Alltag und Lebenswelt als Gegenstand von Wissenschaft und Praxis


Seminararbeit, 2008

26 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Wie ist Alltag definiert?

2. Wie ist Lebenswelt definiert?

3. Wir wird das Verhältnis von Theorie und Praxis in der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit gesehen?

4. Was bedeuten diese theoretischen Aussagen für die Praxis Sozialer Arbeit? (allgemein und exemplarisch an einem Beispiel verdeutlicht)

5. LITERATURVERZEICHNIS

1. Wie ist Alltag definiert?

Alltag

Überall in der Sozialpädagogik spricht man vom Alltag. Der Alltag Drogenabhängiger, Kinder, Schüler, Jugendlicher, der der Familien wird diskutiert. In der Gemeinwesenarbeit wird um einen menschenwürdigeren Alltag gekämpft und Bürgerinitiativen versuchen Alltag zu strukturieren und politisieren. Sozialpädagogische Praxis versucht alltagsorientiert zu sein. Was also meint das „Reden vom Alltag“? Wie lässt sich ein so weitläufiger und unterschiedlich besetzter Begriff definieren? Thiersch unterscheidet zwischen Alltag und Alltäglichkeit. Handlungsforschung will am Alltag der Betroffenen partizipieren und aufklären. Alltagsorientierung – ist Indiz einer Sozialpädagogik die Lebenswirklichkeit so, wie sie gegeben ist, ernst nimmt und sich von da aus orientiert. In diesem Abschnitt möchte ich auf die unterschiedlichen Aspekte von Alltag und Alltäglichkeit eingehen als Gegenstand von Wissenschaft und Praxis darstellen.

„Was ist Alltag?“

Ohne den Blick auf wissenschaftliche Aspekte zu legen, ist es vielleicht sinnvoll, sich noch einmal zu überlegen, was Alltag für uns überhaupt bedeutet. Wir bringen diesen Begriff zunächst in Verbindung mit immer wiederkehrenden Abläufen und Prozessen. Das bedeutet, schlicht und ergreifend Routine. Diese unterliegt einer Alltagsstruktur und ist gekennzeichnet von ihrer Planung und ihrer Durchführung. Die Funktion von Routine ist ihre erzeugte Selbstverständlichkeit, die Pragmatik im Alltag. Sie hat eine stabilisierende Funktion. Die Durchführung ist gekennzeichnet durch menschliche Tätigkeiten, ist der Umgang mit „Anderen“.

Warum setzen wir und mit „Alltag“ als Gegenstand auseinander?

Wir erinnern uns, im Zusammenhang der sozialen Bewegungen stellt sich die Frage nach dem Alltag, also nach unmittelbaren Erfahrungen von Menschen in ihren Lebenszusammenhängen und ihren eigenen Lebenskompetenzen (vgl. THIERSCH/GRUNWALD 2004:14). In der hermeneutisch-pragmatischen Traditionslinie der Erziehungswissenschaft, wie sie insbesondere von Dilthey, Nohl und Weniger begründet und durch Roth und Mollenhauer zur sozialwissenschaftlichen und kritischen Pädagogik weiterentwickelt wurde, ist die Frage nach dem Alltag und der je individuell interpretierten Welt der Menschen zunächst bestimmend (vgl. THIERSCH/GRUNWALD 2004:17). Diese Pädagogik ist interessiert an der alltäglichen Praxis des Verstehens und dem darauf bezogenem Handeln. Für die Soziale Arbeit ist die Frage nach dem Alltag und der je individuell interpretierten Welt der Menschen zunächst bestimmend.

