Zu Marco Polo: Il Milione - Die Wunder der Welt

Eine Suche nach dem Original


Studienarbeit, 2009

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

Hauptteil
1. „Il Milione“ oder „Die Wunder der Welt“ – Die Handschriften
1.1 Gruppe F – Divisament dou monde
1.2 Gruppe Z – Divisament dou monde
1.3 Gruppe VA – Divisament dou monde
1.4 Gruppe P – Liber de consuetudinibus et conditionibus orientalum regionum
1.5 Gruppe FG – rommans du grant Kaan
1.6 Gruppe TA – Il Milione
1.7 ... und kein Ende in Sicht – weitere Handschriften
2. Zwischen Phantasie und Wirklichkeit – Diskurs
2.1 Handlungsleitende Kognitionen – die Forschungsproblematik
2.2 Venezianisch, Toskanisch, Franko-Italienisch – das Sprachproblem
2.3 Das halbe Alphabet zur Auswahl – Reflexionen zur Entscheidungsfindung

Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis

Einleitung

Reiseführer und Reiseveranstalter, Kreuzfahrtschiffe, Camping-Ausführungen von Kleinbussen und eines der luxuriösesten Wohnprojekte Hamburgs tragen seinen Namen. Fiktive Raumschiffe der weltweit bekannten Science-Fiction-Serien „Star Trek“ und „Perry Rhodan“ werden ebenso nach ihm benannt wie reale Weltraumprojekte der Europäischen Weltraumbehörde ESA oder der russischen Роскосмос. Dies zeigt, wie sehr der Name „Marco Polo“ zum Synonym für Fernweh, Aufbruch zu Unbekanntem, fantastische Abenteuer und unglaubliche Entdeckungen, aber auch Erfolg und unermesslichen Luxus geworden ist. Alexander von Humboldt nannte ihn deshalb auch den „größten Landreisenden aller Jahrhunderte“.[1]

Jedoch finden sich weder in den Archiven Europas noch Asiens Hinweise auf die Reise Marco Polos,[2] der als Gesandter Papst Gregors X. sowie Khublai Khans fungiert haben will.[3] In der Tat vertreten einige Forscher die Meinung, Marco Polo sei niemals wirklich bis China gereist und habe nur persische und andere Quellen zusammengetragen.[4] Zur Klärung dieser Frage kann uns nur der Bericht selbst Aufschluss geben. Jedoch ist nicht eine einzige Zeile des ursprünglichen Buches erhalten.[5] Der Suche nach dem Text, der dem Original am nächsten steht, kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Er könnte die ganze Marco-Polo-Forschung bestätigen oder aber auf den Kopf stellen.

Als Quelle steht uns hierfür das Opus selbst in einer Übersetzung von Elise Guignard zur Verfügung. Das Standardwerk der Marco-Polo-Forschung präsentierte uns bereits 1928 Luigi Foscolo Benedetto. Es liegt jedoch nicht in deutsch- oder englischsprachiger Ausgabe vor und spiegelt außerdem die neuesten Forschungsergebnisse aufgrund seines Alters nicht wider. Im deutschen Sprachraum ist in Sachen Marco Polo heute Marina Münkler tonangebend. Wissenschaftler wie Frances Wood, Igor de Rachewiltz, John W. Haeger u.a., welche die These vertreten, Marco Polos Buch sei reine Fiktion, werden zwar angesprochen aber nicht als eigene Literatur verwendet. Ihre Forschungen sind bei Fachleuten nicht nur umstritten, sie werden schlichtweg als unwissenschaftlich abgelehnt.[6]

Hauptteil

1. „Il Milione“ oder „Die Wunder der Welt“ – Die Handschriften

Marco Polos Buch „ging von Hand zu Hand, von Land zu Land, von Sprache zu Sprache“[7] und die zahlreichen „Fehler und Zusätze“ sind nicht immer auf „sprachliche Missverständnisse“ zurückzuführen, sondern oft auch „Zeugnisse einer blühenden Fabulierkunst.“[8] „Jeder Übersetzer, Bearbeiter, ja jeder Kopist scheint sich nicht nur berechtigt, sondern beinahe aufgerufen“ gefühlt zu haben, „nach eigenem Gutdünken einzelne Passagen, ja ganze Kapitel wegzulassen oder umzustellen, und auch vor Ergänzungen, die aus den unterschiedlichsten Quellen stammen können oder einfach frei erfunden sind,“ nicht zurückzuschrecken.[9] Da die mittelalterlichen Vervielfältiger noch keine Vorstellungen von dem hatten, was wir heute geistiges Eigentum oder Urheberrecht nennen, wurde der Text ständig „verbessert“, „vervollständigt“, gekürzt und der speziellen Zielgruppe angepasst.[10] Ihn in der bestmöglichen Form zu präsentieren bedeutete offenbar nicht, ihn in seiner ursprünglichen Form darzubieten.[11] Das Ergebnis ist ein „heilloser Überlieferungssalat,“[12] „ein komplexes Konglomerat von etwa einhundertfünfzig Handschriften, von denen keine mit einer anderen völlig identisch ist.“[13]

