Der Ketzerkreuzzug gegen die Stedinger


Hausarbeit (Hauptseminar), 1997

33 Seiten, Note: Gut (plus)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Einleitung: Die Ideologisierung des Stedingeraufstandes in der Neuzeit

2. Die Besiedlung des Stedinger Landes und die Entwicklung der Bauern- freiheitsansprüche

3. Die Entfaltung des Konfliktes mit der Landesherrschaft
3.1. Zu den Ursachen des Konfliktes
3.2 Der Konflikt verschärft sich
3.3. Die Verketzerung der Stedinger Bauern auf der Bremer Synode
3.3.1. Zur Motivation des Erzbischofs Gerhard II
3.3.2. Die Verketzerung der Stedinger
3.4. Die Stedinger und die Institution Kirche
3.5. Potenzielle Verbündete der Stedinger
3.6. Der Kreuzzug

4. Schlussbemerkungen: Situation und Folgen nach der stedingischen

Niederlage

Anhang
a) Karte zum Stedingeraufstand
b) Historisches Siegel der Stedinger Landgemeinde

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Vorwort

In vorliegender Arbeit soll es nicht nur um den Stedingerkreuzzug selbst, sondern auch um das Thema ‚Stedingen im Hochmittelalter‘ gehen, also um die Vorgeschichte und auch um das Nachleben des Kreuzzuges. Das, was den Ketzerkreuzzug umgibt, steht im Vordergrund dieser Darstellung. Meines Erachtens machen die Legenden, die sich beispielsweise um die Motivation des Stedinger Aufstandes ranken und die Vergessenheit des Themas diese Art des Herangehens sinnvoll.

Die Auseinandersetzungen der stedingischen Bauern mit den Grafen von Oldenburg unterscheiden sich deutlich von anderen Bauernaufständen. Es gibt keinen weiteren, der so "schwach" begründet mit Mitteln eines Ketzerkreuzzuges niedergeschlagen wurde. Er besitzt auch eine Sonderstellung in Bezug auf die häretischen Bewegungen, zu denen eben wohl kein Kontakt bestand. Historiker interessierte deshalb, ob er nun tatsächlich ein Ketzerkreuzzug gewesen sei oder ob diese Bezeichnung lediglich eine Tarnung für rein politische Machenschaften war. - Als ob ein begründeter Ketzerkreuzzug zu entschuldigen wäre! Es ist bekannt, dass vom Papsttum wohl nicht nur in diesem Falle versucht wurde, den Kampf gegen politischen Gegner der Kirche mit einem "Kreuzzug" zu verbrämen. Ihre Kampfmethoden gegen gegen die Stauferanhänger im 13. Jahrhundert mögen als Beispiel angedeutet sein. Auch andere Pervertierungen der ursprünglichen Kreuzzugsidee hat es zur Genüge gegeben. Sie äußern sich darin, dass nun gegen ketzerische Christen vorgegangen wurde, wie in den Albigenserkreuzzügen und in den Aktionen gegen die Katharer und vornehmlich gegen die Waldenser in Oberitalien (Piemont), deren Stützpunkte allerdings in Städten wie Mailand (Schlangengrube der Ketzer) lagen. Katharer und Waldenser stellten aber nun echte Ketzer dar.[i] Diese meinten Wege zur Erneuerung der verderbten Kirche in ihrer ursprünglichen Reinheit gefunden zu haben. Das unterscheidet sich wesentlich von der Situation in der Bremer Diözese. Die Stedinger Bauern hatten keine religiöse Erneuerung im Sinn, sondern bäuerliche Autonomie, sowie die Sicherung und den Ausbau ihres Wohlstandes.