Thiersch wendet sich gegen eine Sozialpädagogik die sich nach dem Finden von Handwerkszeug professionalisiert. Das würde verführen. Man müsse zurück zu den Menschen. Klienten sollten miteinbezogen werden, wozu auch ihre Lebenswelt und somit ihr Alltag gehört (vgl. THIERSCH 1978: 218). Somit muss auch die Auseinandersetzung mit dem Alltag erfolgen. Ohne diese, würde man den Klienten losgelöst von seiner Lebenswelt betrachten, und dabei wichtige Zusammenhänge verlieren. Um den Klienten verstehen zu können, müsse man auch den Alltag des Klienten verstehen. Dieser zeigt erst durch seine Pragmatik, menschliche Tätigkeiten auf und gibt uns die Möglichkeit Ressourcen zu entdecken. Dies sind auch die Intentionen der kritischen Alltagstheorie, Ressourcen zu sehen und somit Möglichkeiten eines gelingenderen Alltags hervorzubringen. Um kompetent handeln zu können, ist es von entscheidender Bedeutung aus welcher Perspektive Alltag betrachtet wird. Aus der Sicht des Klienten ist ein „stationärer Alltag“ mit anderen Merkmalen versehen, als der Alltag des Sozialarbeiters der auf dieser Station arbeitet. Vom Alltag reden bedeutet dann, sich mit den Betroffenen identifizieren (vgl. THIERSCH 1978: 218). So gilt pädagogischer Alltag, als Alltag indem Mitarbeiter und Kinder, Heranwachsende und Ratsuchende miteinander auskommen und gilt als Alltag der jeweils Betroffenen (vgl. THIERSCH 1978: 218). Die Beschäftigung mit Alltag ist unvermeidlich, um ihn aufbrechen zu können und nicht als selbstverständlich hinzunehmen. So lässt der Blick auf eine Lage ein neues Konzept erhalten. Das kritische Alltagskonzept hinterfragt die pragmatischen Dinge des Alltages.

Klärung von Begriffen

Um diese Pragmatik besser verstehen zu können, kehren wir zurück zu den Begriffen. Thiersch differenziert zwischen Alltag und Alltäglichkeit, welcher er noch Alltagswissen und Alltagswelten zuordnet. Weiterhin taucht der Begriff der Alltagssolidarität und der Alltagsorientierung auf. Um verstehen zu können welche Bedeutung die Begriffe in seinen Ausführungen haben, möchte ich auf diese eingehen und näher erläutern.

Alltag

Thiersch ging bei seinen Überlegungen von einigen Annahmen Kosiks aus. Erinnern wir uns. Die Analysen des kritischen Alltagskonzeptes beschreiben Alltag als Ambivalenz und im Doppelsinn der „Pseudokonkretheit“ als ein „Dämmerlicht von Wahrheit und Täuschung“ auf der einen Seite und von „Wesen und Praxis“ auf der anderen Seite“ (KOSIK 1967/ BOURDIEU 1993). Die Dialektik von Wesen und Erscheinung präzisiert Kosik im Kontext des Praxisbegriffes, indem Praxis als Handeln verstanden wird. Somit ist Alltag ein Ansatz für Praxis, weil er als Handeln Aktivität, sinnlich menschliche Tätigkeit ist (vgl. THIERSCH 1978: 221). Somit ist Alltag ein Moment von Praxis, wenn diese Tätigkeit gleichsam qualifiziertes Handeln ist.

Alltäglichkeit

„Alltäglichkeit ist überall, wo ich lebe, in der Familie, in der Arbeit, in der Öffentlichkeit…“ (KOSIK 71).

Alltäglichkeit als Welt menschlicher Interpretation, menschlicher Sinndeutung ist nur zu rekonstruieren im Medium von Ausdruck und symbolisierter Sprache. Die Alltagswelt von Kindern, Jugendlichen, Studenten oder Arbeitenden erschließt sich aus ihrer spezifischen Sprache (vgl. THIERSCH 1978: 222). Alltäglichkeit ist subjektiv und das was uns jeden Tag begegnet. Alltäglichkeit setzt sich zusammen aus Alltagswissen und Alltagswelten.

Alltagswissen

Alltagswissen lässt sich verstehen als vertraute Rezepte. Es ermöglicht rasches Handeln, bietet Orientierung und schafft selbstverständliche Abläufe. Im Umgang mit Menschen und Dingen schafft es mit einem Minimum von Anstrengungen bestmögliche Ergebnisse zu erzielen und bietet Sicherheit (vgl. THIERSCH 1978: 222).

