Analyse zu den Romanen des Realismus

Stendhal: "La Chartreuse de Parme", Balzac: "Le Père Goriot", Flaubert: "Madame Bovary"


Rezension / Literaturbericht, 2009

13 Seiten


Leseprobe


Teilaufgabe 1: Vergleichen Sie mittels Textbelegen aus den Werken

die drei verschiedenen héros! Inwiefern sind sie romantisch? Wie gestaltet sich bei den drei Werken das Verhältnis des héros zur Realität? Welche Charakterzüge vertreten bzw. symbolisieren die drei héros? Belegen Sie Ihre Aussagen durch Sekundärliteratur!1

Der Vergleich der héros und ihrer Charakterzüge: er Roman STENDHALs La Chartreuse de Parme hat keinen zentralen Helden2, vielmehr windet sich die Handlung des Buches in einem ständigen Perspektivenwechsel zwischen Fabrice del Dongo, Clélia Conti und dem Grafen Mosca hin und her. Nimmt man jedoch Fabrice als die dennoch wichtigste handlungstragende Person an, so lassen sich für ihn natürlich einige Charakteristika ausmachen. Fabrice distanziert sich von seiner reaktionären und österreichtreuen Mailänder Familie und wendet sich in tiefer Bewunderung für Napoléon seiner gleichgesinnten Tante Gina zu, mit der ihn eine lebenslange zärtlich-melancholische Bindung verbindet.3 Er ist eine leichtfertige, charmante und launenhafte Persönlichkeit4, aber vor allem ist er naiv. Als er beispielsweise der napoléonischen Armee beigetreten ist und erstmals in die Kampfhandlungen bei Waterloo verwickelt wird, zeigt sich dies ganz besonders: Ohne auf die Befehle der Vorgesetzen zu achten, prescht er im Glauben, ein vorbildlicher, ehrenhaft-todesmutiger Soldat zu sein (I: S. 63: „J’ai vu le feu ! […] Me voici un vrai militaire“.) auf die offene Ebene hinaus, und wundert sich plötzlich über das laute Gefecht, als hätte er derartiges im Krieg gar nicht erwartet. Allein, dass er im Anschluss in der Nähe des berühmten Maréchal Ney sein darf, erfüllt ihn mit Hochgefühlen über Ruhm und Ehre. Er passt in keinster Weise in den brutalen Schlachtalltag: „Notre héros, fort humain, se donnait toutes les peines du monde pour que son cheval ne mît les pieds sur aucun habit rouge“ (II, S. 62). Er handelt in seinen Leidenschaften oftmals unbesonnen5, so z.B. auch, als er später in Parma das Kind, welches er gemeinsam mit Clélia hat, entführt, worauf der kleine Junge erkrankt und stirbt. Generell sind die héros des Romans La Chartreuse de Parme, allen voran natürlich Fabrice, épicuriens passionnés und somit stets auf einer persönlichen chasse au bonheur, für welche die Szenerie des Romans, also beispielsweise die Erlebnisse von Fabrice im Militär und im Klerus, den äußeren (realistischen) Rahmen bilden.6 Tante Gina beispielsweise rät ihm zu einer Karriere in der Geistlichkeit, aber nicht etwa aus moralischen Gründen, sondern um dort zu Macht und Einfluss zu gelangen.7 Diesen Rat befolgt Fabrice und es gelingt ihm auch durch Intrigen und verbissen-leidenschaftliches Verfolgen seiner Ziele, eine solche Machtposition einzunehmen. Seine Leidenschaft zeigt sich auch in der Passage, als er in der Zitadelle von Parma eingesperrt ist, all sein Denken jedoch auf Clélia gerichtet ist, und wie er mit ihr in Verbindung treten kann. Diese individuelle Jagd nach dem persönlichen Glück macht die Helden in STENDHALs Roman durchaus zu romantischen Helden. Somit ist auch der Roman La Chartreuse de Parme romantisch. Es ist aber zu bemerken, dass diese egoistische Einstellung, das eigene Glück zu suchen, seine Ursache darin hat, dass die belle âme der héros stendhaliens stets für sich die Aufgabe hat, ihre Energie nur darauf zu richten, glücklich zu sein und das, was ihr wichtig ist, zu verfolgen und festzuhalten. Das lässt den héros natürlich stets ein sehr gefährliches Leben führen. Als nach dem Tod des Knaben auch Clélia aus Kummer verstirbt, Fabrice seine chasse au bonheur also als verloren aufgeben muss, stirbt auch er kurz darauf.

