Die Antiheldin in der viktorianischen Literatur

Das Weiblichkeitsideal in Texten von Harriet Beecher Stowe und Louisa May Alcott


Magisterarbeit, 2009

95 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Frauenideale im viktorianischen Amerika

3. Theorie

4. Frauenliteratur? Domestic und Sentimental Novel

5. Harriet Beecher Stowes New York-Romane
5.1 Die Funktion des Erzählers in My Wife and I
5.2 Stowes Cult of True Motherhood: Harrys Mutter in Highland
5.3 Audacia Dangyereyes
5.4 Ida und Caroline
5.5 Eva Van Arsdel

6. Pink and White Tyranny: A Society Novel
6.1 Lillie

7. Sensational Fiction
7.1 Jean Muir

8. Schluß

9. Anhang

10. Erläuterung zu den Bildern

11. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In ihrem Roman Good Wives1, des zweiten Teils von Little Women, beschreibt Louisa May Alcott, wie Jo March ihrer todkranken Schwester Beth verspricht, sich zukünftig an ihrer Stelle um die Eltern und den Haushalt zu kümmern. An Beths Sterbebett entsagt Jo ihrem persönlichen Ehrgeiz und gelobt, sich zukünftig ganz dem Wohle anderer zu verschreiben. Die freiheitsliebende Jo, die in Little Women Sensationsgeschichten schrieb und von einer aufregenden Zukunft als gefeierte Autorin träumte, befasst sich nun pflichtschuldigst mit Hausarbeit. Sie tut ihr Möglichstes, um den Eltern die verstorbene Schwester zu ersetzen. Der schmerzliche Verlust von Beth lässt sie ihre Ambition, eine erfolgreiche Autorin zu werden, hintanstellen. Ihr Streben nach Selbstbestimmtheit und persönlichem Erfolg wird durch Selbstversagung und Unterordnung ersetzt. Erfolgreich bekämpft sie ihren Widerwillen gegen ein Leben, das ganz auf den häuslichen Bereich beschränkt ist, und empfindet sogar eine gewisse Freude an ihren täglichen Aufgaben. Von ihrer Mutter dazu angeregt, wieder zu schreiben, um ihre Einsamkeit zu überwinden, verfasst Jo statt Sensationsgeschichten nun für ihre Familie sentimentale Prosa. Für ihre Selbstverleugnung wird sie sogleich belohnt: Die Geschichten, heimlich von ihrem Vater an eine Zeitschrift gesendet, sind ein großer Erfolg. Gerade weil ihre Verfasserin nicht mehr nach Ruhm und Geld strebt, wird sie zu einer guten Schriftstellerin.

Jos Einsamkeit nach dem Tod ihrer Schwester und ihre Überwindung von persönlicher Ambition zu Gunsten anderer macht sie weicher und somit weiblicher, so dass sie den Wunsch entwickelt, wie ihre Schwestern zu heiraten und eine Familie zu gründen. Ihre Selbstaufopferung lässt ihre Persönlichkeit reifen; sie wird vom aufbegehrenden ‚Wildfang’ zu einer tugendhaften Frau. Dieser Prozess macht sie schließlich bereit zu einer Ehe mit dem väterlichen Professor Bhaer. Am Ende der Geschichte berichten alle Frauen der March-Familie, wie sie ihr Glück in der Rolle der Ehefrau und Mutter gefunden haben.

Dennoch ist Jos Rolle innerhalb ihrer Ehe nicht auf die sich unterordnende Ehefrau beschränkt, die in häuslicher Zurückgezogenheit ganz auf das Wohlergehen ihres Ehemannes und die Erziehung ihrer Kinder konzentriert ist. In partnerschaftlicher Zusammenarbeit bauen die Eheleute gemeinsam eine Schule für Jungen auf, und Jo wird zur Schuldirektorin. Es gibt keine Trennung von häuslichem und öffentlichem Bereich; Privat- und Berufsleben sind miteinander verbunden und gehen ineinander über. Jo findet nicht nur ihr privates Glück, sondern auch Erfüllung im Beruf. Zudem wird die gleichberechtigte Zusammenarbeit von Frau und Mann propagiert. Zum einen bestätigt Alcotts Text ein bestimmtes Ideal von Weiblichkeit, das im viktorianischen Amerika des neunzehnten Jahrhunderts diskursiv erzeugt wurde: Jo gewinnt an Persönlichkeit, indem sie als spezifisch weiblich geltende Tugenden entwickelt. Zum anderen zeigt er alternative Rollenmodelle auf, die diesem Weiblichkeitsideal zuwiderlaufen: Jo überschreitet die Grenzen des häuslichen Bereichs, hat beruflichen Erfolg und in Professor Bhaer einen Ehemann, der ihre Ambitionen teilt und unterstützt. Dieser vermeintliche Widerspruch soll in der vorliegenden Arbeit untersucht werden. Anhand von zwei domestic novels und einem Text, der der Sensationsliteratur zuzurechnen ist, wird erörtert, wie deren Autorinnen mit zeitgenössischen Anforderungen an Weiblichkeit umgingen, ob sie diesen Anforderungen in ihren Texten nachkamen oder diese unterminierten. Analog dem Geschlechtsdiskurs des neunzehnten Jahrhunderts, der sich vornehmlich auf der Differenz der Geschlechter gründete, etablierte sich ein Literaturdiskurs, der den Geschlechtsunterschied auf die Institution Literatur überträgt und sich hierbei wie der Geschlechtsdiskurs auf die Geschlechtsmerkmale von Frauen konzentriert. Die von Frauen verfasste Literatur wird so zu einer spezifisch weiblichen Literatur, in der die weibliche Natur ihren Ausdruck findet und finden sollte. Die Anforderungen, die diskursiv an eine weibliche Literatur gestellt wurden, korrespondieren direkt mit dem zeitgenössischen Weiblichkeitsideal und konnten Autorinnen in Konflikt mit ihrem persönlichen literarischen Anspruch bringen2, sofern ihre Vorstellungen von Weiblichkeit von den Vorgaben dieser Diskurse abwichen.

Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Untersuchung der Frauenfiguren der ausgewählten Texte. Ziel ist es, eine möglichst große Vielfalt an verschiedenen Bildern von Weiblichkeit darzustellen. Es gilt herauszufinden, ob sich bestimmte Frauentypen aus diesen Figuren ableiten lassen, und ob es unterschiedliche Verwendungsmöglichkeiten eines bestimmten Typs gab. Hierbei konzentriert sich die Untersuchung darauf, in welcher Beziehung die Frauenfiguren zum Literaturdiskurs ihrer Entstehungszeit standen; ob sie in Bezug auf ihr Wesen und ihr Verhalten gegen diesen aufbegehrten, ihn stützten oder ob auch innerhalb eines Textes Reibung zwischen diskursfestigenden und -gefährdenden Tendenzen entstand. Da die weiblichen und männlichen Figuren zueinander in Beziehung stehen und einander teilweise stark beeinflussen, finden auch Protagonisten Erwähnung, die den Diskurs der Geschlechterdifferenz in Frage stellen oder unterminieren.

Im zweiten Kapitel wird zusammengefasst, auf welchen Vorstellungen und Überzeugungen sich das Weiblichkeitsideal im viktorianischen Amerika des neunzehnten Jahrhunderts hauptsächlich gründete. Im dritten Kapitel erläutere ich die theoretischen Hintergründe der Untersuchung. Folgend werden die Genres domestic und sentimental fiction definiert, die auf Harriet Beecher Stowes Gesellschaftsromane My Wife and I sowie Pink and White Tyranny Bezug nehmen, und mit denen sich im fünften und sechsten Kapitel befasst wird.

