Liebe in Gottfried Kellers "Seldwyla"-Novellen


Examensarbeit, 2005

56 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Abkürzungen

Einleitung

I. Romeo und Julia auf dem Dorfe
1. Die Basis der Liebe in der Vergangenheit
2. Umstände der scheiternden Liebe
a) Gesellschaftliche Normen
b) Leidenschaft und Sexualität
3. Selbstmord als einziger Ausweg?

II. Die drei gerechten Kammacher
1. Die Funktion der Liebe im Leben der drei Kammmacher
2. Objekt der Liebe: Züs Bünzlin
3. Das Hervorbrechen der Leidenschaft während des Wettlaufs
4. Funktionalisierte Liebe als Kritik an der privatwirtschaftlichen 24
Ordnung

III. Die mißbrauchten Liebesbriefe
1. Viggi Störtelers Instrumentalisierung seiner Ehefrau Gritli
2. Der dreifache Missbrauch
3. Liebe aus Eigennutz: Viggi und Kätter
4. Läuterung und wahre Liebe: Wilhelm und Gritli

IV. Dietegen
1. Die Basis der Liebe im Tod
2. Küngolts besitzergreifende Liebe
3. Der doppelte Sündenfall
4. Läuterung und Vereinigung

V. Das verlorne Lachen
1. Utopie einer idealen Liebe in einer idealen Gesellschaft
2. Das Scheitern der Liebe in der Realität
3. Verirrung und Reifung
4. Liebe im Dienst der Gesellschaft

VI. Liebe in Seldwyla: Ein didaktisches Programm
1. Ursachen der scheiternden Liebe
2. Gelingende Liebe als Garant einer humanen Gesellschaft

Schluss

Literatur

Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einleitung

„Was ewig gleich bleiben muß, ist das Streben nach Humanität“[1] – so formuliert Gottfried Keller in einem Brief an den befreundeten Literaturhistoriker Hermann Hettner eines seiner Hauptanliegen, das sich häufig in seiner Dichtung manifestiert.[2] So ist auch in seinem Novellenzyklus Die Leute von Seldwyla die Kritik an der Unmenschlichkeit der kapitalistischen Gesellschaft und der Appell für eine humane Neuorientierung präsent. Dabei spielt das höchste der menschlichen Gefühle, die Liebe, eine besondere Rolle, denn nur sie kann uns, wie unter anderem Kellers Lehrer Ludwig Feuerbach formulierte, zu wahren, vollständigen Menschen machen: „Du bist nur, wenn du liebst.“[3]

Im Folgenden soll gezeigt werden, inwiefern die bislang in der Forschungsliteratur fehlende systematische Untersuchung der scheiternden und gelingenden Liebesbeziehungen in den Novellen neue Perspektiven der Interpretation des Seldwyla-Zyklus eröffnet. Die Liebesbeziehungen der fünf analysierten Novellen unterscheiden sich alle voneinander und sind daher in besonderem Maße geeignet, verschiedene Aspekte der Liebe in Seldwyla zu beleuchten, um zu einem umfassenden Bild zu gelangen. Die Reihenfolge der Interpretationen richtet sich nach der Anordnung der Novellen innerhalb des Zyklus. Als Quelle wurde die von Bernd Neumann herausgegebene Reclam-Ausgabe verwendet.[4]

Der erste Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der bekanntesten und von der Forschung am intensivsten untersuchten Novelle Kellers, Romeo und Julia auf dem Dorfe. Zunächst werden die Umstände der erwachenden Liebe zwischen Sali und Vrenchen thematisiert. Hier wird in erster Linie erörtert, ob sich die beiden Jugendlichen wirklich nur vorbedingungslos in das „Selbst“ ihres Gegenübers verlieben oder inwieweit das gemeinsam erlittene Schicksal der Verarmung ihrer Familien ihre Liebe bedingt. Im zweiten Teil wird gezeigt, was Sali und Vrenchen unter Glück verstehen und inwiefern sie in ihrem Denken von den gesellschaftlichen Wertvorstellungen geprägt sind. Das dritte Kapitel widmet sich der Bedeutung von Leidenschaft und Sexualität in der Beziehung der Jugendlichen. Abschließend wird diskutiert, ob ihr Selbstmord tatsächlich den einzigen Ausweg darstellt und was dafür verantwortlich ist, dass die Jugendlichen keine andere Perspektive sehen.

Im zweiten Teil der Arbeit wird auf die Novelle Die drei gerechten Kammacher eingegangen. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der Frage nach der Funktion der Liebe im Leben der Kammmachergesellen. Hierbei ist von besonderem Interesse, inwiefern ihre Besessenheit von Kapital und Erfolg ihr Gefühlsleben beeinflusst. Im zweiten Teil wird die von den Gesellen umworbene Züs Bünzlin charakterisiert und gezeigt, inwieweit sie aufgrund ihrer Einstellung zu Geld und Besitz als Seelenverwandte ihrer Freier gesehen werden kann. Nachdem im dritten Kapitel näher auf die Bedeutung des Wettlaufs als Höhe- und Wendepunkt der Novelle eingegangen wird, wird im Schlusskapitel diskutiert, inwiefern die Schilderung der Liebe im Leben der Kammmacher als Kapitalismuskritik verstanden werden kann.

