Profitables Bettgeflüster - Eine kulturwissenschaftliche Analyse des Foucaultschen Sexualitätsdispositvs


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

22 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Foucaults Verfahren: Genealogie und Archäologie

3. Der Diskurs: Eine Begriffserfassung
3.1. Das Dispositiv: Diskurse der Macht

4. Normierung und Disziplinierung: Einschreibungen der Lust
4.1. Im Echoraum der Politik: Biomacht

5. Reflexionen

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit setzt sich mit dem Diskursbegriff am Beispiel der okzidentalen Sexualität auseinander und folgt in ihrer Analyse den Erkenntnissen Michel Foucaults. Dazu ist es vorab notwendig, die besondere Arbeitsweise Foucaults in einigen Worten einleitend und ganz allgemein zu erläutern, um dann im Nachfolgenden den von ihm geprägten Begriff des Diskurses möglichst genau definieren zu können. Das etymologische Umsäumen des Foucaultschen Terminus discours erlaubt es, zu einer ersten, vorläufigen Interpretation zu gelangen. Da sich das Konzept des Diskurses im Laufe der fortschreitenden Ausarbeitung immer konkreter mit einem spezifischen Verständnis von Macht verschränkt, soll sodann der weiter gefasste Begriff des Dispositivs verdeutlich werden, um die erste provisorische Interpretation zu bereichern. Die von Foucault als Dispositiv bezeichnete rhizomatische Struktur drückt aus, dass sich die verschiedenen, heterogenen Diskurse einer Gesellschaft in einem Macht-Wissen-Komplex kreuzen und es zu bedeutsamen Überlappungen kommt, so dass die Diskursanalyse auch nicht-sprachliche Aspekte einer umfassenden diskursiven Praxis miteinbeziehen muss. Die ausführliche Darstellung dieser Vorgehensweisen und Erkenntnisse ist insofern erforderlich, da sie zum einen als eine elementare Prämisse des Foucaultschen Denkens und Schreibens zu begreifen sind und zum anderen die dann anschließende Analyse des Sexualitätsdispositives vorbereiten.

Am Beispiel der Geschichte der okzidentalen Sexualität zeigt Foucault eine modifizierende Verschiebung der Wissensstrukturen und deren Formationsregeln auf. Für den Verlauf des klassischen Zeitalters konstatiert er, dass der Körper und die Sexualität aus noch darzulegenden Gründen als Zielscheiben der Macht entdeckt werden. Im Zeitalter der Aufklärung hat sich die christliche Tradition samt ihrer Moral und Weltanschauung in andere Wissensordnungen umstrukturiert, insbesondere durch die Ausdifferenzierung der Natur- und Humanwissenschaften, welche durch die philosophische Erfindung der Subjektkategorie getragen wird. Gestützt durch die Säulen Medizin und Psychiatrie aber auch durch die Architektur und Pädagogik wird von nun an auf eine veränderte Art und Weise Wahrheit und Wissen über den Sex in der okzidentalen Gesellschaft gesammelt, klassifiziert und gewertet, so dass es zu einer profitablen Normierung der Körper und ihrer Lüste kommen kann. Aus gewinnbringenden Motiven heraus besteht diese Normierung exklusiv in der monogamen Ehe, da nur sie aufgrund ihrer gewährleisteten Fertilität den Aufschwung des Kapitalismus und die Ansammlung von Kapitalien garantiert, da sie für den arbeitsfähigen Nachwuchs bürgt. Die weit reichenden politisch-sozialen Konsequenzen und Muster, die sich aus dieser Struktur und Weltanschauung ergeben, werden in einem abschließenden Kapitel problematisiert.

Zum Schluss sollen die gewonnen Einsichten sowie die Eigenleistung dieser Arbeit noch einmal diskutiert und reflektiert werden.

2. Foucaults Verfahren: Archäologie und Genealogie

Foucault hat seinen Lesern weder ein einheitliches, noch eindeutiges, jedoch komplexes Werk hinterlassen. Zunächst ausgebildeter Psychologe verschiebt sich sein Interesse im Laufe seiner Studien und Praktika in Spitälern und Gefängnissen hin zur Philosophie und Geschichte, so dass er global betrachtet als Ethnologe der okzidentalen Kultur etikettiert werden kann. Sein Lehrstuhl am Coll è ge de France bezeichnet adäquat sein gesamtes Unternehmen, wo er 1970 zum Professor für die Geschichte(n) der Denksysteme berufen wird.

