Konfliktreicher Anfang in Surinam: Die Herrnhuter Mission zwischen Anpassung und Widerstand


Hausarbeit, 2009

17 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Vorzeichen
1.a) Die niederländische Kolonialpolitik im 18. Jahrhundert
1.b) Spangenbergs Verhandlungen mit der Surinamer Sozietät

2. Chronik des Scheiterns
2.a) Die ersten erfolglosen Siedlungsversuche
2.b) Die dritte Aussendung

3. Hintergründe
3.a) Brüder oder Diener? Sklaven, Maroons und indigene Völker
3.b) Konflikte untereinander
3.c) Konfrontation mit kirchlichen und politischen Autoritäten

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die Geschichte der Herrnhuter Mission im Südafrikanischen Land Surinam wurde von Historikern oft vom Ende her aufgerollt. Über die Emanzipation der Sklaven im Niederländischen Orbit wurde viel geforscht, geschrieben, die Herrnhuter Protagonisten wie Peter LaTrobe oder Otto Tank beleuchtet, die Meinungen und Handlungen der christlichen Gemeinschaft im Kontext analysiert. Wie standen sie zur Sklavenfrage? Was unterschied sie von den Abolitionisten aus Großbritannien, wie rechtfertigten sie ihre Zusammenarbeit mit anderen Kolonialisten und gestalteten sie das Zusammenleben mit den Sklaven?

Doch verpasst es die vorliegende Forschungsliteratur oft, Hintergründe zu beleuchten, die das Verhalten der Herrnhuter verständlich machen. Die Quellen aus der Zeit der Emanzipationsbewegung, also zwischen 1830 und 1870[1], geben darüber nicht viel Aufschluss – die Briefe von Tank, LaTrobe oder der Missionare vor Ort reagieren oft auf verbale Angriffe von englischen Christen aufgrund ihres Sklavenbesitzes, sie argumentieren und rechtfertigen, verraten aber wenig von dem unreflektierten, unkritischen Geist, mit dem sie ihre Missionsarbeit in Surinam begannen. Sekundärliteratur verweist in diesem Fall auf Zitate von Graf von Zinzendorf, der die Sklaverei als Gottes Strafe für die Afrikaner umdeutete und jedem auferlegte, sich seinem Schicksal zu fügen.

Von solch einer Meinung waren die ersten Männer, die 1735 nach Surinam ausgesendet wurden, sicherlich geprägt. Und trotzdem waren sie selbst es, nicht Zinzendorf, die mit den kolonialien Verhältnissen, dem Umgang zwischen Pflanzern und Sklaven, konfrontiert wurden und ihren Platz in dem System einnehmen mussten. Deshalb ist es sinnvoll, nicht nur die offiziellen Verlautbarungen der Herrnhuter Gemeinschaft zu betrachten, sondern auch die Randnotizen, die Briefe und Diarien der Missionare vor Ort. Viele schriftliche Quellen hat Fritz Staehelin in seiner “Geschichte der Mission in Surinam” versammelt. Sie geben Aufschluss über das Wesen und die Absichten der Missionare in der Anfangsphase ihres Wirkens. In der vorliegenden Arbeit werden jene Quellen aus den Jahren 1735 bis 1745 in ihren historischen Kontext eingebettet, dann analysiert, mit Hintergrund-Informationen gestützt und hinsichtlich folgender Gesichtspunkte interpretiert:

Mit welchen Problemen und Widerständen sahen sich die Missionare konfrontiert, weshalb endeten die ersten beiden Siedlungsversuche schon nach kurzer Zeit? Wie gestalteten sich die Beziehungen untereinander, mit europäischen Siedlern, indigenen Volksgruppen und Sklaven? Und welche Hinweise sind zu finden hinsichtlich ihrer Bewertung der Sklavenfrage? Indem die Herrnhuter Missionare mit Missständen konfrontiert wurden und diese schriftlich reflektierten, lässt sich erkennen, ob sie zu passiver Unterordnung neigten oder ob sie auch fähig und gewillt waren, Widerstand zu leisen. Welche Zustände sie überhaupt als problematisch wahrnahmen und was ihnen veränderungswürdig erschien – all das wird auf den folgenden Seiten erfasst und in der Zusammenfassung bewertet werden. Von diesen Ergebnissen ausgehend wird in Zukunft auch die Bewertung ihres Verhaltens und ihrer Aussagen zu Zeiten der Sklaven-Emanzipation leichter fallen.

