Konstruktion von Identität am Beispiel der Inneren Mongolei


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Geschichtlicher Überblick
2.1 Geschichtliche Folgen
2.1.1 Folgen in der Mongolischen Volksrepublik
2.1.2 Folgen in der Inneren Mongolei

3. Konstruktion von Identität und Nation
3.1 Identität und Gedächtnis
3.1.1 Kontinuitätsbrüche
3.2 Die Nation und Nationalismus

4. Identitätsdifferenzierung in der Mongolei
4.1 Identitätskonstruktionen in der Mongolei
4.1.1 Abstammung als identifikatorisches Merkmal
4.2 Identitätskonstruktionen in der Inneren Mongolei

5. Schluss

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In der folgenden Ausarbeitung befasse ich mich mit dem Begriff der Identität im Bezug auf die Mongolei. Hierbei berufe ich mich hauptsächlich auf die Monographie von Uradyn E. Bulag: Nationalism and hybridity in Mongolia. Bulag -aus der Inneren Mongolei stammend- unternahm eine einjährige Feldforschung in der unabhängigen Mongolei in den Jahren von 1991 bis 1992. In seiner Niederschrift befasst er sich eingehend mit einer radikalen und rasanten Neuordnung der mongolischen Gesellschaft weg vom sozialistischen Internationalismus, hin zu einem mongolischen Nationalismus zu Zeiten des Post-Sozialismus. Ferner untersucht er die Auswirkungen dieser Neuordnung im Bezug auf seine Heimat- die autonome Region Innere Mongolei-, bzw. auf die dort lebende Minderheit der Inneren Mongolen, die etwa 10% der dort lebenden Bevölkerung ausmacht.

Zunächst möchte ich nach einem kurzen geschichtlichen Abriss über die Entstehung der von mir behandelten Gebiete (die Mongolei und die Innere Mongolei als Teil Chinas) versuchen, den Begriff der Identität zu beleuchten. Anschließend sollen Mechanismen untersucht werden, die zur Konstruktion von Identität beitragen. Dies soll anhand von Beispielen aus Bulags Monographie veranschaulicht werden. Darauf basierend möchte ich zeigen, dass der Prozess der Aneignung von Identität ein gruppendynamischer Vorgang ist, der sich sowohl aus der Aneignung von Geschichte in immer neuen Interpretationen, als auch aus neuen Erkenntnissen und deren Interpretation konstituiert. Die daraus entstehenden Narrative, so hoffe ich darlegen zu können, sind eingebettet in aktuelle historische Vorgänge und resultieren somit unmittelbar aus einem „Volksempfinden“ gegenüber aktuellen Ereignissen und Entwicklungen. Das heißt, Identität beinhaltet vergangenes, gegenwärtiges und zukünftiges. Das Zukünftige leitet sich hierbei aus der Interpretation von den beiden erstgenannten ab. Somit ist die Aneignung von Identität ein kultur- und gesellschaftsspezifischer Vorgang, der in seiner Gesamtheit nur schwer zu erfassen ist.

