El "Idioma de Signos Nicaragüense"

Eine Gebärdensprache als Nachweis sprachlicher Universalien?


Bachelorarbeit, 2009

32 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Bickertons Theorie des Bioprogramms

3. Merkmale von Gebärdensprache
3.1 Phonologie
3.2 Morphologie
3.3 Syntax
3.4 Nicht-manuelle Artikulatoren
3.5 Zusammenfassung

4. Die Idioma de Signos Nicaragüense
4.1 Zur Entstehung der Gebärdensprache in Nicaragua
4.2 Studien zur Untersuchung der qualitativen Unterschiede
von LSN und ISN
4.2.1 Studie zur Untersuchung des Einflusses von sprachbegleitenden
Gesten bei der Entstehung von Gebärden
4.2.1.1 Untersuchungsmethoden
4.2.1.2 Resultate
4.2.2 Studien zur Untersuchung des Gebrauchs von räumlichen
Modulationen als grammatisches Element
4.2.2.1 Untersuchungsmethoden
4.2.2.2 Resultate
4.2.3 Studie zur Untersuchung des Gebrauchs von Klassifizierern
als grammatische Elemente
4.2.3.1 Untersuchungsmethoden
4.2.3.1 Resultate
4.3 ISN als Nachweis genetisch bedingter sprachlicher Strukturen
4.4 Kritik

5. Auswertung

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„There is a language faculty, that is, there is some part of the mind-brain, which is dedicated to the knowledge and use of language. That is a particular function in the body; it is a kind of language organ, roughly analogous to the visual system which is also dedicated to a particular task. Now, that is an assumption but there is good evidence that it is true.”

(Chomsky 2000: 3)

Die oben zitierte Aussage Noam Chomskys repräsentiert seine Hypothese, dass jeder Mensch genetisch mit einer angeborenen Sprachfähigkeit ausgestattet ist. Diese Sprachfähigkeit drückt sich in der Universalgrammatik aus, die in Chomskys Theorie eine Bezeichnung ist für „die Menge von grammatischen Prinzipien und Parametern, die allen Sprachen gemeinsam sind, weil sie auf ein angeborenes Inventar von Eigenschaften und Restriktionen zurückzuführen sind“ (Bußmann 2008: 764). Die genannten Prinzipien und Parameter werden sprachliche Universalien genannt. Triviale Beispiele für solche universalen Elemente sind, dass alle Sprachen „Ausdruck und Inhalt, Grammatik und Lexikon, Wörter und Sätze etc.“ aufweisen (Glück 2005: 708). Eine detaillierte Typologie von Universalien ist von Greenberg (1966) aufgestellt worden, in der auch Erweiterungen solcher uneingeschränkten Universalien thematisiert werden (Glück 2005: 708). An der Existenz von universalen sprachlichen Elementen gibt es heute kaum Zweifel, die Erklärung dieses Phänomens ist jedoch seit jeher eingehend diskutiert worden. Sind sprachliche Universalien auf die Abstammung aller Sprachen von einer gemeinsamen Ursprache zurückzuführen, auf eine gleiche Funktion von Sprache in den verschiedenen Sprachgemeinschaften oder aber, wie Chomsky es postuliert, auf eine gleiche biologische Ausstattung der Menschen bezüglich ihrer Sprachfähigkeit (Bußmann 2008: 764)?

Das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist die Vorstellung und Diskussion eines relativ neuen Ansatzes, der Chomskys Hypothese der genetisch bedingten universalen Grammatik der Menschen zu beweisen versucht: Die Entwicklung der Idioma de Signos Nicaragüense, der Gebärdensprache Nicaraguas, die als Nachweis sprachlicher Universalien im Sinne Chomskys herangezogen werden soll. Dieser Ansatz basiert auf der Theorie des Bioprogramms, ein Versuch Derek Bickertons, Chomskys Hypothese zu belegen. Die Theorie stützt sich auf die Entstehung von Kreolsprachen aus einem Pidgin. Dabei kommt es nach Ansicht Bickertons zu unerklärlichen Innovationen, die nur aufgrund der genetisch kodierten Sprachfähig­keit der Menschen erklärbar sind.