Der dritte Teil der Arbeit untersucht die Liebe in der Novelle Die mißbrauchten Liebesbriefe. Im ersten Kapitel wird Viggis Fehlverhalten gegenüber seiner Frau Gritli erörtert und gezeigt, inwiefern er sie durch seine Lieblosigkeit in den Missbrauch, der im zweiten Teil genauer analysiert wird, treibt. In den letzten beiden Kapiteln werden die Liebesbeziehungen von Viggi und Kätter und von Wilhelm und Gritli kontrastiv gegenüber gestellt, um zu zeigen, welche Aspekte eine gelingende Liebe von einer scheiternden Liebe unterscheiden.

Die vierte zu untersuchende Novelle ist mit Dietegen die von der Forschung am wenigsten beachtete Erzählung des Zyklus. Im ersten Teil der Ausführungen werden die besonderen Umstände der erwachenden Liebe zwischen Küngolt und Dietegen geschildert. Bereits dort deutet sich die Herrschsucht des Mädchens, die im zweiten Kapitel thematisiert wird, an. Nachdem im dritten Kapitel auf die Verfehlungen und Entfremdung des Paares eingegangen wird, wird abschließend ihr Reifungsprozess als Basis der schlussendlich gelingenden Liebe erörtert.

Im fünften Teil der Arbeit wird die letzte und längste Erzählung des Zyklus, Das verlorne Lachen, analysiert. Hierbei ist von besonderem Interesse, dass diese Novelle erstmals mit der Schilderung einer idealen Liebesbeziehung einsetzt, die dann nach der Hochzeit zu scheitern droht. Die gelingenden und scheiternden Phasen der Liebe werden im zweiten und dritten Kapitel der Interpretation einander gegenüber gestellt. Erst nach beidseitigen Verirrungen und Reifungsprozessen, die im dritten Teil der Ausführungen thematisiert werden, finden Jukundus und Justine wieder zueinander um dann, wie das vierte Kapitel zeigt, mit ihrer gelingende Liebe und Ehe einen Dienst für eine menschlichere Gesellschaft zu leisten.

Im letzten Teil der Arbeit werden zunächst nochmals zusammenfassend die Ursachen der scheiternden Liebesbeziehungen erörtert, um im Anschluss aufzuzeigen, unter welchen Bedingungen eine Beziehung Bestand haben kann und inwiefern gelingende Liebe für Keller als Grundstein einer humanen Gesellschaft von besonderer Bedeutung ist.

I. Romeo und Julia auf dem Dorfe

1. Die Basis der Liebe in der Vergangenheit

Bereits der Titel der Erzählung verweist auf Shakespeares Tragödie Romeo and Juliet (1595) und legt damit die Einordnung der Novelle in die Motivtradition von Liebe und Tod der Kinder verfeindeter Elternhäuser nahe.[5] Keller nimmt eine aktuelle Zeitungsmeldung zum Anlass, um diese Fabel wieder aufzugreifen[6] und Shakespeares Romeo und Julia in die dörfliche Welt des 19. Jahrhunderts zu versetzen.

Wie in Shakespeares Drama ist auch die Liebesgeschichte Salis und Vrenchens eng mit der „Verfallsgeschichte der Väter“[7] verknüpft,[8] was bereits im Moment des Erwachens der Liebe zwischen den Jugendlichen deutlich wird: Sali und Vrenchen, die, bis aus ihren Vätern Manz und Marti im Streit um einen Acker aus wohlhabenden Freunden finanziell ruinierte Feinde wurden, eng befreundet waren, begegnen sich nach einigen Jahren wieder und werden sich sofort ihrer gegenseitigen Liebe bewusst. Dies geschieht exakt in dem Moment, als der Konflikt zwischen ihren Vätern in einem Zweikampf auf einer Brücke seinen Höhepunkt erreicht: In dem Bemühen der Jugendlichen, die kämpfenden Männer voneinander zu trennen, „erhellte ein Wolkenriss [...] das nahe Gesicht des Mädchens, und Sali sah in dies ihm so wohlbekannte und doch so viel anders und schöner gewordene Gesicht“ (RuJ, 91). Dieses blitzartige Wiedererkennen ruft die Wiederbelebung der bereits in der Kindheit vorhandenen gegenseitigen Anziehung hervor, die, wie die Äußerungen der Jugendlichen zeigen, auch während der Zeit der Trennung nicht verloren ging.[9]