Der eingangs erwähnte Text von Louisa May Alcott ist nicht nur ein Beispiel für das Aufeinandertreffen von verschiedenen Weiblichkeitskonzepten, die sich auseinander entwickeln; er gibt auch Hinweise darauf, dass Alcott bestimmte Texte von den hier behandelten Autorinnen kannte. So war Harriet Beecher Stowes little Eva aus Uncle Tom’s Cabin Vorbild für die Figur der Beth (Vgl. Fiedler 114). Dies ist ein Zeichen dafür, dass die englischsprachigen Autorinnen in Beziehung zueinander standen und einander beeinflussten, indem sie sich gegenseitig lasen. Nach einigen Erläuterungen zum Genre Sensation Fiction wird die Protagonistin von Behind a Mask in Kapitel 7.1 untersucht. Schließlich werden die Ergebnisse der Analyse im zehnten Kapitel zusammengefasst.

Der Anhang befasst sich mit drei Bildern der Maler Robert Reid, Edward Burne-Jones und Horace Vernet, die ich den Texten in Beziehung stelle.

2. Frauenideale im viktorianischen Amerika

In der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts entstand durch die Entwicklung neuer Industriezweige und Berufsfelder eine neue Mittelklasse in Amerika. Während Familien, die in vorindustrieller Zeit lebten, ihren Lebensmittelpunkt innerhalb des privaten, häuslichen Bereichs hatten und auch innerhalb dieses Bereichs arbeiteten, fand nun eine Trennung von Privat- und Berufsleben statt. Statt selbst Güter zu produzieren, verließen die Männer nun zum Arbeiten das Haus, während die Frauen sich um die Kinder kümmerten. Dadurch entstand ein neues Bewusstsein in Bezug auf die Aufgabenverteilung: Hatten Männer und Frauen zuvor gemeinsam ihre Kinder erzogen, wurde dies nun primär als weibliche Aufgabe betrachtet. Die Ausübung eines Berufs außerhalb des privaten Bereichs wurde hingegen zur männlichen Domäne. Parallel zu diesen Auswirkungen der Industrialisierung auf die Lebensumstände der Bevölkerung entwickelte sich, gestützt durch zahlreiche Erzeugnisse der Populärliteratur3, eine Ideologie der getrennten Lebensbereiche von Frau und Mann, die Ideologie der separate spheres. Die Geschäftswelt wurde als brutal, körperlich anstrengend und prinzipiell als charakterschädigend dargestellt und auch wahrgenommen. Die berufliche Tätigkeit fiel in den männlichen Bereich, da Frauen als von Natur aus schwach und verletzlich dargestellt wurden und somit nicht dazu geeignet waren, sich im geschäftlichen Bereich durchzusetzen und zu behaupten. Dieses Frauenbild verfestigte sich mehr und mehr im gesellschaftlichen Bewusstsein, und es entstand ein Cult of True Womanhood and Domesticity. Dieses Frauenideal basierte auf vier Kardinaltugenden: Frömmigkeit, Reinheit, Ergebenheit und Häuslichkeit (Vgl. Opfermann Diskurs 68).

Nach dieser Ideologie hatte frau einen natürlichen Hang zur Religiosität und konnte durch ihre Barmherzigkeit und Liebe die Gesellschaft moralisch verbessern. Weibliche Reinheit und Unschuld waren die Voraussetzung, um als anständige Frau zu gelten. Die Hochzeitsnacht wurde als die wichtigste Nacht im Leben einer Frau gepriesen, da sie ihrem Ehemann ihren größten Schatz opferte: Ihre Jungfräulichkeit. Abgesehen davon hatte die Frau darauf zu achten, gar nicht erst in Situationen zu geraten, die ihre Unschuld gefährden könnten. Sollte ein Mann versuchen, sich der Frau zu nähern, war es ihre Pflicht, ihre Keuschheit zu schützen - und den Mann gleichzeitig zu ermahnen und zu seiner moralischen Besserung beizutragen.

Der Kult um die weibliche Unschuld erfuhr teilweise kuriose Auswüchse. So entstanden neue Bezeichnungen in der Sprachkultur, um sexuelle Assoziationen zu vermeiden: Beine wurden mit Gliedmaßen umschrieben, und die Geflügelbrust wurde zum weißen Fleisch. Im häuslichen Bereich begannen Frauen, Tisch-, Stuhl- und Klavierbeine - oder Gliedmaßen - mit Stoffen zu verdecken, damit diese nicht an weibliche Beine erinnern konnten. Auch wurden sie angehalten, weibliche und männliche Autoren in ihren Bücherregalen voneinander getrennt aufzustellen; außer, die Autoren waren miteinander verheiratet. Zudem entstand in diesem Zusammenhang der Mythos vom Klapperstorch4.

Ergebenheit und Unterordnung zählten zu den weiblichsten Tugenden. Während Männer aktiv und dominant zu sein hatten, galten Frauen als passive Empfängerinnen, die sich ihrem Schicksal, ihren Pflichten und auch dem Willen des Ehemannes ergaben.

Eine true woman war stets auf einen männlichen Beschützer angewiesen und dankbar für Unterstützung; geistiger wie körperlicher Natur. Aufgrund des zeitgenössischen Schönheitsideals einer Wespentaille schnürten die Damen ihr Korsett so straff, dass es vorkam, dass sich innere Organe deformierten und verschoben. Auch die Atmung wurde durch das Korsett erschwert. Ihre Kleidung, in Verbindung mit diverser Unterwäsche und Oberbekleidung, wog oft ein paar Kilo, so dass Frauen nach etwas Bewegung schnell erschöpft waren. Die körperliche Schwäche der Frau ist so nicht verwunderlich.

Da die Frau als geistig und körperlich unterlegen galt, suchte sie folglich in einem Mann „wisdom, constancy, firmness, perseveredness, and she is willing to repay it all by the surrender of the full treasure of her affection. Women despise in men everything like themselves except a tender heart” (Lavender). Die Verinnerlichung dieser Tugend machte Frauen besonders abhängig von (Ehe-)Männern und trug zu ihrer Fremdbestimmtheit bei.

Der häusliche Bereich war das Reich der Frau. Durch die Glorifizierung des Zuhauses wurde Hausarbeit zu einer moralisch erhebenden Tätigkeit. Fand frau neben der Kindererziehung noch Zeit für weitere Aufgaben, so wurde das Bibelstudium als Beschäftigung favorisiert; sie konnte sich jedoch auch der Handarbeit widmen, ausgewählte Literatur lesen, malen, zeichnen oder musizieren. Sobald der Ehemann von der Arbeit zurückkehrte, fungierte das Heim als Refugium vor der Außenwelt. Hier konnte er sich von der wetteifernden, unmoralischen Geschäftswelt erholen und musste selbst ebenfalls nicht mehr aggressiv, hart und rational sein, sondern konnte seine menschliche Seite zeigen. So wurde die Privatsphäre zu einem wichtigen Wert für die Familie im 19. Jahrhundert. Die Entwicklung von Vorstädten und die Bevorzugung von Einfamilienhäusern, um sich als Familie von der Außenwelt abzuschirmen, begann im 19. Jahrhundert.

Das Zuhause wurde auch als Ort der Muße verstanden, der geschmackvoll eingerichtet und dekoriert wurde. In diesem Zusammenhang wurden Frauen ebenfalls zu einem dekorativem, aber nutzlosen Bestandteil des Settings.

