption
2.3. Besonderheiten der postmodernen Mythenrezeption
2.3.1 Inhalte
2.3.2 Rezeptionsstrategien
2.3.2.1 Schmeling: Nutzbarmachung topologischer und
konstruktivistischer Elemente für die Arbeit am Text
2.3.2.2 Mythosrezeption als Rezeption einer Rezeption
2.3.2.3 Eco: Ästhetisierung des Mythos als charakteristisch
postmoderne Rezeptionsstrategie
2.3.2.4 Fiedler: Einsatz des Mythos als Kriterium zur Unterscheidung zwischen Moderne und Postmoderne
2.3.2.5 Crӑciun: Definition der literarischen Postmoderne über den
Umgang mit dem antiken Mythos

3. Zusammenfassung der Ergebnisse

1. Mythenrezeption seit der Antike

Mythen erscheinen in allen Epochen und Kulturen, in unserer Gegenwart und unserem Kulturraum. Die Geläufigsten, sind dabei jene der griechischen und römischen Antike. Die Anfänge dieser Stoffe, wie sie von den damaligen Schriftstellern erstmals aufgeschrieben wurden, reichen bis ins 12. Jahrhundert v. Chr. Zurück. In den folgenden Jahrhunderten wurde daraus der uns überlieferte griechische Mythos geformt.[1]

Die erste schriftliche Fixierung mythischer Stoffe wird Homer zugeschrieben, welcher im 8. Jahrhundert v. Chr. die Ilias und die Odyssee dichtete. Heinrich Dörrie ist jedoch überzeugt, dass der Mythos als solcher – der Mythos, den wir assoziieren, wenn wir heute an den antiken Mythos denken – erst im 5. Jahrhundert v. Chr. seine endgültige Form fand.[2] Besonders ist hier als einer der ersten Schriftsteller Hesiod zu nennen, der mit seiner Theogonia den Göttern und Helden einen Stammbaum gab, was später vor allem vom Adel instrumentalisiert wurde, um die eigene Herkunft direkt vom Göttervater Zeus herzuleiten.[3]

Schon Schriftsteller aber z. B. auch Philosophen der Antike kamen am Mythos nicht vorbei, und auf diese Weise entstanden schon damals zahlreiche Varianten der jeweils selben Stoffe. Im Laufe ihrer Rezeptionsgeschichte wechselte so allmählich der Kontext der aufgegriffenen Mythen, sie wurden anstatt in die Vergangenheit in eine überzeitliche Metaebene gesetzt „und wurden gerade hierdurch zu Unsterblichkeit verbannt“[4].

Diese Sichtweise des Mythos – „eine Welt der allgemeingültigen Beispiele“[5] – setzte sich von der Spätantike bis ins europäische Mittelalter hinein fort. Im Humanismus der frühen Neuzeit und im Neuhumanismus des 18./19. Jahrhunderts hatte sich dann eine Vorstellung von Mythos als etwas Grundlegendem und Urtümlichen herausgebildet, das mit antiken, seit dem frühen 19. Jahrhundert auch mit mittelalterlichen und noch später mit außereuropäischen oder subkulturellen Stoffen verbunden war.

In der deutschen Literaturgeschichte ist eine besonders intensive Mythenrezeption in den Literatursystemen der Weimarer Klassik und der Romantik, sowie in der Moderne und den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu verzeichnen. Unterbrochen wurde dieser Prozess radikal nach Alfred Rosenberg, der den Mythos für den Nationalsozialismus instrumentalisierte und damit nicht unwesentlich zu dessen zeitgenössischer Attraktivität beitrug. Cieślak sieht darin die Ursache für die nur vereinzelt vorliegenden literarischen Bearbeitungen mythischer Stoffe in der Nachkriegszeit.[6]

Weshalb es ab den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wieder verstärkt zur Rezeption von Mythen kam, soll im Folgenden ausführlicher dargestellt werden, einschließlich des Versuchs einer Charakterisierung der postmodernen Mythenrezeption. Die zur Verdeutlichung angeführten literarischen Beispiele stammen größtenteils aus Christoph Ransmayrs Roman Die letzte Welt, ein Werk, das die meisten Kritiker als postmodern einstufen.[7]

2. Mythenrezeption in der Postmoderne

2.1.Grundsätzliches zur Mythenrezeption

Die etymologische Bedeutung von „Mythos“ als Erzählung, Rede usw. verdeutlicht schon das ihm zugrunde liegende narrative Schema und impliziert damit eine immer erfolgende Variation des Stoffes mit jedem Neuerzählen­. So geht auch der Autor vor, der Mythen oder weitaus häufiger auch nur Mythologemene in seinen Werken verarbeitet: Er schreibt eine weitere Variation des alten Mythos, von welchem sich eine Urform aufgrund der immer schon durch Erzählung erfolgten Überlieferung nicht mehr rekonstruieren lässt. Daraus folgt, dass die mythischen Gestalten ihre jeweils vorliegende Geschichte sind, denn sie besitzen keine Realität außerhalb ihrer narrativen Fassung.