Einer der wichtigsten Zweige der Marco-Polo-Forschung ist daher der Versuch, eine möglichst originalgetreue Version seines Buches zu edieren. Aus diesem Grund arbeiten Textforscher schon geraume Zeit an entsprechenden Untersuchungen.[14]

Der vermutlich Wichtigste auf diesem Gebiet war Luigi Foscolo Benedetto. Seine philologischen Untersuchungen von 1928 bilden bis heute Grundstein und Standard der Marco-Polo-Textforschung.[15] Obwohl die Unterschiede der Handschriften erheblich sind und eine einheitliche Hierarchisierung der Handschriften nach ihrer Nähe zum Urtext bisher noch nicht überzeugend gelungen ist,[16] lassen sich die Manuskripte anhand seiner und Eduard Horst von Tscharners Ergebnisse aus dem Jahre 1935 in sechs Handschriftengruppen einteilen sowie das nebenstehende Stemma der Überlieferungen rekonstruieren.[17] Dieses wird allerdings nicht von allen Forschern bedenkenlos akzeptiert. Die Textgeschichte des Divisament ist immer noch sehr fraglich und berechtigt zu neuen Ansätzen.[18] „Das Schreibabenteuer Marco Polo ist offenbar noch nicht zu Ende.“[19]

1.1 Gruppe F – Divisament dou monde

Die Handschriftengruppe F ist die überlieferungsgeschichtlich bedeutendste und besteht aus etwa 20 Manuskripten in franko-italienischer Sprache,[20] einer literarischen Mischsprache aus Französisch mit italienischen Elementen, v.a. aus dem Oberitalienischen und Venezianischen.[21] Sie tragen den Titel Divisament dou monde (Aufteilung der Welt)[22] und sind stark von Rustichello da Pisa geprägt,[23] der sich oft als Erzähler einbringt und gelegentlich das tatsächliche Erlebnis Marco Polos sowie die Wahrheit des Erzählten beteuert. Benedetto identifizierte diese Version als die dem Original nahestehendste und edierte ihren besterhaltenen Text, den cod. fol. 1116, heute im Besitz der Pariser Nationalbibliothek. Die meisten Wissenschaftler folgen seiner Auffassung und gehen davon aus, dass diese Gruppe die Grundlage für die meisten Übersetzungen ist.[24] John Critchley hingegen meint, der F-Text repräsentiere die Stimme, die Meinung und die Persönlichkeit Marco Polos zwar am Besten,[25] sei aber dennoch nur eine Kopie mit den üblichen „Kopierfehlern“.[26] Da sich die einzelnen Manuskripte untereinander immer noch stark unterscheiden, kann man verschiedene Ausfertigungen als Vorlage für die diversen weiteren Übersetzungen annehmen. Das Schaubild differenziert die F-Gruppe daher, wobei das F ohne Ziffer für die Ausfertigung der Bibliothèque Nationale in Paris steht.[27]

[...]


[1] Henze, Dietmar : Art. „Polo“, in : ders.: Enzyklopädie der Entdecker und Erforscher der Erde 4, Graz, 2000, S. 355.

[2] Franke, Herbert : Westöstliche Beziehungen im Zeitalter der Mongolenherrschaft, in : Saeculum 19 (1968), S. 96; Henze S. 376; Münkler, Marina : Erfahrung des Fremden – Die Beschreibung Ostasiens in den Augenzeugen-berichten des 13. und 14. Jahrhunderts, Berlin 2000, S. 116.

[3] Marco Polo : Die Wunder der Welt – Il Milione, übers. v. Elise Guignard, Frankfurt/Main u.a. 2003, Kap. XIII / Kap. XVI-XVII / Kap. XIX.

[4] Henze S. 353-377; Wood, Frances : Marco Polo kam nicht bis China, München 1996, S. 58 ff. / 133 f, zitiert nach : Münkler 2000 S. 108; Stange, Hans O. H. : Ein Kapitel aus Marco Polo, in : Studia Sino-Altaica, Wiesbaden 1961, S. 194-197, zitiert nach : Franke S. 94.

