Selbsthilfe im Zeichen der „AIDS-Panik“

Rekonstruktion und Reflexion zur Entstehung der Aids-Hilfen und ihr Verhältnis zur Schwulenbewegung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

15 Seiten, Note: 2+


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die Schwulenbewegung

2. Aids: Geschichte und öffentliche Wahrnehmung
2.1 Susan Sontag: Aids und seine Metaphern

3. Geschichte und Aufgaben der Aids-Hilfe

Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Das Thema dieser Referatsausarbeitung ist Selbsthilfe im Zeichen der „AIDS-Panik“. Rekonstruktion und Reflexion zur Entstehung der AIDS-Hilfen und ihr Verhältnis zur Schwulenbewegung.

Gegliedert ist die Arbeit in drei Abschnitte.

Der erste Abschnitt behandelt die Schwulenbewegung von 1897 bis heute. Dabei wird ein Überblick über die gesetzlichen Änderungen, die gesellschaftlichen Ereignisse im Zusammenhang mit der Schwulenbewegung als auch über die Emanzipation der Homosexuellen gegeben.

Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Geschichte und der öffentlichen Wahrnehmung von Aids. Es geht zum Einen um die Darstellungen der Krankheit in den Medien seit Entdeckung des Virus, zum Anderen um die Schuldfrage, die bei der Ansteckung mit HIV häufig gestellt wird. Beides wird im Zusammenhang mit der Bedeutung für die Betroffenen betrachtet. In einem Unterpunkt beschäftigt sich die Arbeit im Speziellen mit Susan Sontags Essay „Aids und seine Metaphern“. Dabei liegt der Fokus auf der Kriegsmetaphorik, die häufig, in erster Linie Anfang der Achtziger Jahre, in Zeitungen verwendet wurde. Aber auch die Schuldfrage wird nochmal behandelt. Außerdem ist ein Wandel im Blick auf die Medizin zu bemerken, die offensichtlich nicht alle Infektionskrankheiten heilen kann. Daher ist natürlich Aufklärung von besonderer Bedeutung und auch dieses Thema in diesem Abschnitt vertreten.

Der letzte Abschnitt beschäftigt sich mit der Geschichte, den Leitlinien und den Aufgaben der Aids-Hilfen. Dabei wird die Bedeutung der Schwulenbewegung für die Entstehung der Aids-Hilfen gezeigt, die sich selbst als Selbsthilfeorganisation verstehen. Es werden Konzepte und Philosophien der Aids-Hilfe vorgestellt, wie die drei Präventionssäulen, die Strukturelle Prävention und die Salutogenetische Perspektive. Des Weiteren geht es um die Frage der Finanzierung bei steigenden Anforderungen durch einen Wandel des Klientel und einen veränderten Krankheitsverlauf aufgrund neuer Medikamentenentwicklungen. Außerdem findet Anfang der Neunziger eine „Entschwulung“ der Aids-Hilfe statt, die ebenfalls betrachtet wird.

Im Fazit sind die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst.

1. Die Schwulenbewegung

Die Schwulenbewegung lässt sich in zwei Schübe unterteilen.[1]

Die erste deutsche Schwulenbewegung fand 1897 ihren Anfang, als das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WHK) von dem deutschen Neurologen und Sexualforscher Magnus Hirschfeld gegründet wurde. Ziele der Organisation waren die Abschaffung des §175 StGB, die Anerkennung von Homosexualität als angeborene und natürliche Lebensform und die des Homosexuellen als „drittes Geschlecht“. Am 06.Mai1933 plünderten jedoch NS-Studenten das „Institut für Sozialwissenschaften“, welches 1919 ebenfalls auf Initiative von Magnus Hirschfeld entstanden war. Die Bibliotheksbestände wurden verbrannt und die Organisation musste sich aufgrund des Naziregimes auflösen.[2] Aber auch in der Nachkriegszeit änderte sich nur wenig an der Situation für Schwule. An dem von den Nationalsozialisten verschärften § 175 wurde vorerst nichts geändert. Auch der Versuch einer Wiederbelebung der WHK 1949 durch den Arzt Hans Giese und Hermann Weber in Frankfurt am Main konnte nichts daran ändern und führte nicht zu dem Erfolg von 1897.[3] Die Schwulenbewegung kam damit für gut 30 Jahre zum Erliegen.

Mit der Studentenbewegung 1968 kam dann die zweite Schwulenbewegung ins Rollen. Eine allgemeine, kommerzielle „Sex-Welle“ mit bspw. Beate Uhse liberalisierte das Tabuthema Sex, so dass der Weg an die Öffentlichkeit für Schwule etwas geebnet war[4]. 1969 fand dann eine Entkriminalisierung der Homosexualität statt: homosexuelle Handlungen Erwachsener (21 Jahre) waren nun nicht mehr illegal. 1973 wurde die Altersgrenze auf 18 Jahre gesenkt, 1994 wurde das Gesetz endlich abgeschafft. Dies war der Beginn der kommerziellen Subkultur. Es entstanden Treffpunkte für Schwule in Form von Bars, Diskos, Clubs.

