Rezension zu Alexander Nützenadels "Die Stunde der Ökonomen"


Rezension / Literaturbericht, 2007

25 Seiten, Note: Sehr Gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Weimarer Republik, Hyperinflation und Weltwirtschaftskrise

2. Die Nationalökonomie und der Ordoliberalismus der Freiburger Schule

3. Die Bundesrepublik im Sog der angloamerikanischen New Economics

4. Wachstums- und Konjunkturanalyse

5. Entwicklung der prognostischen Wirtschaftsforschung

6. Entwicklung der wirtschaftswissenschaftlichen Politikberatung

7. Die Konvergenztheorie: Systemkonkurrenz zwischen DDR und BRD, und die französichen Bemühungen um die Planification Économique als Grundlage der EWG

8. Das Wachstums- und Stabilitätsgesetz von 1967 und die Konzertierte Aktion

9. Die Abkehr vom Keynesianismus

10. Resümee

Fazit: Ökonomisierung der Gesellschaft und Homo Oeconomicus

Einleitung

Während des zweiten Weltkrieges wurden die Bande Deutschlands mit den internationalen Wissenschaften weitgehend gebrochen. Viele Wissenschaftler wurden aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder wegen der Unbequemlichkeiten die ihre Arbeiten für das NSRegime bereiteten ausgewiesen, interniert, oder zur Flucht gezwungen. Die National- ökonomie erfuhr dabei wie viele andere Wissenschaften eine Diskreditierung durch den Nationalsozialismus. Doch gerade sie durchlief in der Geschichte Nachkriegsdeutschlands eine Genese wie keine andere Wirtschaftsdisziplin und nahm im Laufe der Zeit eine zunehmend prägende Rolle in der Bundesrepublik ein.

Alexander Nützenadel hat in seinem Buch „Stunde der Ökonomen“ die Entwicklung des wirtschaftlichen Aufstieges Westdeutschlands beleuchtet, und die Entwicklung von ökonomischer Expertise im Kontext politischer Beratertätigkeit und steigenden gesellschaftlichen Einflusses verfolgt.

Der Fokus politischen Handelns hat sich unter dem Bedeutungsgewinn der wirtschaftswissenschaftlichen Politikberatung und der Einflußnahme derselben auf die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik seit ihrer Gründung zunehmend auf die Wirtschaftspolitik bewegt, während andere Bereiche traditioneller Politik immer weiter in den Hintergrund traten.

1. Weimarer Republik, Hyperinflation und Weltwirtschaftskrise

Nicht zuletzt wurde in Deutschland die Grundlage für das Greifen des Nationalsozialismus auch in dem Umgang der Weimarer Republik mit der Wirtschaft genannt. Die Weimarer Republik übernahm den verantwortungslosen Umgang des Deutschen Kaiserreiches mit der Geldpolitik, denn seit Anfang des 1. Weltkrieges 1914 ist zur Zahlung der Kriegskosten Geld gedruckt worden, was die Kaufkraft der Mark bis 1918 um mehr als die Hälfte reduziert hatte.1

Die Zahlung der Reparationen an die Siegermächte war der Weimarer Republik nicht möglich. In Folge dessen kam es zur Ruhrbesetzung durch belgisch-französische Truppen. Die Weimarer Regierung unter Reichskanzler Wilhelm Cuno rief zum Streik auf, und zahlte die streikenden Ruhrarbeiter subventionierend in Mark aus. In Folge der jedoch durch den bedenkenlosen Gelddruck stetig weiter entwerteten Mark kam es 1923 zum Höhepunkt der Hyperinflation, und zum Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft. Der Kurs für 1 US-Dollar betrug zu diesem Zeitpunkt 4,2 Billionen Mark. So schnell wie die Geldentwertung und damit die Preissteigerung voranschritten, bekamen die Druckerpressen Schwierigkeiten mit dem Drucken neuer Scheine hinterher zu kommen. Da auch die alliierten Siegermächte als Prämisse für Reparationsverhandlungen eine Stabilisierung der deutschen Wirtschaft forderten, kam es im Zuge der Währungsreform 1923-1924 zur Beendigung der Inflation und eine Stabilisierung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse setzte ein. Die Konsequenz der Inflation war eine Abschiebung der Kriegskosten auf die Arbeiterschichten und die Vermögensbesitzer, mit fatalen ökonomischen und sozialen Folgen. Weite Teile der bis dahin wirtschaftlich wohlsituierten Mittelschicht wurden in die Armut gestürzt, ihre monetären Reserven waren durch die rapide Geldentwertung dahingeschmolzen.2