Welche Stoffe der Verfasser dieser neuen Variation auswählt oder welche Akzente er setzt, ist dabei ebenso seinen persönlichen Vorstellungen und dem Wandel des Zeitgeschmacks unterworfen wie alle anderen Komponenten der Entstehung von Literatur, was sich bei Verfolgung der unterschiedlichen literarischen Verarbeitungen eines bestimmten mythischen Stoffes zu verschiedenen Zeiten durch verschiedene Autoren deutlich zeigen lässt.[8] Die zur Bearbeitung ausgewählten mythischen Stoffe werden durch diese Vorgehensweise der jeweiligen Gegenwart angepasst und attraktiv gemacht.

2.2. Aktuelle Diskussionen um die Mythenrezeption

Zwei gegensätzliche Strömungen kennzeichnen die gegenwärtige Mythenrezeption: einerseits Warnungen vor einer Wiederkehr des Mythos, verbunden mit den Erinnerungen an dessen Instrumentalisierung während der NS-Zeit, gleichzeitig aber auch die Forderung nach einer „Rettung des Mythos“, angesichts einer immer deutlicher in Erscheinung tretenden Krise von Aufklärung, Vernunft und Fortschrittsoptimismus und der damit verbundenen drohenden Sinndefizite und Orientierungsverluste.[9]

Renata Cieślak führt an, dass die Attraktivität des Mythos für die Literatur der Postmoderne darin besteht, dass er es ermöglicht, auf die Forderung nach alternativen Orientierungen angesichts der ökologischen und wissenschaftlich-technischen Defizite unseres Zeitalters zu antworten. Sie verweist außerdem darauf, dass die literarischen Werke der 80er und 90er Jahre deutlich zeigen, dass Horkheimers und Adornos Theorien heute noch aktuell sind.[10]

Auf diese beiden Philosophen und Theoretiker beruft sich auch Herwig Gottwald, wenn er aus dem beschriebenen Gegensatz einen „Zusammenhang zwischen der Remythisierung bzw. verstärkten Mythenrezeption und einer allgemeinen Krise der Aufklärungskultur“[11], wie er sie gerade in der Gegenwart zu erkennen glaubt, konstatiert.

Dieser These stimmt auch Kurt Bartsch zu, der die in der Literatur der 80er und 90er Jahre verstärkt zu verzeichnende Hinwendung zum Mythos aus der Enttäuschung über die Entwicklung sowohl des real existierenden Sozialismus als auch der Reformansätze in den westlichen Gesellschaften erklärt. Diese und weitere Faktoren führten zur „Rückbesinnung auf die Mythen und die Vergangenheit“[12].

Nicola Bock-Lindenbeck zieht im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Mythos, Aufklärung und Literatur folgende Schlussfolgerung, die als Zusammenfassung aller bereits dargestellten Thesen gelten kann:

„Mit zunehmender Aufklärung hat gleichzeitig die Beschäftigung mit dem Mythos zugenommen. Je vernunftorientierter die Zeit, desto mythischer in Folge die Literatur.“[13]

Weitere Gründe für eine verstärkte Mythenrezeption in der Gegenwart sieht Carl-Friedrich Geyer in der dem Mythos „zugewiesenen Komplementärfunktion zum rationalen Denken“[14]. Das bedeutet, dass mythische Erfahrungsformen für die Gegenwart attraktiv sind, da der Mythos einen anderen Typ von Vernunft als das rationale Denken der Aufklärung verkörpert. Daraus resultiert eine andere Möglichkeit der Vorstellung von Wirklichkeit.