2. Geschichtlicher Überblick

Da ein ausführlicher Überblick über die geschichtlichen Ereignisse der Region der Mongolei und der Inneren Mongolei den Rahmen dieser Hausarbeit sprengen würden, kann ich nur in aller Kürze darauf eingehen. Dennoch versuche ich die für das Thema relevanten Punkte zu schildern. Bis zum Jahr 1206 n.Chr. lebten auf dem Gebiet der Mongolei verschieden nomadisierende Gruppen, die Chinggis Khan zu einem Nomadenstaat vereinigen konnte. Er nannte den errichteten Staat Mongol Uls (Mongol nation) (Bulag 1998: 11). Nach der Errichtung eines Großreiches und der Herrschaft unter Anderem über Russland und China zerfiel das Reich nach und nach. Zunächst wurde es aufgeteilt in einzelne Teilreiche. Im 17. Jahrhundert wurden einige mongolische Gruppen unter die Kontrolle der Mandschukaiser gebracht. 1636 eroberten die Mandschuren zunächst das Gebiet der Inneren Mongolei, 1691 brachten sie das Gebiet der Äußeren Mongolei unter ihre Kontrolle (administrative Einheiten). Die Äußere Mongolei wurde im Gegensatz zu der Inneren Mongolei nur indirekt beherrscht. So signifikant wie die Kolonialadministration in der Mongolei, war die Konvertierung sowohl Innerer als auch Äußerer Mongolen zum Tibetischen Buddhismus (Bulag 1998: 12). 1911 endete die Herrschaft der Manschu (Qing- Dynastie) in China, wodurch die Äußere Mongolei die Unabhängigkeit erlangen konnte. Es entstand ein theokratischer Staat mit einem lamaistischen Führer (Bogd Gegeen Khan). 1919-21 besetzten die Chinesen erneut das Gebiet der Mongolei und verlangten die Aufgabe der Autonomie. 1921 erlangte die Mongolei schließlich eine formale Unabhängigkeit mit Hilfe der sowjetrussischen Roten Armee. 1924 wurde die Äußere Mongolei zur Mongolischen Volksrepublik, dem zweiten kommunistischen Staat nach der Sowjetunion (Bulag 1998:12). Dadurch wurde eine folgenreiche Veränderung der mongolischen Gesellschaft eingeleitet:

Mongolian independence from China was established by a huge sacrifice, by a process of complete transformation from what is diagnosed as a feudal society to a socialist one. Consolidation of a socialist system meant eradication of “feudal elements” (Bulag 1998: 13).

Im Rahmen dieses gesellschaftlichen Umbaus kam es nun in den dreißiger- Jahren zu zahlreichen Konflikten und Spannungen. Zunächst kam eine Welle des Red Terror aus Russland, bei dem Mönche und die männliche Bevölkerung einiger Volksgruppen (Barga, Burjaten, Tschachar) nahezu ausgelöscht wurden (Bulag 1998: 14). 1939 kam es dann zu Auseinandersetzungen zwischen Japanern, die die Innere Mongolei besetzt hielten, und einer mongolisch-sowjetischen Armee. Somit standen sich Mongolen der Inneren Mongolei und der benachbarten Volksrepublik gegenüber. Die mongolisch- sowjetische Armee siegte, wodurch die Beziehung beider Staaten zu einer „eisernen Freundschaft“ (Bulag 1998: 14) weiter vertieft wurde. Im Jahr 1947 wurde die Innere Mongolei zu einer an der Peripherie befindlichen autonomen Region der Volksrepublik China. Zu Beginn der sechziger- Jahre führten Petitionen nicht anerkannter Minderheiten in China zur Einführung eines Kategoriensystems, dass zunächst aus 53 Untergruppen bestand, welches letztlich in den späten Siebzigern auf 56 Subgruppen erweitert wurde (Mathieu 2003: 5). Ab 1961 kam es mit russischer Hilfe in der mongolischen Volksrepublik zu einem rapiden Wandel der Gesellschaft weg von der monokulturellen Viehzucht, hin zu einer industrialisierten Agrarwirtschaft. Die Folge war eine rapide Urbanisierung, wodurch mittlerweile 85% der mongolischen Bevölkerung in städtischen Siedlungen leben (Bulag 1998: 15). Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1989 setzte in der Mongolei ein Demokratisierungsprozess ein, der zu einer ersten freien Wahl im Sommer 1990 führte. 1992 wurde eine neue Verfassung verabschiedet. Der Name des Staates wurde in Mongol Uls (Mongolei) geändert und eine neue Flagge wurde eingeführt (Bulag 1998: 18).

2.1 Geschichtliche Folgen

Die Trennung der beiden mongolischen Regionen wurde bereits im 17. Jahrhundert vollzogen. Dies und die unterschiedlichen Regierungsformen der Mandschurischen Kaiser in den mongolischen Gebieten führten zu einem ersten Traditionsbruch im Bezug auf eine Neuordnung der mongolischen Gesellschaft:

The Manchu annexation of Mongolia in the seventeenth century resulted in a

reorganisation of Mongolian societyBanner boundaries were fixed; these

fiefdoms belonged to different feudal lords, and the residents were not allowed

to go beyond the pasture of the bannerThis must have led to the destruction

of exogamy. Kinship schemes cannot be considered without reference to their

political, demographic, or economic implications. The Manchus were only too

aware of what kinship alliances between major Mongol groups would mean

(Bulag 1998: 124)

Radikalere und umfassendere Veränderungen vollzogen sich dann im 20. Jahrhundert, dennoch sei anzumerken, dass zum ersten Mal Grenzlinien zwischen mongolischen Gruppen gezogen wurden, die keine Heiratsallianzen mehr mit ihren Nachbarn mehr zuließen.

