Minneklage oder Allegorie auf Wien

Walthers Lied 52,23


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Lesart als Klagelied
2.1 Das Klagelied in der Hohen Minne
2.2 Gesellschaftliche Erwartungen an eine höfische Dame
2.3 Dame ohne genäde: Ein Minnedienst ohne Aussicht auf Erfolg
2.4 Die verlorene Zeit als »ewige Klage des Herzens«

3 Allegorie auf Wien?
3.1 Biografische Hintergründe
3.2 frouwe oder Wiener Hof: Walthers autobiografisches Klagelied

4 Fazit

5 Bibliographie
5.1 Primärliteratur
5.2 Sekundärliteratur

1 Einleitung

sol ich der warhelt ¡eben /so wart nie, nach der gotes kraft/nicht dlnges so genadehaft/ so urowen lip mit ir leben / die ere hat in got gegeben / daz man si uf der erde / zu dem hohsten werde/ erkennen sol mit eren/ und ir lop immer mererí

Stricker hat mit diesen Worten ziemlich genau das Konzept der Hohen Minne umrissen - man soll die Damen preisen, immer und zu jeder Zeit. Wie lange aber kann man dies bei einer Frau aushalten, die einem keine Beachtung schenkt? Wie lang muss man seine Angebetete umwerben, bis man sich - sofern einem keine genäde zuteil wird - eine neue Frau für seinen dienest suchen darf? Walther hat diese Diskrepanz zwischen höfischem Ideal, minne-Begehren und Hoffnungslosigkeit in seinem Lied Mín frowe ist ein ungenædic wíp (52,23) thematisiert.

In der bisherigen Forschung kursieren hauptsächlich zwei Deutungen des Textes: Die erste betrachtet das Lied als konventionelle Minneklage, die zweite sieht es als Allegorie auf Walthers Leben, die seine Beziehung zum Wiener Hof reflektiert.[1] [2] Im Folgenden möchte ich beide Meinungen in meiner Arbeit diskutieren und abwägen, welche Punkte für die verschiedenen Interpretationen sprechen.

Dazu werde ich zuerst ganz allgemein die Charakteristika des Klageliedes in der Hohen Minne betrachten und prüfen, inwiefern sich der Text 52,23 tatsächlich in diese Kategorie einordnen lässt. Anschließend soll es mein Ziel sein, die umworbene Dame etwas genauer in Augenschein zu nehmen und ihre beschriebenen Eigenschaften anhand der Erwartungshaltung an Damen der damaligen Zeit herauszustellen, um zu prüfen inwieweit sie die Anforderungen eines höfischen Ideals erfüllt und damit zu einem lohnenswerten Objekt der minne-Werbung wird. Im Anschluss daran soll untersucht werden, wie die bisherigen Annäherungsversuche durch den Sprecher des Liedes verlaufen sind und wie sich die Dame ihm gegenüber verhalten hat, um daraus auf den möglichen weiteren Verlauf zu schließen und die Klage des Mannes genauer zu beleuchten. Womit hat er am meisten zu kämpfen und ist die Ablehnung an sich wirklich das Schlimmste für ihn?

Nachdem ich dies alles getan habe, möchte ich mich der zweiten Deutungstheorie zuwenden - der Allegorie auf den Wiener Hof. Ich möchte prüfen, wie wahrscheinlich diese Interpretation ist und welche Punkte dafür sprechen. Warum sollte man davon abrücken, den Text als gewöhnliche Minneklage zu deuten und was sind die Vorzüge dieses Ansatzes?