Die Literatur bedient sich des Mythos aber nicht nur, um ihn in Opposition zu rationalem Denken zu stellen, sondern auch um vor dessen Folgen zu warnen. Laut Cieślak haben die Schriftsteller nicht das Ziel, neue Mythen zu erfinden, welche die Funktionen der alten wiederholen würden, „sondern sie wenden sich dem Mythischen zu, um die Probleme der Gegenwart zu gestalten.“[15] Ebenso definiert Sabine Georg die Arbeit am Mythos als „Auseinandersetzung mit dem Schrecken aus der Gegenwart, dem Ungelenkten und Entgrenzten.“[16]

Die Attraktivität des Mythos für literarische Bearbeitungen nicht nur in der Postmoderne rührt nicht zuletzt auch daher, dass er Modellcharakter besitzt, das heißt, er bildet Grundmuster menschlicher Verhaltensweisen und Konflikte ab. Dass sich gegenwärtige Probleme am Beispiel von Mythen deuten lassen liegt daran, dass bei ihrer Gestaltung das für ein Phänomen Typische hervorgehoben wird, während die Rahmenbedingungen Versatzstücke darstellen und ausgetauscht werden können. Dass sich die mythischen Grundmuster für die Darstellung der wichtigsten Probleme der menschlichen Existenz immer noch eignen beschreibt Hans Blumenberg folgendermaßen:

[...]


[1] ­Martin Kiel: Nexus. Postmoderne Mythenbilder – Vexierbilder zwischen Spiel und Erkenntnis (Europäische Hochschulschriften, 1. Reihe: Deutsche Sprache und Literatur, Band 1566) Frankfurt am Main 1996, S. 55.

[2] Heinrich Dörrie: Sinn und Funktion des Mythos in der griechischen und römischen Dichtung, Opladen 1978, S. 7.

[3] Kiel: Nexus, S. 56.

[4] Ebenda, S. 59.

[5] Ebenda, S. 61.

[6] Renata Cieślak: Mythos und Geschichte im Romanwerk Christoph Ransmayrs (Giessener Arbeiten zur Neueren Deutschen Literatur und Literaturwissenschaft, Band 27) Frankfurt am Main 2007, S. 57.

[7] Verwendet wurde folgende Ausgabe: Christoph Ransmayr: Die letzte Welt. Mit einem Ovidischen Repertoire, Frankfurt am Main 142007.

Zum Vergleich einzelner Figuren mit der Vorlage wurde verwendet: Publius Ovidius Naso: Metamorphosen, übersetzt von Reinhart Suchier (Goldmann-Klassiker, Band 7513) München 1973.

Nicht alle Rezensenten sehen im Roman Die letzte Welt ein Buch der Postmoderne, beispielsweise Herwig Gottwald, siehe: Herwig Gottwald: Mythos und Mythisches in der Gegenwartsliteratur. Studien zu Christoph Ransmayr, Peter Handke, Botho Srauß, George Steiner, Patrick Roth und Robert Schneider (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik, Band 333) Stuttgart 1996, S. 10.

[8] Beispielsweise zur Geschichte des Medea-Stoffes: Ludger Lütkehaus (Hrsg.): Mythos Medea. Texte von Euripides bis Christa Wolf, Leipzig ²2005.

[9] Gottwald: Mythos und Mythisches in der Gegenwartsliteratur, S. 15.

[10] Cieślak: Mythos und Geschichte im Romanwerk Christoph Ransmayrs, S. 60.

[11] Gottwald: Mythos und Mythisches in der Gegenwartsliteratur, S. 15.

[12] Kurt Bartsch: „Und den Mythos zerstört man nicht ohne Opfer“. Zu den Ovid-Romanen „An imaginery life“ von David Malouf und „Die letzte Welt“ von Christoph Ransmayr. In: Wolf, Volker (Hrsg.) Lesen und Schreiben. Literatur-Kritik-Germanistiik. Festschrift für Manfred Jurgensen zum 55. Geburtstag. Francke, Tübingen 1995, 15-22, hier S. 15f.

[13] Nicola Bock-Lindenbeck: Letzte Welten, neue Mythen. Der Mythos in der deutschen Gegenwartsliteratur. Böhlau, Köln 1999, S. 261.

[14] Carl-Friedrich Geyer: Mythos. Formen – Beispiele – Deutungen, (Beck'sche Reihe Wissen, Band 2032) München 1996, S. 75.

[15] Cieślak: Mythos und Geschichte im Romanwerk Christoph Ransmayrs, S. 61.

[16] Zitiert nach Cieślak: Mythos und Geschichte im Romanwerk Christoph Ransmayrs, S. 61.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Mythenrezeption in der Postmoderne
Hochschule
Universität Passau
Veranstaltung
Proseminar: Literatur der Postmoderne
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
18
Katalognummer
V144017
ISBN (eBook)
9783640547609
ISBN (Buch)
9783640552382
Dateigröße
529 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mythenrezeption, Postmoderne
Arbeit zitieren
Eva-Maria Burger (Autor:in), 2009, Mythenrezeption in der Postmoderne, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144017

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