[5] Barthel, Manfred : Grenzpfade zwischen Phantasie und Wahrheit – Marco Polos Reisebericht hat manche Väter, in : Damals 7 (1990), S. S. 582.

[6] Münkler, Marina : Vortrag „ Die Faszination des Fremden in der Vormoderne – Marco Polos Neubewertung des mongolischen Imperiums“, Historisches Institut der Universität Mannheim, 28.04.2009,

Reichert, Folker : Erfahrung der Welt – Reisen und Kulturbegegnung im späten Mittelalter, Stuttgart u.a. 2001, S. 193-197.

[7] Hart, Henry Hersch : Venezianischer Abenteurer – Zeit, Leben und Bericht des Marco Polo, Bremen 1959, S. 315.

[8] Paul, Johannes : Marco Polo – Ins Reich des Groß-Khans (21.04.2009) in : ders : Abenteuerliche Lebensreise – Sieben biographische Essays, Minden 1954, S. 21 (21.04.2009),

URL : http://gaebler.info/ahnen/paul/johannes-polo.pdf (29.06.2009).

[9] Wunderli, Peter : Marco Polo und der Ferne Osten – Zwischen „Wahrheit“ und „Dichtung“, in : Reisen in reale und mythische Ferne – Reiseliteratur in Mittelalter und Renaissance (= Studia humaniora 22), hrsg. v. Peter Wunderli, Düsseldorf 1993, S. 135 f.

[10] Barthel S. 583; Fischer, Peter : Marco Polo – die alte und die neue Seidenstraße (= Cornelsen Aktuelle Landkarte 7/2001), Berlin 2001, Deckblatt / S. 1; Maute, Karl : «Es ist die reine Wahr-heit» - Marco Polos Berichte über den Orient, in : Foglio – Seiten der Sinne – das Magazin für Literatur, Kultur, Lebensart 4 (1995), S. 25; Münkler, Marina : Marco Polo – Leben und Legende, München 1998, S. 84; Tilly, Michael : Art. „Marco Polo“ (11.07.1998), in : Bautz V, Herzberg 1993, Sp. 779-781, URL : http://www.kirchenlexikon.de/m/marco_p.shtml (06.06.2009).

[11] Münkler 1998 S. 93.

[12] Wunderli S. 135 f.

[13] Münkler 1998 S. 84; s. auch Rieger, Dietmar : Marco Polo und Rustichello da Pisa – Der Reisende und sein Erzähler, in : Reisen und Reiseliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Xenia von Ertzdorff / Dieter Neukirch, Amsterdam u.a. 1992, S. 189.

[14] Henze S. 168 f.

[15] Henze S. 169; Münkler 1998 S. 60 / S. 84 f.

[16] Münkler 2000 S. 117; s. auch Barthel S. 583.

[17] Henze S. 169; s. auch Münkler 1998 S. 84-93; Emersleben, Otto : Marco Polo, Reinbek 2002, S. 122-124.

[18] Henze S. 167.

[19] Emersleben S. 124.

[20] Münkler 1998 S. 86; Münkler 2000 S. 117 f.; s. auch Critchley, John : Marco Polo’s Book, Aldershot u.a. 1992, S. 1 f.; Emersleben S. 122.

[21] Wunderli S. 133.

[22] Münkler 1998 S. 86; Münkler 2000 S. 118; eigene Übersetzung.

Aus meiner Sicht ist die allgemein gebräuchliche Übersetzung „Beschreibung der Welt“ ungenau, da sich „divisament“ nur aus dem französischen „diviser“ oder dem italienischen „dividere“ = „teilen“ herleiten kann. Der Titel könnte demnach neben der oben aufgeführten Auffassung jedoch auch als „Teilung der Welt“ – in Europa und Asien – interpretiert werden.

[23] Emersleben S. 122; Münkler 1998 S. 86; Münkler 2000 S. 118.

[24] Münkler 1998 S. 86; Münkler 2000 S. 118.

[25] Critchley S. 29.

[26] Critchley S. 1.

[27] Henze S. 167 f.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Zu Marco Polo: Il Milione - Die Wunder der Welt
Untertitel
Eine Suche nach dem Original
Hochschule
Universität Mannheim
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
22
Katalognummer
V142296
ISBN (eBook)
9783640533671
ISBN (Buch)
9783640533985
Dateigröße
649 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Marco Polo, Il Milione, Wunder der Welt
Arbeit zitieren
Yves Martin Görsch (Autor:in), 2009, Zu Marco Polo: Il Milione - Die Wunder der Welt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142296

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