Nachdem Sali und Vrenchen sich verabschiedet haben, werden die Empfindungen Salis geschildert, der nach der Begegnung „weder Regen noch Sturm, weder Dunkelheit noch Elend“ (RuJ, 91f.) bemerkt, sich „so reich und wohlgeborgen wie ein Königssohn“ (RuJ, 92) fühlt und ununterbrochen an die Ursache dieser Gefühle denken muss. Daher begibt er sich am Nachmittag des dem Wiedersehen folgenden Tages zu seinem Heimatdorf, das ihm jetzt wie „ein himmlisches Jerusalem [...] mit zwölf glänzenden Pforten“ (RuJ, 93) erscheint. Er begegnet Vreni in ihrem völlig heruntergekommenen Elternhaus. In einem kurzen Gespräch äußert das Mädchen, dass ihrer Meinung nach der Streit der Väter zwischen Sali und ihr stehe und es zwischen ihnen nicht gut ausgehen werde. Sali hingegen vertritt die Ansicht, sie könnten „das Elend [vielleicht] nur gut machen, wenn [...] [sie, R.B.] zusammenhalten und [...] [sich, R.B.] recht lieb sind“ (RuJ, 96). Salis Äußerungen nach wäre die Liebe zwischen den Sprösslingen der verfeindeten Familien (auch) als Wiedergutmachung für das begangene Unrecht der Väter zu verstehen: „Die Schuld der Väter treibt die Kinder in die Liebe“.[10] Wenn Sali im Verlauf der Erzählung äußert, dass Armut und Elend seine Liebe zu Vrenchen „stärker und schmerzhafter [machen], so dass es um Leben und Tod geht“ (RuJ, 108), wird nochmals deutlich, dass die Ursachen für die Intensität seines Gefühls auch außerhalb von Vrenchens Person liegen. Die Annahme, dass Sali und Vrenchen sich nicht nur um ihrer selbst willen lieben, wird auch dadurch gestützt, dass sie in sich „zugleich das verschwundene Glück des Hauses“ (RuJ, 132) sehen: Beide teilen das gleiche Schicksal. In ihrer Kindheit hatten sie „die Ehre ihres Hauses gesehen [...] und erinnerten sich, wie wohlgepflegte Kinderchen sie gewesen und daß ihre Väter ausgesehen wie andere Männer, geachtet und sicher“ (RuJ, 132). Als sie sich nun nach Jahren der Trennung wieder begegnen, verlieben sie sich nicht nur vorbedingungslos in die Person des Gegenübers, sondern auch in die in ihr enthaltene Erinnerung an ein vergangenes glückliches Leben, in ein Bild der Vergangenheit.[11] So lässt sich erklären, dass ihre Empfindungen füreinander sofort so intensiv sind, ohne doch das Gegenüber wirklich zu kennen: Vrenchen sind die Gedanken Salis unbekannter als der türkische Kaiser und Sali äußert, dass ihm Vrenchens Sinn weniger bekannt sei als der Papst (vgl. RuJ, 102), so dass sie zu dem Schluss kommen, sich „weniger [zu, R.B] kennen als wenn [sie sich, R.B.] nie gesehen hätten“ (RuJ, 102f.). Auch das während ihres Treffens auf dem Acker wieder aufgegriffene Zähnezählen ihrer Kindheitstage deutet darauf hin, dass ihre Beziehung den Versuch darstellt, vergangenen Zeiten wieder lebendig zu machen. Die Basis der Liebe zwischen Sali und Vrenchen scheint eher in der Vergangenheit als in der Gegenwart zu liegen.

2. Umstände der scheiternden Liebe

Neben dem Titel der Erzählung finden sich auch im Text wiederholt Hinweise auf die scheiternde Liebe und den tragischen Schluss.[12] Im Folgenden soll dargestellt werden, unter welchen sozialen und individuellen Umständen die Liebesbeziehung zwischen Sali und Vrenchen, die letztendlich im Selbstmord endet, misslingt.