Es handelt sich bei dem Kult um Weiblichkeit und Häuslichkeit um ein diskursiv erzeugtes Konstrukt, das freilich nicht alle Amerikaner verinnerlicht hatten. Trotz der getrennten Arbeitsbereiche lebten Frauen und Männer zusammen, so dass es innerhalb dieses Ideals zu Verschiebungen kam. Zudem handelt es sich um eine Ideologie, die von der weißen Mittel- und Oberklasse ausging. Arbeitende Frauen - und Sklaven - hatten Lebensbedingungen, die sich nicht oder nur teilweise mit diesem Ideal in Einklang bringen ließen, sofern das Bedürfnis danach überhaupt bestand. Dennoch beeinflusste der Weiblichkeitskult auch die Menschen der unteren Gesellschaftsschichten, und sie richteten sich zum Teil danach aus.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelten sich außerdem weitere, andere Bilder von Weiblichkeit, die das Ideal der tugendhaften Frau in Frage stellten oder vollkommen ablehnten. So war die Real Woman eine tüchtige, möglichst selbstbestimmte und ökonomisch unabhängige Frau, die großen Wert auf Selbstbestimmung und eine gesunde Lebensweise legte. Dennoch passte sie sich zum Teil an das Weiblichkeitsideal der true woman an; so glaubte sie an eine natürliche Geschlechterdifferenz. Die New Woman hingegen forderte völlige Gleichberechtigung für sich ein, was auch sexuelle Entscheidungsfreiheit beinhaltete. Im Interpretationsteil wird untersucht, in welcher Beziehung die Protagonistinnen zu den Weiblichkeitskonzepten stehen.

3. Theorie

Abgesehen von ihrer schriftstellerischen Tätigkeit waren die Autorinnen neben vielem anderen Freundinnen, Ehefrauen, Mütter, Geliebte oder Töchter. Sie werden von der Zeit, in der sie leben, von sozialen Konventionen, ihren Mitmenschen und verschiedenen Erwartungshaltungen an sie mehr oder weniger beeinflusst, was sich in ihren literarischen Texten widerspiegelt.

Die Theorie des New Historicism, von Stephen Greenblatt in den 1980er Jahren unter Einfluss von Michel Foucault entwickelt, regt an, Texte jeder Art nicht als ein isoliertes (Kunst-)Werk zu betrachten, das autonom für sich allein steht, sondern deren Entstehungszeit, den Entstehungsort und die Umstände ihrer Entstehung in die Untersuchung mit einzubeziehen. Während ein literarischer Text sich auf den historischen Kontext bezieht, innerhalb dessen er entsteht, können historische Zusammenhänge durch fiktionale Literatur besser verstanden werden. Ein Text steht also nicht allein für sich, sondern in Zusammenhang und Wechselwirkung mit den Lebensumständen zur Zeit seiner Entstehung.

Ebenso, wie eine Wechselwirkung zwischen der Gesellschaft und den hier untersuchten Autorinnen besteht, die den Diskurs durch ihre Texte beeinflussten, besteht ein Zusammenhang zwischen der diskursiven Verhandlung ihrer Texte und ihrem sozial verorteten Geschlecht. Um so genannte Frauenliteratur geht es im folgenden Kapitel.

4. Frauenliteratur? Domestic und Sentimental Novel

Die philosophisch-ästhetische Tradition des amerikanischen Sentimentalismus entwickelte sich sowohl aus der schottischen Aufklärungsbewegung als auch aus der europäischen sentimentalen Bewegung des achtzehnten Jahrhunderts5 heraus. So entwickelte der schottische Philosoph und Historiker David Hume eine Gefühlsethik, die den moral sense des Menschen betont: Die Gefühlswelt der Menschen veranlasst diese, moralisch zu handeln. Zudem entwickelten die freidenkenden Kleriker im England des späten siebzehnten Jahrhunderts die Überzeugung, dass der Mensch einen natürlichen Hang zur Tugendhaftigkeit besäße, da gute Taten angenehme Gefühle auslösen, während der Verzicht auf gute Taten negative Gefühle mit sich bringt (Vgl. Noble 62). Der moral sense, der in der menschlichen Natur verankert ist, ermöglicht es, sich durch Mitgefühl in andere hineinversetzen zu können. Da die Menschen die Gefühle anderer miterleben, an sich selbst erfahren und so eine emotionale Verbundenheit zu ihren Mitmenschen entwickeln, sensibilisiert sich auch ihre Wahrnehmung in Bezug auf das Leid anderer. Darum neigen sie dazu, sich wohltätig und gütig zu verhalten. So wird Mitgefühl zu einem moralischen Wert.

In der Philosophie des common sense, die sich unter anderem aus Werken von David Hume und aus der Gefühlsethik entwickelte, findet die sentimentale Literatur ihren Ursprung. Auch Harriet Beecher Stowe wurde von diesem „broad philosophical trend“ (Noble 64) stark beeinflusst (Vgl. Noble 63/64). Die Prinzipien der common sense- Philosophie „were a central component of the early American education system [..], read by [..] most of the major authors of antebellum American literature, both male and female” (Noble 63). Männer und Frauen wurden also gleichermaßen von dieser Literatur geprägt. Ebenso wurde die sentimentale Literatur, die sich daraus entwickelte, von Männern und Frauen geschrieben.

Innerhalb der Amerikanistik entwickelte sich in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ein Alteritätsdiskurs, der Literatur von Frauen als spezifisch weibliche Literatur wahrnahm, die „als das Andere, als Negativfolie zur Etablierung einer klassischen amerikanischen Erzähltradition, deren Schöpfer sämtlich Männer sind“ (Opfermann Diskurs 37), fungierte. Literatur von Frauen wurde an den Werken von Männern gemessen und Weiblichkeit mit minderwertiger Literatur gleichgesetzt. So wurden „Popularität, Sentimentalität und Trivialität als Charakteristika der Literatur der Autorinnen des 19. Jahrhunderts diskursiv etabliert“ (Opfermann Diskurs 42), was impliziert, dass sentimentale Literatur minderwertige Literatur ist.

Den literarischen Gattungsbezeichnungen sentimental und domestic fiction ist jedoch gemein, dass es sich bei ihnen nicht primär um Literatur von und für Frauen handelt, sondern um ein „literarisches Verfahren [..], das zwar vorwiegend von Frauen benutzt wurde, aber nicht notwendig benutzt werden“ musste (Opfermann Diskurs 295). Dieses Verfahren stand also gleichermaßen männlichen wie weiblichen Autoren zur Verfügung.

Die sentimentale Schreibweise appelliert an das Mitgefühl der Leser. Hierbei geht es darum, sich in die beschriebene Situation und in die Figuren der Geschichte hineinzuversetzen. Die Leser identifizieren sich mit den Gefühlen einer Figur, indem sie frühere eigene Erfahrungen, die mit Emotionen verbunden waren, mit dem Beschriebenen assoziieren. In Pink and White Tyranny wird im Kapitel „Sentiment v. Sensibility (S. 188)“ erzählt, wie Charlie Ferrola, Innenarchitekt und heimlicher Verehrer von Mrs. Follingsbee, nach einer durchtanzten Nacht von seiner Ehefrau nach Hause bestellt wird, da sein kleiner Sohn im Sterben liegt. Die folgende Szene beschreibt Ferrolas Reaktion auf das Leiden des Babys:

Charlie Ferrola was one of those whose softness and pitifulness, like that of sentimentalists generally, was only one form of intense selfishness. The sight of suffering pained him; and his first impulse was to get out of the way of it. [..]. But here he was, by the bedside of this little creature, dying in the agonies of slow suffocation, rolling up its dark, imploring eyes, and lifting its poor little helpless hands; and Charlie Ferrola broke out into the most violent and extravagant demonstrations of grief [..]. The pale, firm little woman [..] had to assume the care of him, in addition to that of her dying child. He was another helpless burden on her hands.

Der Appell an das Mitgefühl der Leser wird hier sehr deutlich: Das hilflose Baby streckt im qualvoll-langsamen Todeskampf hilfesuchend die Arme nach seinem Vater aus, blickt ihn flehentlich an, doch sein Vater tröstet es nicht, sondern muss selbst von seiner Frau getröstet werden, der somit neben ihrer eigenen Trauer - die sie nicht nach außen trägt - noch eine weitere Belastung aufgebürdet wird. Charlie gibt sich einem selbstbezogenen Schmerz hin. Er bedauert, dass er das Sterben seines Sohnes mit ansehen muss, nicht den Tod seines Sohnes als solchen. Durch sein unkontrolliertes, effekthaschendes Lamentieren und egoistisches Verhalten seiner Frau gegenüber sollen Antipathien beim Lesepublikum ausgelöst werden. Die Leser werden an Situationen erinnert, in denen sie selbst Ablehnung und Zurückweisung erfahren haben, und projizieren das daraus resultierende Gefühl der Wut oder des Schmerzes auf die Figur Ferrolas. Gleichzeitig werden Sympathie für Mrs. Ferrola und Mitgefühl für das leidende Baby in den Lesern geweckt, denn es handelt sich um „a trauma with which all people can identify: the separation of mother and child. If they have not experienced such a separation from the parent’s perspective, they have from that of the child“ (Noble 66). Haben die Leser auch keine eigenen Kinder, so hatten sie doch alle eine Mutter. Unabhängig von individuellen, kulturellen oder geschlechtsspezifischen Unterschieden durchlaufen Heranwachsende einen Abnabelungsprozess, der das Bewusstsein ihrer Verschiedenheit von anderen zunehmend verfestigt; somit erfolgt auch eine Separation von der eigenen Mutter. Das damit verbundene Verlustgefühl muss nicht bewusst sein, um durch Szenen wie die oben beschriebene erneut empfunden zu werden. Das Gefühl des Verlustes fungiert „as a unifying mechanism“ (Noble 66); es entsteht eine Verbindung und Vereinigung zwischen Figur und Leser6. Stowe macht einen expliziten Unterschied zwischen Sentimentalität - hier durch Ferrolas Verhalten präsentiert - und Sensibilität, die in Mrs. Ferrolas Figur und Verhalten zum Ausdruck kommt. Die Autorin verwendet den Begriff des Sentimentalen hier pejorativ, um ihn von echtem, unprätentiösem Gefühl und wahrer Empfindsamkeit abzugrenzen. Dies steht in Widerspruch zu der von ihr verwendeten, eindeutig sentimentalen Schreibweise, die ich oben zitiert habe. Stowe nutzt die sentimentale Schreibweise, um einen Effekt bei den Lesern zu erzielen, kritisiert jedoch die Sentimentalität von Charlie Ferrola. -

Domestic Fiction beschreibt generell Ereignisse, die innerhalb des häuslichen Bereichs oder in häuslicher Umgebung stattfinden7. Oft wird diese Schreibweise mit dem Kult um die Häuslichkeit assoziiert, also mit der Erfüllung, die Frauen in der Ehe und Mutterschaft finden. Doch wie der Begriff der Sentimentalität ist domestic in der kritischen Analyse kein fester oder neutraler Begriff. Auch der Roman, der das Häusliche zum Setting macht oder inhaltlich thematisiert, galt als speziell weibliche Literatur von und für Frauen. Auf Stowes Gesellschaftsromane trifft Bayms These zu, dass es primär um soziale Beziehungen in häuslicher Umgebung oder an anderen Orten sozialer Zusammenkunft geht, die genau und ausführlich beschrieben werden (Vgl. Baym 26). Diese detaillierte Beschreibung ist „sometimes“ (Baym 26) idealisiert8, was auf die New York Novels ebenfalls zutrifft und was ich in Kapitel 5.2 und 5.5 erläutere. Dass das häusliche Leben nach den Bedürfnissen der fiktionalen Handlung mehrheitlich als überaus unglücklich beschrieben wird (Vgl. Baym 27), gilt für die hier untersuchten Texte keineswegs; bis auf Harry Hendersons Kindheit ist eher das Gegenteil ist der Fall. An diesen Beispielen wird ersichtlich, das die Kategorisierung domestic nicht generell jedem Roman, der im häuslichen Bereich stattfindet, gerecht wird.

Beide Begriffe beschreiben inhaltliche Aspekte der untersuchten Romane: Es wird teilweise eine sentimentale Schreibweise angewendet, und die Geschichten finden im häuslichen Bereich oder dessen Umgebung statt; auch der Bezug zu einem ‚Häuslichkeitskult’ ist nicht von der Hand zu weisen. Dennoch gibt es zahlreiche weitere Aspekte, die durch die Verwendung der Begriffe als Genre nicht abgedeckt werden, wie ich in der Interpretation zu zeigen versuche.

Stowes New York-Romane werden zutreffend als Gesellschaftsromane bezeichnet, da sie Einblick in die zeitgenössische Gesellschaft New Yorks geben. Auch werden Sitten, Gebräuche und Werte vermittelt, die zur Entstehungszeit der Romane kulturelle Bedeutung hatten; somit können die Texte auch als Novels of Manners oder Sittenromane bezeichnet werden. Schließlich hat die Kategorisierung der Geschichten als Bildungsroman ebenfalls ihre Berechtigung, da die Autorin dem diskursiv an sie gestellten Bildungsauftrag (Vgl. Opfermann Diskurs 143ff.) mit Eifer nachkam.

Dies soll jedoch innerhalb der folgenden Kapitel Erwähnung finden.

5. Harriet Beecher Stowes New York-Romane

Harriet Beecher Stowes Geschichte My Wife and I: Or, Harry Henderson’s History9 erschien erstmals von November 1870 bis November 1871 in der Zeitschrift Christian Union, die ihr Bruder Henry Ward Beecher herausgab, als Fortsetzungsgeschichte. Fast zeitgleich, ab August 1870, erschien Pink and White Tyranny: A Society Novel als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift Old and New, die Stowes Neffe Edward Everett Hale herausgab.

Stowes letzter New York-Roman, We and Our Neighbors, erschien 1873 erstmals in Buchform und setzt Harry Hendersons Geschichte fort. Aufgrund seiner ähnlichen Thematik und Figurenkonstellation wird dieser Roman nicht gesondert untersucht, sondern findet innerhalb der Untersuchung von My Wife and I Erwähnung.

My Wife and I: Or, Harry Henderson’s History

[I am] to some extent a woman’s rights woman, as I

am to some extent something of almost everything that goes.

Harriet Beecher Stowe an Edward Everett Hale, 14. April 1869

5.1 Die Funktion des Erzählers in My Wife and I

Im ersten Kapitel des Buches macht der fiktive Autor, Erzähler und vermeintliche Protagonist Harry Henderson deutlich, wovon die Erzählung handelt, nämlich „simply and mainly of love and marriage“ (MWI 4). Die Ehe als älteste und ehrwürdigste christliche Verbindung überhaupt symbolisiert „something sacred as religion, indissoluble as the soul, endless as eternity“ und repräsentiert Gottes erlösende, ewige Verbindung mit der Seele des Menschen (MWI 4). Alle Menschen, die wahrhaft geliebt haben, haben ihre persönliche „poetry of existence“ (MWI 4) erlebt und können so das Thema des Romans leicht nachvollziehen: Es ist die alte Geschichte Adams, „stupid, desolate, and lonely without Eve; and how he sought and how he found her“ (MWI 4). Diese biblische Geschichte erscheint dem Erzähler als Summe und Substanz aller Romanzen, die jemals geschrieben wurden. Da jede Generation neue Adams und Evas hervorbringt, ist er sich sicher, dass es nicht an mitfühlenden Zuhörern mangeln wird (Vgl. MWI 4). Durch diese einleitenden Worte wird der Inhalt des Romans moralisch erhöht10 und an das Gefühl der Leser appelliert, um Interesse für die Geschichte zu wecken.