Alltagswelten

Unter Alltagswelten lassen sich die verschiedenen „Zonen“ einordnen, wie Familie, Schule, Arbeit, Beziehungen, Öffentlichkeit etc. in denen sich ein Mensch aufhält. Die Vermittlung zwischen diesen Alltagswelten ist mühsam und fordert nach Alltagsorientierung (vgl. THIERSCH 1978: 222).

Alltagssolidarität

Alltagssolidarität meint den Gemeinschaftssinn und spricht in der Sozialen Arbeit die Rolle des Sozialarbeiters mit seinen Funktionen an. Es geht hierbei einerseits um die Identifizierung mit dem Klienten um ihn verstehen zu können und andererseits auch um die Erfüllung der Funktion, Normen zu setzen (vgl. THIERSCH 1978: 218). Die Alltagswelt ist strukturiert durch die erlebte Zeit, den erlebten Raum und die erlebten sozialen Bezüge (vgl. GRUNWALD/ THIERSCH 2004: 19).

Alltagsorientierung

Alltagsorientierung nimmt die Lebenswirklichkeit so wie sie gegeben ist ernst und orientiert sich von dort aus. Sie ist ein notwendiges Moment progressiver Sozialpädagogik. Im Zuge der sozialen Bewegungen der letzten zwanzig Jahre spezialisierten sich pädagogische Aufgaben. Der Ruf nach Alltagsorientierung ist gegen das, was man als emanzipatorisch-verwissenschaftliche Pädagogik der letzten fünfzehn Jahre verstehen konnte (vgl. THIERSCH 1978: 217).

Die Funktionen von Alltag

Alltag wird als in sich dialektisch betrachtet. Er Alltag bringt durch seine Pragmatik und seine Routinen Entlastung mit sich. Diese Entlastung ermöglicht Sicherheit und Produktivität in ihren Handlungen (vgl. GRUNWALD/ THIERSCH 2004: 18). Somit hat Alltag eine Schutzfunktion. Alltäglichkeit drängt auf rasches Handeln. Probleme müssen erledigt werden und Handlungsstrategien und Erfahrungen werden nützlich eingesetzt. Es bilden sich Gewohnheiten und man braucht nicht immer neue Überlegungen und Begründungen (vgl. THIERSCH 1978: 222).

Andererseits kann Alltag auch Enge, Borniertheit und Unbeweglichkeit erzeugen (vgl. GRUNWALD/ THIERSCH 2004: 18).

Daraus resultierende Gewohnheiten und Bequemlichkeiten können verhindern neue Erfahrungen zu sammeln und sich neuen Herausforderungen zu stellen.

Für die Sozialarbeit hat dies folgende Bedeutung: Sozialarbeit auf dem Hintergrund alltagsbezogener Arbeit orientiert sich an den Adressantinnen, an Ihren Deutungen ihrer Verhältnisse, Schwierigkeiten und Möglichkeiten, und bezieht sich gleichermaßen auf individuelle subjektbezogene wie auf gesellschaftliche Bedingungen (vgl. FUESSENHAEUSER/ THIERSCH 2001: 1893).

Ziel hierbei ist auch unter dem Gesichtspunkt des Konzeptes, dass die Alltagserfahrungen der Adressaten und professionellen Möglichkeiten der Sozialarbeit ineinander übergreifen sollen.

„Das heißt Lebensweltorientierte Sozialarbeit agiert in den Ressourcen des komplexen Alltages, begleitend unterstützend aber auch provozierend und kritisch um soziale Strukturen und Lebensräume so zu gestalten, dass Menschen sich in ihnen als Subjekt ihres Lebens erfahren können“ (FUESSENHAEUSER/ THIERSCH 2001: 1893).