2 Lesart als Klagelied

2.1 Das Klagelied in der Hohen Minne

Beim Lesen des Liedes Mín frowe ist ein ungenædic wíp3 wird sehr schnell erkennbar, dass es sich um ein für die Hohe Minne typisches Klagelied handelt.[3] [4] Die kennzeichnende Eigenschaft, dass sich nur ein männliches lyrisches Ich zu Wort meldet, trifft auf das Lied 52,23 voll und ganz zu.[5] Der Rezipient erfährt sämtliche Geschehnisse aus der Sicht des leidtragenden Sängers, welche dadurch sehr subjektiv gefärbt erscheinen. Die Frauenstimme findet hier, wie es z.B. im Dialoglied der Fall ist, keinen Platz. Das Gedicht ist also rein formal durch die »[monologische Darlegung von Werbe­bemühungen [...] und deren Vergeblichkeit« als Minneklage einzustufen.[6]

Das Lied erfüllt jedoch auch inhaltlich alle Ansprüche, um sich nahtlos in dieser Kategorie des Minnesangs einzureihen: Wir finden nämlich einen Sänger vor, der unermüdlich seine Herrin darum bittet, seinen dienest anzunehmen; er hofft, dass seine Bemühungen letztendlich Erfüllung finden und er für die gezeigte Treue gegenüber seiner Dame belohnt wird.[7] Dass er schon so lange im Dienst dieser Herrin steht, wird dadurch ersichtlich, dass er [s]einen jungen líp in ir dienst braht (52,25 f.) und er weiter ausführt, dass ihm dö [...] so wol [was] (52,27), doch ihm dies nü verdorben (52,28) ist. Diese Diskrepanz zwischen damaliger Erwartung und momentaner Wirklichkeit, evoziert nicht nur einen intensiven zeitlichen Kontrast, sondern auch einen emotionalen.

Ebenso entscheidend wie das ständige Bitten um Erhörung durch den Sänger ist konsequenterweise auch die immerfort währende Ablehnung dieser Bitte durch die Dame, die letztendlich ja den Grund der Klage durch das lyrische Ich darstellt: So mangelt es dem Dichter an Resonanz auf seine Bemühungen, er moniert die fehlende Gnade der Dame oder erfährt die Umworbene als »gleichgültig, hochmütig, unnahbar, abweisend, ja feindselig«.[8] Eben diese mangelnde Gnade, die Minnebitte zu erhören, wird auch in dem vorliegenden Lied Walthers mehr als nur einmal zum Ausdruck gebracht: Schon der erste Vers beginnt mit der Feststellung, dass die umworbene frouwe ein ungenædic wîp (52,23) ist, er überdies nichts als kumber (52,29 f.) erworben hat und die Angebetete ihm [hât] uersümet [...] uil schœne leben (178,2).

Trotz solcher Aussichtslosigkeit sollte ein Werbender stets sein tugendhaftes Verhalten an den Tag legen und staete beweisen. Es geht darum, seine Ehrenhaftigkeit und den Ernst des Anliegens zu betonen und der Dame - ungeachtet der vielen Ablehnungen - weiterhin >den Hof zu machenc Vom Mann wird also erwartet, dass er sich in ein Abhängigkeitsverhältnis begibt und sich der Frau bedingungslos unterwirft.[9] [10] Inwieweit dies in Mîn frowe ist ein ungenædic wîp der Fall ist, werde ich an späterer Stelle noch genauer untersuchen.

2.2 Gesellschaftliche Erwartungen an eine höfische Dame

Die Tatsache, dass die Dame die Minnebitten nicht oder nur nach langen Bemühungen erhört, hat einen einfachen Grund: Es wurden von Frauen am Hof so erwartet. Schon in der Winsbekin wurde postuliert, dass Scham unde mâze zwô tugent [sint] / die gebent uns frouwen hôhen prîs.w Allein an diesem Zitat ist ablesbar, wie die Forderungen an die Frauen in der mittelalterlichen Hofgesellschaft ausgesehen haben. Tugendhaftes Handeln der Damen war annähernd gleichbedeutend mit einem vorbildlichen sexuellen Betragen und es bestand »vor allen Dingen in der Reinerhaltung ihres guten Rufs, der sich fast ausschließlich nach ihrem sexuellen Verhalten bemaß«.[11] Diese Forderungen an die Frau lassen sich also durchaus als Grund anführen, warum das Minne-Begehren von

