Die deutsche Studentenbewegung der 1960er Jahre

Theoretische Väter, ideologische Entwicklung und Denkmuster der ´68er


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Ursachen der Studentenbewegung
2.1. Weltweite Ursachen
2.2. Ursachen des Protestes in der BRD

3. Ideologische Entwicklung der Studentenbewegung
3.1. SDS und Neue Linke
3.2. Herbert Marcuse: intellektueller Mentor der Studentenbewegung

4. Rezeption Marcuses durch die Studentenbewegung

5. Resignation und Spaltungstendenzen

6. Schlussbemerkung

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Eine Bewegung ist zwar Teil eines sozialen Systems, steht jedoch im Gegensatz zu einer etablierten Ordnung, deren erstarrte Formen mit Dynamik konfrontiert werden“. Sie zeichnet sich aus durch die „moralische Entrüstung und Empörung einer relevanten Bevölkerungsgruppe zumeist jugendlichen Alters und häufig intellektuellen Zuschnitts…sowie durch ein radikales Infragestellen alles Bestehenden […]“[1].

Die deutsche Protestbewegung der 1960er Jahre, besser bekannt als Studentenbewegung, war eine vielschichtige politische Bewegung, welche die damals herrschenden wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland radikal kritisierte.[2] Von Vielen freudig begrüßt (Enzensberger: „68 machte die unbewohnbare Republik erst bewohnbar“), von ebenso Vielen aber abgelehnt (Thieli>Lebensabschnitte der deutschen Universität“), brach sich das Phänomen „Deutsche Studentenbewegung“ für die meisten Zeitgenossen überraschend Bahn. Noch 1965 meinte Ludwig von Friedenburg, der spätere hessische Kulturminister: „Überall erscheint die Welt ohne Alternativen, passt man sich den jeweiligen Gegebenheiten an, ohne sich zu engagieren und sucht sein persönliches Glück in Familienleben und Berufskarriere. In der modernen Gesellschaft bilden Studenten kaum mehr ein Ferment produktiver Unruhe. Es geht nicht mehr darum, sein Leben oder gar die Welt zu verändern, sondern deren Angebote bereitwillig aufzunehmen und sich in ihr, wie sie nun einmal ist, angemessen und distanziert einzurichten“[3]. Auch der Soziologe Helmut Schelsky glaubte nicht an ein revolutionäres Verlangen der Jugend: „Aber was sich auch ereignen mag, diese Jugend wird nie revolutionär, in flammender kollektiver Leidenschaft auf die Dinge reagieren“[4].

Wie konnte es am Ende der 1960er Jahre dennoch, entgegen aller Expertisen, zu jenen Protesten kommen, die aus heutiger Sicht als „Bruch in der Geschichte“ beschrieben werden können und das politische System der Bundesrepublik Deutschland ins Wanken brachten? Wer oder was waren die Feindbilder der Studentenbewegung? Wer waren ihre Träger und worin bestanden ihre Ziele?

Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, Ursachen und Entwicklung der Studentenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1960 bis 1969 zu analysieren. Da die deutsche Studentenbewegung kein isoliertes Phänomen darstellt, sondern vielmehr als eingebettet in einen internationalen Prozess betrachtet werden muss, wird sich diese Arbeit zunächst bündig mit den Ursachen des weltweiten Protestes beschäftigen, um anschließend näher und verständlicher auf innerdeutsche Triebfedern der Auflehnung zu kommen.[5] Schwerpunkt der Untersuchung wird die ideologische Entwicklung der Protestbewegung von einer Friedensbewegung hin zu einer antiautoritären Revolte sein. Insbesondere stellt sich hier die Frage, inwieweit der bekannteste Befürworter der Studentenbewegung, Herbert Marcuse, den Studenten intellektueller Mentor war und ob und in welchem Maße diese Marcuses Theorien für ihre Zwecke verzerrt haben. Da es in jeder Bewegung einen „harten Kern“ gibt, der diese antreibt, wird die Analyse anhand der Denkmuster der Ideologen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, der einflussreichsten Organisation innerhalb der Studentenbewegung, betrieben.[6]