Folgend stellt sich der Erzähler namentlich sowie als „plain Yankee boy from the mountains of New Hampshire, and at present citizen of New York“ (MWI 4) vor. Harry erzählt seine Lebensgeschichte als „a young American man’s progress toward matrimony“ (MWI 5), er ist also Teil der jungen Generation von Evas und Adams, die zuvor als narratees11 konstruiert wurden. Der Ausdruck „progress toward matrimony“ deutet zudem auf zwei Eigenschaften des Romans hin: Zum einen wird der zuvor beschriebene heilige Status der Ehe bekräftigt, in dem Heirat als Fortschritt zur persönlichen Verbesserung und als Lebensziel schlechthin dargestellt wird. Dies wird durch das „konventionelle Heiratshappyend“ (Opfermann Diskurs 298) bestätigt, denn mit dem Einzug des Ehepaars Henderson in ihr Stadtrandhaus schließt der Roman. Zum anderen deutet der Ausdruck darauf hin, dass das Buch primär Harrys Erlebnisse und Erfahrungen vor der Ehe beschreibt. Hier komme ich zum letzten Satz des ersten Kapitels, der offenbart, worum es eigentlich in My Wife and I geht - nämlich um die aufregendsten und bewegendsten aktuellen Tagesthemen, [..] where all that relates to the joint interests of man and woman has been thrown into the arena as an open question; and, in relating to our own experiences, we shall take occasion to keep up with the spirit of this discussing age in all these matters. (MWI 5)

Es handelt sich um einen Gesellschaftsroman, der sich vorrangig damit auseinandersetzt, welche Position die amerikanische Frau im Jahr 1870 innerhalb der Gesellschaft einnimmt und vor allem einnehmen sollte, welche Möglichkeiten Frauen zur Selbstgestaltung und Selbstbildung haben und welche sie ergreifen sollten. Im Allgemeinen geht es um die Beziehung zwischen Frauen und Männern inner- und außerhalb der Ehe, im Besonderen um Eva Van Arsdels Entwicklung von einer „New York princess[..]“ (MWI 142) zu Harry Hendersons Ehefrau. Das Heiratshappyend, das im Text eindeutig als erstrebenswertes Ziel dargestellt wird - ein Großteil der Romane My Wife and I, Pink and White Tyranny und We and Our Neighbors handelt davon, wer wen heiraten möchte, heiraten wird oder heiraten sollte - dient hier unter anderem der „[..] Verschleierung [der] subversiven Explorationen weiblicher Möglichkeiten“, die der Roman „[..] in den Selbstgestaltungsprozessen der Heldinnen vor deren Unterbringung in der Ehe [erzählt]“ (Opfermann Diskurs 298). Es geht nicht primär, wie das erste Kapitel zunächst vermuten lässt, um Harry Hendersons Entwicklung und Fortschritt bis zu seiner Heirat. Harrys Geschichte dient als Rahmenhandlung, um Themen zur Diskussion zu stellen, die hauptsächlich die gesellschaftliche Stellung der Frau betreffen. Stowes „[t]opical Novel on Woman Suffrage“ (Wyman 383) thematisiert „the woman controversy12” und ist somit Teil der Debatte um Frauenrechte, die mit dem Ende des Bürgerkrieges an Bedeutung und öffentlicher Wahrnehmung gewann13.

Die Entwicklung vieler, teilweise höchst unterschiedlicher Frauenfiguren zeigt eine

Fülle an verschiedenen Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf weibliche Lebensgestaltung und weibliches Selbstverständnis auf. Ob diese Frauenfiguren in ihren unterschiedlichen Charakteren von der Autorin positiv oder negativ dargestellt werden, und ob die Beschreibung der Frauen den Weiblichkeitsdiskurs stützt oder gegen ihn aufbegehrt, ist in diesem Zusammenhang zunächst zweitrangig, denn jede Frauenfigur in My Wife and I exploriert auf ihre Weise, welche Möglichkeiten zur Selbstgestaltung ihr offen stehen14. Somit füge ich dem Roman neben den oben angeführten Kategorisierungen die von Susan K. Harris entwickelte Bezeichnung exploratory novel15 hinzu.

Die Funktion des Erzählers ist jedoch nicht darauf beschränkt, eine Rahmenhandlung für die Darstellung und gesellschaftliche Positionierung verschiedener Frauenfiguren zu schaffen. Auch Harrys Entwicklung vom Kind bis zum Ehemann wird erzählt; insofern passt der Ausdruck exploratory novel nicht ausschließlich zu den weiblichen Figuren des Romans. Hier weicht Stowe von einem inhaltlichen Aspekt ab, der häufig zur Kategorisierung eines literarischen Textes einer Autorin genutzt wurde und wird: Die Selbstgestaltungsprozesse einer Heldin werden zur Entwicklungsgeschichte eines Helden16. Der Erzähler beschreibt seine eigene Geschichte innerhalb eines „als weiblich erachtete[n] Genres [..]“ (Opfermann Diskurs 151), der Domestic Novel.

Eine seiner Hauptaufgaben besteht darin, als Sprachrohr für Stowes Didaxe zu fungieren. Henderson wird im Text zwar als pseudonymer Autor präsentiert, aber gleichzeitig als fiktiv entlarvt, da Stowe sich als Verfasserin klar zu erkennen gibt17. Von einer expliziten Trennung zwischen Autorin und Erzähler kann in My Wife and I keine Rede sein: Harry artikuliert Stowes moralisches Anliegen, die Gesellschaft und insbesondere die Stellung der Frau in ihrem Sinne zu verbessern. Er beschreibt die „weibliche[..] Gefühls-Überlegenheit, die in der Mutterrolle kulminiert“ (Opfermann Diskurs 108) aus persönlicher Erfahrung18. Harry verehrt Frauen; er betet sie förmlich an und behandelt sie auf die Art und Weise, die die Autorin für angemessen hält. Er erzählt bewundernd von seiner Mutter, die ihn zu einem erfolgreichen, nützlichen

Mitglied der Gesellschaft macht, insbesondere durch seine Fähigkeit „to admire women and enjoy their company [..]“ (Baym Woman’s Fiction 26). Ihre hervorragende Erziehung formt Harrys Charakter und beeinflusst sein Verhältnis zu Frauen immens. Die Wahl eines männlichen Erzählers erweitert den Aktionsradius der Autorin, denn zum einen verschafft Harry ihr Zutritt zur male sphere, was ich folgend erläutern werde. Zum anderen autorisiert er ihre Argumente, da sie gleichzeitig seine eigenen, also die eines Mannes sind - eines Mannes allerdings, der weibliche Überlegenheit vollkommen verinnerlicht hat: Er lauscht begeistert den Monologen seiner Braut und ordnet sich seinem „small sovereign“ (MWI 384) freudig unter, wann immer es möglich ist; er wiederholt vor seinem Onkel Jakob fast wörtlich Carolines Ansichten zur Berufstätigkeit von Frauen19, und er widmet ein ganzes Kapitel der Geschichte der Garderobe seiner Ehefrau. Harry ist Evas dankbares und ergebenes Publikum. Er spiegelt Stowes Thesen und Ansichten so eindeutig wider, dass stets bewusst bleibt, dass er der Erzähler ihrer Geschichte ist.

