Das Geniekonzept im Sturm und Drang

Das Schöpfergenie zwischen Leben und Kunst – Goethes „Des Künstlers Erdewallen“ und „Künstlers Apotheose“


Hausarbeit, 2008

14 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Thema und Vorgehensweise

II. Die Disproportion des Genies mit dem Leben: Der Künstler im Sturm und Drang
1. Geniekonzept im Sturm und Drang: Der Künstler als Schöpfer
2. Die irdischen Klagen des Künstlers in „Des Künstlers Erdewallen“
3. Die posthume Anerkennung des Genies in „Des Künstlers Vergötterung“ und „Künstlers Apotheose“

III. Ergebniszusammenfassung und Ausblick

IV. Literaturverzeichnis

I. Thema und Vorgehensweise

In keiner literarischen Epoche wird der Künstler derart vergöttert wie im Sturm und Drang. Der literarische Geniekult erfährt hier seinen Höhepunkt: Der Künstler wird zum gottgleichen Schöpfergenius erhoben. Goethes Künstlerdramolette „Des Künstlers Erdewallen“ und „Künstlers Apotheose“ zeichnen jedoch ein anderes Tableau der Situation des Künstlers zu dieser Zeit. In vorliegender Arbeit soll vor dem Hintergrund der theoretischen Konzeption des Künstlers in der Geniezeit untersucht werden, welche Auswirkungen die Vergötterung des Künstlers auf das Leben desselben hatte und welche Konfliktpotenziale daraus entstanden.

In diesem Sinne erfolgt zunächst eine Darstellung der Geniekonzeption im Sturm und Drang. Anhand des Kurzdramas „Des Künstlers Erdewallen“ soll im Anschluss daran die irdische Realität des Künstlers untersucht werden. Auch wenn es sich hier zunächst um eine ‚literarische Realität’[1] handelt, gelten Künstlerdramen durch ihr subjektives Moment als besonders geeignet, ein bestimmtes Zeitalter und den Standpunkt des Künstlers der Welt gegenüber abzubilden.[2] Dem Aufbau als Stationendrama folgend schließt die Arbeit mit der Analyse von „Künstlers Apotheose“, dem 1788 erschienenen Pendant zu „Des Künstlers Erdewallen“, in dem der Künstler aus der Jenseitsperspektive erscheint. Ziel der Arbeit ist es, textnah der Frage nachzugehen, inwiefern die Sakralisierung der Kunst sich auf das Leben des Künstlers ausgewirkt hat und ob die Erhebung des Künstlers zum Genie nicht vielmehr zu einem Konflikt zwischen Kunst und Leben geführt hat, dessen Tragik das soziale Umfeld des Künstlers nicht zu erkennen vermochte.

II. Die Disproportion des Genies mit dem Leben: Der Künstler im Sturm und Drang

1. Geniekonzept im Sturm und Drang: Der Künstler als Schöpfer

Die literarische Revolution der 1770er Jahre führt, vom englischen Sensualismus und dessen Rezeption in Deutschland ausgehend, zu einem ästhetischen Umbruch, der die schöpferische Kraft zum Kriterium der wahren Kunst macht. In der neuen Ästhetik steht die Genialität im Mittelpunkt. Die Wahrheit der Dichtung wird nicht mehr als von Autoritäten begründet gesehen, sondern wird durch das Genie des Künstlers verwirklicht. Dieses ist kraftvoll und bezieht seine Schöpferkraft von gottähnlicher Inspiration.

Von Shaftesburys „Soliloquy, or Advice to an Author“ bis zu Goethes Frankfurter Prometheusfragment wird der schöpferische Künstler nun immer wieder mit Prometheus verglichen. Dem Künstler wird die Rolle eines promethischen Halbgottes zugewiesen: „Such a Poet is indeed a second Maker: a just PROMETHEUS, under Jove [Hervorh. i.Orig.].[3]

Während Giordano Bruno die Welt als ein Kunstwerk Gottes betrachtet, nimmt Shaftesbury die Verknüpfung Gottes mit dem Kunstwerk von der anderen Seite auf und erhebt den Künstler zu einem gottähnlichen Schöpfer.[4] Während Shaftesburys Künstler jedoch noch unter Jupiter anzusiedeln ist, lässt Goethe den Künstler in seiner Prometheus-Hymne gegen den Gott antreten – die Übertragung der religiösen auf die künstlerische Empfindung wird hier besonders deutlich: Die Säkularisierung gibt dem Künstler Züge eines Schöpfergottes. In blasphemischer Umkehrung der traditionellen Hymnenintention tritt das „heilig glühend Herz“[5] an die Stelle der Götter, welches durch seine schöpferische Potenz einer Heiligsprechung unterzogen wird. In der auf Oskar Walzel zurückgehenden Forschungstradition wird die Prometheus-Hymne vor allem als Künstler-Gedicht, als Autonomieerklärung des ästhetischen Genies verstanden.[6]

Diese Vergötterung der schöpferischen Produktion gibt den Künstlern ein neues Selbstbewusstsein. Sie fühlen sich nicht mehr als Gelehrte und Handwerker, deren mechanisches Können sie zu mehr oder weniger kompetenten Herstellern von Kunstwerken macht, sondern sie werden als geniale Schöpfer (als „alter deus“[7] oder „second maker“) perzipiert.[8] An das Künstlergenie werden die höchsten Erwartungen gerichtet, gleichzeitig wird es aus allen Verbindlichkeiten befreit – es braucht keine Regel, kein Vorbild, keine Nachahmung.[9] Dieses literarische Avancement führt zu einer sozialen Emanzipation des Künstlers zum ‚freien Künstler’.