2. Wie ist Lebenswelt definiert?

Lebensweltorientierung betont nicht nur die Vielfalt Aufgaben und Problemen, die im Alltag auftreten und die zu bewältigen sind, sondern weist auf die grundsätzliche autonome Zuständigkeit aller Menschen für ihren je eigenen Alltag hin (vgl. GRUNWALD/THIERSCH 2001: 1137).

Lebensweltorientierung bedeutet auf die Probleme von Menschen, die sich in der Lebenswelt ergeben, einzugehen, und ihnen eine bessere, gelingendere Lebenswelt zu ermöglichen. Dabei wird gleichermaßen Bezug auf individuelle, subjektbezogene und gesellschaftliche Bedingungen genommen. Schwierigkeiten, Möglichkeiten und Ressourcen, die sich aus dem Alltag ergeben, werden berücksichtigt. Soziale Strukturen und Lebensräume werden so gestaltet, dass Menschen sich in ihnen als Subjekt ihres Lebens erfahren können (vgl. FÜSSENHÄUSER/ THIERSCH 2001: 1893). Lebensweltorientierung als Konzept Sozialer Arbeit greift auf unterschiedliche Wissenschaftskonzepte zurück und beschreibt ein bestimmtes Bild von der Wirklichkeit. Dieses Konzept ist durch spezifische Methoden und Prämissen bestimmt und verbindet vier unterschiedliche Wissenschaftskonzepte in einer für die soziale Arbeit spezifischen Weise miteinander. Dies zu wissen ist wichtig, um den weit verbreiteten Irrtum zu vermeiden, dass dieses Konzept sich nur auf Fragen des Alltagslebens und einer darauf bezogenen Hilfe konzentriert (vgl. GRUNWALD/THIERSCH 2004:17).

Traditionslinien, die den theoretischen Hintergrund der Lebensweltorientierung darstellen, sind:

Hermeneutisch-pragmatische Traditionslinie der Erziehungswissenschaft: Sie wurde von Dilthey, Nohl, Weniger und Mollenhauer vertreten und weiterentwickelt. Die Frage nach dem Alltag und die individuell interpretierte Welt der Menschen steht im Vordergrund. Die hermeneutisch-pragmatische Pädagogik beschäftigt sich mit dem Alltags- und Praxiswissen und dem darauf bezogenen Handeln, „... um (…) Methoden des „höheren Verstehens“ zu entwickeln (…) höheres Verstehen wird durch die Entlastung vom alltäglichen Handlungsdruck ermöglicht“ (GRUNWALD/THIERSCH 2004: 17).

Praxis und Theoriewissen werden nicht voneinander getrennt. Es wird lediglich eine kritische Distanz zu der Alltagspraxis hergestellt. Vorgefundene und vorinterpretierte Lebenswirklichkeit in ihrer historischen, sozialen und kulturellen Dimension steht im Zentrum der hermeneutisch-pragmatische Pädagogik.

Phänomenologisch-interaktionistische Paradigma: Die alltägliche Lebenswelt wird in erlebte Zeit, erlebten Raum und erlebte soziale Bezüge gegliedert. In dem Alltag soll Relevantes von Nicht-Relevanten unterschieden werden. Der Mensch wird zwar von dem Alltag geprägt, kann ihn aber auch aktiv mitgestalten. Vertreter dieses Konzepts sind Schütz, Berger/Luckmann und Goffmann.

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Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Alltag und Lebenswelt als Gegenstand von Wissenschaft und Praxis
Hochschule
Universität Lüneburg  (Fachbereich Sozialwesen)
Veranstaltung
Seminar
Note
2
Autor
Jahr
2008
Seiten
26
Katalognummer
V142695
ISBN (eBook)
9783640537990
ISBN (Buch)
9783640537761
Dateigröße
461 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Alltag, Lebenswelt, Gegenstand, Wissenschaft, Praxis
Arbeit zitieren
Bachelor Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin (Uni) Heike Meyer (Autor:in), 2008, Alltag und Lebenswelt als Gegenstand von Wissenschaft und Praxis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142695

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