Die Darstellung der Varietéwelt im autobiographischen Roman „Flametti“ vor dem Hintergrund des idealtypischen Boheme-Milieus


Hausarbeit, 2006

13 Seiten, Note: 2,8

Kevin Kappel (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Darstellung des Varietélebens im Roman „Flametti“
2.1 Bohemetypische Eigenschaften der ‚Fuchsweide’ und ihrer Bewohner
2.2 Die Darstellung der Fuchsweidenbewohner unter dem Aspekt der antibürgerlichen Haltung der Boheme
2.3 Die künstlerischen Darbietungen des ‚Flametti Varieté-Ensembles’

3. Hugo Balls persönliche Erfahrungen im Boheme-Milieu und deren Verarbeitung im Roman

4. Schluss

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Im Rahmen des Literaturseminars „Expressionismus- Lyrik und Prosa“ wurde unter anderem näher auf die Bedeutung der ‚Boheme’ und auf das ‚Cabaret Voltaire’ als Geburtsstätte des Züricher Dadaismus am Anfang des 20. Jahrhunderts eingegangen. Die vorliegende Hausarbeit widmet sich in erster Linie der Frage, wie die Varietéwelt des Romans „Flametti oder Vom Dandysmus der Armen“[1] vor dem Hintergrund des Boheme-Begriffs[2] dargestellt wird. Zudem soll aufgezeigt werden, dass der Autor Hugo Ball persönliche Erfahrungen im Züricher Bohememilieu in den Roman verarbeitet hat. Innerhalb des vorgegebenen Rahmens kann nicht näher darauf eingegangen werden, welche spezifische Sicht des Erzählers auf die Varietéwelt zum Vorschein kommt und in welchem Zusammenhang diese mit den persönlichen im „Flametti“ verarbeiteten Erlebnissen Hugo Balls stehen. In einem ersten Schritt soll nun zunächst textanalytisch herausgearbeitet werden, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sich zwischen dargestellter Varietéwelt und der idealtypischen Boheme finden lassen. In einem zweiten Schritt wird dann (auch unter Bezugnahme Hugo Balls Tagebuch „Flucht aus der Zeit“) versucht, verarbeitete Erfahrungen des Autors im Roman aufzuzeigen.

2. Die Darstellung des Varietélebens im Roman „Flametti“

2.1 Bohemetypische Eigenschaften der ‚Fuchsweide’ und ihrer Bewohner

Der zentrale Schauplatz der Handlung im Roman „Flametti“ ist die sog. ‚Fuchsweide’.[3] Sie wird dem Leser als „Konzert- und Vergnügungsrayon aller lebenslustig-abseitigen Kreise der Stadt“[4] vorgestellt und kann somit als fiktives Pendant zum bohemetypischen Künstlerviertel angesehen werden.[5]

Die Hauptfigur des Romans stellt der Varietédirektor Max Flametti dar.[6] Er wird als ein groß gewachsener kräftiger Mann[7] mit einem Hang zur Gewalt beschrieben.[8] In seinen vielen Besuchen[9] der einzelnen Gaststätten und Kneipen der Fuchsweide zeigt sich seine „Bindung an öffentliche Lokale.“[10] Der bohemetypische Hang zum Alkohol und zu Drogen[11] korrespondiert im Roman mit dem Umstand, dass Flametti z.B. „Opium in der Zigarette“[12] raucht, „es wohl auch im Bier“[13] nimmt und in seinen bereits erwähnten diversen Besuchen der Gasthäuser und Kneipen, wo er seine „Halben“[14] trinkt. In diesem Zusammenhang ist auch die bohemische „Bereitschaft zu Fest und Gelage“[15] zu sehen. Auch die Figuren des Romans sind einer „Fresserei“[16] im „‚Bratwurstglöckli’“[17] oder einem Gänseessen[18] nicht abgeneigt. Gleichzeitig üben sie sich im „Verzicht“,[19] wenn sie sich lediglich von selbst geangelten Fischen ernähren, was Thema des gesamten ersten Kapitels ist. Flamettis Einstellung zur Arbeit hat wenig mit Fleiß und Tüchtigkeit zu tun. Er legt keinen Wert darauf, „jeden Abend zu spielen,“[20] besonders nicht in den kleinen heruntergekommenen Etablissements. Seiner Meinung nach befinden sich Artisten nicht „in der Tretmühle“[21] und „auf der Welt, um sich abzustrapazieren!“[22] Diese Arbeitseinstellung deckt sich mit der Arbeitsmoral der Bohemiens, bei denen „mit der Bejahung der Kunst [...] die Verneinung der Arbeit [...] Hand in Hand“[23] geht. Gleichzeitig träumt Flametti jedoch davon, einen „finanzielle[n] Coup“[24] zu landen, um nach Brasilien auswandern und hier ein sorgenfreies Leben führen zu können.[25] Eine Sympathie „mit den ‚Erniedrigten und Beleidigten’ jeder Art“[26] ist ebenfalls in der Person des Flametti zu erkennen:

Sein [Flamettis] Herz war bei der andern Partei, den Gestrandeten, den Gelegenheitskönnern, den Kindern Gottes.[27]

Zudem legt der Varieté- Direktor auch einen für die Boheme typischen „Spontanismus“[28] an den Tag („Es muß aus dem Handgelenk kommen, spontan. [...] Nur kein festes Programm!“[29]).

Der von Kreuzer beschriebene Hang zum Sex-Libertinismus[30] der Bohemiens findet sein Gegenstück in den zahlreichen sexuellen Affären der Ensemble-Mitglieder untereinander. So ist die Rede davon, dass Direktor Flametti seine Frau Jenny sowohl mit Raffaëla,[31] Traute als auch Güssy betrogen hat.[32] Während seine Ehefrau sein Verhalten als „gewöhnliche Vielweiberei“[33] verurteilt, ist es für Flametti geradezu selbstverständlich, dass sich „ein Mann seiner Art von der Fertigkeit eines einzigen Weibes [nicht] gefesselt, erzückt und versorgt fühlen“[34] kann. Eine weitere Parallele zwischen den fiktiven Romanfiguren und den bohemetypischen Eigenschaften ist im Verhalten Raffaëlas und Lydias zu erkennen, die Flametti „auf der Nase“[35] herumtanzen und „nur noch für die Mahlzeiten, die Flametti ihnen zu bieten hat[...],“[36] Interesse zeigen. Hier kommt die bohemische Eigenschaft der „Bedenkenlosigkeit einer parasitären Existenz“[37] zum Vorschein.

Abschließend kann festgehalten werden, dass viele Merkmale und Eigenschaften, die der Boheme zugeschriebenen werden, auch auf die ‚Fuchsweide’ und ihre Bewohner zutreffen. Dies führt dazu, dass den Romanfiguren und ihrer Umgebung ein „ausgeprägte[r] ‚Bohemecharakter’“[38] zu Teil wird.

2.2 Die Darstellung der Fuchsweidenbewohner unter dem Aspekt der antibürgerlichen Haltung der Boheme

Untersucht man Flamettis Einstellung zur Polizei, die die Funktion der Wahrung und Durchsetzung gesellschaftlicher bzw. bürgerlichen Normen inne hat, so erscheint diese auf den ersten Blick den „betont un- oder gegenbürgerlichen Einstellungen“ der Boheme zu entsprechen. So bezeichnet er die Polizisten als „Überflüssiges Element“,[39] als „Faulenzer“[40] und „Drohnen der Gesellschaft!“[41] Nachdem er die Vorladung zu seinem Prozess wegen der Vergewaltigung minderjährigen Dienstpersonals erhalten hat,[42] droht er sogar damit, „diese Hunde tot zu schlagen“[43] und bewaffnet sich hierfür „mit einem kopfgroßen Pflasterstein.“[44]

Dass Flametti (und auch seine Ensemble-Mitglieder) jedoch grundsätzlich Staat und Obrigkeit anerkennen,[45] wird besonders in der kollektiven Stellungnahme zum antibürgerlichen Verhalten Dr. Asfalgs deutlich:

Der Dr. Asfalg in seinem Fanatismus ging entschieden zu weit, begann der Sache zu schaden. Und erreichen, der Polizei gegenüber, konnte er doch nichts. Sie hatte die Macht. Sie hatte vom Staat die Befugnis, zu 'säubern'. Und wenn man Sauberkeit, Ordnung und Rechtlichkeit anerkannte, dann musste man auch die Polizei anerkennen.[46]

[...]


[1] Hugo Ball: Flametti oder Vom Dandysmus der Armen. Frankfurt a. M. 1989.

[2] Dabei wird weitestgehend der Definition Helmut Kreuzers gefolgt, der die Boheme als „eine intellektuelle Subkultur insbesondere der bürgerlichen Wirtschaftsgesellschaft, zusammengesetzt aus Randgruppen mit vorwiegend schriftstellerischen, bildkünstlerischen oder musikalischen Aktivitäten oder Ambitionen und mit betont un- oder gegenbürgerlichen Einstellungen und Verhaltensweisen“ ansieht. Helmut Kreuzer: Boheme. In: Moderne Literatur in Grundbegriffen. Hrsg. von Dieter Borchmeyer, Viktor Žmegač. 2., neu bearbeitete Auflage. Tübingen 1994. S. 5-62, hier S. 55.

[3] Vgl. H. Ball: Flametti. S. 36.

[4] Ebd., S. 36f.

[5] Vgl. Helmut Kreuzer: Die Boheme. Analyse und Dokumentation der intellektuellen Subkultur vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Stuttgart 1968/1971. S. 48.

[6] Vgl. H. Ball: Flametti. S. 14.

[7] Vgl. ebd., S. 14 sowie S. 61.

[8] Vgl. ebd., zum Beispiel S. 17, S. 66 oder auch S. 154.

[9] Vgl. ebd., zum Beispiel S. 14: im ‚Roten Ochsen’ oder S. 49: im Gasthaus ‚Zum Vogel Strauß’.

[10] H. Kreuzer: Die Boheme. S. 202.

[11] Vgl. H. Kreuzer: Boheme. S. 58.

[12] H. Ball: Flametti. S. 42.

[13] Ebd.

[14] Ebd., S. 49.

[15] H. Kreuzer: Die Boheme. S. 49.

[16] H. Ball: Flametti. S. 22.

[17] Ebd.

[18] Vgl. ebd., S. 172f.

[19] H. Kreuzer: Boheme. S. 58.

[20] H. Ball: Flametti. S. 26.

[21] Ebd., S. 26f.

[22] Ebd.

[23] H. Kreuzer: Die Boheme. S. 256.

[24] Elisabeth Kleeman: Zwischen symbolischer Rebellion und politischer Revolution. Studien zur deutschen Boheme zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik- Else Lasker-Schüler, Franziska Gräfin Reventlow, Frank Wedekind, Ludwig Derleth, Arthur Moeller van den Bruck, Hanns Johst, Erich Mühsam. Hrsg. von Anneliese Kuchinke-Bach. Frankfurt a. M. 1985 (= Würzburger Hochschulschriften zur neueren deutschen Literaturgeschichte; Bd. 6). S. 21.

[25] Vgl. H. Ball: Flametti. S. 46.

[26] H. Kreuzer: Die Boheme. S. 50.

[27] H. Ball: Flametti. S. 125.

[28] H. Kreuzer: Die Boheme. S. 51.

[29] H. Ball: Flametti. S. 24.

[30] Vgl. H. Kreuzer: Die Boheme. S. 49.

[31] Vgl. H. Ball: Flametti. S. 135.

[32] Vgl. ebd., S. 82 und S. 137.

[33] Ebd., S. 111

[34] Ebd.

[35] Ebd. S. 149.

[36] Ebd.

[37] H. Kreuzer: Boheme. S. 59.

[38] Dorothea Wippermann: Hugo Balls autobiographischer Roman „Flametti oder Vom Dandysmus der Armen“. Eine Bohemesatire. In: Hugo-Ball-Almanach 12 (1988). S. 1- 29, hier S. 6.

[39] H. Ball: Flametti. S. 10.

[40] Ebd.

[41] Ebd., S. 47.

[42] Vgl. ebd., S. 137.

[43] Ebd., S. 156.

[44] Ebd.

[45] Vgl. D. Wippermann: Hugo Balls autobiographischer Roman. S. 15f.

[46] H. Ball., S. 142.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Die Darstellung der Varietéwelt im autobiographischen Roman „Flametti“ vor dem Hintergrund des idealtypischen Boheme-Milieus
Hochschule
Universität Osnabrück
Note
2,8
Autor
Jahr
2006
Seiten
13
Katalognummer
V142360
ISBN (eBook)
9783640535286
ISBN (Buch)
9783640535248
Dateigröße
468 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hugo Ball, Flametti
Arbeit zitieren
Kevin Kappel (Autor:in), 2006, Die Darstellung der Varietéwelt im autobiographischen Roman „Flametti“ vor dem Hintergrund des idealtypischen Boheme-Milieus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142360

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