Das Lohnniveau stieg erst 1928 wieder auf einen dem Vorkriegsstandart von 1913 nahen Stand. Entsprechend stark war das Vertrauen seitens der Bevölkerung in die Republik erschüttert.1929 trat schließlich in Folge eines Preisverfalls auf den Agrar- und Rohstoffmärkten und des Börsenkrachs im Oktober 1929 die Weltwirtschaftskrise in allen Industrienationen ein, und ging mit Unternehmenszusammenbrüchen, massiver Arbeitslosigkeit und Deflation einher. Der Boom in der Produktion ist durch den Wegfall der Nachfrage der USA schlagartig zur weltweiten Depression geworden. Der durch den plötzlich auftretenden Nachfragemangel ausgelöste Preisrutsch bewirkte Auftragsmängel die wiederum zu Massenentlassungen, Unternehmensschließungen und Talfahrten an den Börsen führten. Die tragische Folge der Krise für die deutsche Bevölkerung war ein erneuter Sturz in die Unsicherheit katastrophaler ökonomischer Verhältnisse. Die Unfähigkeit der Regierung Brüning einen Ausweg aus den Problemen, die aus der Krise erwuchsen, zu bieten, und das ohnehin schon geschwächte Vertrauen in die Führungsfähigkeit der Republik, bereitete endgültig den Weg für das Aufkeimen des radikalen Nationalsozialismus und der Machtergreifung Adolf Hitlers welche letztlich in den 2. Weltkrieg führte.3

Diese zweifache Beutelung der deutschen Bevölkerung durch wirtschaftliche Krisen ist maßgebend für den kommenden Bedeutungsgewinn der Nationalökonomie und dem steigenden Gewicht, das man in der Politik dem Wirtschaftsressort beimißt, sowie für das tiefe Trauma und die Angst vor einer Wiederkehr der Wirtschaftskrisen des frühen 20. Jahrhunderts. Das politische Selbstverständnis der nach dem zweiten Weltkrieg ökonomisch aufblühenden Bundesrepublik ist maßgeblich an ihre wirtschaftlichen Erfolge gekoppelt. Das rasante Wirtschaftswachstum nach dem Krieg wird dabei nicht nur als eine der entscheidenden Säulen der Entfaltung einer vitalen Demokratie gesehen, sondern ist ebenso wichtig für die internationale Emanzipation des westdeutschen Teilstaates gewesen. Im Rahmen der Weltwirtschaftskrise und des spezifischen deutschen Traumas, sind die Begriffe der Stabilität und des Wachstums für Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zu deutschen Leitbegriffen geworden, denen gegenüber Instabilität und konjunkturelle Krisen als Bedrohung für den Grundkonsens der Gesellschaft wahrgenommen werden. So zitiert Nützenadel einen polnischen Publizisten, bis heute seien Wirtschaftskrisen „in Deutschland stets Identitätskrisen.“4

2. Die Nationalökonomie und der Ordoliberalismus der Freiburger Schule

Das soziale und ökonomische Elend welches den Deutschen aus der zweifachen Beutelung massiver wirtschaftlicher Krisen widerfuhr, wurde als wesentlicher Faktor für das Aufkeimen des Nationalsozialismus angesehen, und nicht zuletzt auch in gewissem Maße als Form der historischen Entlastung instrumentalisiert. Entsprechend stark gewann die unter den Nazis verpönte Nationalökonomie nach dem Krieg an Bedeutung. Wollte man doch den Grund für das Aufkeimen des Faschismus maßgeblich in der ökonomischen Ausweglosigkeit und der aus den Krisen erwachsenen Unsicherheit der Deutschen sehen, so galt es der Konjunktur so viel Auftrieb wie möglich zu verschaffen, und die Gefahr wirtschaftlicher Krisen bereits im Vorfeld zu minimieren.

