Die Professionalisierung der Volksschullehrer

Das Professionalisierungsmerkmal Autonomie


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Vorwort

2. Der politische „Knigge“ für Volksschullehrer

3. Das Kontrollorgan Geistlichkeit

4. Verlust des Ichs durch Ausgrenzung

5. Hemmfaktoren der Professionalisierung

6. Emanzipationsbewegungen der Elementarlehrer

7. Abriss zur Volksschullehrerbildung nach 1945

8. Zur Frage der Autonomie

9. Schlussbetrachtung

10. Literaturliste

1. Vorwort

Die Diskussionen zur Autonomie von Lehrern gestalten sich durchaus kontrovers. Es ist noch heute nicht eindeutig geklärt, ob Lehrer eine vollständig autonome Stellung einnehmen oder sich in einer Zwischenstellung befinden. Als eines der wichtigsten Merkmale der Professionalisierung gilt die Autonomie. Sie ist ein entscheidender Faktor bei der erfolgreichen Entstehung professioneller Berufe. Dabei muss die Differenzierung der Lehrertypen beachtet werden, denn die Befugnis zur selbständigen Regelung der eigenen rechtlichen und sozialen Verhältnisse blieb Volkschullehrern lange Zeit verwehrt. Gleichzeitig stellt sich überhaupt die Frage, ob einzelne Lehrerstände von heute autonome Felder verwalten. Daher bleibt es unabdingbar, die jeweiligen Professionalisierungen der Lehrertypen voneinander zu trennen. Vorausnehmend, dass Volksschullehrer als gänzlich unautonom galten, sind dennoch wichtige Emanzipationsbestrebungen im historischen Prozess zu verfolgen. Ohne Zweifel blicken Hauptschullehrer auf eine weitaus komplexere Berufsentwicklung zurück. Primär lagen die Gründe dafür in gesellschaftlichen und politischen Prozessen, die mehr oder minder Entwicklungen im Schulsystem bedingten, gegebenenfalls hemmten. Die Forschung setzt hierzu in den frühen Jahren des 19. Jahrhunderts an. Nicht zuletzt durch starke Interessengruppen, die den Professionalisierungsprozess vorantrieben, gelang schließlich die Durchsetzung des pädagogischen Berufes - Volksschullehrer. Kaum eine Berufsgruppe war so vielfältig politisch und gesellschaftlich betroffen. Durch zahlreiche Einflüsse aus Politik und Ökonomie waren die deutschen Lehrer ständig gezwungen, ihre Stellung neu zu überprüfen oder gar zu korrigieren. Vor allem der schnelle soziale Wandel der Gesellschaft wurde prägend für die Professionalisierung der Volksschullehrer. Unter dem Druck des herrschaftlichen Staatsapparates und der daraus resultierenden Schulentwicklung agierten die Elementarlehrer als Menschen zweiter Klasse. Niederes Sozialprestige, schlechte Arbeitsbedingungen, fehlende Anerkennung in der Gesellschaft und soziale Notlagen beklagten nahezu alle deutschen Volkschullehrer. Jene Probleme beeinflussten zwangsläufig die Professionalisierung und brachten den einfachen Lehrer mitunter an den Rand der Gesellschaft. Schon von Anbeginn ihrer Ausbildung unterstanden sie fortwährend einer Obrigkeit. Ihre politische und soziale Unmündigkeit zeichnete den niederen Status ihresgleichen aus. Die Fragestellung nach der Autonomie des Volkschullehrerstandes führt daher über die Sozialgeschichte, über politische Orientierungen, Zielsetzungen, Interessenverbände, politisches Engagement und Fortbildungschancen.

2. Der politische „Knigge“ für Volksschullehrer

1894 offerierte Fürst Otto von Bismarck vor Lüneburger Seminaristen[1] seine Theorien über die Aufgaben von Volksschullehrern. In seinen Ausführungen bestärkte er die Annahme der Regierung, diese „Vielleserei“ der Elementarlehrer führe zu oppositionellen Kräften innerhalb der Gesellschaft. Auf das Schärfste verurteilte der frühere Reichskanzler den durch allmählichen Fortschritt in der Lehrerbildung aufkommenden Ehrgeiz nach Wissen. Das herrschaftliche Gefüge befürchtete zurecht die langsam fortschreitende Emanzipierung der bis dahin kaum beachteten Volksschullehrer. Der gängige Terminus dieser Zeit hieß „Schulzucht“ und sollte auf keinen Fall durch „überstudierte“ Lehrer außer Kraft gesetzt werden. Laut Bismarck vertrete ausnahmslos jeder Volksschullehrer den kaiserlichen Staat, welcher seine machtpolitischen Interessen stets „von oben“ diktierte. Eiserne Disziplin und Gehorsam der Schüler waren die Prämissen der Obrigkeit. Die Gesellschaft, bestehend aus gefügigen Arbeitern und Bauern, dem Wohle des Staates dienend, geprägt und erzogen von der Hand des getreuen Staatsdieners- der Volksschullehrer.