In HONORÉ DE BALZACs Roman Le Père Goriot ist ebenfalls nicht nur ein zentraler Held anzutreffen, sondern auch drei starke und zudem grundverschiedene Charaktere8: Rastignac ist ehrgeizig, Vautrin undurchschaubar, rücksichtslos-intrigant und zynisch und der tüchtige und aufrichtige Vater Goriot opfert sich in tiefster Zuneigung für seine beiden Töchter bis zur Selbstaufgabe auf. Letzterer stirbt am Ende, ausgebeutet von seinen herzlosen Töchtern, arm und allein gelassen. In seinen letzten Minuten verflucht und segnet er die beiden verzweifelt immer wieder abwechselnd: „Mourrai-je donc comme un chien ? Voilà ma récompense, l’abandon. Ce sont des infâmes, des scélérates ; je les abomine, je les maudis ; (…) Vous savez bien que je les aime, je les adore ! Je suis guéri si je les vois…“ (III, S. 298). Die héros in BALZACs comédie humaine stellen Typen einer monumentalen Sozialstudie mit psychologischer Feinheit dar. Vater Goriot vertritt das bornierte und habsüchtige Kleinbürgertum, seine schamlosen Töchter stehen für die Großbour- geoisie und für eine moralisch zerrüttete Aristokratie, und der Verbrecher Vautrin für eine atheistische, auf Umsturz in allen Bereichen sinnende Intelligenzelite.9 Wie ein Dreieck gruppieren sich diese sozialen Typen um den jungen aufstrebenden Rastignac, deren Einflüssen er im Verlauf der Handlung immer wieder in unterschiedlicher Weise und Intensität ausgesetzt ist. Hat sich mit BALZAC und STENDHAL die Romantik bereits in ihren letzten Ausläufern befunden und war die beginnende realistische Erzähltradition dort erst in ihren Anfängen10, so ist in FLAUBERTs Madame Bovary - mœurs de province, welches fortan als „Bezugspunkt, an dem die Entwicklung des modernen Romanes gemessen werden kann“11 galt und heute eindeutig der Weltliteratur zuzurechnen ist, die Protagonistin keine romantische héroïne mehr. Emma ist nicht mehr wie Fabrice del Dongo, eine Figur, deren Suche nach Glück für den Leser in gewisser Weise noch nachvollziehbar und moralisch motiviert ist. Ihre Träumereien und Wunschvorstellungen, für welche sie aufgrund ihrer empfindsamen und lebhaften Phantasie und ihrer umfangreichen Lektüre sehr empfänglich ist12, sind illusionär und unerreichbar. Sie verkörpert, dem zeitgenössischen Trend der fortschreitenden Entheroisierung der Roman- gestalten folgend, den unheroischen Helden, der vage an der bürgerlichen Wirklichkeit leidet, diese zuweilen gefühlsmäßig oder verbal infrage stellt, aber weder das Format noch die Kraft zum konsequenten Ausbruch aufweist.

[...]


1 Aus Platzgrunden wird, wenn das Zitat zu lang ist, nur auf die entsprechende Textpassage verwiesen!

2 Vgl. GRIMM, S . 284 .

3 Vgl. Kindler Bd . 15, S . 953 .

4 Vgl. Kindler Bd . 15, S . 953

5 Vgl. Kindler Bd . 15, S . 953

6 Vgl. GRIMM, S . 284

7 Vgl. Kindler, Bd . 15, S . 953

8 Vgl. Kindler, Bd . 2, S . 1623

9 Vgl. Kindler, Bd . 2, S . 163

10 Vgl. GRIMM, S . 301

11 Kindler, Bd . 5, S . 608 .

12 Vgl. Kindler, Bd . 5, S . 607

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Analyse zu den Romanen des Realismus
Untertitel
Stendhal: "La Chartreuse de Parme", Balzac: "Le Père Goriot", Flaubert: "Madame Bovary"
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Literaturwissenschaftliche Übung: Les courants du roman du XIXe siècle
Autor
Jahr
2009
Seiten
13
Katalognummer
V143966
ISBN (eBook)
9783640542383
ISBN (Buch)
9783640542659
Dateigröße
554 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Excellent travail.
Schlagworte
Stendhal, Balzac, Flaubert
Arbeit zitieren
Hendrik Keilhauer (Autor:in), 2009, Analyse zu den Romanen des Realismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143966

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