Allerdings beschreiben seine Texte die abendländische Kultur von ihren Rändern her, von jenen „stummen Strukturen an den Grenzen unserer Kultur.“[1] Seine Wissenschaft untersucht demnach nicht im Sinne einer positiven, teleologischen Wissenschaftsgeschichte die scheinbar fortschrittlichen Entdeckungen und Paradigmenwechsel der okzidentalen Kultur, sondern sie analysiert die Heterotopien,[2] die unbedingt anderen Orte, welche für ihn der Wahnsinn, das Verbrechen sowie die Sexualität sind.

Diese besondere Foucaultsche Geschichtsschreibung stellt sich vornehmlich die Frage, was es heute überhaupt bedeutet, ein Mensch zu sein. Foucaults Anspruch und seine Überzeugung sind bei dieser umfangreichen Fragestellung und Bewusstmachung insofern angemessen, da er sie immer vor dem Hintergrund des Menschenverständnisses vergangener Zeiten zu beantworten sucht.

Foucaults Prämisse bei dieser Unternehmung besteht in der These, dass die Ordnungen und Strukturen des Wissens, der Macht und der Repression variable sind, wobei die historischen Bedingungen wiederum das unbewusste Fundament ausmachen, welches dazu verführt, die heutige Existenzweise fälschlicherweise für normal, natürlich und konstant zu halten, d.h. sie zu enthistorisieren.

Für Foucault erscheinen Sinn und Sein nicht einfach von selbst, sondern es existieren formale Bedingungen, die bewirken, dass es überhaupt Sinn und Bedeutung gibt. Doch versteht er unter diesen Bedingungen nicht allein formale Strukturen ohne zeitlich Dimension, sondern primär deren historische Genese. Hinsichtlich der Struktur des Wahnsinns und des Wissens ergänzt Foucault, dass es die Struktur „de la ségrégation sociale, celle de l´exclusion“[3] ist. Entscheidend für ein Verständnis von Foucaults Werk ist dementsprechend sein verändertes Geschichtsbild. Laut Foucault entsteht der Wandel in den Wissenschaften nicht durch einen als kontinuierlich verstandenen Prozess der Entdeckung von Neuem, sondern durch bruchartige Verschiebungen, welche er als Diskontinuitäten beschreibt, die bewirken, „dass die Dinge plötzlich nicht mehr auf die gleiche Weise perzipiert, beschrieben, genannt, charakterisiert, klassifiziert und gelernt werden.“[4]

Solche Brüche diagnostiziert er beispielsweise für das Auftauchen des kartesischen Ichs in seinen Meditationen, welches den Wahnsinn aus seinem Vernunftdiskurs im 17. Jh. ausschließt, oder aber für das Ende des 18. Jahrhunderts, als sich die Wissensordnung von der Ähnlichkeit und Repräsentation einer Welt als eine Welt lesbarer Zeichen voller Entsprechungen zwischen der Sprache und den Dingen hin zu einer Art Umkehrung verschiebt. Von nun an sichert nicht mehr die Abbildfunktion dem Zeichen seine Wahrheit, sondern die rationale Ordnung der Zeichen garantiert die Erkennbarkeit der Welt, und dessen erstes a priorisches Axiom besteht im vernunftbegabten, erkennenden Ich.