Das Wesen und das Können eines allgemeinen Elementarlehrers war demnach vordirigiert. Die Grenzen wurden vom Staat deutlich gezogen.

Der Berufsweg eines Volksschullehrers war ein Müßiggang. Meist selbst vom Lande stammend, litten sie unter den harten Lebens- und Arbeitsbedingungen. Vor dem frühen 19. Jahrhundert galt der Beruf noch nicht einmal als hauptamtlich[2], so dass sich die Bewerber aus den unterschiedlichsten Berufszweigen uniformierten. Unter Minimalanforderungen unterzogen sich Schuster, Weber, Schneider, Kesselflicker, invalide Unteroffiziere etc. einer Prüfung, die im General- Landschul- Reglement fixiert war. Die zentrale Bedingung für eine Einstellung als Landlehrer blieb wieder im Sinne der Obrigkeit. Es wurde derjenige ausgesucht, der sowohl die einfachen Aufgaben lösen konnte, als auch ein Vorbild für die „Herde“ darstellte. Dabei wurden invalide Soldaten sehr gern bevorzugt, da es für den Staat die billigste Lösung des Versorgungsproblems darstellte. Die alltägliche Unterrichtswirklichkeit kam dem entgegen. Eine ständige Überfüllung der Klassen verlangte absolute Disziplin. Der unrealistische Schulalltag grenzte an militärisches Perfektionsverhalten. Unter diesen Umständen psychisch und physisch leidend, kontrollierten die Volkschullehrer ihre Schüler, wie der Hirtenhund die Herde. Die daraus resultierende „Prügelpädagogik“[3] lag an der Tagesordnung. So blieb der Beruf des Volkschullehrers noch bis in das frühe 19. Jahrhundert auf ein Minimum definiert – eine Leitfigur mit disziplinierender Hand für 90%[4] der Bevölkerung, ohne pädagogische und wissensspezifische Prämissen.

Schlagwörter wie professionell, geschult und Experte[5] verwiesen ausschließlich auf die von Gymnasiallehrern verwissenschaftliche oder verfachlichte Laufbahn, wobei damit ein Merkmal der Professionalisierung, nämlich die Fachkompetenz, für Volksschullehrer entfiel. Eine Etablierung oder öffentliche Akzeptanz war zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. Freilich darf man Akademisierung nicht als das Entscheidende von Professionalisierung verstehen, da auch handwerkliche Berufe als Profession verstanden werden, doch im Zuge der Verschulung und Akademisierung konzentrierte man sich in jeder Beziehung auf die Absichten, professionelles Wissen als Standardmerkmal der Gymnasiallehrer zu pachten. Erst mit der Umstellung der Ausbildung von Volksschullehrern an pädagogischen Akademien bis hin zur vollständigen Integration der pädagogischen Hochschulen in Universitäten um 1980 erreichten die politischen Verbände der Elementarlehrer ihre Ziele.

3. Das Kontrollorgan Geistlichkeit

Neben der Abhängigkeit der Profession von den jeweiligen politisch-gesellschaftlichen Systemen, die eine autonome Entwicklung in unterschiedliche Weise zuließen oder behinderten[6], fanden sich Volksschullehrer in einer Situation wieder, in der ein autonom kontrolliertes Arbeitsgebiet gänzlich ausgeschlossen war. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es noch nicht einmal einen festgelegten Ausbildungsgang.

Seit der Ausdifferenzierung des zweigliedrigen Schulsystems in ein „höheres“ und „niederes“ Schulwesen blieben die Handlungsspielräume für Volksschullehrer gegenüber Gymnasiallehrer immer eng begrenzt. Schon mit der Entscheidung für diesen Beruf, begaben sie sich in die Hände anderer. Die Auswahl zum künftigen Elementarlehrer oblag dem örtlichen Pfarrer.[7] Während Lehrer für „höhere“ Schulen eine verwissenschaftlichte Laufbahn einschlugen, erhielten angehende Elementarlehrer eine vorwiegend praktische Ausbildung in 2-3 Jahren. In einem anschließenden Lehrerseminar wurde das Berufsbild beschlossen. Die mit strenger Zucht geführte Ausbildung, unter Ausschluss von Wissenschaft, versprach an erster Stelle Bildungsbegrenzung und Verlust des selbständigen Ichs. Unter dieser, für absolut normiert befundenen, drakonischen Ausbildung litt schnell das Selbstbewusstsein der jungen Auszubildenden, die zudem von den Gelehrten der Städte nicht ernst genommen wurden. Sowohl die elementare Lehrerbildung als auch der soziale Status wurde abqualifiziert und eher sogar belächelt. In erster Linie stellten sie demnach für die Gesellschaft Lehrer des Volkes dar und blieben untergeordnete Staatsdiener ohne Prestige.