Kreuzzüge gegen Christen stießen im Mittelalter nicht unbedingt auf große Kritik: Gewalt gegen Häretiker, abtrünnige Christen, galt schon seit etwa dem Jahre 400 als Norm. Kirchliche Denker wie Petrus Venerabilis und Henricus de Segusio[ii] und später Hostiensis[iii] empfanden solche Ketzerkreuzzüge sogar als gerechter als die gegen die Heiden! In der Praxis waren derartige Kreuzzüge jedoch nie allzu erfolgreich: Auch der Albigenserkreuzzug, 1208 begonnen, erreichte keinen durchschlagenden Erfolg. Den lieferte erst die 1233 einsetzende Inquisition.

In der breiten Öffentlichkeit ist der Stedingerkreuzzug nahezu vergessen. Neuere wissenschaftliche Bearbeitungen ließen lange Zeit auf sich warten. Erst in den letzten zehn bis 15 Jahren beschäftigen sich vor allem wieder Regionalhistoriker damit, wie Rolf Köhn und Heinrich Schmidt. Der Missbrauch des Stedingerthemas für die völkisch-antikatholische Propaganda während der "Bismarck-Zeit" und dann im NS-Regime hat die Beschäftigung mit diesem Kapitel des Mittelalters belastet, sogar diskreditiert. Hierin liegt auch ein Hauptproblem bei der nunmehrigen Bearbeitung dieser Thematik begründet: Es ist kaum umfangreichere modernere Literatur dazu vorhanden, obwohl die Stedingerkämpfe doch einen Höhepunkt bäuerlichen Kampfes im Mittelalter darstellen. Vor allem die vielen älteren Arbeiten stammen aus der Feder geschichtlich interessierter "Lokalpatrioten", wobei die von ihnen gelieferten Werke mehr über den Geist der Verfasser beziehungsweise den Geist ihrer Entstehungszeit als irgendetwas Wertvolles zum Forschungsgegenstand selbst aussagen. Da die Erforschung dieses Themas so sehr von seiner Verwendung und Auslegung in den letzten beiden Jahrhunderten bestimmt wurde, steht am Beginn der Arbeit einleitend ein Kapitel über das Nachleben des Stedingerkreuzzuges in der Neuzeit.

Harms Mentzel, 10. Juli 1997

Nun denn - die Welt hat ihr Stichwort und darf sich zerfleischen mit frommer Stirn.

Ketzerkreuz!

Die heiligsten Hände der Erde haben es aufgepflanzt, Papst, Bischof, Priester, Mönche.

Es halten Wache, in Stahl geschient, Kaiser, Fürsten, Grafen, Ritter.

Hohepriester und Landpfleger haben sich gefunden.

Ein neues Golgatha zieht herauf.

Hermann Eicke[iv]

1. Einleitung: Die Ideologisierung des Stedingeraufstandes in der Neuzeit

Der Stedingeraufstand ist aus dem Gedächtnis der Öffentlichkeit fast völlig verschwunden. Das war jedoch nicht immer so. Nachdem er nach der Reformationszeit völlig vergessen war, wuchs seit dem ersten Viertel des 19. Jahrhunderts, in der Zeit der Romantik und deutscher Einigungsträume, das Interesse an den Stedingern bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts stark an. Wieder entdeckt wurden sie von dem Altenescher Pastor Gerhard Steinfeld im Jahre 1834, der die Stedinger nachträglich von der Anklage der Ketzerei freisprechen wollte und sie in die Reihe der ehrwürdigsten Verteidiger der Freiheit des Denkens und Glaubens stellte[v], quasi als Vorläufer der Reformation betrachtete, ein erstes, wenn auch rasch verlöschendes Wetterleuchten der späteren Reformationsstürme, wie sich in ähnlicher Intention Theodor Piderit 1880 ausdrückte.[vi] In jener Zeit erschien eine große Zahl mehr oder weniger gelungener belletristischer Werke, ausgestattet mit viel Pathos, die zu ihrer Zeit ein umfangreiches Publikum fanden und auch dessen Meinung über das Mittelalter mitprägten.