2. Ursachen der Studentenbewegung

2.1. Weltweite Ursachen

Die aufkommende Musikrichtung des Rock´n´Roll veränderte die Jugendkultur weltweit nachhaltig. Musik wurde von einer Begleiterscheinung zum Mittel des politischen Ausdrucks und des Lebensgefühls einer ganzen Generation. Musikgruppen wie die Beatles oder die Rolling Stones wurden von den Älteren der Gesellschaft empört abgelehnt, auch oder gerade deshalb diente sie der Jugend zur Abgrenzung der Elterngeneration. Aber nicht nur in der Musik, auch in der Mode und in der Kunst („Popart“) schlug sich der Einfluss eines neuen Lebensgefühls wieder, fast könnte man von einem Paradigmenwechsel in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen sprechen, der sich nicht zuletzt auch in der neuen Stellung der Frau niederschlug. Die Einführung der „Antibabypille“ im Jahr 1960 war der Stein des Anstoßes einer emanzipatorischen Bewegung, welche die Frau vom Status des „Herdheimchens“ in eine selbstbestimmte Zukunft führen sollte. Das traditionelle Ehe- und Familienverständnis wurde in Frage gestellt und neue Formen des Zusammenlebens, wie Wohngemeinschaften, erprobt. Der schwellende Kalte Krieg, der über weiten Teilen der Welt das Damokles-Schwert eines atomaren Krieges schweben ließ, wirkte politisierend auf die Gesellschaft, besonders auf die junge Intelligenz an den Gymnasien und Hochschulen. Vor allem der Vietnam-Krieg (1965- 75) den die westliche „Vorbild-Demokratie“ USA gegen die Bevölkerung eines kleinen Landes führte, um ein korruptes Regime an der Macht zu halten, ließ die idealisierende Vorstellung von der Demokratie als Beschützerin der Freiheit und Sicherheit des Menschen bröckeln. Die Welle des Protestes, getragen von einem revolutionär-liberalem Gefühl breitete sich aus. In Südamerika stieg Ernesto „Che“ Guevara zum Volkshelden auf, zuvor hatte sich schon auf Kuba der Guerilla-Führer Fidel Castro an die Macht geputscht und den Sozialismus ausgerufen. In Prag versuchte die Regierung Dubcek die kommunistischen Ketten Moskaus zu sprengen und in China verkündete Mao die Kulturrevolution. Zwar unterschieden sich die einzelnen Bewegungen teils deutlich voneinander, häufige Themen waren jedoch immer der Vietnam-Krieg (Friedensbewegung), der Kampf gegen verkrustete Autoritätsstrukturen, insbesondere in Erziehung und Bildung sowie die Gleichstellung von Minderheiten (Frauen- und Bürgerrechtsbewegung) und die sexuelle Revolution.

2.2. Ursachen des Protestes in der BRD

Als Geburtsstunde der innerdeutschen Studentenbewegung lässt sich die sog. Ostermarschbewegung (1960) nennen. Sie richtete sich gegen den schwellenden Kalten Krieg, die Aufrüstungspolitik der USA und die Gefahr eines damit verbundenen atomaren Krieges.[7] Zählte die Bewegung anfangs 1.000 Demonstranten aus dem pazifistischen, christlichen und linkssozialistischen Lager, war deren Zahl bis 1968 auf 300,000 Teilnehmer gestiegen, die nun ein sehr viel breiteres Spektrum an Protestthemen artikulierten. Aber auch die sich Anfang der 1960er Jahre verschlechternde Wirtschaftslage und der mit dem Bau der Mauer (13.8.1961) platzende Traum von der „Deutschen Einheit“ ließen die Osterdemonstrationen wachsen. Neben der schon erwähnten Friedens- und Bürgerrechtsbewegung war die Große Koalition (1966-69) das innenpolitisch tragende Thema. Ursprünglich zwischen CDU und SPD gebildet um der drohenden Rezession in Deutschland entgegenzuwirken, wurde sie bald für linksorientierte Studenten und intellektuelle Zirkel zum Synonym des Abbaus der parlamentarischen Demokratie. Angesichts der Tatsache, das im Jahr 1967 90% der Abgeordneten im Bundestag die Regierung stützten, ist die „kritische Distanz“[8] vieler junger Menschen zur Demokratie, entspringend aus der Kluft von politischer Theorie und Realität der parlamentarischen Demokratie nur allzu verständlich. Seinen Kritikern galt der „CDU- Staat“ als politische Erstarrung, als Kartellbildung der herrschenden Klasse.[9] Auf Grund einer fehlenden wirkungsvollen parlamentarischen Opposition, schien der Funktionsverlust der Parteien und die Entwicklung der BRD zum bürokratischen autoritären Staat offensichtlich und wurde noch verstärkt durch die geplanten Notstandsgesetze, die offenkundig die Aufhebung demokratischer Grundrechte bedeuteten.[10]