Da Stowe 1870 bereits eine etablierte Autorin war, hatte sie ein männliches Pseudonym kaum nötig, um Autorität zu erlangen. Es handelt sich hier mehr um ein „Spiel mit der Maske“ (Opfermann Diskurs 150), um eine künstlerische Variation, die Stowe bereits 1860 mit Christopher Crowfield in ihrer Artikelserie House and Home Papers für den Atlantic Monthly und mit Horace Holyoke in ihrem Buch Oldtown Folks (1869) umsetzte. Anders als diese beiden Erzähler ist Harry jedoch keine väterliche Figur, sondern ein junger Mann, was für die oben erwähnte Identifikationsmöglichkeit eines jungen Lesepublikums spricht. Den drei Erzählerfiguren ist eines gemein20: Sie erzählen ihre Geschichten mit einer gewissen Distanz zum Geschehen. In My Wife and I hat Harry Henderson die Rolle des Beobachters. Als Zugezogener aus dem ländlichen New Hampshire nimmt er zwar am Leben der New Yorker Gesellschaft teil, entstammt dieser Gesellschaft jedoch nicht. Harry partizipiert an der Romanhandlung und interpretiert das Geschehen gleichzeitig für die Leser, doch er bewertet das Geschehen aus einer Distanz heraus21. Die Konstruktion einer in der ersten Person erzählenden und gleichzeitig von setting und plot distanzierten Figur hat mehrere Funktionen. Zunächst können sich Leser leichter mit einem Erzähler identifizieren, der erzählt, was ihm selbst widerfährt - insbesondere, wenn sie der Gesellschaft, die er beschreibt, ebenfalls nicht angehören und sie wie der Erzähler aus der Distanz heraus beobachten22. Da Harry die Großstadt New York fremd ist, kann er Fragen stellen und diskutieren, die einem gebürtigen New Yorker möglicherweise nicht in den Sinn kämen. Als Neuling in der Zeitungsbranche lernt er einen Teil der Geschäftswelt downtowns kennen, berichtet über seine Erfahrungen und bewertet diese aus der Sicht eines Außenstehenden, die der Außensicht vieler Leser entsprechen mag. Harry ent-fremdet das Fremde, ist Vermittler zwischen ländlichem und urbanem Leben, zwischen alten Werten und modernem Zeitgeist. Er hat eine vereinigende Funktion zwischen der Geschichte und ihren heterogenen Lesern.

Die Erzählperspektive des Beobachters überwindet zudem die Entfremdung des Künstlers von der Geschäfts- und Handelswelt. Als männlichem Berufstätigen stehen Harry Lebensbereiche offen, die der Autorin als Künstlerin nur begrenzt zugänglich bis ganz verschlossen sind. Als symbolisches Mitglied des künstlerischen Salons kann sie nie vollständig Einblick in die Welt der Büros und Geschäftszimmer erhalten23: „[S]he cannot observe the truth about the commercial society around [her]“ (Crozier 190). Harry gelangt an Orte, zu denen ein Autor - oder eine Erzählerin - keinen Zutritt erhielte. Stowe tritt durch die Schaffung des Erzählers in die male sphere des öffentlichen Lebens ein und erweitert so den Rahmen für die Diskussion gesellschaftlicher Themen. Harry begegnet seinen Arbeitskollegen und Vorgesetzten hinter verschlossenen Bürotüren und führt private Gespräche mit ihnen, zu denen die Leser durch die gewählte Erzählform Zugang haben. So erfahren wir, wie Harry mit Jim Fellows oder Onkel Jakob über Frauen spricht, wenn diese abwesend sind.

Die männlichen Figuren des Romans werden in Bezug auf ihr Selbstverständnis dargestellt, und teilweise wird auch ihre Persönlichkeitsentwicklung beschrieben. Harry pflegt intime freundschaftliche Beziehungen zu anderen Männern; insbesondere zu seinem Arbeitskollegen und Mentor Bolton. Dennoch sind es primär Frauen, die den Titelhelden in seiner Entwicklung beeinflussen und prägen. Den frühesten und prägendsten Einfluss auf Harry Henderson hat zweifellos Mrs. Henderson, seine Mutter. Ihre Figur soll im folgenden Kapitel untersucht werden.

5.2 Stowes Cult of True Motherhood: Harrys Mutter in Highland

Obwohl Mrs. Henderson hauptsächlich in nur sechs von den 53 Kapiteln der Geschichte in Erscheinung tritt, durchdringt und beeinflusst ihre Figur machtvoll die gesamte Erzählung. Harrys Beziehung zu seiner Mutter ist entscheidend für die Entwicklung seines Charakters, für seine Beziehungen zu anderen Frauen sowie für die gesamte Handlung des Romans.

Um Mrs. Hendersons Figur zu untersuchen, wird zunächst ihre Rolle als Hausfrau, Mutter und Ehefrau dargestellt. Nachdem ich auf Hintergründe eingegangen bin, die zur Signifikanz dieser Figur beitragen, stelle ich sie dem zeitgenössischen Weiblichkeitsideal in Beziehung.

Schnell wird klar, dass Mrs. Henderson Stowes Idealbild einer Frau entspricht; sie ist nicht nur für Onkel Jakob „the top and crown of all womanhood“ (MWI 41). Als Frau eines Geistlichen und Mutter von zehn Kindern erfüllt sie ihre häuslichen Pflichten mit Perfektion und Hingabe, so dass Harrys Elternhaus als „miracle of neatness and order“ (MWI 6) erstrahlt, obwohl seine Eltern sich keine Bediensteten leisten können. Ihre zahlreichen Kinder erzieht sie tadellos; sie ist ein Ausbund an Geduld, „one of these gentle, soft-spoken, quiet little women who, like oil, permeate every crack and joint of life with smoothness“ (MWI 6). Sie bewegt sich schattenhaft und lautlosen Schrittes. Ihre Anwesenheit ist kaum hörbar, aber durch ihre Fähigkeiten in jedem Winkel des Hauses bemerkbar. Die häuslichen Arbeiten verrichtet sie so gekonnt und unauffällig, dass es wie Zauberei erscheint (Vgl. MWI 6 ). Einem ätherischen, körperlosen Wesen gleich, beansprucht Mrs. Henderson keinen Raum für sich; sie arbeitet im Verborgenen und „’[disappears] into the woodwork’“24. Die körperliche Arbeit, die sie verrichtet, wird von anderen nicht wahrgenommen. Mrs. Henderson agiert „in such a way as to suggest her own physical absence“ (Noble 35), so dass ihr Inneres an Bedeutung gewinnt: Ihre Fähigkeiten als Mutter und Hausfrau werden betont und ihr vornehmes Wesen in den Vordergrund gestellt, während ihre Körperlichkeit in den Hintergrund tritt. Ihr Äußeres findet im Roman keine Erwähnung25; auch ist sie nie krank oder erschöpft. Mrs. Henderson ist vor allem „[a] moral, not [a] carnal being[..]“ (Noble 33), das anderen durch eigene Tugendhaftigkeit zum Vorbild wird.

Harrys Mutter kommt auch ihren öffentlichen Pflichten als Gattin eines Geistlichen nach, obwohl diese als weniger erfüllend beschrieben werden. Sobald ihre Kinder dem Kleinkindalter entwachsen sind, wird von ihr erwartet, sich um die Gemeinde zu kümmern:

[M]y mother was now regarded as without excuse if she did not preside at the weekly prayer-meeting, the monthly maternal association, and the missionary meeting, and perform besides regular pastoral visitations among the good wives of her parish (MWI 5).