Zum besseren Verständnis der Erläuterungen hinsichtlich des zentralen Aspektes der Arbeit, also der Thematisierung des Ansatzes der Idioma de Signos Nicaragüense als Nachweis sprachlicher Universalien, soll im folgenden Kapitel zunächst die Theorie des Bioprogramms erläutert werden. Daran schließt sich eine kurze Einführung in die Thematik der Gebärdensprachen im Allgemeinen an. Hiermit soll dargelegt werden, dass es sich bei solchen Sprachen um natürliche Sprachen handelt, die in gleichen Maßen wie ihre lautsprachlichen Analoga zu linguistischen Argumentationszwecken herangezogen werden können. Es folgt der zentrale Teil der Arbeit, in dem zunächst ein Überblick über die Entstehung der Idioma de Signos Nicaragüense gegeben wird. Daran anschließend erfolgt eine detaillierte Erläuterung der Feldstudien, deren Resultate nach Meinung der Forscher für die Richtigkeit der Theorie des Bioprogramms sprechen und somit als Nachweis genetisch bedingter sprachlicher Universalien betrachtet werden können. Die dargestellten Untersuchungen und ihre Auslegung sollen zudem einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Im abschließenden Teil der Arbeit erfolgt eine Auswertung des Materials bezüglich der Frage, ob aufgrund der Ergebnisse der Studien an der Idioma de Signos Nicaragüense auch hier die Meinung vertreten wird, dass die genannte Gebärdensprache als Nachweis sprachlicher Universalien im Sinne Chomskys fungiert.

2. Bickertons Theorie des Bioprogramms

Wie bereits erwähnt, ist Bickertons Theorie des Bioprogramms ein Versuch, die Hypothese Chomskys der biologisch bedingten grundlegenden Sprachausstattung der Menschen anhand tatsächlicher sprachlicher Erscheinungen zu beweisen. Die Theorie basiert auf der Entstehung von Kreolsprachen.

Die Grundlage einer Kreolsprache bildet eine sogenannte Pidginsprache. Hierbei handelt es sich um eine Art Behelfssprache, die entsteht, wenn Sprachgemein­schaften aufeinander treffen, die keine gemeinsame sprachliche Grundlage besitzen. Da eine Art der Kommunikation zwischen ihnen unabdingbar ist, entsteht eine sehr vereinfachte Sprache. Ein Pidgin ist also eine Zweitsprache der Sprecher, die erlernt werden muss (Bakker 1995: 26f.). Wird die Pidginsprache jedoch zur Muttersprache einer Sprachgemeinschaft, bezeichnet man sie als Kreolsprache (Muysken / Smith 1995: 3). Im Vergleich zu den Substrat- und Superstratsprachen sind sowohl das Pidgin, als auch die Kreolsprache strukturell stark vereinfacht, letztere erreicht jedoch „im Prozess der Kreolisierung eine größere Komplexität in Grammatik und Wortschatz“ (Glück 2005: 361).

Bickertons Argumentation bezieht sich im Speziellen auf das hawaiianische Kreol-Englisch. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass die genannte Kreolsprache, die zukünftig kurz als HPE (Hawaiian Creole English) bezeichnet wird, sich im Vergleich zu anderen erst sehr spät entwickelt hat. In seinem Werk „Roots of Language“ (1981) erläutert Bickerton, dass der Kreolisierungsprozess auf Hawaii um das Jahr 1910 eingesetzt habe, und zwar mit der ersten Generation der Nachfahren von Einwanderern, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach Hawaii immigriert waren (Bickerton 1981: 8). Die Einwanderer, die aufgrund einer ansteigenden Zuckerproduktion nach Hawaii kamen, um dort für die US-amerikanischen Fabrikanten und Händler zu arbeiten, stammten mehrheitlich aus China, Japan, den Philippinen, Korea oder Puerto Rico. Es entwickelte sich eine multilinguale Gesellschaft, in der ein auf dem Englischen basierendes Pidgins entstand, das Hawaiian Pidgin English oder kurz HPE (Bickerton 1981: 7).

Zum Zeitpunkt von Bickertons Untersuchungen lebten also sowohl noch Pidgin- als auch Kreolsprecher, wodurch es möglich war, beide Sprachen miteinander zu vergleichen. Zu diesem Zweck führte er Gespräche mit Immigranten, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Hawaii eingewandert waren und das HPE als ihre Zweitsprache erlernt hatten, sowie mit Muttersprachlern des HCE, deren Vorfahren Pidgin-Sprecher waren. Durch die Gegenüberstellung von Pidgin- und Kreolsprache entdeckte Bickerton Besonderheiten im HCE, die ihn schließlich das Vorhandensein eines menschlichen Bioprogramms vermuten ließen (Bickerton 1981: 7f.).

Bevor an dieser Stelle begonnen werden soll, die von Bickerton entdeckten Unterschiede zwischen HPE und HCE zu erläutern, muss noch erwähnt werden, dass die Analyse der Aussagen der HPE-Sprecher eine starke Variabilität und auch Limitation innerhalb des Pidgins offenbarten (Bickerton 1981: 9f.). Dies fiel nicht nur bei Sprechern verschiedener Muttersprachen auf, sondern auch bei Sprechern einer Sprachgemeinschaft, die jedoch zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach Hawaii immigriert waren (Bickerton 1981: 11).

Der Vergleich von HPE und HCE zeigt nach Meinung Bickertons, dass es sich beim HCE um eine viel komplexere und vor allem homogene Sprache handelt. Die strukturellen Unterschiede zwischen den beiden Sprachen werden exemplarisch anhand fünf verschiedener Bereiche erläutert (Bickerton 1981: 17f.).

Als erstes führt Bickerton die Existenz von sogenannten Bewegungsregeln im HCE an. Solche Regeln zur Bewegung von Wörtern in Sätzen haben bestimmte Funktionen, wie z.B. das Hervorheben eines bestimmten Satzteiles. Im HPE existiert laut Bickerton eine große Variation in der Wortreihenfolge eines Satzes (z.B. SPO vs. SOP), wodurch nicht klar wird, bei welcher Wortstellung es sich um die Basisordnung eines Sprechers handelt und welche als markierte Form gebraucht wird. Somit wird das Ziel von Bewegungsregeln, nämlich das bewusste Hervorheben eines Wortes, nicht erfüllt (Bickerton 1981: 18). Im HCE hingegen ist laut Bickerton festzustellen, dass die Sprecher grundsätzlich eine SPO-Satzstellung benutzen, es aber erlaubt ist, zu Zwecken der Betonung entweder das Objekt oder das Prädikat an den Satzanfang zu stellen (Bickerton 1981: 18f.) Dies soll anhand der folgenden Beispiele[1] verdeutlicht werden:

(1) eni kain lanwij ai no kaen spik gud

any kind language I no can speak good

“I can’t speak any kind of language well.”

(2) daes leitli dis pain chri

are lately these pain tree

“These pain trees are recent.”

Ein weiterer Punkt ist der Gebrauch von Artikeln. Erneut ist für Bickerton die Variation im HPE offensichtlich; die Sprecher des HCE hingegen folgen nicht den Beispielen ihrer Vorfahren, denn wiederum scheint es spezifische Regeln zu geben, die den Gebrauch von Artikeln genau festlegen (Bickerton 1981: 23). Es wird unterschieden zwischen dem bestimmten Artikel da, der immer dann in spezifischen Nominalphrasen gebraucht wird, wenn der Sprecher davon ausgeht, dass die Phrase dem Hörer bereits bekannt ist (Bsp. 3), und dem unbestimmten Artikel wan, der stets dann in spezifischen Nominalphrasen gebraucht wird, wenn diese bislang noch nicht genannt wurden (Bsp. 4). In allen anderen Nominalphrasen finden sich keine Artikel.

(3) aefta da boi awl maut soa

after the boy all mouth sore

“Afterward, the mouth of the boy was all sore.”

(4) hi get wan bleak buk

he get a bleak book

“He has a black book.”

Auch in Existenz und Gebrauch von Hilfsverben unterscheiden sich HPE und HCE. Der sporadische Gebrauch der beiden Hilfsverben bin (Ausdruck von Tempus) und go (Ausdruck von Modus) im HPE wird im HCE reglementiert (Bickerton 1981: 26). Zusätzlich taucht hier laut Bickerton noch ein weiteres Hilfsverb auf, stei, welches zur Aspektmarkierung dient (Bickerton 1981: 27). Der Gebrauch wird im folgenden Beispiel dargestellt, in dem durch stei die Verlaufsform des Englischen ausgedrückt wird:

(5) ai no kea hu stei hant insai dea, ai gon hunt

I no care who stay hunt inside there, I gone hunt

“I don’t care who is hunting in there, I am going to hunt.”

Als vierten unterscheidenden Bereich führt Bickerton den Gebrauch von Komplementiererphrasen an. Als Komplementierer werden Wörter bezeichnet, „die im Satz die spezifische Funktion syntaktisch abhängiger Sätze […] anzeigen.“ (Glück 2005: 119). Nach Bickerton sind im HPE keine Komplementierer zu finden, was damit einhergeht, dass das HPE überhaupt keine eingebetteten Sätze aufweist (Bickerton 1981: 30). Im HCE hingegen werden zwei verschiedene Komplementierer gebraucht. Go wird in Sätzen genutzt, die sich auf reale Geschehnisse beziehen und fo wird im Kontext hypothetischer Geschehnisse eingesetzt (Bickerton 1981: 32). Es handelt sich hier also sowohl um eine syntaktische, als auch um eine semantische Unterscheidung, die im HCE angewendet wird. Die Beispiele 6 und 7 dienen der Verdeutlichung:

(6) dei wen go ap dea erli in da mawning go plaen

they when go up there early in the morning go plant

“They went up there early in the morning to plant.”

(7) mo beta a bin go hanalulu fo bai maiself

more better a been go Honolulu for buy myself

“It would have been better if I’d gone to Honolulu to buy it myself.”

Der letzte von Bickerton genannte Bereich beschäftigt sich einerseits mit Relativsätzen, die im HPE selten und unabhängig von bestimmten Regeln gebraucht werden (Bickerton 1981: 34 f.). Im HCE hingegen werden sie laut Bickerton relativ häufig angewendet, tragen aber keine eindeutigen Markierungen. Beispiel 8 verdeutlicht dies:

(8) yu si di ailan get koknat

you see the island get coconut

“You see the island that has coconut palms on it?”

Des Weiteren wird in diesem Zusammenhang die Kopierung von Satz-Subjekten durch Pronomen angeführt, die wiederum nur im HCE zu finden ist (Bickerton 1981: 34). Dies wird entweder angewendet, wenn das Subjekt zum ersten Mal genannt wird (Bsp. 9) oder wenn das Subjekt kontrastiviert werden soll (Bsp. 10):

(9) sam gaiz samtaimz dei kam

some guys sometimes they come

“Sometimes some guys come.”

(10) jaepan gaiz dei no giv a haeng, do

japanese guys they no give a hang, though

“Guys from Japan don’t give a hang, though.”

Bei einer Kombination von Subjekt-Kopierung und Relativsatz kommt es zu einer Verschiebung des Pronomens im Satz; es wird nicht mehr zwischen Subjekt und Prädikat eingefügt, sondern hinter den Relativsatz gestellt (Bickerton 1981: 35). Dies ist Bickerton zufolge durch das von Chomsky publizierte A-over-A-Prinzip der generativen Syntax zu erklären (Bickerton 1981: 36). Es besagt, dass im Fall der Dominanz einer Hauptkategorie (wie eine Nominalphrase) durch eine andere Hauptkategorie jede Regel, die normalerweise auf die untere Kategorie angewendet wird, nur noch auf die dominante Kategorie angewendet werden kann. Siehe hierzu Beispiel 11:

(11) sambadi goin ova dea dei gon hia nau

somebody going over there they gone hear now

“Anybody who is going over there will hear it now.”

Wie oben erläutert, konnte Bickerton anhand der Gegenüberstellung von HPE und HCE einige grammatische Innovationen in der Kreolsprache dokumentieren. Er weist explizit darauf hin, dass es weder im HPE selbst noch in der Superstratsprache Englisch oder in den verschiedenen Substratsprachen (Japanisch, Chinesich, Koreanisch etc.) passende Modelle bzw. Nachahmungsmöglichkeiten für die innovativen Elemente des HCE gab (Bickerton 1981: 37f.).

[...]


[1] In den hier präsentierten Beispielen wird zunächst die transkribierte Original-Aussage des HCE-Sprechers präsentiert. Der jeweils entscheidende Teil des Satzes wird kursiv hervorgehoben. Darunter befindet sich zum besseren Verständnis eine von der Autorin der Arbeit erstellte englische Glosse. Anschließend wird Bickertons grammatisch korrekte Übersetzung ins Englische dargestellt. Das Schema wird folgend beibehalten.

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
El "Idioma de Signos Nicaragüense"
Untertitel
Eine Gebärdensprache als Nachweis sprachlicher Universalien?
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
32
Katalognummer
V143728
ISBN (eBook)
9783640541287
ISBN (Buch)
9783640541751
Dateigröße
690 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Idioma, Signos, Nicaragüense, Eine, Gebärdensprache, Nachweis, Universalien
Arbeit zitieren
Teresa Kretschmer (Autor:in), 2009, El "Idioma de Signos Nicaragüense", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143728

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