Eng verbunden mit der Kritik an der politischen Kultur ist die Kulturkritik der Gesellschaft, die einem deutschen Spezifikum entspringt: dem Umgang mit der Nationalsozialistischen Vergangenheit.[11] Der Vertrauensverlust in die Demokratie, die als verkrustet empfundenen Autoritätsstrukturen der überkommenen Nachkriegsgesellschaft sowie die unabgeschlossene Vergangenheitsbewältigung zeigten sich besonders deutlich an den Hochschulen. Zwischen 1950 und 1966 war die Anzahl der Studierenden um das Zweieinhalbfache gestiegen, ohne das dieser Entwicklung im Bildungswesen Rechnung getragen wurde. Schlechte Studienbedingungen und erheblich verlängerte Studienzeiten waren die Folge.[12] Georg Picht spricht sogar von einer „Bildungskatastrophe“.[13] Zudem herrschte, wie überall dieser Tage, ein Misstrauen gegenüber der älteren Generation vor. Gerade an den Universitäten rekrutierte sich noch ein Großteil des Lehrkörpers aus Mitläufern der NS-Zeit. Ihren Dozenten warfen die Studenten vor, sie würden unzeitgemäße didaktische Methoden anwenden und veraltete, mit nationalsozialistischem Gedankengut belastete Lehrinhalte vermitteln.[14] Slogans wie „Unter den Talaren - Muff von Tausend Jahren“, „Wider die Ordinarienherrschaft“, „Gegen das Fachidiotentum“ oder „Für Demokratisierung der Universität“ zeugen von diesem anhaltenden Interessenkonflikt.[15] Die Studenten kritisierten desweiteren das reaktionäre Verhalten der Regierung gegenüber der NS-Vergangenheit. Sie behaupteten, die Aufarbeitung der „braunen Vergangenheit“ durch die Elterngeneration hätte nicht stattgefunden, was u.a. den Generationenkonflikt bedinge.[16] Hierzu trug auch der „Fall Lübke“ bei. Heinrich Lübke wurde trotz seiner NS-Vergangenheit zweimal von CDU und CSU zum Bundespräsidenten (1959/1964) gewählt. 1968 stellte die Zeitschrift „Stern“ fest, dass Lübkes Unterschrift unter Bauplänen von Konzentrationslagern echt war und bestätigte damit einen Bericht der linken Studentenzeitschrift „Konkret“ aus dem Jahr 1966, die über den „KZ-Baumeister Lübke“ berichtete.[17]

Ökonomisch und technisch entwickelte sich die BRD in den 1950er und -60er Jahren rasant voran, doch der Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft stand in wachsendem Gegensatz zum kulturellen Modernisierungsstau: „Unter den veränderten materiellen Bedingungen stand nicht mehr das Überleben sondern das Erleben im Mittelpunkt“[18]. Der im Kontext der „Erlebnisgesellschaft“[19], wie der Soziologe Gerhard Schulze sie nennt, als typisch angesehene Konflikt zwischen Jung und Alt, enthält viele Hinweise auf einen kulturellen Umbruch, auf gewandelte Auffassungen und ein sich im Wandel befindendes Wertesystem. Lange Haare, Hippiemusik und der Twist - dies und noch viel mehr war Kampfansage der Jungen an das Establishment.[20]

[...]


[1] Langguth 1976, 23f.

[2] Gerd Langguth bevorzugt an dieser Stelle die Bezeichnung „Protestbewegung“, da sie nicht nur von Studenten getragen wurde, sondern maßgeblich auch von Atomwaffengegnern und der Frauenbewegung (Vgl. Langguth 1976, 23ff.). Da es der vorliegenden Arbeit aber weder zweckdienlich noch notwendig ist und angesichts der deutlichen studentischen Dominanz innerhalb der Protestbewegung, wird in der vorliegenden Arbeit der Terminus Studentenbewegung benutzt.

[3] Friedenberg 1965, 18.

[4] Schelsky, Helmut: zitiert nach Langguth 2001, 17.

[5] siehe hierzu: Gilcher-Holtey 2001; Kurlansky 2005

[6] Vgl. Langguth 1976, 23f: Definition „Bewegung“

[7] Vgl. Schildt 2005, 72f.

[8] Langguth 1984, 20.

[9] Siehe hierzu: Schäfer/ Nedelmann 1967.

[10] Vgl. Langguth 1976,30f.

[11] Vor allem der 1961 in Jerusalem stattfindende Prozess gegen Adolf Eichmann und die Frankfurter Ausschwitz-Prozesse (1963-65) entwickelten sich zu Medienereignissen und konfrontierten die Bevölkerung erneut mit den NS-Verbrechen.

[12] Vgl. Kailitz 2007, 64f.

[13] Vgl. Picht 1964.

[14] Vgl. Kailitz 2007, 65.

[15] Vgl. Thielicke 1969, 6.

[16] Tatsächlich wurde bereits am 11.Mai 1951 das „Entnazifizierungsschlussgesetz“ erlassen, das allen ehemaligen Funktionären der NS-Zeit, die nicht als Schuldige kategorisiert wurden, die Rückkehr in öffentliche Ämter ermöglichte (Vgl. Thamer 1998). So erklärt sich auch, das der ehem. Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger 1966-69), einstiges Mitglied in der NSDAP, in dieses Amt gelangen konnte.

[17] Vgl. Keil, Lars-Broder : Lübke und die Staatssicherheit. In: Die Zeit vom 9.7.2007

[18] Schildt 2001, 77f.

[19] Schulze 2005, 531.

[20] Vgl. Schulze 2005.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die deutsche Studentenbewegung der 1960er Jahre
Untertitel
Theoretische Väter, ideologische Entwicklung und Denkmuster der ´68er
Hochschule
Technische Universität Chemnitz  (Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Die 68er
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
18
Katalognummer
V142707
ISBN (eBook)
9783640505753
ISBN (Buch)
9783640506149
Dateigröße
574 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
68er, Studentenbewegung, Marcuse
Arbeit zitieren
Alexander Uhlig (Autor:in), 2008, Die deutsche Studentenbewegung der 1960er Jahre, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142707

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