Bereits relativ früh taucht in ihnen ein unseliges Motiv auf, das bald zum beherrschenden werden sollte: Die stedingischen Bauern hätten sich von vorneherein freudig in den Tod stürzen wollen, eine Art Opfertod organisiert, damit keiner in schmachvoller Knechtschaft überlebe. Diese Ansicht reduzierte sich zunehmend in Parolen wie: Leewer dod as Sklav! oder Dot - awer nich inne Knee![vii]

Die Stedingerkriege wurden als blutiges Vorspiel der germanischen Glaubenskämpfe gegen den römischen Gewissenszwang[viii] interpretiert, also mit antikatholischer Zielrichtung versehen - ja wie bei Julius Richter 1906 in dessen Arbeit Die Unterwesermarsch und das Heldenvolk der Stedinger zur Durchführung des damals aktuellen Flottengesetzes eingespannt: Ebenso wie die Stedinger mit ihrer Opferbereitschaft, Patriotismus und Heldenkampf sollten auch die Oldenburger Einwohner des frühen 20. Jahrhunderts für das Flottengesetz eintreten, damit sie nie wieder so ohnmächtig wie die Stedinger vor den Kreuzfahrern kapitulieren müssten.[ix]

Besonders in der Weimarer Zeit trug diese vorgegebene Sichtweise auf die Stedingerkämpfe reiche "giftige Früchte": Den Stedingern gleich hätten die Deutschen einen erbitterten Verteidigungskrieg verloren und wären widerrechtlich durch den Versailler Frieden den Feinden bedingungslos ausgeliefert worden. In dessen Schauspiel De Stedinger aus dem Jahre 1927 heißt es bei Hans Wolff dazu etwa: Dütschland ... vun eene ganse Welt to Stried ward dwungen ... un hier as dor: alleen een Volk un wedder ehm een ganse Welt.[x] - Die Revision des Versailler Vertrages galt hier bis in die letzte Konsequenz: "einer gegen alle" - falls nötig!

Zur Nazizeit geriet das Thema vollends zum Politikum. Heinrich Burscher verband in dessen Machwerk Kruezigt Volk von Anfang 1933 das Stedingerthema gar mit antisemitischer Hetze: Ahasver, der ewige Jude, schreitet zur Vernichtung aller Völker. Den Beginn des Bösen stellt die Vernichtung der Stedinger dar, die leider schlafen, wo sie wachen sollten.[xi] Die Parole Deutschland erwache ist unverkennbar und auch die Wahlwerbung für den 5. März 1933: En Lump, de mi nich nakummt, verlautet es da aus dem Munde eines stedingischen Kämpfers![xii] In den dreißiger Jahren wurden auf der (mittlerweile) nationalen Kultstätte „Stedingsehre“ im Stedingerland jährlich massenkundgebungsartige Schauspielaufführungen im Rahmen der goebbelschen Thingspielbewegung unter Teilnahme Himmlers, Darres, Joels und Rosenbergs gegeben. Letzterer entdeckte im Ketzerkreuzzug des Jahres 1233/34 gar bolschewistische Methoden des Mittelalters im Zeichen einer Religion der Liebe ![xiii] Lediglich die sich angegriffen fühlende katholische Kirche in Gestalt von Pastor Carl Woebcken protestierte und versuchte eine neutrale, emotionslose Erklärung der Vorgänge aus dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts. Katholiken wurde von den wenigen norddeutschen katholischen Kanzeln aus geraten, nicht an besagten Massenveranstaltungen in Stedingen teilzunehmen.[xiv]

Kein Wunder also, dass das Verhältnis der Historiker zu der Stedingerangelegenheit seither gestört ist. Die missbräuchliche Verwendung und Interpretation in der Trivialliteratur und in der Propaganda für nationalromantische und völkische Ziele haben lange Zeit die Forschung auf diesem Gebiet diskreditiert. Rolf Köhn, der das neuzeitliche Nachleben des mittelalterlichen Stedingeraufstandes und dessen Ideologisierung am besten dokumentierte, schrieb hierzu, es sei ein zeitgeschichtlich belastetes Thema, und:

Der ... Stillstand in der Erforschung des Stedingeraufstandes[ist] vor allem das Ergebnis eines mehr oder weniger bewußten Verdrängungsprozesses völkisch-nationaler und nationalsozialistischer Interpretationen.[xv]

Auch in der DDR war die Tendenz sichtbar, den Stedingerkreuzzug und seine Ursachen emotionsgeladen und mittels der herrschenden Ideologie entsprechenden Simplifizierungen zu betrachten. Aus politischen und habsüchtigen Motiven suchte und fand man im Mittelalter bei den freiheitsliebenden Bewohnern der Stedinger Bauernrepublik (!) Häretisches. Man hatte den Eindruck, dass die Motivierung bei den Herrschenden sehr einfach, ohne Gewissensbisse vor sich ging. Nicht das Bild pragmatisch denkender Kleriker entstand, sondern das von bewusst skrupellosen, abgrundtief bösen Menschen. Auch bei der Lektüre Bruno Glogers konnte sich der Verfasser dieser Zeilen nicht ganz dieses Eindrucks erwehren. Das ließ sich übrigens auch bestens für die antikirchliche Agitation verwenden.

2. Die Besiedlung des Stedinger Landes und die Entwicklung der Bauernfreiheits-ansprüche

Eine der landläufigen Vorstellungen über den Stedingeraufstand, die auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden muss, ist die in der alten Literatur häufig anzutreffende und auch heute noch verbreitete Behauptung, die Stedinger seien seit jeher frei gewesen. Die illegitime Herrschaftsausweitung der Grafen von Oldenburg und besonders der Bremer Erzbischöfe aber seien Motiv für einen verzweifelten Aufstand gewesen, der fanatisch bis zum bitteren endgültigen Ende, der vollständigen Ausrottung der Stedinger Bauern geführt wurde. Um das zu überprüfen, müssen wir zunächst über die Besiedlung und die Entwicklung der Freiheit der stedingischen Bauern sprechen.

Seit 1106 vergaben die Erzbischöfe von Bremen Teile des Bruch- und Moorlandes beiderseits der Niederhunte und des hohen ständig wasserfreien linken Uferstreifens an der Niederweser an holländische Ansiedler zur Urbarmachung.[xvi] Als Stedingen 1142 unter den Erzbischof Adalbert, der Herzogin Gertrud von Sachsen und deren Sohn Heinrich und den Markgrafen Albrecht aufgeteilt wurde, entschloss man sich für die Besiedlung und Urbarmachung des nahezu unbewohnten Gebietes.[xvii] Die holländischen Ansiedler kamen in den Genuss der typischen Vergünstigungen: Ihr Landbesitz wurde auf 720 Königsruten Länge und 30 Ruten Breite[xviii] festgelegt, was immerhin 48 Hektar entspricht.[xix] Sie gaben lediglich die elfte Garbe als Zehnt, erhielten die Erlaubnis, Kirchen zu errichten und erhielten gegen jährlich zu entrichtende zwei Mark je hundert Hufen auch die niedere Gerichtsbarkeit.[xx] Außerdem erhielten sie notwendigerweise eine weitgehende Selbstverwaltung im Deichwesen. Die Deichlast (Instandhaltung eines zwölf bis hundert Meter langen Deichabschnittes durch den Deichpfänder) und die Siellast (Anlage von Entwässerungsgräben und -senken) war eine besondere Verpflichtung der Siedler.[xxi] Kaiser Friedrich I. nahm 1158 die Siedler unter seinen Schutz und bestätigte die vom Erzbischof Hartwig verliehenen Rechte.[xxii] Zunächst wurde das hohe Weserufer besiedelt. Da die neuen Einwohner am Ufer, am Gestade saßen, gab man ihnen schnell die Bezeichnung Stedinger = Gestadebewohner.[xxiii] Seit 1149 wurde auch im sumpfigen Hinterland, der so genannten Brokseite, mit dem Roden und Entwässern begonnen, Mündungsdeltas diverser Flüsse in die Weser trocken gelegt.[xxiv] Zuerst entstanden geballte Haufendörfer, die sich jedoch rasch zu kilometerlangen Reihendörfern auseinander zogen. Mit fortschreitender Kolonisierung "wanderten" die Dörfer allmählich ins Landesinnere, um die Bewirtschaftung der inzwischen überlangen schmalen Baue zu verbessern.[xxv] Ihnen nach "wanderten" die Straßen von den noch niedrigen, lediglich maximal zwei Meter hohen Deichkronen weg. Wegen des weichen Bodens konnten sie jedoch nicht unmittelbar an den Häusern entlang geführt werden.[xxvi] Das alles verstärkte übrigens, natürlich zunächst ungeplant, die potenziell Verteidigungskraft der Stedinger: Eventuelle Eroberer, schwere Ritter etwa, müssten die festen Straßen verlassen und über den weichen Boden reiten, um zu den Häusern zu gelangen. Dort angekommen hätten sie sich dann von Haus zu Haus der langen Siedlung vorzukämpfen.

Die Kultivierung des Moorlandes schritt schnell voran, sodass zum Ende des 12. Jahrhunderts der Ausbau der Güter, die Kultivierung des Landes bereits im Wesentlichen abgeschlossen war. Wir finden dort also zum Ende jenes Jahrhunderts eine schon durch dauernden Besitz und volle Bewirtschaftung erstarkte Bevölkerung.[xxvii]

Bisher verlief die Entwicklung zum beiderseitigen Nutzen. Auch der Erzbischof verdiente trotz großer Privilegien der Bauern an ihnen. Er erhielt einen erklecklichen Kirchenzehnt, da er sich diesen nicht mit den einzelnen Kirchen auf dem Lande teilen musste. Die dortigen Pfarrer hatten sich von einer halben Bauernhufe selbst zu versorgen.[xxviii] Nur in Einzelfällen verlieh der Erzbischof beispielsweise an das Domkapitel zu Bremen Güter als Entschädigung für schwerste Kultivierungsarbeiten. Allerdings wurde nach den ärgsten anfänglichen Kultivierungsarbeiten zunehmend versucht, Neusiedler nicht mehr zu solchen günstigen Konditionen wie ehedem anzusetzen. Zunächst wurden freie Siedler noch ohne Meierpflicht angesiedelt. Sie erhielten das Gebiet umsonst als völlig freies Eigentum, nur gegen besagten Zehnten und einem eher symbolischen Grundzins von jährlich einem Denar. Auch in einer Urkunde aus dem Jahre 1149 werden die stedingischen Güter in der Brokseite als Freigüter bezeichnet.[xxix] Doch am Ende der vierziger Jahre des 12. Jahrhunderts begann der Erzbischof Adalbert von Bremen damit, das Land nicht mehr unmittelbar an Kolonisten zu vergeben, sondern einige Unternehmer zu belehnen oder es ihnen ganz zu verkaufen. Diese parzellierten dann das Land nochmals und verpachteten es weiter. - Die Rechtsnachfolger derartiger Unternehmen tauchten bereits vor dem Krieg in den jeweiligen Orten als ortsgebundener Niederadel auf. Durch die neue Form der Landvergabe wurde die Zahl wirklich freier Bauerngüter vor den Stedingerkriegen von vorneherein begrenzt, - vor allem in der Brokseite konzentriert. Schon vor dem Aufstand gab es also in Stedingen eine große Anzahl von Bremen abhängiger Meiergüter. Diese Erkenntnis erarbeiteten sich H. Goens und B. Ramsauer in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts bei der Untersuchung von Pfründenansprüchen verschiedener kirchlicher Institutionen nach den für sie erfolgreichen Stedingerkreuzzügen. Diese listeten nämlich zur Untermauerung ihrer Ansprüche ihre alten Pfründen im Stedingerland auf. Der Bremer Dom soll beispielsweise in der Lechterseite allein 42 Bauen besessen haben.[xxx] Die Frage ist nur, ob man angesichts der anfangs spärlichen Landvergabe seitens des Erzbischofs an Klöster und Kirchen tatsächlich begründete Rückforderungen vor sich hat, oder eben lediglich Ansprüche! Auf dem Weserufer, der Lechterseite, gab es weniger freie Bauerngüter und auch der Geldzins war dort höher als in der Brokseite.[xxxi] Dieser Fakt ist erstaunlich. Aufgrund der geschilderten und beispielsweise von Heinrich Schmidt verteidigten Entwicklung bei der Landvergabe an Kolonisten[xxxii] würde man vermuten, dass Freigüter eher in der früher besiedelten Lechterseite zu finden sind und nicht in der später urbar gemachten Brokseite! Die Klärung dieser wichtigen Frage bedarf noch intensiver Forschung. Jedenfalls ist ersichtlich, dass die viel gerühmte Freiheit der Stedinger nicht so allgemein war, wie oft angenommen wird. Auch mit der Einheitlichkeit des Landes war es, wie gesehen, nicht weit her. Chronisten haben daraus auf bereits seit längerer Zeit bestehende Gegensätze in der Bevölkerung geschlossen. Diese angeblichen Gegensätze könnten aber von ihnen fälschlicherweise hineinpojiziert worden sein, was durchaus im taktischen Interesse der Bauern gewesen sein mochte: Bei Aufstandsbeginn wünschten Gruppen von ihnen in unterschiedlichen Burgen gegen die jeweils anderen Siedler Klage zu führen. Als eigentlicher Zweck jedoch stellte sich das unauffällige Eindringen von Rebellentrupps in die Burgen heraus![xxxiii] Wenn die Stedinger später Zehnt und Pachtzins nicht mehr zahlten, so resultierte das nicht aus irgendwelchen "alten Rechten", sondern war eine Begleiterscheinung beziehungsweise Motiv des Aufstandes selbst.[xxxiv] Fünfzig Jahre nach der Kultivierung des Landes brachten die Bauern besonders der Lechterseite den nunmehr nicht mehr begründbaren Unterschieden nur noch Unverständnis entgegen und forderten in ganz Stedingen derartige Freiheiten, wie sie vor allem in der Brokseite zu finden waren. So verweigerten sie letztlich Meierpacht und Meierpflicht entgegen der ursprünglichen Verabredung: Sie brachen den Vertrag! Auch romantische Vorstellungen von einen verbreiteten "altgermanischen" Gemeinbesitz in Form der Allmende sind hier unangebracht. Die hier so genannte Mene besaß eine verschwindend geringe Größe und existierte bestenfalls als moorige Dorfweide.[xxxv]

[...]


[i] Giuliano Procacci, Geschichte Italiens und der Italiener, München 1989, S. 47.; Michael Seidlmayer, Geschichte Italiens. Vom Zusammenbruch des Römischen Reiches bis zum ersten Weltkrieg, 2. erw. Aufl., Stuttgart 1989, S. 171 ff.

[ii] Jonathan Riley-Smith, Kreuzzüge, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, München u. Zürich 1989, Sp. 1516.

[iii] Hans Eberhard Mayer, Geschichte der Kreuzzüge, 8. verbess. erw. Aufl., Stuttgart, Berlin u. Köln 1995, S. 189.

[iv] Hermann Eicke, Stedingen. Eine Ketzerchronik, o.O. 1923 zit. nach Rolf Köhn, Der Stedingeraufstand in der deutschen Literatur. (1836-1975). "Lieber tot als Sklav", Teil 2, in: Oldenburger Jahrbuch, Bd. 81 (1981), Oldenburg, S. 91.

[v] Gerhard Steinfeld, Der Freiheitskampf der Stedinger von 1187 bis 1234 und dessen Gedächtnisfeier am 27. Mai 1834, o.O. 1834, S. 29.

[vi] Theodor Piderit, Die Stedinger. Ein Trauerspiel, o.O. 1880 zit. nach Rolf Köhn, Der Stedingeraufstand in der deutschen Literatur. (1836-1975). "Lieber tot als Sklav", Teil 1, in: Oldenburger Jahrbuch, Bd. 80 (1980), Oldenburg, S. 31 f.

[vii] Köhn, passim.

[viii] Piderit, a.a.O., S. 31 f.

[ix] Köhn, Stedingeraufstand, Teil 1, S. 51 ff.

[x] Hans Wolff, De Stedinger, En Späl in fiev Törn, o.O. 1927 zit. nach Köhn, Stedingeraufstand, Teil 2, S. 98.

[xi] Heinrich Burscher, Kruezigt Volk. En Spill in fiev Parten, o.O. 1933 zit. nach Köhn, Stedingeraufstand, Teil 2, S. 109.

[xii] Ebenda, S. 113.

[xiii] Alfred Rosenberg zit. nach Köhn, Stedingeraufstand, Teil 2, S 133.

[xiv] Köhn, Stedingeraufstand, Teil 2, S. 139 ff.

[xv] Köhn, Stedingeraufstand, Teil 1, S. 2.

[xvi] Dokument Nr. 1, in: Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. XXVI a, hrsg v. Herbert Helbig u. Lorenz Weinrich, Darmstadt 1968, S. 42 ff.

[xvii] Dokument Nr. 24, in: a.a.O., S. 114 ff.

[xviii] Hermann Lübbing, Oldenburger Landesgeschichte Oldenburg 1953, S. 41.

[xix] Anm. zu Dokument Nr. 1, a.a.O., S. 44.

[xx] Ebenda, S. 42 ff.

[xxi] Hermann Gloens, B. Ramsauer, Stedinger, in: Oldenburger Jahrbuch, Bd. 28 (1924), Oldenburg, S. 60 f.

[xxii] Dokument Nr. 25, in: a.a.O., S. 118 f.

[xxiii] Konrad Algermissen, Stedinger, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 9, hrsg.v. Josef Höfer u. Karl Rahner, 2. neubearb. Aufl., Freiburg 1964, Sp. 1027.; Heinrich Schmidt, Stedingen, Stedinger, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 8 (1. Lieferung), München 1996, Sp. 83.

[xxiv] Goens, Ramsauer, S. 11.

[xxv] Ebenda, S. 25 ff.

[xxvi] Ebenda, S. 65 ff.

[xxvii] Ebenda, S. 19.

[xxviii] Bruno Gloger, Kreuzzug gegen die Stedinger. 1233/34, Berlin 1980, S. 9.

[xxix] Goens, Ramsauer, S. 11.

[xxx] Ebenda, S. 12.

[xxxi] Ebenda.

[xxxii] Heinrich Schmidt, Zur Geschichte der Stedinger. Studien über Bauernfreiheit, Herrschaft und Religion an der Unterweser im 13. Jahrhundert, in: Bremisches Jahrbuch, Bd. 60/61 (1982/1983), Bremen, S. 30 f.

[xxxiii] Schmidt, Geschichte der Stedinger, S. 34.

[xxxiv] Goens, Ramsauer, S. 13.

[xxxv] Ebenda, S. 52 f.

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Der Ketzerkreuzzug gegen die Stedinger
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Institut für Geschichte)
Veranstaltung
Die Kreuzzüge des 13. Jahrhunderts
Note
Gut (plus)
Autor
Jahr
1997
Seiten
33
Katalognummer
V14348
ISBN (eBook)
9783638197731
ISBN (Buch)
9783640160334
Dateigröße
842 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ketzerkreuzzug, Stedinger, Kreuzzüge, Jahrhunderts
Arbeit zitieren
Harms Mentzel (Autor:in), 1997, Der Ketzerkreuzzug gegen die Stedinger, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14348

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