Männern so oft ignoriert wird. Ein ebenso wichtiger Aspekt ist es, den Werbenden hinsichtlich seiner proklamierten Ernsthaftigkeit zu testen und nicht sofort den lobenden Worten zu verfallen, da nicht ohne Weiteres sichergestellt werden kann, dass die Beteuerungen der Wahrheit entsprechen. Auch hierzu findet sich eine Stelle in der Winsbekin, die eben dieses Verhalten als höfisches Ideal manifestiert: wer weiz nu wä die stœten sint? uil missewendic sint die man. si tragent helekäppel an. zu guoten when süeziu wort diu meiste menge sprechen kan, doch innerhalp niht äne schaden.[12]

Auch wenn nicht explizit angeführt, lässt sich daraus folgern, dass es für die Damen von entscheidender Wichtigkeit war, sicherzustellen, dass die Gelöbnisse des Werbers aufrichtiger Natur sind.

Während erwartet wurde, dass Frauen sich in ihren sexuellen Bedürfnissen zügeln und ihre Verehrer auf die Probe stellen, setzte man gleichzeitig ein wohlgefälliges Außeres voraus. Allerdings wird dieses im Minnesang meist nur sehr unscharf angedeutet, indem darauf nur »mit allgemeinen Vokabeln wie schœne und wol getän Bezug genommen« wird.[13] Wenn das Erscheinungsbild doch einmal konkretisiert wird, werden Details wie strahlende Augen oder ein roter Mund herausgegriffen.[14] Auch wir erfahren in dem vorliegenden Lied nicht viel über das Aussehen der Dame; lediglich die Information, dass das lyrische Ich nie [ein] houbet bazgezogen [gesach] (52,31) dient uns als Anhaltspunkt, welcher aber - da sprichwörtlich >im Auge des Betrachters liegend< - kaum aussagekräftige, objektive Informationen liefert.

In der mittelalterliche Literatur wurde jedoch angenommen, dass sich in der »körperlichen Schönheit [...] die innere Tugendhaftigkeit der Frau« offenbart.[15] Die äußere Schönheit wird somit ein Spiegel der inneren, die gemeinsam durch das antike Ideal der kalokagathia verbunden sind.[16] Wie aber sieht es mit dieser Einheit von Wohlgestalt und Werthaftigkeit bei der Dame in Walthers Lied aus? Wie bereits gezeigt, scheint ein wohlgefälliges Äußeres zumindest aus der subjektiven Sicht des Sprechers durchaus gegeben zu sein (vgl. 52,31), auch wenn dieses nicht im Übermaß gepriesen wird. An dem Vorhaben, die Tugendhaftigkeit der Dame hervorzuheben, scheitert das lyrische Ich hingegen, denn tatsächlich ist jeder aufgeführte Charakterzug negativ konnotiert: Offensichtlich mangelt es der Dame schon an den grundsätzlichsten gesellschaftlichen Fähigkeiten und es gelingt ihr nicht einmal Freund von Feind zu trennen - so ist sie mit ersterem gram, während sie mit dem zweiten rünen möchte (vgl. 53,9-53,12). Des Weiteren äußert der Sänger, dass er ausreiten und andernorts nach Frauen fragen möchte, die mit werdekeit lebent (53,19 f.), was im Umkehrschluss impliziert, dass seine momentane Herrin diese werdekeit nicht an den Tag legt. Darüber hinaus wird die Wichtigkeit, dieser Eigenschaft dadurch verstärkt, dass sie vorangestellt ist. Erst im Anschluss wird erklärt, dass diese Damen schœne sint dà zuo (53,21).[17]

Folgt man Handschrift E existiert sogar noch eine weitere Stelle, die diesen Mangel an höfischem Verhalten nahelegt. In den Versen 178,9 f. klagt der Sänger, dass seine frouwe ständig sprichet jä (178,12), doch schlussendlich ihre Zusagen niemals einhält. Dieses Nicht-Einlösen von Versprechen wird zwar nicht ausdrücklich formuliert, lässt sich aber ohne Weiteres schlussfolgern. Letztlich kritisiert der Sprecher also nichts anderes als ihre Unaufrichtigkeit, ihr Lügen. Die Tatsache, dass sie sich nicht einmal an einen der wichtigsten Grundsätze des christlichen Glaubens, nämlich das achte Gebot, hält, spricht nicht unbedingt für ihre moralische Vollkommenheit, obwohl gerade Aufrichtigkeit und Wahrheit (triuwe und wärheit) als wichtige Frauentugenden gewertet wurden.[18] Die Diskrepanz zwischen dem ansehnlichen houbet (52,31) und ihrem herze (52,32), in das der Sprecher nie sehen konnte, scheint also eklatant.