a) Gesellschaftliche Normen

Vrenchen und Sali haben den bürgerlichen Moralkodex und das Wertsystem der Gesellschaft ihrer Zeit vollständig internalisiert: Sittlichkeit, Moral, Tugend und Ehrenhaftigkeit sind die primären Maßstäbe ihres Handelns.[13] Ihre Kindheit haben sie in Elternhäusern verbracht, die zumindest an der Fassade diesen Werten entsprachen. Die Scheinheiligkeit des Ehrbegriffs ihrer Väter, die gleich zu Beginn der Novelle in der mutwilligen Unterschlagung des Eigentums des schwarzen Geigers deutlich wird, musste den Kindern verborgen bleiben. Möglicherweise ist die Unbedingtheit, mit der die Jugendlichen an den gesellschaftlichen Werten festhalten, und die Absolutheit, die diesen in ihrem Denken zukommt, gerade damit zu erklären, dass sie den Zerfall der Ehre ihrer Familien miterleben mussten. In dem „unehrenhaften“ Zustand, in dem sie jahrelang zu leben gezwungen waren, konnten diese Werte ihnen den Halt vermitteln, den ihnen ihre Familie nicht mehr geben konnte, und es ihnen ermöglichen, sich von dem Verfall ihrer Elternhäuser abzugrenzen und integere Persönlichkeiten zu bleiben. Allerdings geht mit dieser Absolutsetzung des gesellschaftlichen Wertsystems die Unfähigkeit einher, dieses hinterfragen und auf die Brauchbarkeit für das eigene Leben hin prüfen zu können. Dies wird insbesondere nach dem Angriff Salis auf Vrenchens gewalttätigen Vater, der „halb um Angst um Vrenchen, halb im Jähzorn“ (RuJ, 104) geschieht, deutlich. Marti wird durch die ihm von Salis zugefügten Verletzungen seines Verstandes beraubt, was den Liebenden in ihrer Sicht der Dinge endgültig die Möglichkeit verwehrt, ihre Liebe zu leben. Für Vrenchen ist eine Beziehung zu Sali nun unmöglich geworden, „auch wenn alles andere nicht wäre“, da „dies immer ein schlechter Grundstein [...] [ihrer, R.B.] Ehe sein [würde]“ (RuJ, 108). Beide glauben, „in der bürgerlichen Welt nur in einer ganz ehrlichen und gewissensfreien Ehe glücklich sein zu können“ (RuJ, 132). Dieses Gefühl wird als „die letzte Flamme der Ehre, die in früheren Zeiten in ihren Häusern geglüht hatte“ (RuJ, 132), bezeichnet. Vrenchen und Sali stehen daher ihrem eigenen Glück im Weg, indem sie die Norm, dass eine Liebesbeziehung mit einem Menschen, der dem eigenen Vater beziehungsweise dem Vater der Geliebten etwas zuleide getan hat, nicht eingegangen werden darf, über ihr persönliches Wollen erheben. Die Unnatürlichkeit dieses Vorgangs wird vor allem daran deutlich, dass die Tat nichts an den Gefühlen ändert, die das Mädchen für Sali empfindet, sie ihn nun also nicht verachtet oder nicht mehr lieben kann. Auch spielt das Unglück des Vaters im Denken Vrenchens keine Rolle mehr, nachdem er ins Irrenhaus eingeliefert wurde. Taucht der Vater im weiteren Verlauf der Erzählung auf, dann nur als Hinderungsgrund eines gemeinsamen Lebens. Aufgrund ihrer unkritischen Übernahme der bürgerlichen Wertvorstellungen geben Sali und Vrenchen ihre gemeinsame Zukunft und die Aussicht auf ein glückliches Leben jedoch auf. Das bürgerliche Dasein ist das für sie einzig denkbare, doch das bleibt ihnen verwehrt. Wie sich die beiden ein ideales Leben vorstellen wird unter anderem in Vrenchens Lügengeschichte deutlich, die sie ihrer Nachbarin kurz vor dem endgültigen Verlassen ihres Elternhauses erzählt. Sie entwirft hier das Bild eines geordneten, bürgerlichen Lebens: Sali habe beim Lottospiel ein Vermögen gewonnen, das es ihnen ermögliche, zu heiraten und in eine Haus in der Stadt zu ziehen, wo Vrenchen sich ein Leben als „wohlhabende Stadtfrau“ (RuJ, 116) ausmalt. Die Vorstellung, ein ehrbares Brautpaar zu sein, dem ein Platz in der Gesellschaft zukommt, ist vor allem für Vrenchen essentiell. In dem ersten Wirtshaus, in dem Sali und Vrenchen auf ihrem Weg zur Kirchweih einkehren und wo eine Atmosphäre bürgerlicher Ordnung und Rechtschaffenheit herrscht, ist davon die Rede, dass das Mädchen „[sich] wenigstens auf Stunden [...] an einem stattlichen Ort zu Hause träumen“ (RuJ, 120) möchte. In dem zweiten Gasthaus sitzen die beiden „lang und gemächlich am Tische, wie wenn sie zögerten und sich scheuten, aus der holden Täuschung herauszugehen“ (RuJ, 124). Sie spielen an diesem letzten gemeinsamen Tag ihren Traum von einem glücklichen, normalen, wohlgeordneten Leben, und Vrenchen hat sich nach einiger Zeit so in die Rolle der Braut hineingefunden, dass sie diese nur noch „halb [...] aus Schalkheit [...] und aus Lust, zu versuchen, wie es tue“ (RuJ, 124) spielt, während es ihr „halb [...] in der Tat so zu Mut [war]“ (RuJ, 124). In der Schilderung der Ereignisse ihres letzten Lebenstages findet sich eine Akkumulation von Worten, die das angestrebte „ehrenhafte“ Verhalten der beiden illustrieren: Die benehmen sich „fein und ordentlich“ (RuJ, 121), verabschieden sich „mit den besten Manieren von der Welt“ (RuJ, 120) und gehen „sittig und ehrbar von hinnen“ (RuJ, 120). Sali benimmt sich „wie wenn er [...] sehr wohl erzogen wäre“ (RuJ, 121f.), Vrenchen verhält sich im Gasthaus „so züchtig und verschämt [...] wie eine wirkliche Braut“ (RuJ, 124). Allerdings findet sich in diesen Passagen der Novelle ebenfalls eine Häufung von Vokabeln aus den Wortfeldern des Träumens und Vergessens,[14] was verdeutlicht, dass Sali und Vrenchen versuchen, die Realität zu verdrängen, um sich ihren Wunschvorstellungen hingeben zu können. Die Sehnsucht nach einem bürgerlichen Leben wird auch durch das Lebkuchenhaus, das Sali Vrenchen beim Kirchweihfest schenkt symbolisiert; bezeichnenderweise zerbricht es später beim Tanzen im Paradiesgärtlein (vgl. RuJ, 129), was verdeutlicht, dass ihnen eine gesicherte soziale Existenz nicht offen steht.[15] Die Außenseiterrolle, die die beiden einnehmen, als sie versunken die „süße einfache Liebesliteratur“ (RuJ, 126) auf dem Gebäck lesen und sich dann umringt von Jugendlichen aus ihrem Heimatdorf wiederfinden, bestätigt, dass ein Platz innerhalb der Gesellschaft für die beiden ein Traum bleiben muss.

b) Leidenschaft und Sexualität

Die Gefühle, die Sali und Vrenchen füreinander hegen, sind von Beginn an stark von körperlichem Begehren bestimmt, wie bereits das erotisch aufgeladene kindliche Spiel des Zähnezählens zeigt.[16] Nach ihrem Wiedersehen verstärkt sich die sexuelle Anziehung zunehmend. Als ihre Hände sich nach dem Streit ihrer Väter berühren, sind sie „vom Wasser und von den Fischen feucht und kühl“ (RuJ, 91): Sowohl das Sexualsymbol des Fischs[17] als auch die Feuchtigkeit verweisen auf eine erotische Dimension der Berührung. In der Beschreibung Vrenchens lassen sich ebenfalls viele Hinweise auf ihre Sinnlichkeit finden. Oft finden sich in Bezug auf sie die Adjektive „glühend“ oder „feurig“ und auch die Tatsache, dass die dominierende Farbe in der Beschreibung ihrer Äußerlichkeit rot ist, deutet auf ihre Lebenslust und Leidenschaftlichkeit hin.[18] Auch das Treffen auf dem Acker ist von Leidenschaft und Erotik geprägt: Sali drückt Vrenchen in die Mohnblumen und ihre „Brust hob und senkte sich mutwillig unter sämtlichen vier Händen, welche sich kunterbunt darauf streichelten und bekriegten“ (RuJ, 101). Im Korn „umhalsten [...] und küssten sie sich unverweilt“ (RuJ, 102). In der Szene, in der Sali Maß an Vrenchens Füßen nimmt, um ihr Tanzschuhe kaufen zu können, wird ebenfalls deutlich, dass die beiden sich begehren:[19] Vrenchen, streift den Rock zurück, Sali hält ihren „Fuß fest in seinen Händen, länger als nötig war“ (RuJ, 111), beide erröten und Vrenchen umarmt und küsst den verwirrten Sali stürmisch, nachdem sie ihren Fuß zurückgezogen hat. Das gegenseitige Verlangen steigert sich im Paradiesgärtlein derart, dass „ihr wallendes Blut am liebsten gleich zusammengeströmt wäre“ (RuJ, 133). Seitdem die Wirtsfrau Vrenchen für eine Braut gehalten hatte, „lohte ihm das Brautwesen im Blute, und je hoffnungsloser es war, umso wilder und unbezwinglicher“ (RuJ, 134), und sie „fieberte [...] immer heftiger an Salis Brust“ (RuJ, 134). Kurz vor der Entscheidung zum Freitod streichelt Sali Vrenchen „die heißen Wangen, je nachdem es sich leidenschaftlich an seiner Brust herumwarf“ (RuJ, 136). Aus einer emotional so aufgeladenen Atmosphäre können keine vernünftigen Entscheidungen mehr resultieren. Da Sali und Vrenchen auf eine körperliche Vereinigung nicht verzichten wollen, diese jedoch ohne vorherige Eheschließung mit ihren bürgerlichen Moralvorstellungen nicht zu vereinbaren ist, vollziehen sie eine Art persönliche Trauung und beschließen, erst „Hochzeit [zu, R.B.] halten“ (RuJ 138) und sich dann umzubringen. Ihre Leidenschaft ist derart ins Extreme gesteigert, dass sie nur noch an ihre körperliche Vereinigung denken können sogar die Entscheidung für den eigenen Tod nicht mehr überdenken:

[...] denn ihre Leidenschaft sah jetzt nur den Rausch der Seligkeit, der in ihrer Vereinigung lag, und der ganze Wert und Inhalt des übrigen Lebens drängte sich in diesem zusammen; was danach kam, Tod oder Untergang, war ihnen ein Hauch, ein Nichts, und sie dachten weniger daran als ein Leichtsinniger denkt, wie er den andern Tag leben will, wenn er seine letzte Habe verzehrt. (RuJ, 138)

Die Welt verwandelt sich in ihrer Wahrnehmung während des „tolle[n] nächtliche[n] Zug[es]“ (RuJ, 135) mit dem schwarzen Geiger und seinen Gefährten in ein Klanggebilde, was der Erzähler durch Synästhesien wie das Musizieren der Stille und das Tönen des Mondlichts (vgl. RuJ, 136) beschreibt. Da sich Sali und Vrenchen nicht sicher sind, ob die Geräusche der Außenwelt entstammen oder sie ihr „eigenes Blut in [...] [ihren, R.B.] Ohren rauschen [hören]“ (RuJ, 136), wird deutlich, dass die Grenzen zwischen Innen- und Außenwelt von ihnen nicht mehr wahrgenommen werden. Sie befinden sich in einem Zustand der Ekstase und sind unfähig, rationale Entscheidungen zu treffen.

3. Selbstmord als einziger Ausweg?

Wie bereits erläutert wurde sind Sali und Vrenchen derart von den bürgerlichen Normen ihrer Zeit beeinflusst, dass für sie nur ein gemeinsames Leben im Rahmen dieser Werteordnung in Betracht kommt. Dieses ist ihnen jedoch zum Zeitpunkt der Erzählhandlung in ihren Augen verwehrt, da ihnen zum einen die materielle Grundlage für eine Ehe fehlt, zum anderen der Streit der Eltern und die Gewalttat Salis zwischen ihnen steht. So sehen die beiden zuletzt den Freitod als einzige Möglichkeit, ihrer Liebe Bestand zu verleihen. Im Verlauf der Erzählung werden jedoch alternative Auswege aufgezeigt, die alle von den Liebenden nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden. So hätten die beiden die Möglichkeit, eine Phase der Trennung in Kauf zu nehmen und Geld zu verdienen, Vrenchen als Dienstmagd, Sali als Soldat oder Knecht. Während dieser Zeit könnte sich jeder für sich einen Platz in der Gesellschaft erarbeiten, um dann zu einem späteren Zeitpunkt zusammen innerhalb der bürgerlichen Welt „auf einem guten Grund und Boden“ (RuJ, 132f.) zu leben. Auch in dem Erzählerkommentar des ursprünglichen Novellenschlusses, auf den fünfzehn Jahre nach der Ersterscheinung verzichtet wurde, ist von dieser Alternative einer Zeit der Trennung und Entsagung die Rede:

Was die Sittlichkeit betrifft, so bezweckt diese Erzählung keineswegs, die Tat zu beschönigen oder zu verherrlichen; denn höher als diese verzweifelte Hingebung wäre jedenfalls ein entsagendes Zusammenraffen und ein stilles Leben voll treuer Mühe und Arbeit gewesen.[20]

Dies weist darauf hin, dass auch der Autor der Erzählung dem Liebespaar keineswegs ausschließlich positiv gegenüberstand und dass die in der Forschungsliteratur populäre idealisierende Verklärung des Liebestods[21] seinen Intentionen widerspricht. Dies bestätigt auch Hanspeter Gesell, wenn er bemerkt, dass der Realist Keller „extremen Handlungen zu sehr misstraut [hat], als dass er sich vorbehaltlos hinter Salis und Vrenchens Kompromisslosigkeit hätte stellen können.“[22]

Dass eine Zeit der Entsagung von den Liebenden nicht ernsthaft in Betracht gezogen wird, liegt wohl in erster Linie daran, dass Salis „Jugend und unerfahrene Leidenschaft nicht beschaffen [war], sich eine lange Zeit der Prüfung und Entsagung vorzunehmen und zu überstehen“ (RuJ, 132).[23] Diese Aussage lässt allerdings an der Tiefe und Ernsthaftigkeit seiner Liebe zu Vrenchen zweifeln. Zudem nimmt das gegenseitige leidenschaftliche Begehren, wie bereits gezeigt wurde, im Laufe des Tages ein solches Ausmaß an, dass die Jugendlichen nicht mehr fähig sind, rational zu denken und aus dieser Lage heraus die körperliche Vereinigung mit nachfolgendem Tod einer langen Wartezeit aufeinander vorziehen.[24]

Eine weitere Alternative zum Selbstmord wird Sali und Vrenchen vom schwarzen Geiger aufgezeigt, der ihnen rät, den Gedanken an eine bürgerliche Ehe zu verwerfen und stattdessen Teil seiner außerhalb der Gesellschaft stehenden Gemeinschaft zu werden, wo sie „keinen Pfarrer, kein Geld, keine Schriften, keine Ehre, kein Bett, nichts als [ihren, R.B.] guten Willen“ (RuJ, 133) brauchten. Sali und Vrenchen nehmen dieses Angebot zu keinem Zeitpunkt ernst. Sali äußert zwar, dass er es nicht übel finden würde, „die ganze Welt in den Wind zu schlagen und uns dafür zu lieben ohne Hindernis und Schranken“ (RuJ, 133), aber es stellt sich schnell heraus, dass dies von ihm nur als verzweifelter Scherz gemeint ist. Vrenchen verwirft den Vorschlag des schwarzen Geigers mit dem Argument, dass es in dieser Gemeinschaft nicht nach ihrem Sinne zugehen würde. Ein Mädchen aus der Gruppe sei ihrem Geliebten, in den sie einige Zeit vorher noch sehr verliebt gewesen sei, untreu geworden, was Vrenchen mit den Worten kommentiert: „Wo es aber so hergeht, möchte ich nicht sein, denn nie möchte ich dir untreu werden, wenn ich auch sonst noch alles ertragen würde, um dich zu besitzen!“ (RuJ, 134). Diese Äußerung wirft ein seltsames Licht auf die Liebe Vrenchens zu Sali: Würde sie ihn so unbedingt lieben, wie sie es immer betont, müsste sie sich doch sicher sein können, ihm auch außerhalb des Geltungsbereichs der bürgerlichen Normen treu sein zu können. Der schwarze Geiger hatte schon kurz vorher zu Sali und Vrenchen von der möglichen Vergänglichkeit von Gefühlen gesprochen: „Kommt mit uns, dann [...] habt ihr euch für immer und ewiglich, solange es euch gefällt wenigstens“ (RuJ, 133; Hervorhebung R.B.). Die Möglichkeit, dass die Liebe zwischen ihr und Sali im Laufe der Zeit verschwinden könnte, will Vrenchen nicht wahrhaben.[25] Vielleicht wird so auch der Wunsch nach dem gemeinsamen Tod nachvollziehbar: Indem sich die beiden Liebenden auf dem Höhepunkt ihrer gegenseitigen Liebe umbringen, schließen sie ein etwaiges späteres Ende dieser Liebe aus. Sie machen ihre Liebe zur ewigen Liebe, was im Leben nicht unbedingt möglich gewesen wäre.[26] Ein Symbol für dieses Hinaustreten aus dem Ablauf der Zeit kann im Verkauf von Salis Uhr gesehen werden (vgl. RuJ, 111).

Wie gezeigt wurde, existieren durchaus Auswege aus der Situation von Sali und Vrenchen, die aber alle nicht wahrgenommen werden, teils wegen des starren Festhaltens an den gesellschaftlichen Normen, teils aus der Unfähigkeit heraus, alternative Lebensmodelle ernsthaft in Betracht zu ziehen, teils aus Ungeduld, übergroßer Leidenschaft und Angst vor der Vergänglichkeit von Gefühlen. Es wird kein Versuch unternommen, eine gemeinsame Zukunft zu begründen; stattdessen inszenieren die beiden Jugendlichen einen schönen, sorgenfreien letzten Tag und beenden dann ihr Leben. So wird deutlich, dass ein Großteil der Verantwortung für ihre Flucht in den Freitod in jedem Fall bei ihnen selbst zu sehen ist. Dennoch muss betont werden, dass die Schuld für den tragischen Ausgang der Novelle nicht ausschließlich bei Sali und Vrenchen liegt.

[...]


[1] Gottfried Keller an Hermann Hettner (16.9.1850). In: Keller, Gottfried. Gesammelte Briefe in vier Bänden. Band 1 . Hg. Carl Helbling. Bern 1950, 329.

[2] Vgl. Freund, Winfried. „Novelle.“ In: Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit. 1848-1890. Hg. Edward McInnes und Gerhard Plumpe. München 1996, 462-527, 466.

[3] Feuerbach, Ludwig. Gesammelte Werke. Band 1. Frühe Schriften, Kritiken und Reflexionen. (1828-1834). Berlin 1981, 216.

[4] Keller, Gottfried. Die Leute von Seldwyla. Hg. Bernd Neumann. Stuttgart 1993.

[5] Zum Motiv des herkunftsbedingten Liebeskonflikts vgl. Frenzel, Elisabeth. Motive der Weltliteratur. Stuttgart 1999, 465-483. Zum Romeo-und-Julia-Stoff vgl. Frenzel, Elisabeth. Stoffe der Weltliteratur. Stuttgart 1998, 689-692.

[6] Vgl. Metz, Klaus-Dieter. Literaturwissen. Gottfried Keller. Stuttgart 1995, 40.

[7] Koebner, Thomas. „Gottfried Keller: Romeo und Julia auf dem Dorfe. Die Recherche nach den Ursachen eines Liebestods.“ In: Erzählungen und Novellen des 19. Jahrhunderts. Band 2. Stuttgart 1990, 203-234, 212.

[8] Vgl. Melzer Helmut. „Gottfried Keller: Romeo und Julia auf dem Dorfe.“ In: Deutsche Novellen von Goethe bis Walser. Interpretationen für den Deutschunterricht. Band 1: Von Goethe bis C.F. Meyer. Hg. Jakob Lehmann. Königstein 1980, 255-269, 257.

[9] So erinnert sich der heranwachsende Sali immer wenn die Familie Marti erwähnt wird „unwillkürlich nur an die Tochter, [...] deren Andenken ihm gar nicht verhasst war“ (RuJ, 82). Nach ihrem Wiedersehen gesteht er Vrenchen dass sie ihm „ohne dass [er, R.B.] wollte oder wusste [...] doch immer im Sinn gelegen“ (RuJ, 100) habe und dass er immer fühlte, dass er sich irgendwann in sie verlieben würde müssen (vgl. RuJ, 100). Vrenchen bestätigt diese Gefühl für die eigene Person (vgl. RuJ, 100).

[10] Richter, Hans. Gottfried Kellers frühe Novellen. Berlin 1966, 124.

[11] Vgl. Richter (1966), 126.

[12] Beispiele: „Ich glaube, das Elend macht meine Liebe zu dir stärker und schmerzhafter, so daß es um Leben und Tod geht“ (RuJ, 108); „Es wäre das beste, wir beide könnten sterben!“ (RuJ, 110); „Denn diese armen Leutchen mußten an diesem einen Tag, der ihnen vergönnt war, alle Manieren und Stimmungen der Liebe durchleben und sowohl die verlorenen Tage der zarteren Zeit nachholen als das leidenschaftliche Ende vorausnehmen mit der Hingabe ihres Lebens.“ (RuJ, 122)

[13] Vgl. Melzer (1980), 259.

[14] So „vergaß [das liebende Paar], was am Ende dieses Tages werden sollte“ (RuJ 119), sie gehen „in angenehme Träume vertieft [nebeneinander her]“ (RuJ, 120), „sie vergaßen, woher sie kamen“ (RuJ, 121), sie „erwachten [...] aus diesen vergeblichen Träumen“ (RuJ, 120).

[15] Zum Symbol des Hauses vgl. detaillierter Kultermann, Udo. „Bildformen in Kellers Novelle ‚Romeo und Julia auf dem Dorfe’.“DU 8 (1956), 86-100, 94ff.

[16] Vgl. Swales, Martin. „Gottfried Kellers ‚Romeo und Julia auf dem Dorfe.“ In: Zu Gottfried Keller. Hg. Hartmut Steinecke. Stuttgart 1984, 54-67, 58.

[17] Vgl. Kaiser, Gerhard. Gottfried Keller. Das gedichtete Leben. Frankfurt am Main 1981, 306.

[18] Vrenchen hat „ein feuriges Ansehen“ (RuJ, 67), ihre „Wangen glühen wie Purpur“ (RuJ, 101), sie hat einen „roten Mund“ (RuJ, 101) und windet sich „einen Kranz von Mohnrosen“ (RuJ, 101). Im Wirtshaus „glühte [sie, R.B.] wie eine rote Nelke“ (RuJ, 121), beim Tanzen „wie eine Purpurrose“ (RuJ, 131).

[19] Pia Reinacher weist darauf hin, dass der Fuß als Sinnbild für das männliche Geschlechtsorgan und der Schuh als das weibliche Gegenstück zu ihm aufgefasst werden kann. Vgl. Reinacher, Pia. Die Sprache der Kleider im literarischen Text. Untersuchungen zu Gottfried Keller und Robert Walser. Bern/Frankfurt am Main/New York/Paris 1988, 77. Nach Sautermeister hat die Schuhprobe, die der Mann am Fuß der Frau vornimmt, um herauszufinden, ob sie die Rechte ist, im Märchen seit jeher eine erotische Komponente. Vgl. Sautermeister, Gert. Erläuterungen und Dokumente. Gottfried Keller: Romeo und Julia auf dem Dorfe. Stuttgart 2003, 43.

[20] Keller, Gottfried. Sämtliche Werke. Auf Grund des Nachlasses bes. und mit einem wissenschaftlichen Anhang vers. Ausgabe. Hg. Jonas Fränkel [seit 1942 Carl Helbling]. 22 Bände. Band 7. Erlenbach bei Zürich [Band 3-8, 16-19]/ Bern 1926-49, 396.

[21] Vgl. u.a. Wildbolz, Rudolf. Gottfried Kellers Menschenbild. Bern/München 1964, 64.

[22] Gsell, Hanspeter. Einsamkeit, Idyll und Utopie. Studien zum Problem von Einsamkeit und Bindung in Gottfried Kellers Romanen und Novellen. Bern 1976, 44.

[23] Hier wird auch deutlich, dass Salis Entscheidung nicht darauf zurückzuführen ist, dass, wie Sautermeister betont, „eine lange Prüfungs- und Entsagungszeit den Armen und Obdachlosen in Kellers Epoche nur materielles Elend und raschen Verfall ihrer Kräfte auferlegt, keinesfalls sie mit Recht auf eine Heirat und einem nur mäßigen Wohlstand belohnt.“ Sautermeister (2003), 58. Dies spielt bei Salis Argumentation gegen eine Zeit der Trennung keine Rolle.

[24] Auch Dyck weist darauf hin, dass Sali und Vrenchen keinen Ausweg sehen, da sie auf die körperliche Vereinigung verzichten müssten, „und das gerade lässt die sich steigernde Begierde nicht zu.“ Dyck, Joachim. „‚Jugend hat keine Tugend’. Zu Heirat und Sexualität in Kellers ‚Romeo und Julia auf dem Dorfe’.“ In: Jugend. Psychologie – Literatur – Geschichte. Festschrift für Carl Pietzcker. Hg. von K.-M. Bogdal u.a. Würzburg 2001, 173-178, 175. Allerdings sieht Dyck als primären Hinderungsgrund für die sexuelle Vereinigung die Angst vor einer möglichen Schwangerschaft, da ein uneheliches Kind den endgültigen sozialen Abstieg bedeuten würde. Aus dieser Angst heraus wird seiner Meinung nach der bürgerlichen Ehe ein so großer Stellenwert zugemessen, da in ihrem Rahmen eine Schwangerschaft legitimiert wäre. Dycks Meinung kann ich nicht teilen. Es finden sich im Text keine Hinweise auf die Angst vor einer Schwangerschaft; primär stehen der körperlichen Vereinigung die von den Liebenden internalisierten gesellschaftlichen Normen entgegen.

[25] Vgl. Abe, Yoshio. Gottfried Kellers ‚Romeo und Julia auf dem Dorfe’. Eine erzähltheoretische Untersuchung. Bern/Frankfurt am Main/New York/Paris 1989, 95f.

[26] In diese Richtung geht auch die Interpretation von Tietgens, der die Ansicht vertritt, dass die Liebe von Sali und Vrenchen „mit ihrer Tendenz zum Absoluten“ im Zeitlichen als dem ständigen Weiter nicht zu erfüllen ist. Zeitlichkeit ist „ständiges Entgleiten, Versagen und Unerfülltsein.“ Nur der Tod kann die Liebenden von der Zeitlichkeit befreien. Tietgens, Hans. Möglichkeiten einer Zeitgestalt-Untersuchung, dargestellt an Gottfried Kellers ‚Leuten von Seldwyla’. Diss. Bonn 1949, 54. Zitiert nach Sautermeister (2003), 147.

Ende der Leseprobe aus 56 Seiten

Details

Titel
Liebe in Gottfried Kellers "Seldwyla"-Novellen
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
56
Katalognummer
V141148
ISBN (eBook)
9783640506415
ISBN (Buch)
9783640506620
Dateigröße
666 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Liebe, Seldwyla, Gottfried Keller, Realismus, Novelle, Romeo und Julia auf dem Dorfe, Dietegen, Das verlorne Lachen, Jukundus und Justine, Die drei gerechten Kammacher, Thema Romeo und Julia auf dem Dorfe
Arbeit zitieren
Rebecca Blum (Autor:in), 2005, Liebe in Gottfried Kellers "Seldwyla"-Novellen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141148

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