1. Vorzeichen

1.a) Die niederländische Kolonialpolitik im 18. Jahrhundert

Die Geschichte der Sklaverei im Niederländischen Orbit begann mit der Besetzung der Insel Curacao im Jahre 1634, die in der darauffolgenden Zeit zum Zentrum des karibischen Sklavenhandels avancierte. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden unter niederländischer Flagge mehr als eine halbe Million Afrikaner nach Amerika verschleppt, allein nach Surinam brachte die Westindien-Kompanie bzw. die Surinamer Sozietät[2] von 1667 (Erwerb der Kolonie) bis 1863 (Abschaffung der Sklaverei) etwa 300.000 Sklaven, das Verhältnis zwischen Europäern und Afrikanern betrug um die Jahrhundertwende herum etwa 1 zu 10 (5.000 zu 50.000).

Die kostenlosen Arbeitskräfte wurden vor allem auf Plantagen mit Kaffee- oder Zuckeranbau eingesetzt; als Besonderheit zeichnete sich die Kolonie durch die Existenz von Maroons[3] aus: fast 10% der Sklaven konnten flüchten und sich zu unabhängigen Gemeinschaften zusammen schließen; 1760 war ihre Zahl so groß geworden (ca. 6.000 Personen), dass die kolonialen Autoritäten ihre Territorien respektieren mussten und die Grenzen nicht übertraten.

Dennoch: Sklavenaufstände oder Rebellionen fanden nicht statt. Da die reformierte Kirche den Weissen vorbehalten blieb, die Herrnhuter nicht auf die Befreiung der Sklaven hinarbeiteten, lange Zeit kein Einfluss von Seiten der Britischen Abolitionsbewegung bestand und die Aufmerksamkeit der niederländischen Öffentlichkeit auf größere Kolonien in Asien und Afrika gerichtet waren, in denen Sklaverei keine Rolle spielte – wegen all dieser Gründe fand keine kritische Auseinandersetzung mit der Sklavenfrage statt und konnten die Sklaven folglich auch erst sehr spät befreit werden.

Zur Zeit, in der diese Untersuchung ansetzt (also zwischen 1735 und 1745), war die Surinamer Sozietät als Eigentümerin der Kolonie nicht nur für die Sklaven, sondern

auch für die Ansiedlung von ausgewanderten Europäern zuständig. Weil die Sozietät

von jedem Kolonialisten pro Jahr ein Kopfgeld von 50 Pfund Zucker erhielt und durch Verteidigungsanlagen das Land absichern ließ, wurden neue Siedler immer gesucht und bei Eignung gerne aufgenommen. Pflanzer konnten sich darauf verlassen, dass ihre Interessen von der Sozietät gewahrt wurden – einer der Gründe, warum die Kolonialregierung niemanden dazu drängte, ihre kostenlosen Arbeitskräfte aus Afrika gegen bezahlte Arbeiter einzutauschen.