2.1.1 Folgen in der Mongolischen Volksrepublik

In der mongolischen Volksrepublik entfernte man sich unter russischem Protektorat zunehmend von der traditionellen Wirtschaftsmethode des nomadischen Pastoralismus, wodurch sich auch das traditionelle Verwandtschaftssystem aufzulösen begann. An deren Stelle traten Kollektive (negdel) - nach sowjetischem Vorbild- wodurch sich die Bevölkerung neu ordnete:

The negdel was instrumental in reshuffle of population, so that the majority of

the herders were not herding in their törsön nutag (natal land), but elsewhere.

The specialization of production also reduced kin interdependence (Bulag

1998: 126)

Es entstand in der Folgezeit eine neue Form der Produktion und der Umverteilung was allerdings nur eine Folge dieser Reorganisation war. Was für uns im Rahmen unseres Themas bedeutender ist, ist die Entwicklung hierarchischer Strukturen innerhalb der mongolischen Gesellschaft:

I treat the socialist system less a purely political system than as a special

Method of organizing production and redistribution. The Soviet- Union,

Mongolia, and lower- level administrative regions within Mongolia, were

organized in a hierarchy (Bulag 1998: 259) .

Die von Bulag angesprochene Hierarchisierung innerhalb sozialistischer Systeme basiert auf dem Marxschen Paradigma des historischen Evolutionismus (Bulag1998: 29). Hierbei wurden die Begriffe Klan (obobg), Stamm (aimag), Nationalität (yastan) und Nation (ündesten) eingeführt (Bulag 1998: 31), welche verschiedene Stufen der menschlichen Entwicklung im Bezug auf ihre Organisation darstellt:

Tribe (aimag), according to Sambuu, is based on the union of clans (obogs).

An arcane Marxist explanation goes as follows: the appearance of the

commodity form destroyed the obog system, and the dismantling of aimag

created the conditions for the emergence of yastan (zit. nach Bulag 1998: 32) .

The yastan is a social group in feudal society; it is a unity of territory,

language and culture. Ündesten (nation) appears on the base of yastan when

the market economy is developed in a capitalist society (zit. nach Bulag 1998:

32)... The socialist Mongol Ündesten was based on the Halh Mongols,

surrounded by other yastans of Mongol origin and non- Mongol yastans

(zit. nach Bulag 1998: 32).

Somit entstand nun ein hierarchisch geordneter, sozialistischer Staat nach dem Vorbild der Sowjetunion. Die hierarchische Gliederung erfolgte entlang ethnischer Linien. Die Khalka (Halh) - Mongolen traten hierbei als die führende Klasse dieser sozio- politischen Einheiten hervor:

They have merged into what Badamhatan calls „the sovio- political unit of the

Socialist Mongolian Ündesten, which is based on the language, literature and

culture of the Halh, the core group (büleg) of the Mongol Ündesten’ (zit. nach

Bulag 1998: 33). In this process, the Halh has become a symbolic central

“root” of all Mongols, and small yastans have become feudalist “bones”

waiting to be recycled into fine socialist materials to support the growth of

socialist Mongolian “root” (Bulag 1998: 33).

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Konstruktion von Identität am Beispiel der Inneren Mongolei
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Ethnologie)
Veranstaltung
Die Mongolei und die Mongolen
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V140789
ISBN (eBook)
9783640505944
ISBN (Buch)
9783640506125
Dateigröße
450 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Identität, Handlungsstrategien, Mongolei, Innere Mongolei, Netzwerke, Politische Anthropologie, Wirtschaftsanthropologie, Ethnologie, Sozialanthropologie
Arbeit zitieren
Mike Bernd (Autor:in), 2006, Konstruktion von Identität am Beispiel der Inneren Mongolei , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/140789

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