Das künstlerische Genie hebt sich in zweierlei Weise von den anderen Menschen ab: Einerseits wird ihm ein gesteigertes Apperzeptionstalent zugetraut, welches ihm ermöglicht, die Welt auf überlegene Weise zu durchdringen und darzustellen. Auf der anderen Seite steht die Exzentrizität des Künstlers, der aufgrund seines besonderen Talents in Disproportion mit dem Leben geraten kann.[10] Dieses „malheur d’être poète“[11], wie es Grillparzer genannt hat, wird in der Zeit des Sturm und Drang, in dem der Künstler aus tradierten Bindungen hinaustritt, eklatant. Wie der Wanderer in Goethes „Sturmlied“, entfremdet sich das erhabene Genie dem Menschlich-Normalen – es ist heimatlos geworden. Die Grundkategorie der künstlerischen Tragik, der Widerspruch von Leben und Kunst, entwickelt sich folglich im Genie-Denken. Der Topos des Göttergleichen, die einst stärkste Prädikation genialen Schöpfertums, heißt nun auch: menschlich gefährdet.[12]

Durch die Emanzipation des Künstlers, aber auch durch dieses Konfliktpotenzial rückt der Künstler in den Mittelpunkt des poetologischen und poetischen Interesses. Die Voraussetzungen für die Thematisierung des Künstlers in der Literatur wurden somit in jener Zeit geschaffen, in der der Künstler zum Genie erhoben wurde: „Das Künstlerdrama entstand im Sturm und Drang, und zwar beim jungen Goethe.“[13]

2. Die irdischen Klagen des Künstlers in „Des Künstlers Erdewallen“

Im „Prometheus“, im „Satyros“ sowie in zahlreichen Künstlergedichten zeigt sich, dass die Künstlerproblematik einen wesentlichen Aspekt der frühen Goetheschen Dramatik bildet – die Kompliziertheit der Künstlerexistenz ist folglich nicht erst ein Thema des „Torquato Tasso“. Auch wenn es hier um die Künstlerexistenz im Allgemeinen geht, liebte Goethe es, die künstlerische Problematik am bildenden Künstler zu versinnlichen. Dies hing eng mit seiner eigenen Beschäftigung zusammen. So fühlte er sich im Herbst 1773, trotz der enormen Wirkung seines Götz, mindestens ebenso sehr als Zeichner wie als Dichter[14]: „Die bildenden Künste haben mich nun fast ganz. Was ich lese und treibe tu ich um ihrentwillen […].“[15]

Während in den Künstlergedichten vornehmlich die poetische Reflexion über die Berufung zum Künstler, der Schaffensprozess sowie die Stellung des Künstlers zum Publikum, zu Kennern und Liebhabern thematisiert werden, hat Goethe in „Des Künstlers Erdewallen“, welches im Herbst 1773 entstand[16], zum ersten Mal auch die sozialen Bedingungen des künstlerischen Schaffens zum Thema gewählt.

[...]


[1] Der Ausdruck ‚literarische Realität’ ist keineswegs ein Widerspruch in sich: Die Kunst wird hier vielmehr als Mittel angesehen, den Wahrheitsgehalt der der konkreten Realität zu potenzieren, indem sie eine zweite, überhöhte Realität schafft.

[2] Vgl. Goldschmidt, Künstlerdrama, S. 10.

[3] Shafestbury, Soliloqu y, S. 207.

[4] Walzel, Prometheussymbol, S. 5.

[5] Goethe, Prometheus, V. 34.

[6] Vgl. Goethe-Handbuch, S. 114.

[7] So in Scaligers Poetik.

[8] Vgl. Goldschmidt, Künstlerdrama, S. 11.

[9] Vgl. Krieger: Was ist ein Künstler?, S. 37.

[10] Vgl. Japp, Künstlerdrama, S. 13.

[11] Grillparzer, Dichter über ihre Dichtungen, S. 103.

[12] Vgl. Schmidt, Geschichte des Genie-Gedankens, S. 232.

[13] Goldschmidt, Künstlerdrama, S. 11.

[14] Vgl. Goethe, Sämtliche Werke, S. 870.

[15] An Johann Gottfried Roederer, Herbst 1773.

[16] Goethe schickte es am 3.11. 1773 an Betty Jacobi. Es wurde in dem Band Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel (1774) veröffentlicht. Eine angekündigte Neufassung kam nie zustande.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Das Geniekonzept im Sturm und Drang
Untertitel
Das Schöpfergenie zwischen Leben und Kunst – Goethes „Des Künstlers Erdewallen“ und „Künstlers Apotheose“
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Germanistik)
Veranstaltung
Sturm und Drang
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
14
Katalognummer
V141174
ISBN (eBook)
9783640483709
ISBN (Buch)
9783640483952
Dateigröße
432 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Sturm und Drang, Goethe, Künstlerdrama, Prometheus, Geniekonzept, Künstlerdramolett, Des Künstlers Erdewallen, Des Künstlers Apotheose, Elisa Erkelenz, Thema Sturm und Drang
Arbeit zitieren
Elisa Erkelenz (Autor:in), 2008, Das Geniekonzept im Sturm und Drang, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141174

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