Erst 2001 wird die eingetragene Lebenspartnerschaft als Alternative zur traditionellen Ehe möglich.

Auf die Zeit der Studentenbewegung geht auch der Christopher-Street-Day zurück, als sich 1969 Schwule gegen die Razzia des Lokals „Stonewall Inn“ in der Christopher Street in New York wehrten. Dieses Ergebnis gab Anlass für die jährliche Parade, die auch ihren Namen diesem Ort verdankt: der Christopher-Street-Day, erstmals stattgefunden 1983 in Berlin. Außerdem entstanden in den USA und in Deutschland vermehrt Aktionsgruppen Schwuler, die sich durch dieses Ereignis ermutigt fühlten.[5]

Einen weiteren Anlass zur vermehrten Gründung von Aktionsgruppen gab 1971 der Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt“ von dem Filmemacher Rosa von Praunheim. In diesem Film wurden jedoch nicht nur die gesellschaftlichen Verhältnisse angeprangert, „sondern auch die kleinbürgerliche, devote Haltung der schwulen Menschen“[6]. Der Film forderte diese zu einem offensiveren Umgang mit ihrer Sexualität auf und wurde vor allem von bürgerlichen Homosexuellen als schwulenfeindlich kritisiert. Tatsächlich gingen Schwule verstärkt in die Öffentlichkeit und führten einen Emanzipationskampf. So fand bspw. 1972 die erste Homosexuellendemonstration in Münster statt.[7]

1973 kam es auf einem Pfingsttreffen in Berlin zu dem so genannten „Tuntenstreit“, der eine Spaltung der Schwulenbewegung mit sich brachte. Französische und italienische Schwule waren in Frauenkleidern aufgetreten, was zu der Diskussion führte, ob derart provokatives Verhalten förderlich wäre. Es entstand eine Strategiediskussion und mit ihr eine Spaltung der Schwulenbewegung in den integrationistischen und den radikalen Flügel.[8]

Die Integrationisten hielten die homosexuelle Lebensweise für in die bestehende Gesellschaft integrierbar. Unterdrückung Homosexueller empfanden sie als ein „vorkapitalistisches Relikt“. Sie forderten die Beendigung der Ungleichbehandlung und in diesem Zuge auch ein Antidiskriminierungsgesetz. Gruppengründung fanden vor allem in bestehenden gesellschaftlichen Institutionen statt, wie z.B. die Gruppe „Homosexuelle und Kirche“ (1977).

Die Radikalen sahen dagegen Schwule nicht als Minderheit an, da ihrer Meinung nach jeder bisexuell veranlagt ist. Sie kritisierten grundsätzlich die gesellschaftliche Sexualunterdrückung und solidarisierten sich mit anderen sexuellen Minderheiten. Ihr Ziel war es eine schwule Gegenkultur aufzubauen. Hierfür gründeten sie Verlage und Theatergruppen. Außerdem forderten sie die Streichung des Sexualstrafrechts.[9]

Heute hat die aktive Teilnahme an klassischen politischen Emanzipationsgruppen stark nachgelassen. Dafür steigt die Zahl der unpolitischen Freizeitvereine. Aber auch die Ziele haben sich verändert: Ein altes Ziel der Schwulenbewegung war hauptsächlich die Entkriminalisierung, inzwischen geht es vor allem um die Gleichbehandlung Homosexueller.

2. Aids: Geschichte und öffentliche Wahrnehmung

1981 wurde die erste HIV-Infektion festgestellt. Zunächst wurde die Immunschwächekrankheit GRID (Gay-Related Immunodeficiency) genannt, da man davon ausging, dass nur Schwule diese Krankheit bekommen könnten. Als sich jedoch rausstellte, dass nicht nur Homosexuelle betroffen sind, wurde sie im Sommer 1982 in AIDS (Aquired Immunodeficiency Syndrome) umbenannt.[10]

In den darauf folgenden Jahren wurde in den Medien vor allem Panik verbreitet: „Tödliche Seuche AIDS – Die rätselhafte Krankheit“ titelte bspw. „Der Spiegel“ am 06.06.1983[11]. 1984 war am 14.11. in der „Bild Berlin“ zu lesen:

„In einem vollbesetzten Bus ist gestern ein Aids-Kranker durch Hamburg gefahren. Bleich, zusammengesunken saß er zwischen 30 Fahrgästen. Schließlich holten Polizisten den 22jährigen Michael K. raus. Jetzt herrscht Angst in Hamburg: Hat sich jemand mit der tödlichen Seuche infiziert?“[12]

Die Frage nach dem Umgang mit den Patienten dieser neuen Krankheit zeigt ähnlich schockierende Bilder. Die einen fordern Internierungslager, andere entwickeln Markierungsstrategien, wie bspw. eine „diskrete Tätowierung“ im Intimbereich. Generell wird die Vorstellung einer nicht-zu-stoppenden Seuche gefördert.[13]

Selbst die Kirche fragt nach einem „möglicher[n] Zusammenhang zwischen persönlicher Schuld und Krankheit“[14].

Damit wird bei dieser Krankheit die Schuldfrage – im Gegensatz zu den meisten anderen Krankheiten dieser Zeit - klar gestellt. Die Schwulenbewegung (die >>Hauptrisikogruppe<<!) muss sich in diesem Zusammenhang vor erneuter Diskriminierung fürchten und gründet, auch aufgrund der tatsächlich großen Betroffenheit im eigenen Umfeld, 1983 die Deutsche Aids-Hilfe (DAH).

In New York formierte sich aus ähnlichen Motiven 1987 die Gruppe „ACT UP”, die seit 1989 auch in Berlin besteht.[15] Der Name steht für Aids Coalition To Unleashe Power, bedeutet aber auch sich auflehnen. Die Gruppe tritt für mehr Mittel für Forschung und für finanzierbarere und effektivere Medikamente gegen HIV ein. Auch das Bild von Aids will ACT UP verändern. Für diese Ziele werden vor allem die Medien genutzt, in denen ein neues Meinungsbild über die Krankheit entstehen soll. 2002 wurde zum 15jährigen Bestehen der Film „Fight Back, Fight Aids: 15 Years of ACT UP“[16] gedreht. Es handelt sich dabei um eine Dokumentation über die Entstehung und Verbreitung des Netzwerks.[17]

[...]


[1] Vgl. Christian Schütte-Bäumner: Que(e)r durch die soziale Arbeit. Professionelle Praxis in den AIDS-Hilfen. Bielefeld 2007, S. 41-47.

[2] Vgl. http://www.gaystation.info/history/ Stand: 16.11.2007

[3] Vgl. Schütte-Bäumner, Que(e)r durch die soziale Arbeit, S.42.

[4] Vgl. Andreas Salmen / Albert Eckert: Die neue Schwulenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1971 und 1987 – Verlauf und Themen. Marburg 1988, S.25.

[5] Vgl. Schütte-Bäumner, Que(e)r durch die soziale Arbeit, S.43.

[6] Schütte-Bäumner, Que(e)r durch die soziale Arbeit, S.44.

[7] Vgl. Salmen / Eckert, Die neue Schwulenbewegung, S.26.

[8] Vgl. Salmen / Eckert, Die neue Schwulenbewegung, S.27.

[9] Vgl. Salmen / Eckert, Die neue Schwulenbewegung, S.28.

[10] Vgl. Schütte-Bäumner, Que(e)r durch die soziale Arbeit, S.33.

[11] Der Spiegel am 06.06.1983, zit. n. Schütte-Bäumner, Que(e)r durch die soziale Arbeit, S.34.

[12] Bild Berlin am 14.11.1984, zit. n. http://www.gaystation.info/history/ Stand: 04.01.2008

[13] Vgl. Schütte-Bäumner, Que(e)r durch die soziale Arbeit, S.34.

[14] Beule (1999) zitiert hier aus der tageszeitung vom 29.07.1988, zit. n. Schütte-Bäumner, Que(e)r durch die soziale Arbeit, S.30.

[15] Vgl. Schütte-Bäumner, Que(e)r durch die soziale Arbeit, S.46.

[16] http://www.actupny.org/video/ Stand: 03.01.2008

[17] Vgl. http://www.actupny.org/ Stand: 03.01.2008

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Selbsthilfe im Zeichen der „AIDS-Panik“
Untertitel
Rekonstruktion und Reflexion zur Entstehung der Aids-Hilfen und ihr Verhältnis zur Schwulenbewegung
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Veranstaltung
Soziale Arbeit queer gedacht. Empirisch fundierte Einblicke in das Berufsfeld der AIDS-Hilfen sowie theoretische Auseinandersetzungen mit der Reflexion >professioneller Identitäten<
Note
2+
Autor
Jahr
2008
Seiten
15
Katalognummer
V142247
ISBN (eBook)
9783640514489
ISBN (Buch)
9783640512652
Dateigröße
424 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Soziale Arbeit, Aids, Schwulenbewegung
Arbeit zitieren
Angelika Otto (Autor:in), 2008, Selbsthilfe im Zeichen der „AIDS-Panik“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142247

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