An dieser Stelle kritisiert Stowe, dass gemeinnützige Arbeit der Pfarrersfrau von der Gemeinde als Selbstverständlichkeit angesehen wird, so dass niemand auf den Gedanken kommt, Mrs. Henderson dafür zu entlohnen, was insbesondere in Anbetracht des niedrigen Gehalts ihres Mannes angebracht gewesen wäre: „No one, of course, ever thought of voting her a little extra salary on account of these public duties“ (MWI 6). Hier wird Stowes Eigenschaft als woman’s rights woman zum ersten Mal deutlich.

Als seine älteren Schwestern das Haus verlassen, um eine Schule in der näheren Umgebung zu gründen, benötigt Mrs. Henderson Hilfe und unterrichtet Harry darum in Hausarbeit. Dies wird sehr positiv geschildert; Harry gewinnt dadurch an Bildung und Einsicht in woman’s sphere: „This association with a womanly nature [..] I hold to have been an unvaluable part of my early training“ (MWI 37). Für ihn und damit für Stowe ist das Schaffen eines schönen Heims nicht „the province of one gender alone but instead a common human impulse and a social necessity“ (Watt MacFarlane 279). Sein Einblick in den weiblichen Wirkungsbereich lehrt ihn, die Aufgaben, die diesem zugeschrieben sind zu übernehmen und macht ihn später zu einem Ehemann, der keinerlei Berührungsängste mit als weiblich definierten Aufgaben hat. So lernt er unter Evas strenger Anleitung, Ordnung in ihre Garderobe zu bringen:

I [..] was my wife’s only maid [..]. I became an expert guardian of these filmy treasures of the wardrobe [..] as she daily performed for me the charming work of making up her toilet. (MWI 383/384).

Da Harry sich an Evas Kollektion an „spangles of butterflies and humming-birds wings“, mit denen sie einer “rare tropical flower“ (MWI 384/385) gleicht, mindestens ebenso erfreut wie sie selbst, hilft er ihr gern und sieht dies als selbstverständlich an. Stowe zeichnet hier ein äußerst progressives Männerbild, das sich aus Harrys An- und Übernahme der Tugenden seiner Mutter entwickelt. Er ist „a mother’s boy“ (MWI 37), der sich durch ihre Erziehung zu einem glühenden Bewunderer von true womenhood entwickelt, der aber auch die getrennten Wirkungsbereiche und Wesensarten von Frauen und Männern verschwimmen lässt: Er bewundert die Farbigkeit männlicher Kleidung auf Tizians Bildern und bedauert, keine „gorgeous velvets in all the hues of the rainbow [and] [..] dainty laces and splendid gems“ (MWI 384) mehr tragen zu können. Die Kleidung der Ehefrau „affords us a gratification of these suppressed faculties. She is our finer self; and in her we appreciate and enjoy what is denied to us” (MWI 384, kursiv C.S.) Als Mann sind Harry farbenfrohe Kleidung und manche Materialien - wie der von ihm erwähnte Samt - verwehrt, da sie mit Weiblichkeit assoziiert werden. Hier zeigt Stowe die Beschränkungen auf, die mit der Ideologie der separate spheres einhergehen. Zeitgenössische Leser - männliche wie weibliche - mögen seine Figur als effeminiert gewertet haben26, da sie so viele als weiblich geltende Eigenschaften verinnerlicht hat. Doch Harry „[..] is admirable in direct proportion to the extent of his womanishness“ (Ammons Mother-Savior 165): Je mehr er weibliche Überlegenheit anerkennt und sich mit weiblichen Eigenschaften identifiziert, desto größer wird seine Vorbildfunktion.

Andererseits wird Harrys Bewunderung weiblicher Garderobe dadurch begründet, dass sie die Unterschiede der Geschlechter betont:

Woman was meant to be more than a worker; she was meant for the poet and artist in life; she was meant to be the charmer; and that is the reason, dear Miss Minerva27, why to the end of time you cannot help it that women always will, and must, give more care and thought to dress than men(MWI 385)

Hier wird ein „ursprünglich aristokratische[s] Frauenbild“ vermittelt, dass „weibliche Grazie und Charme“ betont und somit „vor allem für die nach Vornehmheit strebenden Teile der Mittelklasse in England und Amerika Anziehungskraft“ hatte (Opfermann Diskurs 281). Bereits auf Seite 169 bezeichnet Harry die unverheirateten Frauen Amerikas als „the only aristocracy privileged to live in idleness, waiting for their duties to come to them“. Sobald sie zu Ehefrauen werden, haben sie die Aufgabe, ihren Mann mit den oben erwähnten Qualitäten zu erfreuen, zu denen ein dekoratives Aussehen gehört, das ihre Weiblichkeit betont. Auch Frauenrechtlerinnen, die „the admiration of [..] men that stimulates the love of dress in women“ (MWI 384) kritisieren und zu einer Kleiderordnung raten, die nicht über das Geschlecht definiert wird, könnten an der gottgewollten Differenz zwischen Frau und Mann nichts ändern (Vgl. MWI 385). Es entspricht der Natur der Frau, sich zu schmücken, ausgehend „from the mere love of beauty“ (MWI 385). Bestätigt wird dies durch Mrs. Hendersons Begeisterung für Evas Ausstattung: Obwohl sie selbst bescheiden und sparsam lebt, hat sie als Frau „delicate tastes, and [a] love of fineness and exquisitiveness“ (MWI 386), der sie als Ehefrau „of a poor country minister“ (MWI 386) jedoch nie nachgeben konnte. Dennoch teilt sie Evas Begeisterung für schöne Kleidung, da dies ihrer weiblichen Natur entspricht. Der vermeintlich weibliche Hang sich zu schmücken wird hier mit der Gefühlsüberlegenheit der Frau begründet.

Die Schwiegertochter, zuvor von Mrs. Henderson als Gattin ihres Sohnes für würdig befunden, wird in die „domestic science [of] managing a kitchen“ (Watt MacFarlane 275) eingeführt. Die Weitergabe des Wissens der älteren Frauen an den Neuling Eva kommt einer heiligen Einweihungszeremonie gleich: „[..] [T]he elderly priestesses in the temple of domestic experience [..] have a peculiar pride and pleasure in the young neophyte that seeks admission to these Eleusinian Mysteries28” (MWI 386). Die Fähigkeit, einen Haushalt zu führen, und das Weitergeben des nötigen Wissens gewinnt so eine kultische, fast spirituelle Dimension.

[...]


1 siehe Literaturverzeichnis.

2 Vgl. Opfermann Diskurs 15, 80ff.

3 Die Ideologie der Geschlechterdifferenz wurde auch von der Literatur diskursiv erzeugt und fand sich in Frauenzeitschriften, Ratgeberliteratur, Zeitungen und Büchern wieder. Vgl. http://www.library.csi.cuny.edu/dept/history/lavender/386.html .

4 Diese Informationen erhielt ich ebenfalls von Catharine Lavenders Homepage, s.o.

5 Vgl. Noble 62ff. In Anbetracht des begrenzten Umfangs der Arbeit erläutere ich die Entstehung des amerikanischen Sentimentalismus anhand einzelner Beispiele bzw. Tendenzen.

6 Zumindest ist dies intendiert. Ob die sentimentale Schreibweise diesen Effekt hat, ist abhängig vom individuellen Leser, zumal wenn die sentimental novel im oben erwähnten Kontext als minderwertige Literatur wahrgenommen wird.

7 Ich orientiere mich an Bayms Woman’s Fiction 26ff, siehe Literaturverzeichnis.

8 Hier wird ersichtlich, dass der Wunsch nach Kategorisierung „manchmal“ das Erweitern der Kategorien zur Folge haben kann.