Seine Promotionsschrift L ´ Histoire de la folie à l ´â ge classique von 1961 ist der Ausgangspunkt für seine nachfolgenden, suchenden und immer wieder selbstkritischen Überlegungen. In dieser historischen Arbeit zeichnet er die wechselvolle Geschichte des Wahnsinns in der abendländischen Kultur nach, und sie steht exemplarisch für den Versuch einer strukturalistischen Geschichtsschreibung. Hierbei verfährt Foucault im Sinne der Archäologie, denn er wählt als Material archivierte Dokumente. Allerdings befragt er nicht nur medizinische oder psychopathologische Textquellen, sondern er bezieht mannigfaltige Diskurse in seine Überlegungen ein, so beispielsweise auch literarische oder philosophische Texte. Mit Hilfe dieser heterogenen Diskurse des Wissens (Episteme) sollen die verstreuten Strukturen des Denkens einer spezifischen Epoche (re-)konstruiert werden, die wiederum den Wissenschaften in gebündelter Form ihr besonderes Denk- und Wahrnehmungsgerüst geben. Der Titel seiner Doktorarbeit evoziert bereits, dass Foucault zugleich die Geschichte der Vernunft aus der Sicht des Wahnsinns schreibt, und er stellt auf diesem Weg fest, dass der Wahnsinn nicht ohne sein Anderes, die Vernunft (und ihr Zeitalter), existieren kann und umgekehrt. Seine historischen Analysen weisen nach, dass Vernunft und Unvernunft untrennbar aneinander gebunden sind. Es lässt sich zwar konstatieren, dass der Dialog zwischen Vernunft und Wahnsinn am Ende des barocken Zeitalters abbricht, jedoch kann sich die Vernunft nur in Abgrenzung zum Wahnsinn definieren und ist somit, laut Foucault, immer an ihr Gegenteil gebunden. Dies bedeutet, dass der Wahnsinn ein Effekt ist, der aus der Differenz entsteht, die ebenso konstitutiv und wichtig für die Vernunft wie für den Wahnsinn ist.[5] Gleichzeitig stellt diese Bezogenheit von Oppositionsbeziehungen immer eine Hierarchie her, bei der einer der Begriffe als der schlechte, falsche, negative, abgeleitete, unwesentliche abgewertet wird. Gerade diese Wertminderung ist die Bedingung dafür, dass der erste Begriff seine Stärke gewinnt, von der aus er seinen Ausschluss überhaupt erst vollziehen kann, und ohne sein Gegenteil wäre er nie das, was er von sich behauptet.[6]

Im Anschluss an seine umfassenden Nietzsche Lektüren u.a. durch editorische Tätigkeiten, betont Foucault in seinen Arbeiten ab 1970 mit Hilfe der Konzeption der Genealogie ein „dynamisches Moment“[7], was die bis dato statische Rekonstruktion von Ordnungszusammenhängen erweitert bzw. ablöst.

Im strengen wissenschaftlichen Sinne bezeichnet die Genealogie das Studium vom Ursprung, Folge und Verwandtschaft der Geschlechter. Entsprechend dem Bild des sich immer weiter verzweigenden Stammbaums sucht Foucaults Genealogie hingegen die Verstreuung der Ursprünge mitzudenken. Foucault übernimmt Nietzsches Haltung in seinem Spätwerk insofern, als dass er versucht, die intrinsische Verbindung zwischen der Produktion von Macht und Wissen zu erforschen. Dabei stellt Foucault die Frage nach der Herkunft und der Konstitution des modernen Subjekts. Der Sinn und die Stellung des Menschen in der Welt ist eine Frage, die Nietzsches gesamtes Werk durchzieht. Während er den Menschen als rätselhaftes Fragment charakterisiert („Das ist meinem Auge das fürchterliche, dass ich den Menschen zertrümmert finde und zerstreut wie über ein Schlacht- und Schlächterfeld hin.“[8] ), existiert ihm zufolge die Gesamtheit der Welt von Natur aus. Im Resultat ist die Wahrheit Textur, welche Nietzsche als eine bewegliche Armee von Metaphern qualifiziert.[9]

Nietzsche entwickelt die Idee, welcher zufolge der Intellekt das Produkt eines selbsterhaltenden Reaktionsinstinktes ist. Gleichzeitig stellt dieses Phänomen die absolute Illusion dar, da es den überflüssigen und sinnlosen Charakter der Welt verschleiert.[10] In der Folge basiert die ‚Wahrheit’ auf einer sozialen und strukturellen Semiotik. Der Mensch braucht folglich aus Überlebenstrieb eine Wahrheit, um seiner Existenz Sinn und Wert zu geben.

In der Konsequenz und wie insbesondere durch Jacques Derrida kritisiert[11] ist auch Foucaults Position beispielsweise in seiner Geschichte des Wahns nicht die eines außerhalb der Macht- und Wissensstrukturen stehenden Beobachters, sondern selbst Werk jener Strukturen. Aus diesem Bewusstsein heraus muss dementsprechend die kritische Genealogie nicht nur die Geschichte der Vergangenheit schreiben, sondern zugleich ihre Transformation in gegenwärtige Strukturen.

3. Der Diskurs: Eine Begriffserfassung

Der Diskursbegriff wird seit den 1970er Jahren in vielfältig divergierender Bedeutung von verschiedensten philosophischen Theoretikern wie z.B. Jürgen Habermas oder Pierre Bourdieu verwendet, deren kleinster gemeinsamer Nenner in der Untersuchung von Äußerungszusammenhängen besteht.