Die Nationalökonomie löste sich dabei nach dem Krieg endgültig vom methodologischen Verständnis der durch die Historische Schule geprägten Tradition. Der Ökonom und Historiker Brinkmann hat sich dabei in herausragendem Maße gegen die zunehmende Spezialisierung und Abschottung in den Geisteswissenschaften gewandt. Er machte sich für eine Synthese aus historischen, soziologischen und ökonomischen Ansätzen stark, und bezeichnete einen rein theoretischen Ansatz als zu wirklichkeitsfremd. Er plädierte für eine Analyse der Wirtschaft anhand von historischen Vergleichswerten, die Geschichte müsse als Kontrollinstanz verwendet werden. Brinkmanns „Sozialökonomische Synthese“ erwies sich jedoch als nicht tragfähig. Die Historische Schule der Nationalökonomie verlor mit ihren Nebenlinien seit Mitte der 50er Jahre an Bedeutung und Einfluß, Wirtschafts- und Sozialgeschichte entwickelten sich zu einer eigenständigen Disziplin.5 Die Freiburger Schule um Walter Eucken und Franz Böhm gewann in der Frühphase der Bundesrepublik mit ihrem ordnungspolitischen Denken zunächst stark an Einfluß. Sie prägten maßgeblich die Leitlinien des Faches und die wirtschaftspolitische Konzeptionisierung und Institutionenbildung der Aufbauzeit. Dabei war das Konzept des Ordoliberalismus maßgebend. Der Ordoliberalismus spricht sich gegen den freien Markt des klassischen Liberalismus aus, und denkt den Staat als zentralen Agitator zur Rahmengebung gegen wettbewerbsfeindliche Konzentrationsprozesse an, sowie gegen die Vermachtungsdynamik von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden. Der Staat solle also als Kontrollorgan zur Steigerung der Wohlfahrt in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen, sofern die Notwendigkeit bestehe. Nach Eucken hat die Wissenschaft dabei die Aufgabe, einen institutionellen Rahmen zur Rechtsprechung der wirtschaftlichen Ordnung zu bestimmen und wirtschaftspolitische Bewertungen vorzunehmen.6 Eucken schwebte dabei die Ausbildung interdisziplinärer Fachkräfte vor, welchen die Erfassung gesamtgesellschaftlicher Probleme in ihrer Ganzheit möglich sein sollte. Für die Ordnungspolitik in Deutschland war maßgebend, daß ökonomische Gegebenheiten nicht als Ensemble natürlich gewachsener Faktoren betrachtet wurden, sondern als politische Gesamtentscheidung über die Ordnung des nationalen Wirtschaftslebens.

Der Philosoph Rüstow und der Rechtsökonom Röpke warnten vor der Gefahr einer Vermassung und Proletarisierung die mit der Entwicklung der Industriegesellschaften einherginge. Sie befürchteten im Zuge der Urbanisierung eine zunehmende Auflösung sozialer Bindungen („Atomisierung der Gesellschaft“).7

Rüstow plädierte für politische Siedlungsmaßnahmen auf dem Land um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, was sich jedoch nach dem Krieg als nicht machbar erwies. Der in den 30er Jahren entstandene Ordoliberalismus fand vor Allem durch die gemeinsamen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen zusammen. Euckens und Böhms Ordnungslehre stellte dabei den ehrgeizigsten Versuch einer Neubegründung des Faches dar, fand aber unzureichenden Anklang. Die Arbeiten der Freiburger Schule sind dabei fest in der alten Schule der Nationalökonomie mit ihren geschichtlichen und soziologischen Verwurzelungen verankert. Die Fixierung auf die institutionellen Rahmenbedingungen des Marktes steht in der Tradition jener alten Schule, und ist von Knut Borchardt als Reflex auf die dramatischen Umbrüche Deutschlands seit 1918 verstanden worden. Die Ordnungspolitik der Freiburger Schule stellte nach dem Krieg in ihrem Ordoliberalismus eine Alternative zum nationalsozialistischen Modell des ökonomischen Interventionismus und dem kommunistischen Modell der Planwirtschaft dar, welche mit der Unterstützung der Alliierten rechnen konnte. Ferner galten die Freiburger Ökonomen mit ihrem Kontakt zum konservativen Widerstand als politisch unbelastet. Sie genossen ein hohes öffentliches Ansehen und Einfluß auf die sich konstituierende deutsche Ordnungspolitik, hatten allerdings wenig Einfluß auf die Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften selbst. Das war vor Allem darin begründet, daß viele Ordoliberale der ersten Generation während des oder kurz nach dem Krieg verstarben. Die Freiburger Schule war zwar weit bis in die 60er Jahre an den Universitäten präsent, besaß jedoch keineswegs eine dominante Position. Ihr Einfluß ging insbesondere in der Forschung zurück, da ihre Methoden und Ansätze nur begrenzt mit dem Modell des internationalen Mainstreams des Keynesianismus und des neoklassischen Denkens harmonierten.

Der im angelsächsischen Raum von statten gehende Aufschwung der Makroökonimik mit ihrer Präferenz für die Konjunkturtheorie, die Wachstumstheorie, der methodischen Hinwendung zur Ökonometrie, und mathematisch formalisierten Modelltheorie, führten dazu, daß Eukens und Böhms Ordnungslehre im Ausland nahezu gänzlich unbeachtet blieb. Auch in Deutschland verlor die Ordnungslehre in dem Maße Einfluß, in dem sie Anschluß an die internationalen Debatten suchte.8

[...]


1 Je mehr Einheiten eines Gutes im Umlauf sind desto geringer der Wert und umgekehrt, entsprechend stark fällt auch der Wert des Geldes je mehr davon die Druckerpresse herstellt.

2 Brockhaus Enzyklopädie. 19.Auflage. Mannheim 1994, Bnd.10, S. 492; Bnd.23, S. 700-702; Die Grosse Coron Enzyklopädie. Stuttgart 1995, Bnd.7, S.168

3 Brockhaus Enzyklopädie. 19.Auflage. Mannheim 1994, Bnd.23, S. 700-702; Bnd.24, S. 59

4 Alexander Nützenadel: Stunde der Ökonomen. Band 166. Göttingen 2005, S. 11 3

5 Alexander Nützenadel: Stunde der Ökonomen. Band 166. Göttingen 2005, S.27-28

6 A.a.O.: S. 35-37

7 A.a.O.: S.39-40

8 Alexander Nützenadel: Stunde der Ökonomen. Band 166. Göttingen 2005, S.43-44

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Rezension zu Alexander Nützenadels "Die Stunde der Ökonomen"
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Philosophische Fakultät)
Veranstaltung
Vom "homo oeconomicus" zum steuerbaren Menschen
Note
Sehr Gut
Autor
Jahr
2007
Seiten
25
Katalognummer
V142799
ISBN (eBook)
9783640524679
ISBN (Buch)
9783640524952
Dateigröße
456 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Politik, Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Wirtschaftssoziologie, Politische Soziologie, Politikberatung, Ordoliberalismus, Neoliberalismus, Keynesianismus, Ökonomie
Arbeit zitieren
Dipl.-Sozialwiss. Merlin Holthoff (Autor:in), 2007, Rezension zu Alexander Nützenadels "Die Stunde der Ökonomen", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142799

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