1.b) Spangenbergs Verhandlungen mit der Surinamer Sozietät

Die Suche der Surinamer Sozietät nach Siedlern für ihre Kolonien kam der Herrnhuter Gemeinde sehr gelegen. Denn 1732 untersagte die österreichische Regierung den sächsichen Behörden, weitere Exulanten aus Böhmen und Mähren aufzunehmen.[4] Die Sorge galt vor allem religiösen Separatisten, die mit pietistischen Strömungen in Berührung gekommen waren, sich von der katholischen Kirche abwandten und der Verfolgung entgingen, indem sie nach Herrnhut unter die Fittiche des Grundbesitzers Graf von Zinzendorf flüchteten. Das Verbot, weitere Mährische und Böhmische Flüchtlinge aufzunehmen, traf die Gemeinschaft hart. Entweder sie mussten in Zukunft alle Neuankömmlinge abweisen oder alternative Wohnmöglichkeiten ausserhalb von Sachsen finden.

Durch die Verbindung des Grafen mit dem Dänischen Königshaus (er war ein Halbvetter der Königin Sophie Magdalene) wurden die ersten Ableger der Herrnhuter Gemeinde in den dänischen Kolonien St. Croix und St. Thomas errichtet. Auch in Holstein und auf dem Nordamerikanischen Festland (in Georgia, später Pennsylvania und North-Carolina) entstanden neue Siedlungen. Dorthin wurden junge Männer oder Ehepaare geschickt, die möglichst ein praktisches Handwerk gelernt hatten und so fähig wären, sich und die Gruppe selbstständig zu versorgen. Sie wurden “nicht eigentlich als Prediger ausgeschickt, sondern als christliche Kolonialisten, die durch ihre Arbeit und ihren Wandel von ihrem Heiland zeugen und die Indianer und Neger für ihn gewinnen sollten.”[5]

[...]


[1] 1834 Befreiung der Sklaven in den Kolonien von Großbritannien, 1863 in den Niederländischen Kolonien

[2] Die Surinamer Sozietät wurde 1683 als Eigentümerin der Kolonie Surinam gegründet, Teilhaber der Gesellschaft waren die Westindien-Kompanie, die Stadt Amsterdam und Cornelis van Aerssen van Sommelsdijck (Angehöriger der damals reichsten Familie der Niederlande).

[3] Maroons (von den Herrnhuter Missionaren auch Bosneger oder Wegläufer-Neger genannt): geflohene Sklaven, die sich in die Urwälder Südamerikas zurückzogen und dort eigene Gemeinschaften bildeten – die Nachkommen zählen heute etwa 72.000 Personen (14% der Bevölkerung von Surinam).

[4] Meyer, Dietrich: Zinzendorf und die Herrnhuter Brüdergemeine 1700-2000. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000. Seite 37. Dieser geschichtliche Abriss verweist auch auf die Untersuchungskommission, die gegen die frühe Herrnhuter Gemeinschaft eingeleitet wurde und zum Landesverweis des Grafen führte.

[5] Staehelin, Fritz: Die Mission der Brüdergemeinde in Suriname und Berbice im achtzehnten Jahrhundert. Eine Missionsgeschichte hauptsächtlich in Briefen und Originalberichten. Hildesheim: Georg Olms Verlag 1997. Teil 1, Seite 7 f.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Konfliktreicher Anfang in Surinam: Die Herrnhuter Mission zwischen Anpassung und Widerstand
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Die Herrnhuter Mission in Übersee
Note
2
Autor
Jahr
2009
Seiten
17
Katalognummer
V140860
ISBN (eBook)
9783640503353
ISBN (Buch)
9783640503476
Dateigröße
515 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Hausarbe kombiniert spezifische Informationen über die Niederländische Kolonialpolitik mit der Missionsgeschichte der Herrnhuter Brüdergemeine. Anhand von aufbereiteten Quellen (Diarien der ersten Missionare auf Surinam) werden deren Weltanschauungen analysiert und in den kolonialen Kontext gesetzt.
Schlagworte
Mission, Kolonialismus, Herrnhut, Surinam
Arbeit zitieren
Anna-Maria Heinemann (Autor:in), 2009, Konfliktreicher Anfang in Surinam: Die Herrnhuter Mission zwischen Anpassung und Widerstand, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/140860

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