Im 18. Jahrhundert richtete der Staat spezielle Ausbildungsstätten für Elementarlehrer ein, doch in der Realität wurden diese kaum genutzt. Die Kandidaten durchliefen in der Regel zunächst die „Präparandenbildung“[8] mit dem Ziel, eine bessere Allgemeinbildung zu erlangen. Hierbei unterstanden sie entweder einem Lehrer oder Geistlichen. Die eingerichteten Lehrerseminare blieben zunehmend in einer „Abseitsstellung“. Die Befürchtung, das Niveau der allgemeinen Volksbildung zu heben, war zu groß. Selbst das eigenständige Denken galt als fatale Folge der Einrichtung von Seminaren, so dass die Privatlektüre der Seminaristen fortan unter Kontrolle stand.

Mit Abschluss der ersten bestandenen Prüfung begann nun die Phase des Eintritts in den Beruf. Innerhalb der nächsten 3 Jahre musste der junge Volksschullehrer jede Stelle annehmen, die ihm die Bezirksregierung zuwies. Eigene Wünsche blieben ungeachtet. Nahezu alle Berufungen führten auf das Land in die Dorfschule. Dies bedeutete die totale Unterordnung. Mit strengem Blick verfolgte die geistliche Ortschulaufsicht nahezu alle Tätigkeiten ihres Volksschullehrers. Es erfolgte die Involvierung in sämtliche Amtspflichten der Gemeinde. Damit dienten die Lehrer insbesondere der Schulaufsicht , wohl dem größten Nutznießer dieses Systems. Nahezu alle Schritte des Landschullehrers wurden von der Kontrollinstanz überprüft. In jeder Lebenslage hatte der junge Schützling Rechenschaft abzulegen. Eigenmächtige Handlungen, Reisen oder Literaturkonsum waren nicht erwünscht ,und mussten durch die Ortschulaufsicht abgesegnet werden. Der Geistliche fungierte hierbei nicht nur als direkter Vorgesetzter des Lehrers, sondern auch als Überwacher seines Privatlebens. Zudem verlangten Gemeinden und Aufsichten die Einsetzung des Volksschullehrers als Kirchendiener und Orgelspieler. Er hatte sich den Anordnungen des Vorgesetzten zu fügen, auch wenn es sich nur um die Bekleidung handelte. Er verpflichtete sich außerdem zur Pflege der kirchlichen Anlagen und allen anderen Amtspflichten, die ihm aufgetragen wurden. Selbst die Bestimmung der Kirchenlieder fiel ihm als Orgelspieler nicht zu. Wann, wie viele und welche Lieder angestimmt wurden, entschied der Geistliche. Dass es unter solchen erniedrigenden Zuständen zu absoluter und williger Folgsamkeit der Lehrer kam, ist undenkbar. Immer lauter werdende Stimmen forderten die Abschaffung der Ortschulaufsicht. Teilweise entwickelten sich rigorose Antipathien gegenüber der geistlichen Aufsicht. Viele reagierten sogar mit Ablehnung der Religion. Die ständige Kontrolle wollte und konnte man nicht länger hinnehmen und empfand die zusätzlichen Amtspflichten als entwürdigend. Hinzu stieß ein neues Problem Ende des 19. Jahrhunderts. Die steigende Bevölkerungszahl und die Fortschritte in der Schulpflicht bewirkten die Entstehung mehrklassiger Volksschulen. Der Staat setzte „Hauptlehrer“ ein, die wiederum eine zusätzliche Aufsichtsinstanz für junge Lehrer darstellten. Die Aversionen wurden neu geschürt. Wieder unterstand der einfache Lehrer einem Vormund.[9]

[...]


[1] Vgl. Titze, H.: Lehrerausbildung und Professionalisierung, S. 360

[2] Vgl: Bölling, R.: Sozialgeschichte der deutschen Lehrer, S.45

[3] Vgl. Bölling, S. 47

[4] Vgl. Titze, S. 375- 369

[5] Vgl. Lundgreen, P: Die Professionalisierung pädagogischer Berufe, S. 19

[6] Vgl. Apel: Professionalisierung pädagogischer Berufe im historischen Prozess, S. 12

[7] Vgl. Schwänke, U.: Der Beruf des Lehrers, S. 47

[8] Vgl. Bölling, S. 62

[9] Vgl. Bölling, S. 60- 72

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Professionalisierung der Volksschullehrer
Untertitel
Das Professionalisierungsmerkmal Autonomie
Hochschule
Universität Leipzig  (erziehungswissenschaftliche Fakultät)
Veranstaltung
HS "Die Profession des Lehrers"
Note
1,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
20
Katalognummer
V14189
ISBN (eBook)
9783638196581
ISBN (Buch)
9783656035077
Dateigröße
381 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Professionalisierung, Volksschullehrer, Professionalisierungsmerkmal, Autonomie, Profession, Lehrers
Arbeit zitieren
Stephanie Lorenz (Autor:in), 2001, Die Professionalisierung der Volksschullehrer, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14189

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Professionalisierung der Volksschullehrer



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden