Das Bild des russischen Soldaten in Anonymas Tagebuch "Eine Frau in Berlin" im Spiegel der NS-Propaganda


Hausarbeit, 2007

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Kritische Betrachtung der Quelle: Anonymas Eine Frau in Berlin

3. Anonymas politische Einstellung

4. Das Russenbild in der NS-Propaganda

5. Das Bild des russischen Soldaten in „Eine Frau in Berlin“
5.1 Die Darstellung des russischen Soldaten als unterentwickelt und minderwertig
5.2 Die Darstellung der Tierhaftigkeit des russischen Soldaten
5.3 Die Darstellung der Männlichkeit des russischen Soldaten

6. Das Darstellung der Männlichkeit des deutschen Soldaten in „Eine Frau in Berlin“

7. Fazit

8. Anhang: Bildquellen

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus ist noch immer nicht abgeschlossen und nach wie vor ein zentrales Thema in der Geschichtswissenschaft. Während man über einige Aspekte bereits eine umfassende, differenzierte Meinung zu haben scheint, wie etwa die Schuldfrage des Zweiten Weltkriegs, der Holocaust oder die Figur Hitlers, wurde anderen Themen bisher weniger Beachtung geschenkt. Zu diesen gehören beispielsweise das Russenbild in der Propaganda oder die Frage, wie Frauen eigentlich den Krieg erlebt haben. Über das Kriegserlebnis von Frauen, die während der russischen Besetzung in Berlin lebten, berichten Tagebuchaufzeichnungen wie Margret Boveris Tage des Überlebens, Ruth Andreas-Friedrichs Der Schattenmann oder Eine Frau in Berlin von einer anonymen Autorin. Sie zeigen den Zweiten Weltkrieg aus einer anderen Perspektive, statt Schützengraben und Erschießen sind der tägliche Kampf um Nahrungsmittel und Vergewaltigungen durch Soldaten der Siegermächte an der Tagesordnung. Wie sahen diese Frauen den Krieg? Wie standen sie dem Nationalsozialismus gegenüber? Was für Männer waren für sie die Soldaten? Vor allem die Rotarmisten, die in der deutschen Propaganda als vertierte Untermenschen dargestellt wurden?

Im Folgenden soll das Bild des russischen Soldaten der anonymen Tagebuchautorin von „Eine Frau in Berlin“ untersucht werden. Zur Diskussion steht die Frage, ob man ihre Darstellung der Russen als differenziert bezeichnen kann, wie es in vielen der Rezensionen behauptet wird, oder ob – und inwiefern - sie vom Russenbild der nationalsozialistischen Propaganda beeinflusst ist, eine Überlegung, die vor dem Hintergrund ihrer angeblichen Identität als Verfasserin propagandistischer Artikel nahe liegt.

2. Kritische Betrachtung der Quelle: Anonymas Eine Frau in Berlin

Die Verfasserin des Buches Eine Frau in Berlin. Tagebuch-Aufzeichnungen vom 20. April bis 22. Juni 1945 hat während der letzen Kriegsmonate und darüber hinaus ihre Erlebnisse niedergeschrieben. Ihre Aufzeichnungen vervollständigte sie später zu dem vorliegenden Buch, das unter Mithilfe ihres Bekannten Kurt W. Marek veröffentlicht wurde. 1954 erschien das Tagebuch in englischer Übersetzung in den USA, darauf folgten Ausgaben in neun weiteren Sprachen. 1949 erschien es erstmals in deutscher Übersetzung in der Schweiz, erreichte aber scheinbar keine große Rezeption. Erst nach der Neuerscheinung 2003 erlangte es größere Bekanntheit, verblieb Monate lang auf der Bestseller-Liste der Zeitschrift Spiegel und wurde in allen führenden Zeitschriften größtenteils positiv besprochen.

Die Verfasserin entschied sich dafür, anonym zu bleiben. Als Leser erfahren wir lediglich, dass sie journalistisch tätig war, fotografierend und zeichnend etliche europäische Länder bereist und dadurch Fremdsprachenkenntnisse erlangt hatte. Jens Bisky stieß durch Recherche in Kurt W. Mareks Bekanntenkreis auf eine Frau namens Marta Hiller, auf die diese Beschreibungen passten und deckte so in seinem polemischen Artikel „Wenn Jungen Weltgeschichte spielen, haben Mädchen stumme Rollen“ in der Süddeutschen Zeitung vom 24.9.2003 die Identität der Anonyma auf. Besagte Frau soll demnach während des Nationalsozialismus als Journalistin tätig gewesen sein und einige propagandistische Artikel verfasst haben. Mitglied in der NSDAP soll sie allerdings nicht gewesen sein.[1]

Bisky stellte zudem die Authentizität des Texts in Frage. Er wirft Fragen auf, ob und von wem die uns vorliegende Ausgabe redigiert wurde, ob die Formulierungen von der Anonyma selbst sind und wo sich die ursprüngliche Fassung des Tagebuchs, die von Hand beschriebenen Hefte, heute befinden. Die Vorwürfe, Marek selbst oder jemand anderes als die Verfasserin habe den Text bearbeitet, wurden von Hannelore Marek, der Inhaberin der Rechte an dem Buch, zurückgewiesen[2], die Authentizität der Aufzeichnungen wurde von Walter Kempowski bestätigt[3]. Was jedoch eine entscheidende Frage bleibt: In welchem Zeitraum wurde die Reinschrift verfasst? Für den Umgang mit der Quelle ist es durchaus von Bedeutung, ob die ursprünglichen Aufzeichnungen nur abgetippt wurden, oder ob literarische Ausschmückungen oder gar spätere Reflexionen ergänzt wurden.

Frau Mareks Aussage zufolge sollen die notariell verwahrten Urschriften irgendwann an ein Archiv gegeben werden und Wissenschaftlern zugänglich gemacht werden.[4]

3. Anonymas politische Einstellung

Für die Fragestellung dieser Arbeit ist die politische Einstellung der Tagebuchautorin von Bedeutung, vor allem vor dem Hintergrund ihrer Identität: Bisky stellt sie als Mitläuferin dar, die während ihrer journalistischen Karriere propagandistische Artikel verfasst hat. Eine eindeutige Stellung für oder gegen den Nationalsozialismus ist in Anonymas Darstellungen allerdings nicht zu erkennen, man kann lediglich Vermutungen aus den wenigen Andeutungen anstellen.

An einigen Stellen scheint eine recht distanzierte Haltung zum Nationalsozialismus durch. Gleich am zweiten aufgezeichneten Tag des Tagebuches schreibt die Verfasserin von einem Nachbarn, den sie ironisch „Siegismund“[5] nennt, da er ständig verkündet, er sei vom Sieg Deutschlands im Weltkrieg überzeugt und vertraue auf Hitler. Sie bezeichnet ihn sogar als „Verrückten“[6] und berichtet, dass nur eine Frau der Hausgemeinschaft, die sich immer im Keller trifft, diesem Mann zustimmt. Man kann bereits an dieser Stelle erkennen, dass die Autorin skeptisch gegenüber Hitler und dem nationalsozialistischen Regime ist und nicht an den Sieg Deutschlands im Zweiten Weltkrieg glaubt.

An einer späteren Stelle, dem Eintrag des 30. April, kann man bereits eine abneigende Haltung der Anonyma zu Hitler erkennen, wo sie voll Ironie schreibt „Unser neues Morgen- und Abendgebet: „Dies alles verdanken wir dem Führer.“[7] Zu diesem Zeitpunkt hat der Krieg bereits sein wahres Gesicht gezeigt, Ostberlin ist von der Roten Armee besetzt und die Verfasserin wurde selbst Zeugin und Opfer von Vergewaltigungen.

Am 5. Mai schreibt die Tagebuchautorin, dass unter der Bevölkerung allgemeiner Unmut gegen das NS-Regime herrscht, auch ihre eigene Verbitterung wird deutlich wenn sie schreibt: „Aber unser Land, unser Volk – weh ist ihm zumute. Verbrecher und Hasardeure haben uns geführt, und wir haben uns führen lassen wie die Schafe zur Schlachtbank. Nun loht Haß in dem elenden Haufen.“[8] Wenig später, am 18. Mai, zehn Tage nach Kriegsende, schreibt die Verfasserin erneut von ihrem Ärger über das nationalsozialistische Regime, sie schreibt „Die Nazis haben sich zu wichtig getan, haben das Volk, besonders in den letzten Jahren, zu sehr mit kleinen Schikanen belästigt – und nun müssen sie für die allgemeine Niederlage büßen.“[9] Trotzdem geht ihr Hass nicht soweit, um nach dem Krieg nationalsozialistisch Gesinnte zu denunzieren, sie will „nicht diejenige sein, die solche früheren Schreier ans Messer liefert“[10].

Eine Tagebuchstelle deutet sogar auf eine frühere Affinität zum Kommunismus hin, die zum Zeitpunkt des Schreibens allerdings nicht mehr so stark zu sein gewesen scheint: „Zur roten Fahne, die mir in jungen Jahren so leuchtend erschien, führt kein Weg für mich zurück“[11]. Die Tatsache, dass sie in Russland war und auch Russisch gelernt hat, könnte diese Vermutung stützen. Allerdings schreibt sie auch, dass sie Russland unter kommunistischer Herrschaft kennen gelernt und sich dort nicht wohl gefühlt habe, vor allem die „pausenlose ideologische Schulung“[12] des russischen Regimes habe ihr nicht gefallen.

Was man über Anonymas politische Einstellung sagen kann, ist lediglich, dass sie gegen Ende des zweiten Weltkrieges eine kritische Stellung gegenüber dem Nationalsozialismus einnimmt. Diese Einstellung kann sich auch im Laufe des Krieges erst entwickelt haben, ob sie einmal dem Nationalsozialismus zugeneigt war, kann man nicht sagen, jedoch auch nicht ausschließen.