Diese kurze Untersuchung zeigt, dass das Benehmen der gepriesenen Herrin nicht unbedingt dem Ideal von Höfischkeit entspricht, was im späteren Verlauf meiner Arbeit über die Verbindung des Liedes zu Wien noch von Relevanz sein wird. An dieser Stelle soll es aber vorerst ausreichen, festzustellen, dass - obwohl in der Hohen Minne die innere Schönheit über die äußere gestellt wird[19] - die Dame diesem Anspruch eines Ideals nicht gerecht werden kann.

[...]


[1] Klaus Hofmann: Strickers »Frauenehre«. Überlieferung, Textkritik, Edition, literaturgeschichtliche Einordnung. Marburg: Elwert 1976, S. 56, V. 222-230.

[2] Zwar gibt es auch noch eine dritte Forschungsmeinung, die die Dame als Frau Minne sieht, diese Lesart des Textes ist aber deutlich seltener zu finden und wird aus diesem Grund in meiner Arbeit nicht weiter angeführt.

[3] Walther von der Vogelweide: Leich, Lieder, Sangsprüche. Hg. von Christoph Cormeau. 14., völlig neubearb. Aufl. der Ausg. Karl Lachmanns. Berlin: de Gruyter 1996. Alle folgenden Zitate des Liedes 52,23 beziehen sich auf diese Ausgabe.

[4] Vgl. dazu auch Thomas Bein: Vier Handschriften, ein Ton, sieben Strophen, zwei Lieder: Beobachtungen zu Walther 29. In: Zeitschrift für deutsche Philologie Jg. 116 (1997), S. 185. Dieser sieht es als »weitgehend konventionelles Klagelied«, bei welchem in »der ersten Strophe [...] zentrale Begriffe des >hohen Minnesangs< eingeführt [werden]«.

[5] Vgl. Günther Schweikle: Minnesang. 2., korr. Auflage. Stuttgart: Metzler 1995, S. 171.

[6] Schweikle: Minnesang, S. 121.

[7] Vgl. Schweikle: Minnesang, S. 171.

[8] Vgl. Schweikle: Minnesang, S. 121, 122 und 171.

[9] Schweikle: Minnesang, S. 122 f.

[10] Der Winsbeke und die Winsbekin. Hg. von Moritz Haupt. Leipzig: Weidmann 1845, S. 35.

[11] Joachim Bumke: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. 9. Aufl. München: DTV 1999, S. 481.

[12] Der Winsbeke und die Winsbekin, S. 38.

[13] Manfred Günter Scholz: Walther von der Vogelweide. 2., korr. und bibliogr. erg. Aufl. Stuttgart: Metzler 2005 (= Sammlung Metzler 316), S. 112.

[14] Ebd.

[15] Bumke: Höfische Kultur, S. 452.

[16] Vgl. Schweikle: Minnesang, S. 184.

[17] Horst Brunner, Gerhard Hahn, Ulrich Müller und Franz Viktor Spechtler: Walther von der Vogelweide. Epoche-Werk-Wirkung. München: Beck 1996, S. 98.

[18] Bumke: Höfische Kultur, S. 482.

[19] Vgl. Schweikle: Minnesang, S. 185.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Minneklage oder Allegorie auf Wien
Untertitel
Walthers Lied 52,23
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Veranstaltung
Walther von der Vogelweide
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
19
Katalognummer
V143542
ISBN (eBook)
9783640528349
ISBN (Buch)
9783640528226
Dateigröße
467 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Walther, Vogelweide, Walther von der Vogelweide, Minne, Minneklage, Wien, 52, 23
Arbeit zitieren
Robert Willrich (Autor:in), 2009, Minneklage oder Allegorie auf Wien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143542

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