9 My Wife and I wird folgend als MWI zitiert; Pink and White Tyranny als Pink.

10 Die Erhöhung des Textes erfolgt auch durch Hinweise auf die Masse und oft mangelnde Klasse der allgegenwärtigen Fortsetzungsgeschichten sowie auf vermeintlich minderwertige Themen und Inhalte dieser Geschichten wie verdeckte Verbrechen, tödliche Verschwörungen oder Falltüren. Darauf soll in Kapitel 7 näher eingegangen werden.

11 Vgl. Opfermann Diskurs 277, 321.

12 Stowes Brief an Annie Fields, 4.11.1870.

13 Vgl. Boydston 258.

14 Je nach Figur ist die Exploration weiblicher Möglichkeiten mehr oder weniger ausgeprägt, subversiv oder gesellschaftstragend, aufbegehrend oder konventionell. Dies wird folgend untersucht.

15 Vgl. Opfermann Diskurs 229, 298.

16 So wird in Nina Baym Woman’s Fiction die Entwicklung eines Mannes bis zu seiner Heirat als

inhaltliche Kategorisierung des Frauenromans nicht erwähnt. Harris hingegen sieht die Rahmenhandlung oder cover story nicht als frauentypisch und gibt als Muster dieser Geschichte „’abandonment, adventure, and redemption’“ (Opfermann Diskurs 229) an.

17 Vgl. Crozier 188. Stowe gab sich sowohl für die Fortsetzungsgeschichte in der Christian Union als auch für das Buch als Autorin zu erkennen.

18 Dies wird in Kapitel 5.2 untersucht.

19 Vgl. Kap. X: „Cousin Caroline“ und Kap. XI: „Why Don’t You Take Her?” in My Wife and I. Obwohl Harry im Gespräch mit seiner Cousine zunächst nicht versteht, warum Caroline nicht die Ehe “a man’s life” vorzieht, das “so much drudgery” (MWI 101) beinhaltet, verteidigt er ihr Anliegen dem Onkel gegenüber vehement. Es stellt sich die Frage, wo diese liberale, progressive Einstellung herrührt; seine Eltern zumindest leben Harry eine Ehe mit konservativer Aufgabenverteilung vor. Dies spricht für das Argument, dass Harrys primäre Aufgabe die ist, Stowes didaktische Absichten zu artikulieren.

20 Gemein ist ihnen auch die alliterierende Form ihrer Namen, die zeitweise beliebt war (Opfermann Diskurs 151). Wie ich folgend zu zeigen versuche, verinnerlicht Harry viele Eigenschaft, die innerhalb der Ideologie der separate spheres als weiblich gelten - insofern passt zu ihm ein Name, der Weiblichkeit betont.

21 Vgl. Crozier 187-191. Mit seiner Heirat verliert Harry diese Distanz; We and Our Neighbors wird deshalb in der dritten Person erzählt.

22 Crozier beschreibt, wie das Gefühl der Entfremdung innerhalb des amerikanischen Volkes durch den Bürgerkrieg, die zunehmende Mobilität der Bevölkerung, Urbanisierung und Immigrantenströme verstärkt wurde. Die Amerikaner wurden im späteren neunzehnten Jahrhundert mehr und mehr zu Beobachtern „of a somewhat alien scene“ (191), sei es als Reisende im Ausland oder eben im eigenen Land. Sie empfanden sich nicht mehr als ein geeinigtes Volk, sondern als Fremde untereinander. Autoren, die über diese heterogene Gesellschaft schrieben, benötigten den beobachtenden Erzähler insbesondere, um verschiedenartige Szenen und Figuren in einer fiktionalen Handlung zu vereinen und sie zu integrieren. Die Figur des Beobachters, der Teil der Handlung ist und diese gleichzeitig interpretiert, wurde als Prototyp von Stowe entwickelt (191-192).

23 Vgl. Crozier 190. Henry James schildert das Problem des Autoren, mit Spaltungen innerhalb der amerikanischen Nachkriegsgesellschaft umzugehen. Diese Spaltungen finden Ausdruck in den gegensätzlichen, getrennten Welten von Uptown und Downtown. Künstlern war der Zugang zum „vital center of American postwar enterprise, Downtown“ verwehrt. Somit erfolgt eine (geschlechtsunabhängige) Entfremdung der Person des Autors vom Wirtschaftsbereich einer Gesellschaft.

24 Nancy Armstrong, zitiert aus Noble 32.

25 Das äußere Erscheinungsbild von anderen Frauenfiguren - wie Mrs. Van Arsdel, Eva, Ida, Audacia und Caroline - wird hingegen beschrieben. Mrs. Hendersons vorbildhafte Mütterlichkeit macht ihr Aussehen zur Nebensächlichkeit.

26 Auch heute ist es meines Erachtens nicht selten, dass die Vorliebe eines Mannes für farbenfrohe Kleidung - wie seine Vorliebe für Hausarbeit - als Effemination oder gar als (passive) Homosexualität gedeutet wird. Die Ideologie der separate spheres hat mit dem Ende des viktorianischen Zeitalters ihre Machtwirkung nicht verloren.

27 Mit Minerva, der römischen Göttin u.a. des Handwerks, der schönen Künste und der Weisheit, wird auch Intellektualität assoziiert. Stowe verweist mit Minerva auf Frauenrechtlerinnen, die zu einer Kleiderreform aufriefen. Andererseits trägt auch Eva zum Wandern ein dem Bloomer Costume ähnelndes Kleidungsstück (MWI 379), das ihrer Weiblichkeit wohl nicht entgegensteht.

28 Da die Eleusinischen Mysterien zu Ehren Demeters, der Göttin des Lebens und der Fruchtbarkeit, abgehalten wurden, zeugt Stowes Begriffswahl neben einer von viktorianischer Kultur geprägten Affinität zur Klassik davon, wie stark sie den zeitgenössischen cult of motherhood verinnerlicht hat. Die Beschreibung von Evas „lessons of ornamental housewifery“ (MWI 386) folgt direkt auf Harrys Ausführungen zur Schönheit weiblicher Garderobe. Daher soll nicht unerwähnt bleiben, dass während des

Ende der Leseprobe aus 95 Seiten

Details

Titel
Die Antiheldin in der viktorianischen Literatur
Untertitel
Das Weiblichkeitsideal in Texten von Harriet Beecher Stowe und Louisa May Alcott
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für England- und Amerikastudien )
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
95
Katalognummer
V141083
ISBN (eBook)
9783640501816
ISBN (Buch)
9783640501724
Dateigröße
1387 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit geht ausführlich auf Harriet Beecher Stowes New York Novels/Gesellschaftsromane 'My Wife and I' und 'We and Our Neighbors' ein und befasst sich danach mit Louisa May Alcotts Kurzgeschichte 'Behind a Mask'. Anhand von diesen Beispielen aus domestic und sensational fiction wird untersucht, auf welche Weise die Autorinnen zum Weiblichkeitsideal ihrer Zeit Stellung nahmen. Der Anhang beschäftigt sich mit Bildern der Maler Robert Reid, Edward Burne-Jones und Horace Vernet, die der untersuchten Literatur in Beziehung gestellt werden.
Schlagworte
Gender Studies, Harriet Beecher Stowe, Louisa May Alcott, Geschlechterforschung, Geschlechtsdiskurs, We And Our Neighbors, Behind A Mask, My Wife and I, Weiblichkeitsideal, Frauenliteratur, Domestic Fiction, Angel in the House, New Woman, Victoria Woodhull, Viktorianische Literatur, American Women Studies, Sensational Fiction, Sensationsliteratur, Geschlechterdifferenz
Arbeit zitieren
Claudia Schraut (Autor:in), 2009, Die Antiheldin in der viktorianischen Literatur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141083

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