In der überlieferten Bedeutung lässt sich der Diskursbegriff etymologisch vom lateinischen discursus, sprich dem Hin- und Herlaufen oder auch dem Auseinanderlaufen, herleiten und setzt sich daraufhin aus dem französischen dire (= reden) und cours (= Lauf, Gang) bzw. courir (= laufen, rennen) zu discourir (= lang und breit reden) zusammen. Allgemein heißt Diskurs also eine Rede halten bzw. ab 1637 bezeichnet er auch eine schriftlich verfasste, didaktische Abhandlung, z.B. Discours de la m é thode. In dieser Tradition entspricht der Begriff daher einem philosophischen Topos, dem pens é e discursive, raisonnement (der Beweisführung, Argumentation, dem Gedankengang), was von der Intuition unterschieden wird.

Es lässt sich demgemäss behaupten, dass Foucault den Begriff des Diskurses wählt, um seinem Unternehmen einen adäquaten Namen zu geben, welcher zum einen die Praxis, das Hin- und Herlaufen der Bedeutungen betont sowie dessen produktive, unberechenbare Oszillationsbewegung, welche analog zum Wahnsinn gelesen werden kann. Zum anderen hebt er mit Hilfe des Diskursbegriffs das Auseinanderlaufen des Sinns und damit das sich Spezifizieren und Verhärten von Bedeutung im philosophischen Kontext hervor. Kurz: Der Diskursbegriff bezeichnet sowohl das Mögliche und Ungeordnete des Sinns oder besser am Sinn, als auch dessen vernünftige Verhärtung und Stabilisierung, um, wie im Folgenden gezeigt wird, das Ungeordnete der Welt, in der Welt oder auch in der Sprache und mit Hilfe von dieser beherrschbar zu machen.

[...]


[1] Foucault, Michel: Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 1973. S. 10

[2] Foucault, Michel: Dits et É crits. In zwei Bänden. Paris: Gallimard 2001. S. 755 f. : „Nous ne vivons pas dans un espace homogène et vide, mais, au contraire, dans un espace qui est tout chargé de qualités, un espace qui est peut-être aussi hanté de fantasme; l´espace de notre perception première, celui de nos rêveries, celui de nos passions détiennent en eux-mêmes des qualités qui sont comme intrinsèques; c´est un espace léger, éthéré, transparent, ou bien c´est un espace obscur, rocailleux, encombré: c´est un espace d´en haut, c´est un espace des cimes, ou c´est au contraire un espace d´en bas, un espace de la boue, c´est un espace qui peut être courant comme l´eau vive, c´est un espace qui peut être fixé, figé comme la pierre ou comme le cristal.“

[3] Foucault, Michel: Dits et É crits. S. 196

[4] Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 1974. S. 269

[5] Vgl.: Münker, Stefan; Roesler, Alexander: Postrukturalismus. Stuttgart: Metzler Verlag 2000. S. 16

[6] Vgl.: Foucault, Michel: Wahnsinn und Gesellschaft. S. 51 f.

[7] Kablitz, Andreas: Foucault, Michel. In: A. Nünning (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Stuttgart: Metzler Verlag 2001. S. 190

[8] Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Leipzig: Alfred Kröner Verlag 1930. S. 152

[9] Vgl.: Nietzsche, Friedrich: Ü ber Wahrheit und L ü ge im aussermoralischen Sinne. In: Nietzsche Werke. Kritische Gesamtausgabe III/2. Berlin: Walter de Gruyter & Co 1973. S. 373

[10] Vgl.: Ebd. S. 370

[11] Vgl.: Derrida, Jacques: Cogito et histoire de la folie. In: Ders. : L´écriture et la différence. Paris : Éditions du Seuil 1967. S.51-97

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Profitables Bettgeflüster - Eine kulturwissenschaftliche Analyse des Foucaultschen Sexualitätsdispositvs
Hochschule
Technische Universität Berlin  (Institut für Sprache und Kommunikation)
Veranstaltung
Leitmetaphern und Modelle der Kultur
Note
1,5
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V141422
ISBN (eBook)
9783640493418
ISBN (Buch)
9783640493142
Dateigröße
456 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Profitables, Bettgeflüster, Eine, Analyse, Foucaultschen, Sexualitätsdispositvs
Arbeit zitieren
M.A. Hoelenn Maoût (Autor:in), 2007, Profitables Bettgeflüster - Eine kulturwissenschaftliche Analyse des Foucaultschen Sexualitätsdispositvs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141422

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