4. Das Russenbild in der NS-Propaganda

Im Folgenden soll das Russenbild umrissen werden, welches von den Machthabern des Nationalsozialismus konstruiert und propagandistisch dem Volk präsentiert wurde. Dieses Bild war allerdings nicht einheitlich, vielmehr gab es voneinander abweichende Bilder, die gleichzeitig bestanden. Darüber hinaus unterlag das propagandistische Russenbild einem zeitlichen Wandel, es wurde jeweils an die politische Situation und den damit verbundenen strategischen Erfordernissen angepasst. Zudem kann man nicht von einem genuin nationalsozialistischen Konstrukt sprechen, da es auch schon vorher Feindbilder gegenüber den Russen gab, die übernommen, verstärkt und mit anderen Feindbildern verwoben wurden. Es ist also kaum möglich, von einem verbindlichen, allgemeingültigen Russenbild im Nationalsozialismus auszugehen. Dieses Bild in all seinen Facetten und Abweichungen ist bisher noch nicht gründlich erforscht.[13] In der vorliegenden Arbeit kann nicht detailliert auf die Entstehung des Russenbildes und die Entwicklungen innerhalb desselben eingegangen werden. Es sollen vielmehr die Haupttendenzen und wesentlichen Aussagen herausgearbeitet werden, die im Zusammenhang mit der Fragestellung von Bedeutung sind.

Eines der Hauptelemente der propagandistischen Darstellung des Russen ist die Behauptung, die slawische Rasse gehöre einer niedrigen Entwicklungsstufe an. Das gründet auf ein Rassendenken, dass schon vor dem Nationalsozialismus eine lange Tradition hat. Die Russen wurden in der Propaganda als Untermenschen bezeichnet, Abkömmlinge einer „minderwertigen Rasse“[14]. Nicht nur wurden sie als primitiv und in Zivilisation, Kultur und Bildung nachstehend dargestellt, sondern regelrecht entmenschlicht. In einer Propagandaschrift mit dem Titel Der Untermensch wird eben dieser definiert als eine Gestalt, die zwar menschlich aussieht, doch sei sie „eine ganz andere, eine furchtbare Kreatur, ist nur ein Wurf zum Menschen hin, mit menschenähnlichen Gesichtszügen – geistig, seelisch jedoch tiefer stehend als jedes Tier“[15]. Dieses Bild der primitiven Animalität der Russen, wird auch visuell auf zahlreichen Propagandaplakaten und in Filmen dargestellt, zum Beispiel in dem der Russe in einer an King Kong erinnernde Gestalt gezeichnet wird wie auf Abbildung 1 im Anhang. Beliebt waren auch Darstellungen, die Slawen und deutsche Soldaten gegenüberstellen und den Kontrast durch Kommentare hervorheben, ein solches Beispiel zeigt Abbildung 3.

[...]


[1] Vgl. Bisky, Jens: Wenn Jungen Weltgeschichte spielen, haben Mädchen stumme Rollen. Süddeutsche Zeitung vom 24.9.2003.

[2] Vgl. Güntner, Joachim: Verdächtigung ohne Beleg. Neue Züricher Zeitung vom 1.10.2003.

[3] Vgl. Lovenberg, Felicitas von: Walter Kempowski über das Tagebuch „Eine Frau in Berlin“ Frankfurter Allgemiene Zeitung 20.1.2004.

[4] Vgl. Güntner: Verdächtigung.

[5] Anonyma: Eine Frau in Berlin. Tagebuchaufzeichnungen vom 20. April bis 22. Juni 1945. Frankfurt a. M. 2003. S. 20.

[6] Anonyma: Eine Frau in Berlin. S. 20.

[7] Ebd. S. 96.

[8] Ebd. S. 143.

[9] Ebd. S. 209.

[10] Ebd. S. 209.

[11] Ebd. S. 190.

[12] Ebd. S. 190.

[13] Den unbefriedigenden Forschungsstand betont auch Wolfram Wette in seinem Artikel: Das Rußlandbild in der NS-Propaganda. Ein Problemaufriß. In: Hans-Erich Volkmann (Hg.): Das Rußlandbild im 3. Reich. Köln 1994, S. 55-78, hier S. 55.

[14] Adolf Hitler: Mein Kampf. München 1933. S. 742.

[15] Reichsführer SS: Der Untermensch. Berlin 1942.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Das Bild des russischen Soldaten in Anonymas Tagebuch "Eine Frau in Berlin" im Spiegel der NS-Propaganda
Hochschule
Universität Augsburg
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V142757
ISBN (eBook)
9783640539215
Dateigröße
4323 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bild, Soldaten, Anonymas, Tagebuch, Eine, Frau, Berlin, Spiegel, NS-Propaganda
Arbeit zitieren
Sofie Sonnenstatter (Autor:in), 2007, Das Bild des russischen Soldaten in Anonymas Tagebuch "Eine Frau in Berlin" im Spiegel der NS-Propaganda, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142757

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